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Der Herd verödet war im Saal –
Kein Tisch stand im Gemache drin,
Kein Ruhebett und kein Pokal;
»Ein traurig Haus,« sprach der Erb' von Linn'.
Alte Ballade.
Die Gefühle des verschwenderischen Erben von Linne, wie sie in diesem herrlichen alten Liede ausgedrückt sind, als er sich, nachdem er sein ganzes Vermögen durchgebracht, als den verlassenen Bewohner der einsamen Behausung erkannte, mochten vielleicht einige Aehnlichkeit mit denen haben, die der Herr von Ravenswood in der einsamen Burg Wolf's Crag nährte. Doch hatte der letztere vor dem Verschwender in der Legende den Vortheil voraus, daß, obwohl er sich in gleicher Armuth befand, dieß seiner eigenen Unbesonnenheit nicht beizumessen war. Er hatte seine Armuth von seinem Vater geerbt, die nebst seinem hohen Stamm und einem Titel, welchen der Höfliche nach Belieben geben und der Grobe verweigern konnte, sein ganzes väterliches Erbtheil ausmachte.
Vielleicht daß diese traurige und doch tröstliche Betrachtung den Geist des jungen, unglücklichen Edelmanns mit einem Hauch des Behagens durchwehte. Der Morgen, der ruhiger Ueberlegung so hold ist, wie den Musen, hatte, während er die Schatten der Nacht zerstreute, die stürmischen Leidenschaften, die am vergangenen Tage den Herrn von Ravenswood bewegt hatten, zur Ruhe gebracht. Er fühlte sich nun fähig, die verschiedenen Gefühle, die ihn bewegt hatten, zu beurtheilen, und war fest entschlossen, dieselben zu bekämpfen und zu überwinden. Der Morgen, der sich ruhig und helle erhoben hatte, gab selbst der weiten Sumpflandschaft, die man vor der Burg landeinwärts erblickte, ein heiteres Ansehen, und der ehrwürdige Ocean, von tausend aufwallenden Silberwogen gekräuselt, dehnte sich in ernster, doch freundlicher Hoheit von der anderen Seite bis zum äußersten Gesichtskreis aus. Das Menschenherz liebt solche Bilder stiller Größe selbst in seinem aufgeregten Zustande, und ihr mächtiger Einfluß begeistert zu edlen und guten Thaten.
Das erste, was Ravenswood that, nachdem er mit ungewöhnlicher Strenge sein eigenes Herz beschaut hatte, war, Bucklaw in dem ihm angewiesenen Verstecke aufzusuchen. »Wie steht's, Bucklaw?« grüßte er ihn – »wie behagt Euch das Lager, auf dem einst der geächtete Earl von Angus in Ruhe schlief, als er von dem gewaltigen Zorn eines Königs verfolgt wurde?«
»Hm!« versetzte der erwachte Schläfer; »ich kann mich nicht sehr über das Gemach beklagen, worin ein so großer Mann vor mir gewohnet, nur fand ich die Matratze als eine der härtesten, das Gewölbe etwas feucht und die Ratten aufgeregter, als der Zustand von Calebs Speisekammer vermuthen ließ; und wäre am Gitterfenster ein Laden oder am Bette ein Vorhang gewesen, so wäre dieß, denk' ich, eine verbesserte häusliche Einrichtung.«
»Wahrhaftig, es ist erbärmlich genug,« sagte Ravenswood, das kleine Gewölbe betrachtend; »aber wenn Ihr aufstehen und herausgehen wollt, so wird uns Caleb ein Frühstück ausmitteln, das besser ist als das gestrige Abendmahl.«
»Laßt es nicht besser sein, ich bitte Euch,« sagte Bucklaw, indem er aufstand, und sich, so gut es die Dunkelheit erlaubte, ankleidete, – »laßt es nicht besser sein, sage ich, wenn Ihr wollt, daß ich bei meinen guten Vorsätzen beharren soll. Die bloße Erinnerung an Calebs Getränk hat mir die Lust nach einem Frühtrank besser vertrieben, als ein Dutzend Predigten würden gethan haben. Und Ihr, Herr, habt Ihr Eure Busenschlange wacker bekämpft? Ihr seht, ich bin auf dem Wege, meine Nattern, eine nach der andern zu zähmen.«
»Ich habe den Kampf begonnen, Bucklaw, und ein schöner Engel ist zu meinem Beistand erschienen,« erwiderte Ravenswood.
