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Bald sahen sie das Dienergefolg,
Die vierbespannte Kutsche.
Herzog auf Herzog.
Craigengelt machte sich auf seine Gesandtschaftsreise, sobald die Voranstalten getroffen waren. Er machte die Reise in aller Eile, und erledigte sich seines Auftrags mit der Geschicklichkeit, die ihm Bucklaw zugetraut hatte. Da er mit einem Beglaubigungsschreiben von Mr. Hayston von Bucklaw kam, so war er beiden Damen sehr willkommen, und diejenigen, die zum Voraus für einen neuen Bekannten eingenommen sind, verwechseln, wenigstens eine Zeit lang, die Fehler und Mängel desselben mit Tugenden und Talenten. Obgleich beide Damen an gute Gesellschaft gewöhnt waren, so gelang es ihnen doch, weil sie in Mr. Hayston's Freund einen angenehmen und gebildeten Herrn zum Voraus erwarteten, sich auf die wunderbarste Art selbst zu betrügen. Freilich war Craigengelt nun anständig gekleidet, und das war kein geringfügiger Umstand. Seine unverschämte Frechheit wurde für ehrliche Offenheit, die seinem Kriegerstande wohl anstehe, genommen, sein Prahlen galt für Muth, und seine Gemeinheit für Witz. Damit jedoch Niemand dieß für eine Verletzung der Wahrscheinlichkeit halte, so fügen wir aus Artigkeit für die zwei Damen hinzu, daß das Urtheil derselben sehr verblendet und ihre Gunst sehr bestochen wurde, weil der Kapitän Craigengelt gerade in dem Augenblicke gelegen ankam, wo sie einen Dritten zu einer Partie Tredrill suchten, in welchem Spiele er wie in allen anderen Kunst- und Glücksspielen ein großer Meister war.
Nachdem er sich zuerst in Gunst gesetzt hatte, war sein zweites Augenmerk, den Plänen seines Beschützers förderlich zu sein. Er fand Lady Ashton sehr zu Gunsten des Vorschlags gestimmt, den Lady Blenkensop theils aus Antheil an ihrem Verwandten, theils aus Sucht, Heirathen zu stiften, nicht angestanden hatte, ihr zu machen; er hatte also nur eine leichte Arbeit. Bucklaw, von seiner Verschwendung geheilt, war gerade ein Gemahl, wie sie ihn für ihre Schäferin von Lammermoor wünschte, da sein Vermögen ansehnlich und seine Familie hochgeachtet war, so war Lady Ashton der Meinung, daß das Glück ihrer Tochter mit einem solchen Gemahl ganz und vollkommen sein müsse. Es traf sich auch, daß Bucklaw unter andern seiner neuen Erwerbungen auch einen gewissen politischen Einfluß in der benachbarten Grafschaft, wo die Familie Douglas von Alters her große Güter hatte, besaß. Es war ein Lieblingswunsch von Lady Ashton, daß ihr ältester Sohn Sholto diese Grafschaft im brittischen Parlament verträte, und sie sah eine Verbindung mit Bucklaw für einen Umstand an, der ihren Wünschen höchst förderlich sein möchte.
Craigengelt, dem es in seiner Weise keineswegs an Scharfsinn fehlte, hatte kaum bemerkt, woher der Wind von Lady Ashtons Wünschen blies, als er geschwind die Segel darnach richtete. »Es würde Bucklaw ein Leichtes sein,« sagte er, »für die Grafschaft zu sitzen, er hätte sich nur zu zeigen, und seine Besuche zu machen. Zwei Geschwisterkinder, sechs entferntere Verwandte, sein Geschäftsführer und sein Kammerdiener wären alle gewichtige Stimmen, und der Girnington'sche Einfluß hätte bei Furcht und Liebe immer das Uebergewicht gehabt. Doch Bucklaw bekümmere sich nicht um dergleichen Dinge, so wenig als er selbst. Es sei Schade, daß sein Einfluß einer guten Leitung ermangele.«
Auf dies Alles horchte Lady Ashton mit geneigtem und aufmerksamem Ohr, innerlich entschlossen, in eigener Person den Einfluß ihres künftigen Schwiegersohnes zum Besten ihres Erstgeborenen und anderer Betheiligten zu leiten.
Als der Kapitän die Lady so vortheilhaft gestimmt fand, begann er, um den Ausdruck seines Absenders zu gebrauchen, sie zum Werke zu spornen, indem er auf die gegenwärtigen Verhältnisse im Schlosse Ravenswood anspielte, auf den langen Besuch, den der Erbe dieser Familie bei dem Lord Keeper mache, und auf die Gerüchte, die (wiewohl er verdammt sein wolle, wenn er sie geglaubt hätte) in der Nachbarschaft im Umlauf waren. Es war nicht in der Rolle des Kapitäns, sich über diese Gerüchte zu ereifern, doch er merkte an den erröthenden Wangen, der zögernden Sprache und den blitzenden Augen der Lady Ashton, daß der Streich, den er führen wollte, gewirkt habe. Ihr Gemahl hatte ihr nicht so oft und so regelmäßig geschrieben, als sie es für seine Schuldigkeit gehalten hatte, und über seinen sehr wichtigen Besuch im Thurme Wolf's Crag, so wie über den Gast, den er mit solcher Herzlichkeit in Ravenswood Castle empfangen hatte, hatte er sie völlig in Dunkel gelassen, bis sie endlich durch einen Fremden von allen diesen Dingen unterrichtet wurde. Eine solche Verheimlichung war nach ihrer Meinung wenigstens ein Versuch des Hochverraths, wenn nicht offene Empörung gegen ihre häusliche Gewalt, und sie gelobte sich es in ihrem Herzen, den Lord Keeper als einen aus Empörung denkenden Unterthanen zu bestrafen. Ihr Zorn war um so heftiger, da sie ihn in Gegenwart von Lady Blenkensop, der Verwandtin Bucklaws, und vor Craigengelt, dem vertrauten Freunde desselben, zurückhalten mußte, und der Heirathsplan mit Bucklaw schien ihr nun dreifach wünschenswerth, weil sie sich einbildete, ihr Gemahl möchte aus Politik oder Furcht Ravenswood vorziehen.
