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Neuntes Kapitel.

Und wenn das lust'ge Jägerhorn erschallt,
Daß scheu empor das Wild vom Lager springt;
Wer, dem ein warmes Blut die Ader schwellt,
Blieb' liegen müßig, wie ein todter Klotz,
Von allen Gaben der Natur getrennt?

Ethwald, Act. I. Sc. 1.

 

Leichtes Mahl, leichter Schlaf! Wenn man an die Kost sich erinnern will, die Caleb aus religiösem Bedenken oder aus Noth, die zuweilen den Anschein von jenem annimmt, den Gästen von Wolf's Crag vorsetzte, so wird man sich nicht darüber wundern, daß der Schlaf derselben kurz gewesen sei.

Am Morgen stürzte Bucklaw in seines Wirthes Gemach mit einem lauten Halloh, das einen Todten erwecken konnte.

»Auf – auf! in Gottes Namen – die Jagd ist los, die einzige, die ich diesen Monat gesehen; und Ihr liegt hier auf einem Bette, das sich durch nichts empfiehlt, als daß es ein bischen weicher sein mag, als der Steinboden in Eurer väterlichen Halle.«

»Ich wünsche,« sagte Ravenswood, verdrießlich sein Haupt erhebend, »Ihr hättet Euren so frühzeitigen Spaß gespart – es ist nicht angenehm, in einem Schlafe gestört zu werden, der kaum begonnen hat, nach einer Nacht, die man in Betrachtungen zugebracht hat, welche härter sind, als dieß Lager.«

»Still – still!« versetzte sein Gast; »steht auf – steht auf – die Meute ist los – ich habe selbst die Pferde gesattelt, denn der alte Caleb rief nach Stallknechten und Bedienten, und hätte ein Paar Stunden geschwätzt, um die Männer zu entschuldigen, die hundert Meilen von hier sind. – Steht auf – ich sage, die Meute ist los – steht auf, sage ich, – die Jagd beginnt.« Und Bucklaw rannte davon.

»Und ich sage,« sprach Ravenswood, sich langsam erhebend, »daß mir an nichts so wenig liegt. Wessen Hunde kommen so nahe zu uns?«

»Die des edlen Lords Bittlebrains,« antwortete Caleb, der nach dem ungestümen Laird von Bucklaw in das Schlafgemach seines Herrn getreten war, »und in Wahrheit ich weiß nicht, was für ein Recht sie haben, innerhalb der Gemarkung von Ew. Herrlichkeit Freijagd zu heulen und zu bellen.«

»Ich auch nicht, Caleb,« versetzte Ravenswood, »außer daß sie die Gemarkung sammt dem Jagdrecht gekauft haben, und sich für berechtigt halten mögen, das zu genießen, was sie mit ihrem Geld bezahlt haben.«

»Das mag so sein, Mylord,« versetzte Caleb; »aber es ist nicht schön von ihnen, daß sie hierherkommen, und ein solches Recht ausüben, während Ew. Herrlichkeit auf seinem eigenen Schlosse Wolf's Crag wohnet. Lord Bittlebrains thäte wohl, daran zu denken, was seine Vorfahren gewesen sind.«

»Und wir, was wir nun sind,« sagte sein Herr mit unterdrückter Bitterkeit. »Doch reichet mir mein Kleid, Caleb; ich will Bucklaw zu Gefallen die Jagd ansehen. Es ist selbstsüchtig, wenn ich das Vergnügen meines Gastes meinem eigenen opfere.«

»Opfern!« wiederhallte Caleb mit einem Ton, wodurch er anzudeuten schien, als hielte er jede Nachgiebigkeit, die sein Herr Anderen erwiese, für die größte Ungereimtheit – »opfern, das wäre! – doch ich bitte Ew. Herrlichkeit um Vergebung – und welches Wamms wäre Euch gefällig?«

»Welches Ihr wollt, Caleb – mein Kleidervorrath ist, denk' ich, nicht reichhaltig.«

»Nicht reichhaltig!« wiederholte Caleb; »wir haben das graue und silberne, das Ew. Herrlichkeit an Hem Hildebrand, Euren Vorreiter, verschenkt hat – und das französische von Sammet, das mit den Kleidern von Mylord Eurem Vater (Gott hab' ihn selig!) an arme Freunde der Familie gekommen ist – und das von drap-de-berry –«

»Das ich Euch gegeben habe, Caleb, und das, scheint's, das einzige ist, welches möglicher Weise zu haben wäre, ausgenommen dasjenige, welches ich gestern trug – bitte, gebt mir dieses, und sprecht nichts weiter davon.«

