Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreißigstes Kapitel.

– – – Was folgt daraus
Anderes als mürrische und dumpfe Schwermuth,
Die Schwester der unseligen Verzweiflung?
Begleitet von der gifterfüllten Schaar
Zerrüttender und bleicher Lebensfeinde?

Komödie der Irrthümer.

 

Der Leser muß sich an die strenge häusliche Zucht erinnern, in welcher zu jener Zeit die weiblichen Glieder einer schottischen Familie gehalten wurden, wenn er es einigermaßen entschuldigen will, daß sich Bucklaw (der sonst wirklich, wie er sich nannte, ein sehr gutlauniger Kerl war,) so leicht in seinem Urtheil von Lady Ashton leiten ließ, während er der Tochter derselben seine Anträge machte.

In dieser, wie in mancher andern Rücksicht waren die Sitten des Landes denen gleich, die in Frankreich vor der Revolution herrschten. Junge Frauenzimmer von Stand erschienen selten vor ihrer Vermählung in Gesellschaften, und waren dem Gesetz und der That nach unter der strengsten Vormundschaft ihrer Aeltern, die ihnen nur zu leicht ihre Heirathspläne aufdrangen, ohne nach der Neigung der in dieser Sache vorzüglich Betheiligten im Geringsten zu fragen. Bei dieser Gelegenheit erwartete der Freier von Seiten seiner Braut wenig mehr, als eine schweigende Ergebung in den Willen ihrer Aeltern, und da er wenig Gelegenheit hatte zur Bekanntschaft, geschweige zur Vertraulichkeit, so wühlte er nach der Außenseite, wie die Freier im Kaufmann von Venedig ihre Kästchen wühlen, und begnügte sich, den Erfolg, wie beim Spiele den Einsatz, dem Zufall zu überlassen.

Da die allgemeine Sitte der Zeit von der Art war, so durfte es nicht befremden, daß Mr. Hayston von Bucklaw, den sein unordentliches Leben gewissermaßen von der besten Gesellschaft ausgeschlossen hatte, bei seiner erwählten Braut diejenigen Gefühle nicht sehr beachtete, für die mancher Mann von mehr Gefühl, Erfahrung und Bedachtsamkeit eben so gleichgültig gewesen sein würde. Er kannte das, was alle den Hauptpunkt nannten, nemlich daß ihre Aeltern und Freunde ihm entschieden günstig wären, und daß überwiegende Gründe zu seinem Vortheile stritten.

In der That das Benehmen des Marquis von A– war seit Ravenswoods Abreise von der Art gewesen, daß es eine Verbindung zwischen seinem Verwandten und Lucie Ashton fast unmöglich machte. Der Marquis war Ravenswoods aufrichtiger, aber falschurtheilender Freund, oder vielmehr er zog, wie so viele Freunde und Beschützer, seines Verwandten sogenanntes wahres Interesse in Betracht, obgleich er wußte, daß er dadurch der Neigung desselben widerstrebe.

Der Marquis betrieb also mit Aufbietung seines ministerlichen Ansehens die Appellation bei dem brittischen Hause der Pairs gegen die Entscheidung der Gerichtshöfe, durch welche Sir William Besitzer von Ravenswoods Erbgut geworden war. Da diese Maßregel, die von dem ganzen Ansehen der Gewalt unterstützt wurde, in dem schottischen Rechtsgang neu war, obgleich sie heute gewöhnlich geworden ist, so wurde sie von den Juristen der Gegenpartei als eine willkürliche und tyrannische Unterdrückung des gemeinen Landrechts verschrieen. Und wenn Fremde, die nur in politischer Beziehung mit der Familie Ashton verbunden waren, also sprachen, so kann man leicht denken, was diese Familie selbst von einer so groben Ausnahmsmaßregel gesagt und gedacht haben möge. Sir William, dessen Habsucht noch größer war, als seine Schüchternheit, war in Verzweiflung über den Verlust, der ihn bedrohte. Das stolzere Gemüth seines Sohnes gerieth in Wuth bei dem Gedanken, seines gehofften Erbguts beraubt zu werden. Aber dem noch rachsüchtigeren Gemüthe der Lady Ashton erschien das Benehmen Ravenswoods oder vielmehr seines Beschützers als eine Beleidigung, welche die heißeste, unauslöschlichste Rache forderte. Selbst das gelassene und zutrauliche Gemüth Luciens konnte nach Allem, was sie von ihrer Umgebung hörte, das Benehmen Ravenswoods nur für unüberlegt, ja unfreundlich halten. »Es war mein Vater,« wiederholte sie seufzend, »der ihn hier bewillkommte, und unsern Umgang ermunterte oder wenigstens zuließ. Hätte er sich nicht daran erinnern sollen, und hätte er es nicht wenigstens dadurch vergelten sollen, daß er die Geltendmachung seiner Rechte ein wenig aufgeschoben hätte? Ich hätte für ihn den doppelten Werth dieser Güter gegeben, die er mit einem Eifer anspricht, welcher zeigt, daß er es vergessen hat, wie sehr ich in dieser Sache betheiligt bin.«