Der Kapitän war Ingenieur genug, zu bemerken, daß die Mine angezündet sei; im Laufe desselben Tags hörte er darum ohne das geringste Befremden, daß Lady Ashton entschlossen war, ihren Besuch bei Lady Blenkensop abzukürzen, und bei Tagesanbruch mit aller Eile, welche der Zustand der Straßen und die Art zu reisen möglich machten, nach Schottland zurückzukehren.
Unglücklicher Lord Keeper! – er ahnte es nicht, was für ein Sturm gegen ihn heranbrause mit aller Eile, womit eine altfränkische Kutsche und sechs Pferde ihre Reise machen konnten. Wie Don Gayferas vergaß er seine Dame schön und treu, und dachte nur an den bevorstehenden Besuch des Marquis von A– . Er hatte endlich die gewisse Nachricht erhalten, daß dieser Herr unfehlbar um 1 Uhr Nachmittags, was eine späte Essensstunde war, das Schloß mit seinem Besuche beehren würde, und Alles gerieth bei dieser Ankündigung in Bewegung. Der Lord Keeper durchging die Zimmer, berathschlagte sich mit dem Kellermeister in dem Keller, ja er wagte es auf die Gefahr eines démêlé mit dem Koch, einem hochmüthigen Genie, das die Weisungen von Lady Ashton selbst verachtete, einen Blick in die Küche zu thun. Als er sich endlich überzeugt hatte, daß Alles im besten Gang war, forderte er Ravenswood und seine Tochter auf, einen Spaziergang auf der Terrasse zu machen, um von diesem hohen Punkte die ersten Zeichen von dem Herannahen Sr. Herrlichkeit bemerken zu können. Mit langsamen Schritten wandelte er in dieser Absicht die Terrasse auf und ab, die sich, von einem starken, steinernen Geländer umgeben, auf der Vorderseite des Schlosses erstreckte, und die Höhe des ersten Stockwerks desselben erreichte, während die Besucher des Schlosses durch einen darunter wegziehenden Thorweg, zu dessen flachem Dache die niedrigen und breiten Stufen einer bequemen Treppe von der Terrasse führten, Zugang zu dem Hofe gewannen. Das Ganze glich halb einer Veste, halb einem Edelmannsitz, und obgleich es zum Theil auf Vertheidigung berechnet war, so sah man doch, daß es aus Zeiten herstammte, wo die Lords von Ravenswood einer auf Macht gegründeten Sicherheit genossen.
Man hatte auf diesem Standpunkte eine schöne und ausgedehnte Aussicht. Doch was für uns wichtiger ist, man sah von da zwei Landstraßen, die eine von Osten, die andere von Westen kommend, welche sich, indem sie eine dem Schlosse gegenüberliegende Hügelreihe durchschnitten, einander in verschiedenen Winkeln allmälig näherten, bis sie sich nicht weit von dem Eingang in die Schloßallee vereinigten. Es war nach der westlichen Straße, wohin der Lord Keeper aus einer ängstlichen Unruhe, seine Tochter aus Gefälligkeit für ihn und Ravenswood, unbeschadet einer inneren Uebellaune, aus Gefälligkeit für die Tochter die Blicke wandten, um die Vorboten des ankommenden Marquis zu entdecken.
Dieselben ließen nicht lang auf sich warten. Zwei Läufer in weißer Kleidung, mit schwarzen Mützen und langen Stöcken in den Händen eröffneten den Zug, und ihre Schnelligkeit war so groß, daß es ihnen nicht schwer wurde, ihren von der Etiquette vorgeschriebenen Vorsprung vor Wagen und Reitern zu behaupten. Sie kamen in einem Sprunglaufe voran, und bewiesen sich als unermüdlich in ihrem den Athem anstrengenden Beruf. Solcher Läufer wird oft in alten Komödien gedacht (ich führe nur Middletons
Mad World my Masters an), und vielleicht erinnern sich noch alte Leute in Schottland, dieselben in dem Gefolge adeliger Personen auf Ceremonienreisen gesehen zu haben
Hierüber bitte ich Jebediah Cleishbotham um Erlaubniß zu bemerken,
primo d. h. zuerst, daß, nachdem ich mich vergebens in der Lesebibliothek von Ganderoleugh, obgleich es derselben an Narrenspossen nicht fehlt, nach genanntem Middleton und seiner Mad World erkundigt hatte, mir dieselbe endlich unter anderen alten Possen gezeigt wurde, die von einem sicheren Dodsley sorgfältig gesammelt waren, der sonder Zweifel seinen Lohn hat für die Verschleuderung der kostbaren Zeit, und nachdem ich mich, so weit es mein Zweck gefordert, darinnen umgesehen hatte, fand es sich, daß ein Komödiant als Läufer darin vorkommt, den ein Ritter scherzweise mit dem Epithet grüßt – ›Leinenstrumpf‹ und ›Sechzigmeilentaglöhner‹.
Secundo (was übersetzt zweitens bedeutet), mit Gunst von Mr. Pattieson, manche noch gar nicht so alte Männer, als er zu glauben scheint, erinnern sich dieser Vorrenner oder Läufer. Zum Beweise dessen kann ich Jedediah Cleishbotham, obgleich mir meine Augen noch gute Dienste erweisen, sagen, daß ich einen von dieser Klasse gesehen habe, der weiß gekleidet war, einen Stock trug, und gewöhnlich vor der Staatskutsche des weiland John, Grafen von Hopeton, herlief. Es war dies der Vater des jetzigen Grafen Karl, und von diesem letzteren kann mit Recht gesagt werden, daß der Ruhm sein Läufer oder Vorrenner sei, und wie der Dichter singt:
Mars steht ihm bei im Kampf und Streit,
Und Fama ihm den Lorbeer weiht.