»Wenn's Ew. Herrlichkeit beliebt,« versetzte Caleb, »und ohne Zweifel ist's ein dunkelfarbiger Anzug, und Ihr seid in Trauer – aber dessen ungeachtet, ich habe das von drap-de-berry nie getragen – das schickte sich schlecht für mich – und Ew. Herrlichkeit haben dermalen keine Wahl – und es ist sauber gebürstet, und da Damen dort unten sind –«

»Damen!« sagte Ravenswood, »was für Damen? sprich!«

»Was kenne ich sie, Ew. Herrlichkeit? – von dem Wartthurme konnte ich weiter nichts sehen, als ihre glänzenden Zügel und ihre fliegenden Federn – es war, wie der Hof von Elfland.«

»Gut, gut, Caleb,« versetzte sein Herr, »helft mir meinen Mantel anziehen, und gebt mir mein Degengehenk. – Was ist das für ein Getrappel im Hofe?«

»Bucklaw bringt eben die Pferde heraus,« sagte Caleb, nachdem er einen Blick durch das Fenster gethan, »als wenn es im Schloß an Leuten fehlte, oder als wenn ich nicht jeden ersetzen könnte, der zum Thore hinaus ist.«

»Ach! Caleb, es würde uns an nichts fehlen, wenn Eure Kräfte Eurem Willen glichen,« versetzte sein Herr.

»Und ich hoffe, Ew. Herrlichkeit wird's nicht an Vielem gebrechen,« sagte Caleb, »denn vor Allem glaube ich das Ansehen der Familie so gut zu bewahren, als es die Umstände erlauben, – nur Bucklaw ist immer so keck und naseweis. – Und eben hat er das Pferd Ew. Herrlichkeit ohne den gestickten Saumsattel herausgebracht! Und ich hätte ihn in einer Minute ausbürsten können.«

»Das ist Alles recht gut,« sagte sein Herr, indem er ihm entwischte, und die schmale, stille Schneckentreppe hinabstieg, die in den Hof führte.

»Alles mag recht gut sein,« sagte Caleb etwas verdrießlich; »doch wenn Ew. Herrlichkeit ein wenig warten wollte, so wollte ich Euch sagen, was nicht recht gut wäre.«

»Und das wäre?« sagte Ravenswood ungeduldig, doch zugleich innehaltend.

»Nun, wenn Ihr einen Herrn zum Mittagessen mitbrächtet, denn ich kann an einem Fasttag keine andere Mahlzeit machen, als die ich dem Bucklaw mit der Königin Margaretha vorgemacht habe – und, offen zu reden, wenn's Ew. Herrlichkeit belieben sollte, Euch von dem Lord Bittlebrains zum Essen einladen zu lassen, ich wollte schon den Morgen Gelegenheit dazu finden; oder wenn Ihr statt dieses mit ihnen in der Schenke speisen wolltet; für die Zeche könnt Ihr eine Ausflucht nehmen; Ihr könnt sagen, Ihr hättet Eure Börse vergessen, oder daß die Wirthin Euch die Gebühr schuldig ist, und daß Ihr es auf Rechnung bringen würdet.«

»Oder eine andere Lüge, die mir einfällt, nicht wahr?« sagte sein Herr. »Lebt wohl, Caleb; ich befehle Euch die Ehre der Familie.« Und sich auf's Pferd schwingend, folgte er Bucklaw, der mit offenbarer Gefahr seines Halses den steilen Pfad von der Burg hinunter zu springen begann, sobald er sah, daß Ravenswood den Fuß in den Steigbügel setzte.

Caleb Balderstone blickte ihnen ängstlich nach, und schüttelte seine dünnen, grauen Locken. – »Und ich wette, daß sie keinen Schaden nehmen – doch sie haben die Ebene erreicht, und man muß sagen, daß ihre Pferde stark und feurig sind.«

Von seinem ungestümen und feurigen Gemüthe beseelt, brauste der junge Bucklaw mit der unbändigen Hast des Wirbelwindes einher. Ravenswood war kaum gemäßigter in seiner Eile, denn er war ein Geist, der sich ungern von mäßiger Betrachtung losriß, der sich aber, wenn er einmal bewegt war, zu der größten Gewalt und Heftigkeit erhob. Auch war seine Heftigkeit nicht in allen Fällen mit dem Hauptbeweggrund im Verhältniß, sondern man konnte sie der Eile des Steines vergleichen, der mit gleicher Macht abwärts springt, gleichviel, ob ein Riesenarm oder die Hand eines Kindes ihn zuerst in Bewegung gebracht. Er fühlte darum in ungewöhnlichem Grade die ungestüme Jagdlust, welche die Jugend aller Stände hinreißt, so daß sie eher ein angeborner Trieb unserer thierischen Natur zu sein scheint, wodurch aller Unterschied von Rang und Bildung ausgeglichen wird, als eine durch anstrengende Uebung gewonnene Eigenschaft.