Lucie jedoch sprach dies nur zu sich selbst, denn sie wollte das Geschrei gegen ihren Liebhaber, das von ihrer ganzen Umgebung angestimmt wurde, nicht vergrößern. Man nannte die von ihm gethanen Schritte ungesetzlich, lästig, tyrannisch, den schlechtesten Maßregeln in den schlechtesten Zeiten der schlechtesten Stuarte ähnlich, und eine Schmach für Schottland, da die Urtheile der gelehrten Richter dieses Landes dem Gutachten eines Hofes unterworfen würden, der zwar aus Männern vom höchsten Rang zusammengesetzt sei, die aber kein Municipalrecht kannten, und von denen man anzunehmen berechtigt sei, daß sie das von Schottland verachteten. Es war eine natürliche Folge dieser gegen ihren Vater unternommenen Ungerechtigkeit, daß man alle Mittel aufbot, und alle Beweise vorbrachte, um Miß Ashton zu bewegen, eine Verbindung zu brechen, die ärgerlich, schmachvoll und sündhaft wäre, weil sie mit einem Todfeind der Familie geschlossen worden wäre, und weil sie geeignet sei, den Schmerz ihrer Eltern noch mehr zu verbittern.

Luciens Seele jedoch war stark, und obwohl unberathen und sich selbst überlassen, hätte sie Vieles ertragen können, sie hätte ertragen können die Klagen ihres Vaters, sein Murren gegen das, was er die Tyrannei der herrschenden Partei nannte, seine unaufhörlichen Vorwürfe über Ravenswoods Undank, seine endlosen Vorlesungen über die Mittel, wodurch Verträge aufgehoben und vernichtet werden, seine Anführungen aus dem bürgerlichen, gemeinen und kirchlichen Recht und seine Vorlesungen über die patria potestas.

Auch hätte sie mit Geduld ertragen oder mit Verachtung zurückweisen können die bitteren Reden und heftigen Ausbrüche ihres Bruders, des Colonels Douglas Ashton und die ungebührliche und zudringliche Einmischung von andern Freunden und Verwandten. Aber es ging über ihr Vermögen, der unaufhörlichen Verfolgung ihrer Mutter zu widerstehen, oder sich derselben zu entziehen, denn Lady Ashton hatte mit Hintansetzung jedes anderen Wunsches die ganze Kraft ihres starken Gemüthes aufgeboten, die Verbindung ihrer Tochter mit Ravenswood zu zerreißen, und eine ewige Scheidewand zwischen den Liebenden zu errichten, indem sie Lucie mit Bucklaw vermählte. Da sie eine weit tiefere Kenntniß des menschlichen Herzens hatte, als ihr Gemahl, so wußte sie, daß sie auf diese Art einen schweren und entscheidenden Schlag gegen den führen würde, den sie als ihren Todfeind ansah, und sie zögerte nicht, ihren Arm zu erheben, wiewohl sie wußte, daß die Wunde von dem Herzen ihrer Tochter getheilt werden würde. Mit diesem festen und ernsten Vorsatz drang sie in jede Falte der Seele ihrer Tochter; sie nahm abwechselnd jede Maske an, die ihr zum Zwecke dienlich schien, und bereitete nach Lust die Werkzeuge, durch welche das Gemüth von seinem gefaßten Vorsatze abgezogen werden kann. Einige dieser Mittel sind bekannt, und bedürfen nur einer kurzen Erwähnung, andere schildern die Zeit, das Land und die in diesem seltsamen Drama handelnden Personen.