J. C.. Hinter diesen glänzenden
Meteoren, die davon sprangen, als wenn der Bluträcher in ihrem Rücken gewesen wäre, erhob sich eine Staubwolke, die von Dienern zu Pferd, die vor, hinter und bei dem Staatswagen des Marquis ritten, gebildet wurde.
Die Vorzüge des Adels in jenen Zeiten hatten etwas, was auf die Einbildungskraft wirkte. Die Kleidung, der Putz und Anzahl der Diener, die eigenthümliche Art zu reisen, der gebietende, fast kriegerische Anblick einer bewaffneten Umgebung erhoben den Adel weit über den Laird, der nur von zwei Dienern begleitet reiste, und der Handelsstand dachte so wenig daran, es dem Adel gleichzuthun, als er daran dachte, den königlichen Hofstaat nachzuahmen. Jetzt ist Alles anders, und ich, Peter Pattieson, habe bei meiner letzten Reise nach Edinburgh die Ehre gehabt, mit einem Pair des Königreichs das Bein zu wechseln, wie es in der Postwagensprache heißt. Es war nicht so in den Tagen, von denen ich schreibe, und die Ankunft des Marquis, die man so lang vergebens erwartet hatte, machte sich durch den vollen Glanz der alten Aristokratie bemerklich. Sir William Ashton war mit dem, was er sah, so sehr beschäftigt, und gab auf das Ceremoniell des Empfangs für den Fall, daß man etwas vergessen hätte, so genau Acht, daß er es kaum hörte, als sein Sohn Heinrich ausrief: »Da kommt noch eine andere Kutsche mit sechs Pferden auf der östlichen Straße, Papa – Gehören sie alle beide dem Marquis von A– ?«
Endlich, als der Knabe seine Aufmerksamkeit dadurch, daß er ihn beim Aermel zupfte, stärker in Anspruch genommen hatte,
Kehrt' er sich um und sah mit einem Mal
Ein schreckliches Gesicht.
Es war nur zu wahr, eine andere, sechsspännige Kutsche, von vier reitenden Dienern begleitet, kam in Eile auf der östlichen Straße von der Höhe herab, und es war zweifelhaft, welche von beiden Kutschen, die sich von verschiedenen Seiten naheten, zuerst den Eingang der Allee erreichen würde. Die eine Kutsche war grün, die andere blau, und die grünen und blauen Wagen im Circus von Rom oder Constantinopel erregten nicht mehr Unruhe bei den Bürgern, als diese Doppelerscheinung bei dem Lord Keeper. Wir erinnern uns an den furchtbaren Ausruf des sterbenden Ruchlosen, als ein Freund, um ihm die Vorstellung eines Gespenstes, das in einer bestimmten Gestalt und zu gewisser Stunde erschien, zu benehmen, eine Person vor ihn stellte, der man das Aeußere dieses Gespenstes gegeben hatte. » Mon Dieu!« sagte der sterbende Sünder, der, wie es schien, beide Erscheinungen, die wirkliche und eingebildete, wahrnahm, » il y en a deux.«
Die Ueberraschung des Lord Keeper war kaum weniger unangenehm bei dieser doppelten Ankunft, sein Geist ahnte böse Dinge. Es war nicht möglich, daß ein Nachbar so ohne Ceremoniell herankam, da man in dieser Zeit das Ceremoniell so hoch achtete. Es muß Lady Ashton sein, dachte er bei sich, und grübelte ängstlich der Ursache dieser plötzlichen und unangemeldeten Rückkunft nach. Er fühlte sich auf frischer That ertappt. Daß die Gesellschaft, in welcher sie ihn unglücklicher Weise überraschte, ihr in hohem Grade mißfallen würde, war keine Frage, und die einzige Hoffnung, die ihm blieb, war ihr großes Anstandsgefühl, das, wie er glaubte, einem heftigen Auftritte vorbeugen würde. Doch sein Zweifel und seine Furcht waren so stark, daß sie die ganze, wohlüberlegte Empfangsceremonie des Marquis in Unordnung brachte.
Diese Besorgnisse beschränkten sich nicht blos auf Sir William Ashton. »Es ist meine Mutter – es ist meine Mutter!« sagte Lucie, indem sie bleich und die Hände ringend auf Ravenswood blickte.
»Und wenn es Lady Ashton ist,« sagte ihr Liebhaber leise zu ihr, »warum wollt Ihr Euch so beunruhigen? – Gewiß, die Rückkunft einer Mutter, die so lange von ihrer Familie entfernt gewesen ist, sollte andere Gefühle als Furcht und Unlust erwecken.«
»Ihr kennt meine Mutter nicht,« sagte Miß Ashton mit einer vor Schrecken halb erstickten Stimme, »was wird sie sagen, wenn sie Euch an diesem Orte sieht!«
»Mein Aufenthalt war zu lang,« sagte Ravenswood etwas stolz, »wenn Ihr Mißfallen an meiner Gegenwart so schrecklich ist. Liebe Lucie,« fuhr er in einem besänftigenden und ermuthigenden Tone fort, »Eure Furcht vor Lady Ashton ist kindisch, sie ist ein Weib von Stand, eine Dame von gutem Ton, eine Person, welche die Welt kennt, und weiß, was sie ihrem Gemahl und dessen Gästen schuldig ist.«
Lucie schüttelte den Kopf, und, als wenn ihre Mutter, die noch auf eine halbe Meile entfernt war, ihr Verhalten hätte sehen und tadeln können, zog sie sich von Ravenswood zurück, ergriff den Arm ihres Bruders Heinrich, und führte ihn nach der andern Seite der Terrasse. Auch der Lord Keeper ging nach dem großen Thore hinunter, ohne Ravenswood zu seiner Begleitung einzuladen, und also blieb dieser auf der Terrasse stehen, verlassen, und, so zu sagen, gemieden von allen Bewohnern des Hauses.