»Wehe mir!« sagte sein Gast, »ich habe keine Erscheinung zu hoffen, meine Muhme, die Lady Girnington, müßte sich denn zur ewigen Ruhe verfügen, und dann wäre es eher ihre Erbschaft, als ihre Erscheinung, was mich in meinen guten Vorsätzen erhalten könnte. – Doch das erwähnte Frühstück, Herr, – läuft das Wildpret, das in der Pastete dabei erscheinen soll, noch herum, wie's im Liede heißt?«
»Ich will mich darnach umsehen,« versetzte Ravenswood, und verließ das Gemach, um Caleb aufzusuchen, den er in einem dunklen Behälter fand, wo vor Zeiten die Speisekammer der Burg gewesen war. Der alte Mann war hier ernstlich mit der bedenklichen Arbeit beschäftigt, einer zinnernen Kanne durch Reiben den Anschein einer silbernen zu verschaffen. »Ich glaub', es thut's – ich glaub', es geht, wenn man sie nicht zu sehr an's Fensterlicht bringt!« Dieß waren die Aeußerungen, die er von Zeit zu Zeit murmelte, um sich zu seinem Werke anzufeuern, als ihn die Stimme seines Herrn darin unterbrach. »Nehmt dies,« sagte der Herr von Ravenswood, »und schafft das Nöthige für den Haushalt herbei.« Und mit diesen Worten gab er dem Kellermeister die Börse, die am verwichenen Abend so nahe den Krallen Craigengelts entgangen war. Der Alte schüttelte seine dünnen Silberlocken, und blickte mit dem aufrichtigsten Kummer auf seinen Herrn, während er in der Hand die leichte Börse wog, und sagte dann mit betrübter Stimme: »Ist dies Alles, was übrig ist?«
»Für den Augenblick,« antwortete sein Herr, indem er mehr Lustigkeit zeigte, als er vielleicht wirklich fühlte, »ist nichts übrig, als der grüne Beutel und ein klein wenig Tand, wie's im alten Liede heißt; aber das wird eines Tages anders werden, Caleb.«
»Ehe der Tag kommt,« sagte Caleb, »wird's, fürchte ich, aus sein mit einem alten Lied und einem alten Dienstmann dazu. Aber ich sollte nicht so zu Ew. Herrlichkeit sprechen, und Ihr solltet nicht so bleich aussehen. Nehmt Eure Börse zurück, und laßt sie in Gesellschaft zur Schau dienen, denn wenn Ew. Herrlichkeit einen Rath annehmen wollte, dann und wann die Börse vor den Leuten herauszuziehen, und wieder einzustecken, so würde uns Jedermann gerne borgen.«
»Aber, Caleb,« sagte sein Herr, »ich habe noch immer vor, dies Land recht bald zu verlassen, und da ich dies mit dem Rufe eines ehrlichen Mannes thun will, so mag ich wenigstens keine selbstgemachten Schulden hinter mir lassen.«
»Ihr habt Recht, daß Ihr als ein braver Mann weggehen wollt, und Ihr sollt es, denn der alte Caleb kann Alles auf sich nehmen, und mehr als eine Manneslast wird's ja nicht sein. Ich werde gerade so gut im Gefängniß leben, wie außerhalb desselben, und das Ansehen der Familie wird rein und unangetastet bleiben.«
Der Herr von Ravenswood bemühte sich vergebens, dem Alten begreiflich zu machen, daß sein Widerwille gegen das Schuldenmachen durch den Umstand, daß sein Diener dafür verantwortlich gemacht werden könnte, eher verstärkt als geschwächt würde. Er sprach zu einem Minister, den die Erfindung seiner Hülfsmittel allzu sehr beschäftigt, als daß er sich mit Widerlegung der Gründe, die man gegen ihre Rechtlichkeit und Schicklichkeit erhebt, abgeben könnte.