Die wiederholten Stöße des Waldhorns, das damals allgemein gebraucht wurde, um die Hunde anzufeuern und zu lenken, – das laute, obwohl entfernte Gebell der Meute, – das halbgehörte Geschrei der Jäger, – die halbgesehenen Gestalten, die sich zeigten, bald wie sie den Vertiefungen des Moors entstiegen, bald wie sie über die Fläche hinschwebten, bald wie sie sich durch Sumpfwege wanden, und vor Allem das Gefühl seiner eigenen, heftigen Bewegung erhoben den Herrn von Ravenswood für einen Augenblick über die peinliche Betrachtung seiner gegenwärtigen Lage. Das, was ihn zuerst wieder an diesen unangenehmen Gegenstand erinnerte, war der Umstand, daß sein Pferd, obgleich es den Vortheil eines der Gegend kundigen Reiters hatte, dennoch der Jagd nicht nachkommen konnte. Als er mit dem bitteren Gefühl, daß ihn seine Armuth von dem Vergnügen ausschlösse, das seiner Väter höchste und in Friedenszeiten einzige Lust gewesen war, den Zügel anzog, wurde er von einem wohlberittenen Fremden eingeholt, der unbemerkt dicht hinter ihm einhergesprengt war.

»Euer Pferd hat sich übereilt,« sagte der Mann mit einer Höflichkeit, wie man sie bei Jagden selten findet. »Darf ich Ew. Gnaden bitten, das meinige anzunehmen?«

»Sir,« sagte Ravenswood, mehr befremdet als erfreut über diesen Vorschlag, »ich weiß in Wahrheit nicht, womit ich diese Gunst von einem Fremden verdient habe.«

»Thut deßhalb keine Frage,« sagte Bucklaw, der bis jetzt mit vielem Widerwillen sein stattliches Roß zurückgehalten hatte, um seinen Wirth nicht zurückzulassen. »Nehmt die Gaben an, die Euch die Götter bescheeren, wie der große John Dryden sagt – oder halt – leiht mir dieses Pferd, mein Freund; ich sehe, es hat Euch Mühe gekostet, ihn diese halbe Stunde lang im Zügel zu halten. Ich will ihm statt Eurer den Teufel austreiben. Jetzt, Herr von Ravenswood, reitet Ihr das meinige, das Euch wie ein Adler davontragen soll.«

Und die Zügel seines Pferdes dem Herrn von Ravenswood zuwerfend, sprang er auf das, welches ihm der Fremde abtrat, und sprengte in vollem Galopp weiter.

»Gab's je ein so leichtsinniges Wesen!« sagte Ravenswood; »und Ihr, mein Freund, wie konntet Ihr ihm Euer Roß anvertrauen?«

»Das Pferd,« sagte der Mann, »gehört Jemanden, der es Ew. Gnaden oder einem Eurer edlen Freunde sehr gerne überläßt.«

»Und der Name des Eigenthümers ist –?« fragte Ravenswood.

»Ew. Gnaden muß verzeihen, Ihr werdet ihn von ihm selbst erfahren. – Wenn's Euch gefiele, Eures Freundes Pferd zu nehmen, und mir Euren Klepper zu lassen, so würde ich Euch nach dem Fall des Hirsches treffen, denn ich höre, daß man zum Stehen bläst.«

»Ich glaube, mein Freund, dieß wird das beste Mittel sein, Euch Euer gutes Roß wieder zu verschaffen,« antwortete Ravenswood; und nachdem er das Pferd Bucklaws bestiegen, wandte er alle mögliche Eile an, um den Ort zu erreichen, von wo der Hörnerschall das nahe Ende des Hirsches verkündigte.

Diese lustigen Töne wurden von dem Zuruf der Jäger Hyke a Talbot! Hyke a Teviot! now, boys, now! und anderem fröhlichem Jagdgeschrei der alten Zeit begleitet, und das heftige Gebell der Hunde, die nun den Gegenstand ihrer Verfolgung erreicht hatten, bildete einen lebhaften und unermüdlichen Chor. Die zerstreuten Reiter richteten sich nun nach dem Ort der Handlung, wo sie sich von allen Seiten wie in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt trafen.