Dies mißfiel einem Manne, der eben so stolz als arm war, und der geglaubt hatte, daß, wenn er seinem eingewurzelten Groll so weit entsage, um Sir William Ashtons Gast zu werden, er eher eine Gunst ertheilte, als eine empfange. »Ich kann Lucien verzeihen,« sagte er bei sich selbst, »sie ist jung, schüchtern, und sich eines ohne die Genehmigung ihrer Mutter eingegangenen Versprechens bewußt, doch sollte sie bedenken, wem sie sich versprochen hat, und mir keine Ursache zu dem Argwohn geben, daß sie sich ihrer Wahl schäme. Was den Lord Keeper betrifft, so hat ihn Besinnung und Ausdruck verlassen, seit ihm der erste Schimmer von Lady Ashtons Kutsche in's Auge fiel. Ich muß sehen, wo das hinaus will, und wenn sie mir Grund geben, mich für einen unwillkommenen Gast zu halten, so wird mein Besuch bald abgekürzt sein.«
Mit diesem Argwohn im Gemüthe verließ er die Terrasse, um nach den Ställen zu gehen, und daselbst Befehl zu geben, sein Pferd bereit zu halten, für den Fall, daß er ausreiten wolle.
Unterdessen hatten sich die Lenker der beiden Kutschen, deren Herannahen so große Unlust in dem Schlosse verursachte, einander bemerkt, da sie sich von verschiedenen Richtungen dem Eingang der Allee wie einem gemeinschaftlichen Mittelpunkte näherten. Der Kutscher und die Postillone der Lady Ashton erhielten alsbald Befehl, wenn's möglich wäre, vorzufahren, weil die Lady vor Ankunft dieser Gäste, wer dieselben auch sein möchten, eine erste Unterredung mit ihrem Gemahl zu haben wünsche. Auf der anderen Seite entschloß sich auch der Kutscher des Marquis, der seiner und seines Herrn Würde eingedenk war, als er sah, daß sein Amtsbruder und Nebenbuhler den Lauf verstärkte, den Vorrang als ein braver Bruder von der Peitsche zu behaupten. Also sah der Lord Keeper zu seiner großen Bestürzung die kurze Frist, die ihm zur Ueberlegung vergönnt war, durch die Eile der beiden wetteifernden Kutscher noch mehr verkürzt, die, indem sie finster die Augen auf einander hefteten, und lebhaft den Pferden die Peitsche gaben, mit wetteifernder Schnelligkeit den Abweg herabzurollen begannen, während das berittene Gefolge gezwungen war, die Pferde in kurzen Galopp zu setzen.
Alle Hoffnung, die Sir William Ashton noch blieb, war die Möglichkeit eines Umsturzes, und daß seine Dame oder sein Besucher den Hals bräche. Ich weiß es nicht, ob er dies wirklich gewünscht habe, aber ich sehe keinen Grund, anzunehmen, daß er über ein solches Ereigniß untröstbar geblieben sein würde. Aber auch diese Hoffnung verschwand, denn Lady Ashton, obwohl der Furcht unzugänglich, begann das Lächerliche eines Wettrennens mit einem vornehmen Besuche einzusehen, wobei das Thor ihres eigenen Schlosses das Ziel wäre, und sie gab, als sie sich der Allee näherten, dem Kutscher Befehl, seine Eile zu mäßigen, und der fremden Equipage den Vorrang zu lassen, ein Befehl, dem der Kutscher gerne gehorchte, da derselbe zu seiner Ehrenrettung wie gerufen kam, denn die Pferde des Marquis waren besser, wenigstens frischer als die seinigen. Er hemmte darum seine Eile, und ließ die grüne Kutsche mit ihrem Gefolge in die Allee, und diese fuhr mit aller Eile des Wirbelwinds zu dem Eingang. Kaum hatte der geputzte Kutscher des Marquis gewahrt, daß ihm der pas d'avance gelassen worden wäre, als er mit weniger Eile, von dem ganzen Gefolge umringt, im Schatten der hohen Ulmen dahinfuhr, während der Wagen der Lady Ashton noch weit langsamer in einiger Entfernung folgte.
Vor dem Schlosse und unter dem Thorweg, der zum inneren Hofe führte, stand Sir William Ashton in großer Verwirrung, sein jüngster Sohn und seine Tochter standen neben ihm, und hinter ihnen hielten die Diener verschiedenen Ranges mit und ohne Livree. Der hohe und niedere Adel von Schottland machte sich in jener Zeit durch einen Ueberfluß von Dienern bemerklich, die man sich leicht in einem Lande verschaffte, das mehr Menschen hervorbrachte, als es beschäftigen konnte.
Ein Mann von Sir William Ashtons Erfahrung ist zu sehr Meister seines Benehmens, als daß ihn Widerwärtigkeiten lange in Verlegenheit lassen könnten. Er bewillkommte den Marquis, als derselbe aus dem Wagen stieg, auf die übliche Weise, und drückte die Hoffnung aus, während er ihn nach der großen Halle führte, daß derselbe eine angenehme Reise gehabt habe. Der Marquis war ein großer, wohlgebauter Mann mit einem denkenden, geistreichen Gesichtsausdruck, und einem Auge, in welchem das Feuer des Ehrgeizes schon manches Jahr die Lebhaftigkeit der Jugend ersetzt hatte, seine Erscheinung war kühn und stolz, doch wurde dieser Eindruck durch seine angewohnte Mäßigung und durch sein Streben nach Volksgunst, die ihm als Parteihaupt nothwendig war, gemildert. Er antwortete mit Höflichkeit auf die höflichen Erkundigungen des Lords Keeper, und wurde der Miß Ashton förmlich vorgestellt, bei welcher Gelegenheit der Lord Keeper die ersten Beweise von dem gab, was sein Gemüth hauptsächlich beschäftigte, indem er seine Tochter als sein Weib Lady Ashton aufführte.