»Da ist die Eppie Smatrasch, sie muß uns Ale borgen,« sagte Caleb zu sich selbst; »sie hat ihr Leben lang unter der Herrschaft gelebt – und vielleicht borgt sie uns auch Branntwein – für Wein stehe ich nicht – sie ist ein lediges Weib, und kauft ihren Claret in einem kleinen Fäßchen – aber ich will sehen, daß ich ihr ein wenig davon abzapfe, sei es in Gutem oder in Bösem. Für Geflügel müssen die Unterthanen stehen, obgleich Luckie Chirnside spricht, daß sie schon mehr als doppelt die Gebühr entrichtet habe. Wir wollen Mittel finden, wenn's Ew. Herrlichkeit beliebt – wir wollen Mittel finden – drum seid getrosten Muthes, denn das Haus soll sein Ansehen nicht verlieren, so lange der alte Caleb ihm vorsteht.«
Die Verköstigung, welche der Alte durch seine verschiedenen Kunstgriffe für drei oder vier Tage den jungen Herren zu verschaffen gewußt hatte, war ohne Zweifel von keiner ausgezeichneten Gattung, jedoch sie wurde, wie man sich leicht vorstellen kann, keinen tadelsüchtigen Gästen gegeben, und grade die Verlegenheiten, Vorwände, Ausflüchte und Nothmittel Calebs belustigten die jungen Männer, und gaben ihrem etwas milden und unvollständigen Mahle einen gewissen Reiz. Sie hatten wirklich Grund genug, jedes Mittel zu ergreifen, wodurch ihnen die Zeit, die sonst gar langsam verflossen wäre, vertrieben werden konnte.
Bucklaw, der von seinen Jagdvergnügungen und fröhlichen Gelagen getrennt war, weil er sich innerhalb der Schloßmauer verborgen halten mußte, wurde ein trüber und unerfreulicher Gesellschafter. Wenn der Herr von Ravenswood des Fechtens und des Beilkespiels müde war, wenn er selbst sein Roß mit Bürste, Striegel und Haartuch bis zum Ueberdruß geglättet hatte, wenn er sah, wie sich dasselbe nach Aufzehrung seines Heu's und Korn's im Stall gemächlich niederstreckte, so beneidete er fast die Zufriedenheit, womit sich das Thier in ein so einförmiges Leben zu finden schien. »Das dumme Vieh,« sagte er, »denkt weder an Rennbahn noch Jagd noch an seinen grünen Rasen zu Bucklaw; es behagt sich sogar in dem schlechten Stalle, wo man es angebunden, als wenn es daselbst geworfen worden wäre; und ich, der ich mit der Freiheit eines Staatsgefangenen alle Winkel dieses verwünschten alten Thurmes durchwandern darf, vermag es kaum, mir durch Pfeifen und Schlafen die kurze Spanne bis zur Essenszeit zu vertreiben.«
Und in dieser niederschlagenden Betrachtung wandte er sich zu den Zinnen des Thurmes, um die auf dem weiten Moorgrunde erscheinenden Gegenstände zu beobachten, oder um mit Kieseln und Kalkstückchen die Seemöven und Wasserraben zu werfen, die sich unbesonnen in den Bereich eines müssigen, jungen Mannes begaben.
Ravenswood stellte bei einem weit tieferen und kräftigeren Gemüthe, als das seines Gesellen, ebenfalls seine beklemmenden Betrachtungen an, die ihn in eben die üble Laune versetzten, wie Langweile und Müssiggang seinen Gefährten. Die Erscheinung von Lucie Ashton hatte zuerst weniger Eindruck auf ihn gemacht, als man von ihrem Bilde erwartet hätte. Als aber die Gluth des Rachegefühls, die ihn angetrieben hatte, eine Zusammenkunft mit Sir William zu suchen, allmälig erkaltete, fand er, daß sein Betragen gegen die Tochter dieses Mannes hart an dem Rang und der Schönheit derselben unangemessen gewesen sei. Die Dankbarkeit, die sich in ihren Blicken ausdrückte, die freundliche Güte ihrer Worte waren mit einer Art von Verachtung zurückgestoßen worden; und hatte der Herr von Ravenswood auch Unbilde von Seiten Sir William Ashton's erfahren, so sagte ihm sein Gewissen, daß dieselben nicht fein an der Tochter gerächt worden wären. Als er sich in Gedanken dieses vorwarf, machte die Erinnerung an Luciens schöne Züge, die durch die Umstände ihres Zusammentreffens noch reizender wurden, einen zugleich besänftigenden und quälenden Eindruck auf sein Herz. Der Wohlklang ihrer Stimme, die Zartheit ihres Ausdrucks, die lebhafte Gluth ihrer kindlichen Liebe machten seine Reue, ihr Dankgefühl mit Härte zurückgestoßen zu haben, bitterer, während sie vor seine Einbildungskraft ein Bild von dem zauberischsten Reize malten.