Bucklaw sprengte immer mit gleicher Schnelle einher, und kam zuerst an dem Ort an, wo sich der Hirsch, unfähig, weiter zu fliehen, gegen die Hunde gekehrt hatte, oder wo er nach der Jägersprache gestellt war. Das gejagte Thier mit seinem stattlichen, zur Erde gebeugten Kopf, seinen von weißem Schaum bedeckten Seiten, seinen vor Wuth und Schrecken hervortretenden Augen, flößte nun seinerseits seinen Verfolgern Furcht ein. Die Jäger kamen einer nach dem anderen heran, und spähten nach einer Gelegenheit, ihn mit Vortheil anzugreifen, was unter diesen Umständen nur mit Vorsicht geschehen darf. Die Hunde standen zurück, und verriethen durch ihr lautes Gebell Wuth und Furcht zugleich, während jeder der Jäger zu hoffen schien, daß einer seiner Gesellen das Wagstück unternehmen würde, das Thier anzugreifen und zu Fall zu bringen. Der Boden, eine Vertiefung der Gemeinweide oder des Moors, war nicht günstig, um sich dem Hirsch unvermerkt zu nähern, und allgemein war das Siegesgejubel, als Bucklaw mit der Behendigkeit eines vollkommenen Reiters vom Rosse sprang, wie ein Blitz nach dem Hirsch hinsauste, und ihn mit einem Hieb seines kurzen Weidmessers in's Hinterbein zu Boden brachte. Die Meute, die nun über ihren geschwächten Feind herstürzte, endete bald seinen schweren Todeskampf, und feierte den Fall desselben durch Bellen, während die Hörner und Stimmen der Jäger ein Todessignal erschallen ließen, das fern über den Wogen des benachbarten Meeres verhallte.

Der Jägerbursche verscheuchte die Hunde von dem röchelnden Hirsch, und bot knieend sein Messer einem schönen Frauenbilde dar, die sich auf ihrem weißen Zelter aus Furcht oder aus Mitleid bis jetzt in einiger Entfernung gehalten hatte. Sie trug eine schwarzseidene Reitmaske, wie man sie damals zu tragen pflegte, theils um das Gesicht vor Sonne und Regen zu schützen, theils weil der Anstand nicht erlaubte, daß eine Lady bei einem rauschenden Vergnügen und in gemischter Gesellschaft mit unbedecktem Gesichte erschiene. Der Reichthum ihres Anzugs indeß, so wie der Anstand und die Gestalt ihres Zelters, nicht minder die weidmännische Huldigung des Jägerburschen bezeichneten sie Bucklaw als die Hauptperson auf der Jagd. Es war nicht ohne ein Gefühl des Mitleids, das an Verachtung gränzte, daß dieser leidenschaftliche Jäger bemerkte, wie sie das ihr von dem Jägerburschen angebotene Weidmesser ausschlug, mit welchem sie den ersten Schnitt in die Brust des Hirsches thun sollte, um die Güte des Wildprets zu prüfen. Er war mehr als halb geneigt, ihr seine Huldigung zu machen; aber es war Bucklaws Unglück, daß ihn seine Lebensweise nicht mit der höheren und besseren Classe der Frauen befreundet hatte, so daß er bei all seiner natürlichen Keckheit scheu und blöde war, wenn es galt, eine vornehme Dame anzureden.

Als er endlich zum Anstand ein Herz gefaßt (um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen), fühlte er sich entschlossen genug, der schönen Jägerin guten Tag zu sagen, und die Hoffnung auszudrücken, daß die Jagd ihrem Wunsche entsprochen haben möge. Ihre Antwort war höflich und bescheiden, und drückte einigen Dank gegen den wackeren Cavalier aus, der mit so viel Geschick die Jagd beendigt habe, als Hunde und Jäger einen etwas schweren Stand gehabt hätten.

»Wahrhaftig, Madame,« sagte Bucklaw, den diese Bemerkung auf einmal in sein Bereich versetzt hatte, »bei dem Dinge da ist weder Mühe noch Verdienst, so daß ein junger Bursche nicht gar zu sehr zu fürchten hat, ein Hirschgeweih in den Leib zu bekommen. Ich war viele hundertmale bei der Hetzjagd, Madame, und nie sah ich den Hirsch zu Wasser oder zu Land gestellt, ohne daß ich herzhaft drauf losgegangen wäre. Alles ist Uebung und Gewohnheit, Madame, und vor allen Dingen muß man Vorsicht und Behutsamkeit anwenden; auch werdet Ihr wohl thun, Madame, ein gut geschärftes doppelschneidiges Weidmesser zu haben, womit Ihr vor- und rückwärts schneiden könnt, da Ihr den Grund einseht, denn ein Stoß von dem Hirschgeweih ist ein gefährliches und fast giftiges Ding.«

»Ich glaube nicht, Sir,« sagte die junge Lady, und kaum verbarg die Maske ihr Lächeln, »daß ich solche sorgfältige Vorschriften viel anzuwenden habe.«

»Aber der Herr hat in allen Stücken Recht, Mylady,« sagte ein alter Weidmann, der Bucklaws Rede mit großer Erbauung angehört hatte; ich habe meinen Vater, der ein Förster war, sagen hören, daß die Wunde von einem wilden Eber leichter zu heilen ist, als der Stoß von einem Hirschgeweih, denn also lautet der alte Weidmannsspruch:

»Ein Stoß vom Horn des Hirsches bringt dich zum Grabe hin;
Der Riß des Ebers wird geheilt – d'rum wen'ger fürchte ihn.«

»Und ich möchte den Vorschlag thun,« fuhr Bucklaw fort, der nun in seinem Elemente war, und Alles leiten und lenken wollte, »daß, da die Hunde müde und abgemattet sind, der Kopf des Hirsches ihnen zur Belohnung gegeben werde, und daß der Jägerbursche, der den Hirsch zerlegen soll, auf Ew. Herrlichkeit Gesundheit einen lustigen Becher Ale trinke oder ein Glas Branntwein, denn wenn er ihn zerlegt, ohne zu trinken, so kann das Wildpret nicht gedeihen.«

Diese sehr annehmbare Vorschrift wurde, wie man leicht glauben kann, von dem Jägerburschen gerne befolgt, der zur Erwiderung Bucklaw das Weidmesser anbot, das die junge Lady abgelehnt hatte. Diese Höflichkeitsbezeugung des Burschen wurde von seiner Dame unterstützt.

»Ich glaube, Sir,« sagte sie, indem sie sich dem Kreise entzog, »daß mein Vater, zu dessen Vergnügen die Hunde von Lord Bittlebrains heute losgelassen wurden, gerne die Sorge für dies Alles einem Herrn von Eurer Erfahrung überläßt.«

Dann, sich anmuthig von ihrem Rosse verbeugend, wünschte sie ihm guten Morgen, und von einem oder zwei Dienern, die ihr besonders untergeben waren, begleitet, verließ sie den Ort der Handlung, ohne daß Bucklaw, der zu sehr über die Gelegenheit erfreut war, seine Weidmannskunst zeigen zu können, als daß er nach Mann oder Weib gefragt hätte, viel darauf merkte. Er hatte sich alsbald seines Wammses entledigt, und arbeitete mit aufgestreiften Aermeln und bis an den Ellbogen nackten Armen in Blut und Fett schneidend, hackend und hauend. Mit der Genauigkeit von Sir Tristrem selbst zankte und rechtete er mit allen Anwesenden über Eingeweide, Bruststücke, Seitenstücke und Schenkel in den damals üblichen Ausdrücken der Weidmetzgerei, die heut zu Tage wahrscheinlich veraltet sind.

Als Ravenswood, der ein wenig hinter seinem Freunde zurückgeblieben, sah, daß der Hirsch gefällt war, so wich seine augenblickliche Jagdlust dem Widerwillen, der ihn erfüllte, sich in seinen gesunkenen Glücksumständen dem Blicke von Seinesgleichen oder von Geringeren auszusetzen. Er hielt sein Pferd auf einer kleinen Anhöhe an, von wo er die lustige und lebendige Scene überschauen, und das Geschrei der Jäger hören konnte, das sich mit dem Bellen der Hunde und dem Wiehern und Stampfen der Rosse vermischte. Aber diese fröhlichen Töne berührten traurig das Ohr des verarmten Edelmanns. Die Jagd war mit allen ihren Nebenvergnügungen von den Lehenszeiten her als das fast ausschließliche Vorrecht des Adels betrachtet worden, wie sie denn vormals die Hauptbeschäftigung desselben in Friedenszeiten gewesen. Der Gedanke, sich durch seine gegenwärtige Lage von einem Vergnügen ausgeschlossen zu sehen, das ihm sein Rang vorzugsweise bezeichnete, und das Gefühl, daß nun Emporkömmlinge das Jagdrecht auf den Dünen ausübten, das seine Ahnen eifersüchtig sich selber vorbehalten hätten, während er – der Erbe des Hauses, gezwungen sei, sich in der Entfernung von ihrer Gesellschaft zu halten, erweckten Betrachtungen, die ein von Natur düsteres und hinbrütendes Gemüth, wie das von Ravenswood, sehr niederschlagen mußten. Sein Stolz jedoch warf diese Niedergeschlagenheit bald von sich, und machte der Ungeduld Raum, die er darüber empfand, daß sich sein flatterhafter Freund Bucklaw nicht beeilte, mit dem geliehenen Rosse zurückzukehren, das Ravenswood, ehe er den Ort verließ, gerne in den Händen seines gefälligen Eigenthümers gesehen hätte. Als er im Begriff war, sich der versammelten Jägergruppe zu nähern, wurde er von einem Reiter eingeholt, der sich, wie er, während des Falls des Hirsches entfernt gehalten hatte.

Derselbe schien ein bejahrter Mann. Er trug einen Scharlachmantel, der hoch zugeknöpft war, und sein Hut war niedergeschlagen, wahrscheinlich zum Schirm gegen das Wetter. Sein Roß, ein starkes und geduldiges Paradepferd, war eher für einen Reiter, welcher der Jagd zusehen als an derselben theilnehmen wollte. Ein Diener folgte in einiger Entfernung, und der ganze Anzug war der eines ältlichen Herrn von Rang. Er wandte sich an Ravenswood mit vieler Höflichkeit, jedoch mit einiger Verlegenheit.