Lucie erröthete, der Marquis blickte mit Befremden auf das so jugendliche Gesicht seiner Wirthin, und der Lord Keeper faßte sich mit Mühe zu einer Erklärung. »Ich hätte sagen sollen, meine Tochter, Mylord, doch die Wahrheit ist, daß ich den Wagen von Lady Ashton kurz hinter dem von Ew. Herrlichkeit durch die Allee kommen sah, und – –«
»Macht keine Entschuldigung, Mylord,« versetzte sein edler Gast, »ich bitte, geht, Eure Lady zu empfangen, während ich hier die Bekanntschaft der Miß Ashton mache. Es thut mir leid, daß meine Leute unserer Wirthin den Vortritt an ihrem eigenen Thore bestritten haben, doch Ew. Herrlichkeit weiß, daß ich die Lady Ashton immer noch im Süden glaubte. Erlaubt mir, Euch zu bitten, Ceremonien bei Seite zu lassen, und zu ihrem Empfang zu eilen.«
Das war es gerade, was der Lord Keeper zu thun verlangte, und er benutzte alsbald die zuvorkommende Erlaubniß Sr. Herrlichkeit, Lady Ashton zu sehen, und den Ausbruch ihres Unwillens im Geheimen hinzunehmen, mochte sie in gewissem Grade vorbereiten, ihre unwillkommenen Gäste mit dem geziemenden decorum zu empfangen. Als darum ihr Wagen stille hielt, war der Arm des aufmerksamen Gemahls bereit, der Lady Ashton beim Aussteigen behülflich zu sein. Als wenn sie ihn nicht sähe, schob sie seinen Arm weg, und forderte den des Kapitäns Craigengelt, der mit seinem Tressenhut unter dem Arm an der Kutsche stand, und auf der ganzen Reise den Dienst eines cavalière servente versehen hatte. Indem sie sich auf den Arm dieser achtbaren Person stützte, durchschritt sie den Hof, sprach einige Worte zu den Dienern, und richtete nicht ein einziges an Sir William Ashton. Vergebens bestrebte sich dieser, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und er war mehr in ihrem Gefolge, als in ihrer Begleitung auf dem Wege nach der Halle, in welcher sie den Marquis im Zwiegespräch mit dem Herrn von Ravenswood fanden, denn Lucie hatte die erste Gelegenheit zu entschlüpfen benutzt. Verlegenheit zeigte sich nun auf allen Gesichtern, ausgenommen dem des Marquis, denn selbst Craigengelts Unverschämtheit war kaum vermögend, die Furcht vor Ravenswood zu verbergen, und die Uebrigen fühlten das Beengende einer Lage, in die sie sich so unerwartet versetzt sahen.
Nachdem der Marquis eine Zeit lang gewartet hatte, daß ihn Sir William Ashton vorstelle, beschloß er, sich selbst einzuführen. »Der Lord Keeper,« sagte er, sich vor Lady Ashton verbeugend, »hat mir so eben seine Tochter als sein Weib vorgestellt – er dürfte mir wohl Lady Ashton als seine Tochter vorstellen, denn sie ist immer dieselbe, wie ich sie vor Jahren kannte. – Will sie einem alten Bekannten das Vorrecht eines Gastes gewähren?«
Er küßte die Lady mit zu gutem Anstand, als daß er eine Weigerung zu befürchten gehabt hätte, und fuhr dann fort: »Dieser Besuch, Lady Ashton, ist ein friedestiftender, und darum erlaube ich mir, meinen Vetter, den jungen Herrn von Ravenswood, Eurer günstigen Beachtung vorzuführen.«
Lady Ashton konnte nur mit Höflichkeit hierauf erwidern, doch in ihrer Verbeugung war etwas Hochfahrendes, das einem kalten Zurückstoßen glich. Auch Ravenswood verbeugte sich mit einer Art, wodurch er die Kälte, womit er begrüßt worden war, zurückgab.
»Vergönnt mir,« sagte sie, »Ew. Herrlichkeit meinen Freund vorzustellen.« Craigengelt machte mit der dreisten Unverschämtheit, die Männer seines Schlages für Leichtigkeit halten, eine schleifende Verbeugung gegen den Marquis, und verzierte dieselbe durch einen Schnörkel mit seinem Tressenhut. Die Lady wandte sich an ihren Gemahl. »Ihr und ich, Sir William,« sagte sie, und dies waren die ersten Worte, welche sie an ihn richtete, »wir haben seit unserer Trennung neue Bekannte gewonnen; laßt mich meinen Bekannten, den ich gemacht habe, Euch vorführen – den Kapitän Craigengelt.«
Wieder eine Verbeugung und ein Schnörkel mit dem goldenen Tressenhut, welche der Lord Keeper erwiderte, ohne sich die bereits mit ihm gemachte Bekanntschaft merken zu lassen, und mit einer ängstlichen Beflissenheit, die seinen Wunsch zu erkennen gab, daß Friede und Vergessen zwischen den streitenden Theilen und ihren Bundesgenossen stattfinden möchte. »Laßt mich Euch dem Herrn von Ravenswood vorstellen,« sagte er zu dem Kapitän Craigengelt, um sein Friedenssystem in Anwendung zu bringen. Aber Ravenswood dehnte seine große Gestalt zu ihrer vollen Höhe aus, und sagte, ohne den Vorgestellten nur eines Blickes zu würdigen, mit Nachdruck: »Der Kapitän Craigengelt und ich, wir kennen uns bereits vollkommen.«
»Vollkommen – vollkommen,« versetzte der Kapitän in einem matten Tone, der dem eines doppelten Echo's glich, und mit einem Hutschnörkel, dessen Ausdehnung im Verhältniß zu dem, womit er den Marquis und den Lord Keeper beehrt hatte, gar sehr abgekürzt war.