Selbst das starke, sittliche Gefühl und die Willensgradheit des jungen Ravenswood machten diese Erinnerungen gefährlicher, und ihn selbst geneigter, sie zu wiederholen. Fest entschlossen, wie er war, die vorherrschende Leidenschaft in seinem Gemüthe zu besiegen, ließ er in seiner Seele gern die Bilder zu, ja er rief sie mit Willen herbei, durch welche jene am besten bekämpft werden könnte, und indem er also that, verleitete ihn das Gefühl seines harten Betragens gegen die Tochter seines Feindes, wie um seinen Fehler gut zu machen, dieselbe mit mehr Anmuth und Reiz zu bekleiden, als ihr in Wirklichkeit vielleicht zukam.
Hätte damals Jemand dem Herrn von Ravenswood gesagt, daß er erst kürzlich der ganzen Familie des Mannes, den er nicht ohne Grund für den Urheber von seines Vaters Tod und Verderben ansah, Rache geschworen hätte, so hätte er vielleicht zuerst diese Beschuldigung als eine bösliche Verleumdung verworfen, doch bei genauer Selbstprüfung würde er nothgedrungen zugegeben haben, daß die Beschuldigung einmal gegründet gewesen, obgleich es schwer war, seiner jetzigen Stimmung nach zu urtheilen, diesen Fall für möglich zu halten.
Zwei sich widerstrebende Leidenschaften lebten nun in seiner Brust: das Verlangen, seines Vaters Tod zu rächen, das sich so seltsam mit der Bewunderung der Tochter seines Feindes vermengte. Gegen das erste Gefühl hatte er gekämpft, bis es zu weichen schien; gegen das letztere unternahm er nichts, weil er sein Dasein nicht ahnte. Daß dieß wirklich der Fall gewesen sei, wurde durch seinen wiederholten Entschluß, Schottland zu verlassen, klar. Doch trotz dieses Entschlusses blieb er einen Tag nach dem andern in Wolf's Crag, ohne Mittel zu seiner Ausführung zu ergreifen. Wahr ist's, er hatte an einige Verwandten geschrieben, die in entlegenen Theilen von Schottland wohnten, und namentlich an den Marquis von A– , und hatte ihnen seinen Vorsatz mitgetheilt; und wenn ihn Bucklaw in dieser Rücksicht drängte, so pflegte er vorzuschützen, daß er nothwendig die Antworten, namentlich die des Marquis, abwarten müsse, ehe er sich entscheiden könne.
Der Marquis war reich und mächtig, und wiewohl er im Verdacht stand, der durch die Revolution gegründeten Regierung von Herzen nicht günstig zu sein, so hatte er doch Gewandtheit genug, in dem schottischen Geheimrath eine Partei zu leiten, die mit der Hoch-Kirchenpartei in England verbündet, und mächtig genug war, die Partei, welcher der Lord Keeper anhing, mit einem wahrscheinlichen Umsturz zu bedrohen. Die Befragung einer so wichtigen Person war eine annehmbare Entschuldigung, deren sich Ravenswood gegen Bucklaw und wahrscheinlich gegen sich selbst bediente, um seinen Aufenthalt in Wolf's Crag zu verlängern, und sie gewann an Gültigkeit durch das allgemein umlaufende Gerücht von einem Wechsel der Minister und der Maßregeln der schottischen Regierung. Diese Gerüchte, fest behauptet von den Einen und eben so fest geläugnet von den Andern, je nachdem Wünsche und Vortheile verschieden waren, fanden ihren Weg selbst bis zu dem alten Thurme von Wolf's Crag, hauptsächlich durch die Vermittlung des Kellermeisters Caleb, der bei anderen guten Eigenschaften ein eifriger Politikus war, und selten einen Ausflug von der alten Burg nach dem nahen Dorfe Wolf's Hope machte, ohne die in der Nachbarschaft umlaufenden Neuigkeiten heimzubringen.
Aber wenn auch Bucklaw keinen gültigen Einwurf gegen Ravenswoods Zögern, Schottland zu verlassen, machen konnte, so ertrug er nicht mit weniger Ungeduld die Unthätigkeit, wozu dieser ihn verurtheilte, und es war nur die Ueberlegenheit, die sein neuer Gefährte über ihn erhalten hatte, die ihn bestimmte, sich einer so ungewohnten und reizlosen Lebensweise zu fügen.