Es war von der höchsten Wichtigkeit, die Verbindung zwischen den Liebenden abzuschneiden, und Lady Ashton erlangte durch ihr Gold und Ansehen einen so blinden Gehorsam von Allen, die um ihre Tochter waren, daß in Wahrheit nie eine belagerte Festung enger eingeschlossen war, während zu gleicher Zeit Miß Ashton allem äußeren Anschein nach unter keinem Zwange stand. Die Gränze von ihres Vaters Herrschaft wurde für sie die unsichtbare Zauberlinie eines Feenschlosses, über die von außen nichts Unerlaubtes herein und von innen nichts hinaus kann. Auf diese Art fiel jeder Brief, in welchem Ravenswood Lucien die triftigen Gründe seines verlängerten Aufenthalts in der Fremde mitgetheilt hatte, und mehr als ein Billet, das die arme Lucie auf diesem, wie sie meinte, sicheren Weg an Ravenswood gesandt hatte, in die Hände ihrer Mutter. Der Inhalt der aufgefangenen Briefe, vorzüglich derer von Ravenswood, mußte natürlich der Art sein, daß dadurch der Haß von Lady Ashton gestachelt und ihr Starrsinn gestärkt werden konnte, doch ihr Haß war zu tief eingewurzelt, um neuer Nahrung zu bedürfen. Sie verbrannte die Papiere so regelmäßig, als sie dieselben durchlas, und wenn sie dieselben in Rauch und Kohlen vergehen sah, lächelte sie mit zusammengebissenen Lippen und mit einem Frohlocken in ihrem starren Blick, welches ihre Zuversicht ausdrückte, daß die Hoffnungen der Schreibenden bald eben so vernichtet sein sollten.

Gewöhnlich trifft es sich, daß der Zufall den Räncken derer behülflich wird, die sich geschickt eines jeden Wechsels desselben zu bedienen wissen. Ein Gerücht kam von dem Continente, das wie andere Gerüchte der Art auf manchen wahrscheinlichen Umstand, aber auf keinen wahren Grund gebaut war, meldend, daß der Herr von Ravenswood auf dem Sprung stehe, sich mit einer reichen und vornehmen fremden Dame zu vermählen. Diese Neuigkeit wurde begierig aufgeschnappt von beiden politischen Parteien, die zugleich um Macht und Volksbeliebtheit mit einander kämpfen, und die, wie üblich, die geheimsten Umstände des Privatlebens ihrer Gegner aufgriffen, um politische Erörterungen daraus zu machen.

Der Marquis von A– gab seine Meinung laut und öffentlich zwar nicht in den gemeinen, vom Kapitän Craigengelt ihm zugeschriebenen Ausdrücken, aber doch in einer für die Familie Ashton ziemlich beleidigenden Art zu erkennen. Er hielte das Gerücht, sagte er, für höchst glaubwürdig, und er wünsche herzlich, daß es gegründet sein möchte. Eine solche Heirath sei angemessener und rühmlicher für einen geistvollen jungen Mann, als die mit der Tochter eines alten Whigadvokaten, der durch seine Ränke die Familie Ravenswood fast zu Grunde gerichtet habe.

Die Gegenpartei, welche dem Widerstande, den der Herr von Ravenswood von Miß Ashtons Familie erfuhr, keine Aufmerksamkeit schenkte, schimpfte auf den Wankelmuth und die Untreue desselben, als wenn er die junge Lady zu einem Versprechen verlockt, und sie dann willkürlich und launisch um einer Andern willen verlassen hätte.

Es wurde dafür gesorgt, daß dies Gerücht auf verschiedenen Wegen nach dem Schlosse Ravenswood gelangen möge, denn Lady Ashton wußte wohl, daß dies Gerücht an Wahrscheinlichkeit gewinnen müsse, wenn es von verschiedenen Seiten wiederholt würde. Einige brachten es, wie eine gewöhnliche Neuigkeit, Andere theilten es als eine wichtige Nachricht mit; bald wurde es Lucien mit dem Ausdruck eines boshaften Scherzes in's Ohr geflüstert, und bald als eine ernste Warnung an's Herz gelegt.

Selbst der junge Heinrich wurde zum Werkzeug gemacht, um seine Schwester zu quälen. Eines Morgens stürzte er in ihr Zimmer mit einem Weidenzweig in der Hand, der, wie er sagte, für sie aus Deutschland angekommen wäre. Lucie, wie wir gesehen haben, betrachtete ihren jüngeren Bruder als ihren Liebling, und sein muthwilliger und gedankenloser Scherz kam ihr in diesem Augenblick beleidigender vor, als selbst der überlegte Spott ihres älteren Bruders. Ihr Schmerz jedoch hatte nichts von Unwillen; sie umschlang den Hals des Knaben, und sagte mit matter Stimme: »Armer Heinrich! du sprichst nur, was sie dir sagen –« dann brach sie in einen Strom von Thränen aus. Der Knabe fühlte sich gerührt, ungeachtet des Leichtsinns seines Alters und Charakters. »Der Teufel hole mich,« sagte er, »wenn ich dir noch eine so ärgerliche Botschaft ausrichte, denn ich habe dich lieber,« sagte er, indem er ihr die Thränen wegküßte, »als die andern alle zusammen. Du sollst mein graues Pferdchen haben zum Ausreiten, und du sollst es galloppiren lassen, wenn du willst, ja du sollst über das Dorf hinausreiten, wenn du Lust dazu hast.«