Lockhard, dem drei Diener folgten, trat nun herein mit Wein und Erfrischungen, wie man sie nach dem Gebrauch zur Schärfung der Eßlust vor dem Mahle anbot, und als dieselben den Gästen vorgesetzt waren, entschuldigte sich Lady Ashton, wenn sie sich mit ihrem Gemahl auf einige Minuten eines dringenden Geschäftes halber zurückzöge. Der Marquis bat die Lady, sich keinen Zwang anzuthun, und Craigengelt, nachdem er eiligst ein zweites Glas Canariensekt geleert hatte, beeilte sich, das Zimmer zu verlassen, da er keine Lust fühlte, mit dem Marquis von A– und dem Herrn von Ravenswood allein zu bleiben, denn jener flößte ihm geistigen und dieser leiblichen Schrecken ein.
Er nahm zum Vorwand bei seinem plötzlichen Aufbruch, daß er wegen seines Pferdes und Gepäckes einige Maßregeln zu treffen habe, und er beharrte dabei, obgleich die Lady Ashton Lockhard Befehl gegeben hatte, den Kapitän Craigengelt auf das aufmerksamste und sorgfältigste zu bedienen. Der Marquis und Ravenswood konnten sich so unter einander ihre Bemerkungen über die Aufnahme, welche sie gefunden hatten, mittheilen, während Lady Ashton ihren Gemahl, der ihr wie ein verurtheilter Verbrecher folgte, in ihr Putzzimmer führte.
Kaum war das Ehepaar hineingetreten, so überließ sich die Lady ganz ihrem heftigen Gemüthe, das sie bis jetzt des Scheines wegen zurückgehalten hatte. Sie schloß die Thüre hinter dem bestürzten Lord Keeper zu, zog die Schlüssel ab, und mit einem Gesicht, dem die Jahre den stolzen Reiz nicht geraubt hatten, und mit Augen, aus denen Entschlossenheit und Unwille sprachen, wandte sie sich an ihren verblüfften Gemahl mit diesen Worten: »Mylord, ich wundere mich nicht sehr über die Bekanntschaften, die Ihr während meiner Abwesenheit gemacht habt, sie sind völlig in Uebereinstimmung mit Eurer Geburt und Erziehung, und wenn ich von Euch was Anderes erwartet habe, so bekenne ich aufrichtig meinen Irrthum, und daß ich dafür die Enttäuschung, die Ihr mir zu Theil werden lasset, verdient habe.«
»Meine liebe Lady Ashton – meine theure Eleonora,« sagte der Lord Keeper, »nehmt einen Augenblick Vernunft an, und ich will Euch davon überzeugen, daß ich mit aller geziemenden Rücksicht auf die Würde und den Vortheil meiner Familie gehandelt habe.«
»Den Vortheil Eurer Familie mögt Ihr vollkommen wohl verstehen,« gab die zürnende Lady zurück, »ja sogar selbst die Würde Eurer eigenen Familie, wenn man hintendrein eine verbessernde Hand anlegt. – Indeß da meine Familie in der Eurigen unablöslich enthalten ist, so müßt Ihr mich entschuldigen, wenn ich ihr so viel Aufmerksamkeit schenke, als es meine Pflicht ist.«
»Was wollt Ihr haben, Lady Ashton?« sagte ihr Gemahl. »Was ist's, das Euch mißfällt? Wie kommt es, daß Ihr mich bei Eurer Ankunft nach so langer Abwesenheit also beschuldigt?«
»Fragt Euer eigenes Gewissen, Sir William; was hat Euch angetrieben, ein Abtrünniger an Euren politischen Freunden und Meinungen zu werden, und Euch verleitet, ich weiß für was, Eure einzige Tochter mit einem lumpigen, bankerotten Jakobiten, der noch obendrein der angestammte Feind unserer Familie ist, zu vermählen?«
»Was im Namen der Billigkeit wollt Ihr, daß ich hätte thun sollen, Madame?« antwortete ihr Gemahl. – »Ist es mir möglich, nur bei gewöhnlicher Schicklichkeit, einen jungen Edelmann aus dem Hause zu jagen, der meiner Tochter und mir das Leben rettete, und das den folgenden Morgen drauf?«
»Euch das Leben rettete! ich habe von der Geschichte gehört,« sagte die Lady – »der Lord Keeper wurde von einer schwarzbraunen Kuh in Schrecken gejagt, und er sieht den jungen Kerl, der sie tödtete, für einen Guy von Warwick an – jeder Metzger von Haddington hat einen gleichen Anspruch auf Eure Gastfreundschaft.«
»Lady Ashton,« stammelte der Lord Keeper, »das ist unerträglich – und wenn ich obendrein begierig bin, Euch durch jedes Opfer zufrieden zu stellen – falls Ihr mir nur sagen wolltet, was ich zu thun habe.«
»Geht hinunter zu Euren Gästen,« sagte das gebieterische Weib, »und entschuldigt Euch bei Ravenswood, daß die Ankunft des Kapitän Craigengelt und einiger anderer Freunde es Euch unmöglich mache, ihm Wohnung auf dem Schlosse anzubieten – ich erwarte den jungen Mr. Hayston von Bucklaw.«
»Um's Himmelswillen, Madame!« rief ihr Gemahl aus – »Ravenswood einem Craigengelt weichen, einem gemeinen Spieler und Hinterbringer! – es war Alles, was ich thun konnte, daß ich mich enthielt, den Kerl nicht zum Hause hinaus zu wünschen, und ich war höchst erstaunt, ihn in Eurem Gefolge zu sehen.«
»Weil Ihr ihn darin gesehen habt, so mögt Ihr wohl überzeugt sein,« antwortete die zärtliche Ehehälfte, »daß es eine gute Gesellschaft war. Und was diesen Ravenswood betrifft, so erfährt er nur die Behandlung, die er, wie ich gewiß weiß, einem meiner schätzbarsten Freunde zufügte, der das Unglück hatte, einige Zeit sein Gast zu sein. Indeß entschließt Euch kurz, denn wenn Ravenswood nicht das Haus verläßt, so verlasse ich es.«
Sir William Ashton schritt das Gemach auf und ab in der verzweifeltsten Stimmung: Furcht, Scham und Aerger bestritten die Nachgiebigkeit, die er gewöhnlich seiner Frau zu erweisen pflegte. Doch er endigte damit, womit schüchterne Gemüther unter solchen Umständen gewöhnlich endigen; er entschloß sich zu einem mezze termine, einer vermittelnden Maßregel. »Ich sage es Euch frei heraus, Madame, ich kann und will mich der von Euch vorgeschlagenen Unhöflichkeit gegen den Herrn von Ravenswood nicht schuldig machen – er hat es nicht von mir verdient. Wenn Ihr so unvernünftig sein wollt, einen Mann von Stand unter Eurem Dache zu beleidigen, so kann ich es nicht hindern; aber wenigstens will ich nicht der Vollstrecker solcher verkehrter Maßregeln sein.«
»Ihr wollt nicht?« fragte die Lady.