»Man pflegte Euch für einen rührigen, thätigen jungen Mann zu halten, Herr« – das war sein wiederholter Vorwurf – »aber hier scheint Ihr entschlossen, wie die Ratte im Loch zu leben, mit dem kleinen Unterschied, daß das kluge Nagethier seine Einsiedelei da wählt, wo es Futter finden kann; doch was uns anlangt, Calebs Ausflüchte werden immer reichlicher, je ärmlicher es in seinem Speiseschrank steht, und ich fürchte, die Geschichte des Faulthiers wird an uns in Erfüllung gehen, – wir haben fast das letzte grüne Blatt aufgespeist, und es bleibt uns nichts übrig, als uns vom Baume herabzustürzen, und das Genick zu brechen.«
»Fürchtet das nicht,« sagte Ravenswood; »das Schicksal wacht für uns, und überdieß haben wir einen Bissen an der Revolution, die bevorsteht, und die schon manche Brust beunruhigt.«
»Was für ein Schicksal – was für eine Revolution?« fragte sein Gefährte. »Wir haben, scheint's mir, schon an einer Revolution zu viel gehabt.«
Ravenswood unterbrach ihn, indem er ihm einen Brief in die Hände gab.
»O,« antwortete Bucklaw, »mein Traum ist aus – mir schien's, als hörte ich diesen Morgen, wie Caleb einem armen Teufel zuredete, kaltes Wasser zu trinken, indem er ihn versicherte, daß dieß Morgens besser für seinen Magen wäre, als Ale oder Branntwein.«
»Es war der Eilbote von Lord von A– ,« sagte Ravenswood, »der verdammt war, seine prahlerische Gastlichkeit zu erfahren, die, wie ich glaube, mit saurem Bier und Häringen endete. – Leset, und Ihr werdet sehen, was er uns Neues bringt.«
»Das will ich, so schnell ich kann,« sagte Bucklaw; »aber ich bin kein großer Gelehrter, und S. Herrlichkeit scheint nicht der beste Schreiber zu sein.«
Der Leser wird in wenigen Sekunden den Brief durchlaufen, zu dessen Durchlesung Bucklaw, obwohl er von dem Herrn von Ravenswood unterstützt wurde, eine gute halbe Stunde brauchte. Der Inhalt war folgender:
»Sehr ehrenwerther Vetter!
»Unsere herzlichen Grüße Euch zuvor entbietend, soll Euch dieses Schreiben von der Theilnahme unterrichten, die wir an Eurem Glücke nehmen und an Euren Plänen, dasselbe auszudehnen. Wenn wir uns weniger beeilt haben, Euch unseren guten Willen zu zeigen, als man von einem nahen Freunde und Verwandten hätte erwarten sollen, so ersuchen wir Euch, dieß dem Mangel an guter Gelegenheit und nicht einer Kälte unseres Willens zuzurechnen. Was Euren Entschluß angeht, in's Ausland zu reisen, so halten wir denselben zu dieser Zeit für unräthlich, angesehen Eure Widersacher nach dem Brauche solcher Personen Eurer Reise Beweggründe unterlegen werden, und obschon wir glauben und wissen, daß Ihr hierin so unschuldig seid wie wir, so können doch ihre Worte an Orten Glauben finden, allwo Nachtheile daraus für Euch erwachsen können, die wir mit mehr Leid und Schmerz sehen würden, als wir ihnen zu begegnen wüßten.
»Nachdem wir Euch also, wie es einem Verwandten geziemt, unsere unmaßgebliche Meinung über Eure Reise in's Ausland gesagt haben, möchten wir gerne Gründe von Gewicht hinzufügen, wodurch ihr zu Eurem und Eures Hauses Wohl bestimmt werden möchtet, in Wolf's Crag zu verbleiben, bis dieses Spätjahr vorüber ist. Indeß, wie das Sprüchwort sagt, verbum sapienti, – ein Wort ist mehr für einen Weisen, als eine Predigt für einen Narren. Und obwohl wir diese Zeilen eigenhändig geschrieben haben, und der Treue unseres Boten, der uns vielfach verbunden ist, wohl versichert sind; doch bleibt es wahr, daß schlüpfrige Pfade einen behutsamen Gang fordern, und daß wir dem Papiere das nicht anvertrauen können, was wir gerne mündlich mittheilen würden. Darum war es unser Vorsatz, Euch inständig zu bitten, nach unserem armen Hochlande zu einer Hirschjagd zu kommen, um da die Euch betreffenden Dinge zu verhandeln, die wir hier kaum andeuten. Aber für den Augenblick will sich unser Zusammentreffen nicht schicken; wir verschieben es darum auf eine Zeit, wo wir nach Lust über die Dinge sprechen können, die wir nun verschweigen. Einstweilen bitten wir Euch, zu glauben, daß wir sind und stets sein werden Euer guter Verwandter, der Euch wohl will, und der nur auf die Zeit wartet, deren Dämmerung schon angebrochen, wo er auch durch die That sein Wohlwollen zeigen darf. Und in dieser Hoffnung zeichnen wir uns herzlich,
Ew. Herrlichkeit
sehr ergebener Vetter
A–
Gegeben in unserer bescheidenen Wohnung von B–, u. s. w.«
Aufschrift: An den Hochedeln Herrn von Ravenswood, unsern geehrten Verwandten – Eile, eile, eile, reit' und renn', bis dieß übergeben ist.