»Ihr scheint ein wackerer junger Herr zu sein,« sagte er, »und doch bezeigt Ihr Euch so gleichgültig gegen das edle Jagdvergnügen, als wenn Ihr die Last meiner Jahre auf dem Rücken hättet.«

»Ich habe bei anderen Gelegenheiten der Jagd mit mehr Lust beigewohnt,« versetzte Ravenswood; »für jetzt müssen mich kürzlich in meiner Familie stattgehabte Ereignisse entschuldigen – außerdem,« fügte er hinzu, »war ich beim Beginn der Jagd nur schlecht beritten.«

»Ich glaube,« sagte der Fremde, »einer meiner Diener war so klug, Eurem Freunde ein Pferd zu überlassen.«

»Ich war seiner und Eurer Gefälligkeit sehr verbunden,« versetzte Ravenswood. »Mein Freund ist Herr Hayston von Bucklaw, den Ihr sicher in der Mitte der eifrigsten Jäger finden werdet. Er wird Eures Dieners Pferd zurückgeben, und das meinige dafür empfangen – und er wird,« schloß er, indem er den Kopf des Pferdes von dem Fremden weglenkte, »seinen besten Dank für den geleisteten Dienst zu dem meinigen fügen.«

Als sich der Herr von Ravenswood so hatte vernehmen lassen, nahm er seinen Weg heimwärts, wie einer, der von seiner Gesellschaft Abschied genommen hat. Aber der Fremde ließ sich nicht so vertreiben. Auch er wandte sein Roß, und ritt in der nämlichen Richtung so nahe bei Ravenswood, daß derselbe, ohne ihm vorzureiten, was die damalige Höflichkeit und die Achtung für das Alter des Fremden sowie für den kürzlich geleisteten Dienst verbot, seiner Gesellschaft nicht leicht entschlüpfen konnte.

Der Fremde blieb nicht lange schweigend. »Das ist also die alte Burg Wolf's Crag, die in der schottischen Geschichte so oft erwähnt wird,« sagte er, indem er nach dem alten Thurme blickte, den eine in seinem Hintergrunde schwebende Wetterwolke verdunkelte, denn auf Entfernung von einer kleinen Meile hatte die Jagd einen Kreisweg genommen, und es waren die Jäger wieder nahe an die Stelle zurückgekommen, welche sie erreicht hatten, als Ravenswood und Bucklaw aufbrachen, um sich ihnen beizugesellen.

Ravenswood beantwortete diese Bemerkung mit einer kalten, zurückhaltenden Bejahung.

»Es war, wie ich gehört habe,« fuhr der Fremde fort, den diese Kälte nicht abschreckte, »eine der ersten Besitzungen des edeln Geschlechtes von Ravenswood.«

»Ihre erste,« antwortete Ravenswood, »und vermuthlich Ihre letzte.«

»Ich hoffe es nicht, Sir,« antwortete der Fremde, indem er seine Stimme durch wiederholtes Räuspern klärte, und sich anstrengte, sein eigenes Zögern zu besiegen, – »Schottland weiß, was es diesem alten Geschlechte verdankt, und gedenkt der vielfachen und rühmlichen Thaten desselben. Ich hege keinen Zweifel, daß wenn Sr. Majestät in einer geziemenden Vorstellung der Verfall dieses altadeligen Geschlechts geschildert würde, so möchten sich Mittel finden lassen ad reaedificandam antiquam domum –«

»Ich will Euch die Mühe ersparen, Sir, diesen Punkt weiter zu besprechen,« unterbrach ihn Ravenswood stolz. »Ich bin der Erbe dieses unglücklichen Hauses – ich bin der Herr von Ravenswood. Und Ihr, Sir, werdet als ein Mann von Stand und Bildung, wie Ihr zu sein scheint, wissen, daß nächst dem Unglück, das uns betroffen, nichts weher thut, als unerwünschtes Mitleid.«

»Ich bitte um Vergebung, Sir,« sagte der ältere Reiter – »ich habe nicht gewußt – es thut mir leid – ich hätte nicht die Bemerkung gemacht – ich habe an nichts weniger gedacht, als zu glauben –«

»Entschuldigungen sind hier unnöthig, Sir,« antwortete Ravenswood, »denn hier, denke ich, scheidet sich unser Weg, und ich versichere Euch, daß ich Euch mit allem Gleichmuth verlasse.«

Und diese Worte sprechend, lenkte er sein Roß nach dem schmalen Dammweg, der gen Wolf's Crag führte, und von dem in Wahrheit gesagt werden mochte:

»Menschen-verödet war, grasbewachsen der Pfad,
Den der Jäger des Wilds und der Krieger betrat
Zu den Hügeln umrauscht von der See.«

Doch ehe er sich von seinem Gefährten losmachen konnte, kam die junge Lady, die wir bereits erwähnt haben, von ihrer Dienerschaft begleitet, zu dem Fremden heran.