»Nein, beim Himmel, Madame!« versetzte ihr Gemahl; »fordert von mir Alles, was sich mit gewöhnlichem Anstand verträgt, z. B. seine Bekanntschaft nach und nach aufzugeben oder etwas Aehnliches – doch ihm mein Haus aufzukündigen, dazu will ich und kann ich mich nicht verstehen.«
»Dann werde ich dafür sorgen, die Ehre der Familie aufrecht zu erhalten, wie ich es schon oft habe thun müssen,« sagte die Lady.
Sie setzte sich nieder und schrieb in Eile einige Zeilen. Der Lord Keeper machte noch einen Versuch, sie von einem so entscheidenden Schritte zurückzuhalten, gerade als sie die Thüre öffnete, eine Dienerin aus dem Vorzimmer zu rufen. »Bedenkt, was Ihr thun wollt, Lady Ashton; Ihr werdet Euch einen jungen Mann zum Feinde machen, der wahrscheinlich die Mittel finden wird, uns zu schaden.«
»Habt Ihr je gehört, daß die Douglas einen Feind gefürchtet haben?« antwortete die Lady höhnisch.
»Ja, aber er ist stolz und rachsüchtig, wie hundert Douglase und wie hundert Teufel dazu. Ueberlegt es nur eine Nacht.«
»Keinen Augenblick länger,« antwortete die Dame; »hier, Jungfer Patullo, gebt dies Billet dem jungen Ravenswood.«
»Dem Herrn von Ravenswood, Madame?« sagte Mrs. Patullo.
»Ja, ihm, wenn Ihr ihn so nennt.«
»Ich wasche meine Hände in dieser Sache,« sagte der Lord Keeper; »und ich will in den Garten gehen, und sorgen, daß Jardine die Früchte zum Nachtisch auswählt.«
»Thut das,« sagte die Lady, indem sie ihm mit verächtlichen Blicken nachsah, »und dankt Gott, daß Jemand hinter Euch steht, der eben so geschickt ist, die Ehre der Familie zu decken, als Ihr es seid, nach Aepfeln und Birnen zu schauen.«
Der Lord Keeper blieb lange genug im Garten, um seiner Dame Raum zu geben, ihren Willen zu thun, und um wenigstens den ersten Ausbruch von Ravenswoods Unwillen verrauschen zu lassen. Als er in die Halle zurückkehrte, fand er den Marquis von A– im Begriff, einigen seiner Diener Befehl zu geben. Er schien höchst mißvergnügt, und unterbrach die Rede, worin sich Sir William entschuldigte, Se. Herrlichkeit allein gelassen zu haben.
»Ich setze voraus, Sir William, daß Euch das sonderbare Billet nicht unbekannt ist, womit Eure Dame meinen Verwandten von Ravenswood (er legte einen Nachdruck auf meinen) beehrt hat, und daß Ihr folglich darauf vorbereitet seid, wenn ich alsbaldigen Abschied nehme. Mein Verwandter ist bereits abgereist, denn er hielt es unnöthig, Abschied zu nehmen, da alle frühere Höflichkeiten durch diese sonderbare Beleidigung aufgehoben wären.«
»Ich verwahre mich dagegen feierlich, Mylord,« sagte Sir William, das Billet in der Hand haltend, »ich kenne den Inhalt dieses Schreibens nicht. Ich weiß, daß Lady Ashton ein leidenschaftliches und vorurtheilvolles Weib ist, und jede Beleidigung, die zugefügt und empfangen worden ist, schmerzt mich von Herzen, doch ich hoffe, Ew. Herrlichkeit wird bedenken, daß eine Dame –«
»Sich gegen Personen von einem gewissen Stande mit Anstand betragen soll,« sagte der Marquis, indem er die Rede des Lord Keeper vervollständigte.
»Wahr, Mylord,« sagte der unglückliche Keeper; »doch Lady Ashton ist immer ein Weib –«
»Und als solches, denk' ich,« sagte der Marquis, ihm wieder in's Wort fallend, »sollte sie die Pflichten kennen, die ihrem Geschlechte auferlegt sind. Doch da kommt sie, und ich will aus ihrem eigenen Munde den Grund dieser außerordentlichen und unerwarteten Beleidigung hören, die meinem nahen Verwandten angethan worden ist, während wir beide Eurer Lady Gäste waren.«
Lady Ashton trat in diesem Augenblicke in's Gemach. Ihr Wortwechsel mit Sir William und eine darauf folgende Unterredung mit ihrer Tochter hatten sie nicht abgehalten, alle Sorge auf ihren Anzug zu verwenden. Sie erschien im vollen Staat, und die prächtige Kleidung, worin vornehme Damen damals bei solchen Gelegenheiten erschienen, stand wohl zu ihrem Gesichte und ihre Haltung.