»Was haltet Ihr von diesem Briefe, Bucklaw?« sagte Ravenswood, nachdem sein Gefährte den Sinn desselben und fast alle Worte entziffert hatte.
»Wahrhaftig, die Meinung des Marquis ist ein so großes Räthsel, wie seine Handschrift. Er bedarf wirklich des Wegweisers des Witzes oder des Vollständigen Briefstellers, und wäre ich an Eurer Stelle, ich würde ihm ein Exemplar durch seinen Boten senden. Er schreibt Euch recht artig, Eure Zeit und Euer Geld in diesem schlechten, dummen, unterdrückten Lande zu verlieren, ohne Euch nur ein Obdach in seinem Hause anzubieten. Meine Meinung ist, er hat einen Plan im Auge, bei dem Ihr ihm nützlich sein könnet, und er wünscht Euch zu halten, bis derselbe reif ist, mit dem Vorbehalt, Euch den Rücken zu wenden, wenn sein Complott fehlschlägt.«
»Sein Complott? – Ihr glaubt also, daß es sich um Hochverrath handelt,« antwortete Ravenswood.
»Was sollte es sonst sein?« erwiderte Bucklaw; »der Marquis war längst verdächtig, ein Auge auf St. Germain zu haben.«
»Er sollte mich nicht so schnell in ein solches Unternehmen verwickeln,« sagte Ravenswood; »wenn ich an die Zeiten Karls I. und des II. denke und an die des letzten Jakobs, dann seh' ich als Mann und Patriot keinen Grund, mein Schwert für ihre Abkömmlinge zu ziehen.«
»Hum!« versetzte Bucklaw; »Ihr bedauert also die ohrgestutzten Hunde, die der ehrliche Claver'se nach ihrem Verdienst behandelte?«
»Sie waren's, die zuerst den Hunden den Uebelnamen gaben, und sie dann henkten,« versetzte Ravenswood. »Ich hoffe, den Tag zu erleben, wo dem Whig und dem Tory Gerechtigkeit widerfahren soll, und wo die Enkelnamen nur bei Caffeehauspolitikern gebräuchlich sein sollen, wie Vettel und Nickel bei den Apfelweibern als leere und kauderwälsche Schimpfworte.«
»Das wird nicht in unsern Tagen geschehen, Herr – das Eisen ist uns zu tief in Leib und Seele gedrungen.«
»Doch wird es eines Tages geschehen,« versetzte Ravenswood, »daß sich die Menschen bei diesem Spitznamen nicht mehr, wie bei einem Trompetenstoß erheben. Wenn das Gesellschaftsleben besser geregelt sein wird, dann werden seine Vortheile zu hoch gestellt werden, als daß man sie ohne einen besseren Grund für bloße politische Meinungen aussetzen sollte.«
»Das ist gut gesagt,« antwortete Bucklaw, »doch mein Herz ist mit dem alten Lied, –
Säh' ich gut Korn auf dem Felde prangen
Und Galgen, woran die Whigs all' hangen
Und das Recht bei denen, die haben Recht;
Fürwahr, das Ding gefiel mir nicht schlecht.«
»Ihr mögt so laut singen, als Ihr wollt, cantabit vacuus, antwortete Ravenswood; aber ich glaube, der Marquis ist zu klug, wenigstens zu vorsichtig, sich mit Euch in eine so mißliche Sache einzulassen. Ich vermuthe, daß er eher auf eine Veränderung in dem schottischen Geheimrath, als auf eine in den brittischen Reichen anspielt.«