»Tochter,« sagte der Fremde zu dem maskirten Fräulein, »das ist der Herr von Ravenswood.«

Es wäre natürlich gewesen, daß der junge Mann auf diese Vorführung eine Antwort gegeben hätte, aber es war etwas in der anmuthigen Gestalt und der zurückhaltenden Bescheidenheit der Dame, der er also vorgestellt worden war, was ihn nicht allein abhielt, sich zu erkundigen, wem und durch wen er vorgestellt worden sei, sondern was ihn zugleich für den Augenblick gänzlich stumm machte. Die Wolke, die lange Zeit über der Höhe von Wolf's Crag geschwebt hatte, und die sich, je näher sie kamen, dichter und dunkler über Land und See verbreitete, die entfernteren Gegenstände verbergend, die näheren verdunkelnd, der See einen bleiernen Anschein verleihend, und der Heide einen von dunklerem Braun, begann in diesem Augenblicke durch ein fernes, wiederholtes Rollen die Donnerschläge anzukündigen, mit denen sie schwanger war, während zwei schnell auf einander folgende Blitze in der Ferne die grauen Thürme von Wolf's Crag zeigten, und in größerer Nähe die rollenden Wogen der See, die plötzlich in einem rothen Lichte schimmerte.

Das Pferd der schönen Jägerin wurde scheu, und es war Ravenswood als Mann und Edelmann unmöglich, sie der Sorge ihres alten Vaters oder ihrer Dienerschaft zu überlassen. Er war oder glaubte sich aus Höflichkeit verbunden, ihren Zügel zu fassen, und ihr in Lenkung ihres unruhigen Thieres beizustehen. Während er damit beschäftigt war, bemerkte der alte Herr, daß der Sturm zu wachsen scheine – daß sie sich weit von dem Hause des Lord Bittlebrains befänden, dessen Gäste sie waren – und daß er dem Herrn von Ravenswood verbunden sein würde, wenn ihm derselbe den Weg zu dem nächsten Zufluchtsort gegen den Sturm andeuten wolle. Zu gleicher Zeit warf er einen verlegenen Sehnsuchtsblick nach dem Schlosse Wolf's Crag, der es dem Herrn desselben unmöglich machte, einem Greise und einer Dame in solcher Verlegenheit das Obdach seines Hauses nicht anzubieten. In der That der Zustand der jungen Jägerin machte dies Anerbieten notwendig, denn während er ihr zur Hand ging, hatte er bemerkt, daß sie stark zittere, und sehr beunruhigt sei, sonder Zweifel aus Furcht vor dem kommenden Sturm.

Ich weiß nicht, ob der Herr von Ravenswood ihren Schrecken theilte, aber er verspürte eine ähnliche Nervenerschütterung, während er bemerkte – »Die Burg Wolf's Crag könne nichts als ein Obdach gewähren, aber wenn damit in diesem Augenblicke gedient sei« – er hielt inne, als bleibe ihm der Rest der Einladung in der Kehle stecken. Doch der alte Herr, der sich zu seinem Gefährten gemacht hatte, ließ nicht zu, daß er die mehr angedeutete, als ausgesprochene Einladung zurücknahm.

»Der Sturm,« sagte der Fremde, »überhöbe ihn jeder unschlüssigen Ablehnung – die Gesundheit seiner Tochter sei schwach – sie habe durch einen jüngsten Zufall viel gelitten – er hoffe, daß es unter den obwaltenden Umständen zu entschuldigen sei, wenn er sich der Gastlichkeit des Herrn von Ravenswood aufdringe – das Leben seines Kindes müsse ihm mehr gelten als Förmlichkeiten.«

Da war kein Raum, zurückzutreten. Der Herr von Ravenswood zeigte den Weg, indem er fortfuhr, den Zügel der Dame zu halten, um zu verhindern, daß ihr Pferd bei einem plötzlichen Donnerschlag nicht durchgehe. Er war durch die Gedanken, die sich ihm zudrängten, nicht so sehr zerstreut, daß er es nicht bemerkt hätte, wie die Todesblässe, welche Nacken und Schläfe der Dame und die von der Maske unbedeckten Theile des Gesichts eingenommen hatte, einer starken, rosigen Röthe wich, und er fühlte verlegen, daß ein stilles Mitgefühl seine eigenen Wangen erröthen machte. Der Fremde fuhr fort, mit Aufmerksamkeit, die er unter dem Anschein von Besorgniß für seine Tochter verbarg, den Gesichtsausdruck von Ravenswood zu beobachten, während sie die Höhe von Wolf's Crag hinanritten. Als sie vor der alten Burg hielten, fühlte sich Ravenswood in sonderbarer Gemüthsstimmung, und als er in dem Hofe nach Caleb rief, war in seiner Stimme etwas Strenges, fast Wuthartiges, das von der Höflichkeit, womit man geehrte Gäste empfängt, etwas verschieden war.