Der Marquis von A– verbeugte sich stolz, und sie gab den Gruß mit gleichem Stolz und Kälte zurück. Er nahm dann aus der Hand von Sir William Ashton das Billet, das er ihm einen Augenblick zuvor gegeben hatte, nahete sich der Lady, und war im Begriff zu sprechen, als sie ihn unterbrach. »Ich sehe, Mylord, daß Ihr im Begriff seid, einen unangenehmen Gegenstand zu berühren. Es schmerzt mich, daß sich ein solcher zu dieser Zeit gefunden hat, wenn dadurch im geringsten Grade die achtungsvolle Aufnahme, die Ew. Herrlichkeit gebührt, gestört werden sollte. Mr. Edgar Ravenswood, dem ich das Billet, das ich in Ew. Herrlichkeit Hand erblickte, bestimmt habe, hat die Gastfreundschaft dieses Hauses und die Herzensgüte Sir William Ashtons mißbraucht, um eine junge Person zu einem Versprechen zu verführen, womit die Eltern derselben nicht übereinstimmen, und nie übereinstimmen können.«
Die beiden Herren antworteten zugleich. »Mein Verwandter ist nicht fähig,« sagte der Marquis.
»Ich bin überzeugt, daß meine Tochter Lucie noch weit weniger fähig ist,« sagte der Lord Keeper.
Lady Ashton fiel ihnen in die Rede, und antwortete ihnen: »Mylord Marquis, Euer Verwandter, wenn Mr. Ravenswood dies zu sein die Ehre hat, hat sich im Geheimen unterwunden, die Neigung dieses jungen, unerfahrenen Mädchens zu gewinnen. Sir William Ashton, Eure Tochter ist einfältig genug gewesen, einem so unpassenden Freier mehr Aufmunterung zu geben, als sie gesollt hätte.«
»Ich glaube, Madame,« sagte der Lord Keeper, seine gewöhnliche Geduld verlierend, »daß, wenn Ihr uns nichts Besseres zu erzählen habt, Ihr besser gethan hättet, dies Familiengeheimniß für Euch zu behalten.«
»Verzeiht, Sir William,« sagte die Lady ruhig; »der edle Marquis hat ein Recht, die Ursache einer Maßregel zu erfahren, die ich gegen einen Herrn für nöthig erachtet habe, den er seinen Blutsverwandten nennt.«
»Eine Ursache,« murmelte der Lord Keeper, »die hinter der Wirkung zum Vorschein kommt, denn wenn sie wirklich besteht, so weiß ich wenigstens gewiß, daß meine Frau nichts davon wußte, als sie ihren Brief an Ravenswood schrieb.«
»Es ist zum erstenmal, daß ich davon etwas höre,« sagte der Marquis; »aber da Lady Ashton einen so zarten Gegenstand vorgebracht hat, so erlaube sie mir zu sagen, daß mein Verwandter durch seine Abkunft und Verwandtschaft ein Recht hat, ein geduldiges Gehör oder wenigstens eine höfliche Zurückweisung zu finden, selbst wenn er so ehrgeizig gewesen wäre, sein Auge nach der Tochter von Sir William Ashton zu erheben.«
»Erinnert Euch, Mylord, welches Stammes Miß Lucie Ashton von mütterlicher Seite ist,« sagte die Lady.
»Ich erinnere mich Eures Stammes – von einer jüngeren Linie des Hauses Angus,« sagte der Marquis, »und Ihr solltet nicht vergessen, Mylady, daß sich die Ravenswood dreimal mit dem Hauptstamm dieses Hauses vermählt haben. Nein, Madame – ich weiß, wie die Sachen stehen – alte und langgenährte Vorurtheile sind schwer zu überwinden – ich habe alle Nachsicht mit ihnen, sonst hätte ich es nicht zugeben können und dürfen, daß mein Verwandter allein abreise als ein aus diesem Hause gewissermaßen Verjagter – doch ich hatte Hoffnung, ein Vermittler zu werden. Ich bin noch ungeneigt, Euch mit Verdruß zu verlassen – und werde erst gegen Abend abreisen, da ich den Herrn von Ravenswood wenige Meilen von hier auf der Straße treffen will. Laßt uns die Sache ruhiger besprechen.«
»Das ist's, was ich begierig wünsche,« sagte Sir William Ashton lebhaft. »Lady Ashton, wir wollen es Mylord von A– nicht erlauben, uns mit Unwillen zu verlassen. Wir müssen ihn nöthigen, zum Mittagsmahl auf dem Schlosse zu bleiben.«
»Das Schloß,« sagte die Lady »und Alles, was darin ist, steht dem Marquis zu Befehl, so lange es ihm gefällt, es mit seiner Gegenwart zu beehren, doch was das fernere Besprechen dieses unangenehmen Gegenstandes betrifft –«
»Verzeiht mir, werthe Dame,« sagte der Marquis; »aber ich kann es nicht billigen, daß Ihr in einer so wichtigen Sache einen vorschnellen Entschluß fasset. Ich sehe, daß noch mehr Gesellschaft kommt, und da ich das Glück habe, mit Lady Ashton meine frühere Bekanntschaft zu erneuern, so hoffe ich, daß sie es mir erlauben wird, gewisse unangenehme Dinge, die ich so hoch schätze, nicht zu berühren, bis wir erst über angenehmere gesprochen haben.«
Die Lady lächelte, verbeugte sich, und gab ihre Hand dem Marquis, von dem sie mit aller Artigkeit der damaligen Zeit, wornach es den Gästen nicht erlaubt war, die Dame des Hauses unter dem Arme zu fassen, wie ein Bauer seinen Schatz auf der Kirchweih, in den Speisesaal geführt wurde.
Hier gesellten sich Bucklaw und Craigengelt zu ihnen und andere Nachbarn, die der Lord Keeper für den Besuch des Marquis von A– eingeladen hatte. Die Abwesenheit der Miß Ashton, deren Platz unbesetzt blieb, wurde durch eine kleine Unpäßlichkeit entschuldigt. Die Bewirthung war bis zur Verschwendung glänzend, und die Gesellschaft blieb bis zu einer späten Stunde beisammen.