»O, Schande über Eure Staatskniffe!« rief Bucklaw aus, »über Eure kalt berechneten Winkelzüge, wo alte Männer in gewirkten Nachtkappen und gefütterten Schlafröcken, wie bei einer Schachpartie verfahren, und einen Schatzmeister oder einen Lord Commissioner aufheben, wie einen Thurm oder einen Läufer! Der Federball zu meinem Spaß und Kampf zu meinem Ernst! Mein Ballnetz und mein Schwert zu meinem Spielzeug und Brodgewinner! Und Ihr, Herr, so tiefbedächtig Ihr auch scheinen möchtet, Ihr habt etwas in Euch, was Euer Blut heißer kochen macht, als Eurer jetzigen Laune, über politische Wahrheiten zu predigen, zukommt. Ihr seid einer jener Weisen, die Alles mit viel Vernunft betrachten, bis ihr Blut warm wird, und dann – wehe jedem, der sie an ihre eigenen Grundsätze erinnern wollte!«
»Vielleicht,« sagte Ravenswood, »kennt Ihr mich besser, als ich mich selbst. Aber eine billige Denkungsweise wird mir gewiß behülflich sein, endlich auch dahin zu gelangen. Doch horch! ich höre Caleb die Tischglocke läuten.«
»Was er immer mit der größten Feierlichkeit thut, im Verhältniß zu der Magerkeit seines zubereiteten Mahls,« sagte Bucklaw; »als ob dieser höllische Klingklang, der eines Tags den Glockenthurm in die See stürzen wird, im Stande wäre, eine verhungerte Henne in einen fetten Kapaun und einen Hammelsknochen in einen Wildpretschlegel zu verwandeln.«
»Ich wünsche, wir kämen so gut davon, als Eure schlechteste Hoffnung befürchtet, Bucklaw, denn Caleb scheint mir mit der größten Ceremonie diese einzelne, bedeckte Schüssel auf die Tafel zu stellen.«
»Deckt auf, Caleb! deckt auf um's Himmels willen!« sagte Bucklaw; »gebt uns, was Ihr habt, ohne Vorrede. – Laßt doch, es steht genug, Mann,« fuhr er fort, sich lebhaft an den alten Kellermeister wendend, der ohne zu antworten an der Schüssel rückte, bis er sie mit mathematischer Genauigkeit in die Mitte der Tafel gebracht hatte.
»Was haben wir hier, Caleb?« fragte sein Herr seinerseits.
»Hm! Sir, das solltet Ihr längst zum Voraus wissen; doch der Laird von Bucklaw ist so ungeduldig,« antwortete Caleb, immer noch die Schüssel mit der einen und den Deckel mit der andern Hand haltend und deutlich zögernd, den Inhalt zu entdecken.
»Was ist es denn, um Gotteswillen – doch hoffentlich kein Paar blanke Sporen nach der alten Bordermode?«
»Hm – hm!« wiederholte Caleb, »Ew. Herrlichkeit beliebt zu scherzen – dennoch getraue ich mir zu behaupten, daß es eine zweckmäßige Mode gewesen, die man, wie ich gehört, in einer geachteten und reichen Familie befolgte. Doch was unser Mittagsmahl betrifft, da wir morgen St. Magdalena haben, die zu ihrer Zeit eine würdige Königin von Schottland war, so glaubte ich, Ew. Herrlichkeiten würden es für angemessen halten, wenn nicht zu fasten, doch sich zur Befriedigung der Natur mit einer leichten Kost zu begnügen, z. B. einigen gesalzenen Häringen und dergleichen.« Und indem er die Schüssel aufdeckte, ließ er vier von genannten, schmackhaften Fischen sehen, indem er mit gedämpfter Stimme hinzufügte, »daß dieß keineswegs gewöhnliche Häringe wären, da sie lauter Milchner seien, und zu Sr. Herrlichkeit eigenem Gebrauch mit besonderer Sorgfalt von der Haushälterin (der armen Mysie) eingesalzen worden wären.«
»Genug mit allen Anempfehlungen!« sagte sein Herr, »essen wir die Häringe, da nichts Besseres zu haben ist – aber ich fange an, mit Euch zu fürchten, Bucklaw, daß wir am letzten grünen Blatte zehren, und daß wir aus Mangel an Vorrath das Lager aufheben müssen, den politischen Umtrieben des Marquis zum Trotz, und ohne den Ausgang derselben abzuwarten.«