Caleb kam, und weder die Blässe der schönen Fremden bei dem ersten Donnerschlag, noch die Blässe von irgend einer andern Person in irgend einem anderen Umstand kam der gleich, welche sich über des alten Hausmeisters Wangen verbreitete, als er die Gäste erblickte, und als er erwog, daß die Zeit des Mittagessens herannahe. »Ist er verrückt?« murmelte er bei sich selbst, »ist er denn rein verrückt, daß er Herren und Damen mit einem Troß von Dienern mitbringt, wenn's im Glockenschlag zwölf ist?« Dann nahte er sich seinem Herrn, und bat um Verzeihung, daß er der übrigen Dienerschaft erlaubt habe, auszugehen und die Jagd zu sehen, indem er hinzufügte, »daß dieselben wohl die Rückkunft S. Herrlichkeit erst bei dunkler Nacht erwarteten, und daß er fürchte, sie möchten heute Feiertag machen.«

»Schweigt, Balderstone!« sagte Ravenswood strenge; »Eure Possen sind unzeitig. – Mein Herr und meine Dame,« sagte er, zu seinen Gästen sich kehrend, »dieser alte Mann und ein noch älteres und schwächeres Weib machen meine ganze Dienerschaft aus. Die Erfrischungen, die Ihr hier finden könnt, sind noch kärglicher, als eine so elende, baufällige Behausung verspricht, doch so, wie sie sind, stehen sie Euch zu Diensten.«

Der Fremde, über den wilden Anblick des verfallenen Thurms betroffen, den die dunkle Gewitterwolke noch schauriger machte, vielleicht auch von dem ernsten, entschiedenen Ton bewegt, womit ihr Wirth zu ihnen sprach, blickte sich ängstlich um, gleichsam als bereue er die Leichtigkeit, womit er das angebotene Obdach angenommen habe. Doch es war jetzt zu spät, aus einer Lage herauszukommen, die er selbst gewählt hatte.

Was Caleb belangt, so war derselbe über die freie und offene Sprüche, womit sein Herr den kahlen Zustand des Hauses schilderte, so verblüfft, daß er ein Paar Minuten lang nur in seinen Wochenbart, über den in sechs Tagen kein Scheermesser gekommen war, brummen konnte: »Er ist verrückt – rein verrückt – kettentoll geworden: Doch der Teufel hole Caleb Balderstone,« sagte er, indem er seine Erfindungsgabe zusammenraffte, »wenn die Familie ihr Ansehen verliert, wäre er auch so närrisch, wie die sieben Weisen!« Und trotz der finsteren Miene und der Ungeduld seines Herrn nahete er sich demselben keck und ernsthaft, und fragte, »ob er der jungen Lady nicht eine kleine Erfrischung und ein Glas Tokayer vorsetzen sollte, oder alten Sekt – oder –«

»Laßt Eure übel angebrachten Possen,« sagte sein Herr strenge, »bringt die Pferde in den Stall, und unterbrecht uns nicht mehr mit Euren Albernheiten.«

»Ew. Herrlichkeit Belieben muß vor allen Dingen befolgt werden,« sagte Caleb; »nichts desto weniger, da Eure edlen Gäste weder Sekt noch Tokayer belieben – –«

Doch die Stimme von Bucklaw, die man unter Pferdegetrappel und Hörnerschall heraushörte, verkündete, daß derselbe an der Spitze des größeren Theils des stattlichen Jagdgefolges den Burgweg heraufritt.

»Der Teufel hole mich,« sagte Caleb, trotz des neuen Ueberfalls der Philister ein Herz fassend, »wenn sie mich aus dem Felde schlagen! Der verzweifelte Thunichtgut! – einen solchen Schwarm hierher zu bringen, der so viel Branntwein hier zu finden hofft als Grabenwasser, wo er doch so genau den Zustand der hiesigen Dinge kennt! Aber ich denke, wenn ich die Maulaffen von Bedienten, die sich auf den Schultern ihrer Herrschaft in den Hof geschmuggelt haben, wie sich mancher in's Amt schmuggelt, los werden könnte, dann sollte es im Ganzen noch gut abgehen.«

Die Maßregeln, die er ergriff, seinen muthigen Vorsatz auszuführen, wird der Leser im nächsten Kapitel kennen lernen.

 


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