»Was sagst du,« versetzte Lucie, »ist mir's nicht erlaubt, hinzureiten, wohin es mir gefällt?«

»Das ist ein Geheimniß,« sagte der Knabe; »doch du wirst sehen, daß du nicht über das Dorf hinausreiten kannst, ohne daß dein Pferd ein Eisen verliert oder stürzt, oder die Schloßglocke wird läuten, oder etwas Anderes wird sich zutragen, das dich zurückbringt. Doch wenn ich dir mehr von diesen Dingen erzähle, so wird mir Douglas nicht die Bänder geben, die man mir versprochen hat, und also guten Morgen.«

Dies Gespräch schlug Lucie nicht mehr darnieder, denn was sie vor einiger Zeit geargwohnt hatte, war ihr nun klar, daß ihres Vaters Haus ein weites Gefängniß für sie sei. Wir haben bei Beginn unserer Erzählung ihrer romantischen Neigung gedacht, die sich an Zauber- und Liebesgeschichten ergötzte, und sich gern an die Stelle der in den Sagen vorkommenden Heldinnen setzte, mit deren Abenteuern, aus Mangel an besserer Lectüre, das Gedächtniß Luciens vollgepfropft war. Der Zauberstab, womit sie sich in ihrer Einsamkeit ergötzt hatte, Wundergebilde hervorzurufen, wurde nun der Zauberstab eines Beschwörers, eines gebundenen Sclaven böser Geister, der Gespenster heraufruft, vor denen der Beschwörer selbst zittert. Sie fühlte sich als einen Gegenstand des Argwohns, der Verachtung, des Unwillens, wenn nicht des Hasses ihrer Familie, und es schien ihr, als wenn sie von der Person, um deretwillen sie von ihrer Umgebung angefeindet wurde, verlassen worden sei. In der That, die Untreue Ravenswoods wurde mit jedem Tag wahrscheinlicher.

Ein Glücksritter, Namens Westenho, einer von Craigengelts alten Bekannten, kam um diese Zeit aus der Fremde heim. Der würdige Kapitän that Alles, um die Pläne von Lady Ashton, obwohl er mit derselben in keiner genauen Verbindung stand, auf's Beste zu unterstützen, und er erlangte es leicht von seinem Spießgesellen, daß derselbe mit Uebertreibung wirklicher Umstände und Erdichtung anderer die bevorstehende Heirath Ravenswoods vollkommen beglaubigte.

So von allen Seiten gedrängt, und gewissermaßen zur Verzweiflung getrieben, unterlag Luciens Gemüth der beständigen Anfeindung und Verfolgung. Sie wurde finster und zerstreut, und wandte sich, gegen ihren Charakter und ihre Gewohnheit, oft mit Eifer und Heftigkeit gegen die, von denen sie sich belästigt sah. Ihre Gesundheit fing an zu wanken, und ihre hektischen Wangen und ihre unruhigen Augen bezeugten, daß ihre Lebensgeister von einem Fieber erschüttert würden. Dies würde die meisten Mütter zu Mitleid bewegt haben; aber Lady Ashton, die fest und entschieden in ihrem Vorsatze war, sah dies Schwanken von Gesundheit und Besinnungskraft mit keiner größeren Theilnahme an, als ein Ingenieur auf die Thürme einer belagerten Stadt hinblickt, wenn dieselben unter dem Feuer der Artillerie zu wanken beginnen, oder vielmehr sie beleuchtete diese Verstimmung und Launenhaftigkeit als Zeichen von Luciens hinsterbendem Entschluß, so wie es der Fischer an dem Zappeln des angehenkten Fisches wahrnimmt, daß er denselben bald landen könne. Um die Entwickelung der Sache zu beschleunigen, bediente sich Lady Ashton eines Mittels, das sich mit dem Charakter und dem Aberglauben jener Zeiten wohl vertrug, das aber der Leser wahrscheinlich verrucht und teuflisch nennen wird.

 


 << zurück weiter >>