Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

Vor Durst vergehend horchten sie
Gespannt auf seine Worte;
Sie schrieen Dank vor Freude drein.
Und hielten all den Odem ein,
Als tränken sie am Orte!

Coleridge, Rime of the Ancient Mariner.

 

Hayston von Bucklaw gehörte zu jener leichtsinnigen Classe, die um eines Freundes willen keinem Spaße entsagt. Als man erfahren hatte, daß die Hauptpersonen der Jagd den Weg nach Wolf's Crag eingeschlagen hätten, so schlugen die Jäger höflichkeitshalber vor, das Wildpret dorthin zu bringen, was gern von Bucklaw angenommen wurde, da er mehr an die Verwirrung dachte, die ihre Ankunft in hellen Haufen dem armen Caleb Balderstone verursachen würde, als an die Verlegenheit, in die er seinen Freund Ravenswood setzen könnte, da derselbe so schlecht vorbereitet war, eine so große Gesellschaft zu empfangen. Aber er hatte in dem alten Caleb einen gewandten und rüstigen Gegner, der in allen Verlegenheiten mit Ausflüchten und Entschuldigungen, wie sie nach seiner Meinung dem Ansehen der Familie gebührten, thätig bei der Hand war.

»Lob sei gesungen!« sagte Caleb zu sich, »ein Flügel des Hofthores ist gestern vom Winde zugeschlagen worden, und ich hoffe, daß ich den anderen zuschlagen kann.«

Indeß wünschte er, wie ein kluger Befehlshaber, zu gleicher Zeit sich, wo möglich, von dem inneren Feinde zu befreien (wofür er einen Jeden hielt, der aß und trank), ehe er Maßregeln nahm, die Andern auszuschließen, die unter Jubelgeschrei nun nahe herbeigekommen waren. Er paßte darum mit Ungeduld auf den Augenblick, wo Ravenswood seine beiden Gäste in die Burg führte, und begann alsbald, seine Unternehmungen auszuführen.

»Ich denke,« sagte er zu den fremden Dienern, »daß, da sie den Hirschkopf mit allen Ehren hierher bringen, wir als Insassen sie vor dem Thore empfangen sollten.«

Die arglosen Stallknechte waren kaum hinausgeeilt, diesem hinterlistigen Winke folgend, als der ehrliche Caleb ohne Zeitverlust den anderen Thorflügel, da, wie bereits angedeutet worden ist, der eine von dem Wind geschlossen worden war, mit einer Gewalt zuwarf, daß der Schall von dem Thorgewölbe an den Zinnen wiederhallte. Als er so den Eingang gedeckt hatte, richtete er alsbald an die ausgeschlossenen Jäger eine kurze Anrede, die er von einem hervortretenden Fenster oder Schießloche hielt, durch welches in vorigen Zeiten die Wächter die sich vor dem Thore zeigenden Personen zu erkennen pflegten. Er gab ihnen in bündiger Sprache zu verstehen, daß das Schloßthor unter keiner Bedingung während der Mahlzeit geöffnet würde, daß der Herr von Ravenswood mit einigen vornehmen Gästen eben jetzt zu Tisch sei, daß es unten bei der Schenkwirthin zu Wolf's Hope köstlichen Branntwein gäbe, und er deutete diplomatisch an, daß die Zeche von seinem Herrn berichtigt werden würde, aber dies that er nur dunkel und zweideutig: denn Caleb Balderstone hütete sich, wie Ludwig XIV., die Feinheit bis zu offener Falschheit zu treiben, und begnügte sich, wenn's sein konnte, zu trügen, ohne offenbar zu lügen.

Diese Erklärung wurde von den Einen mit Befremden aufgenommen, von den Anderen mit Lachen und von den ausgeschlossenen Bedienten mit Besorgniß; diese letzteren bestrebten sich, ihr Recht auf Wiederzulassung als unbestreitbar darzustellen, da sie ihren Herrn und ihre Herrin zu bedienen hätten. Doch Caleb war nicht in der Laune, Ausnahmen zu machen. Er blieb bei seinem ersten Entschluß mit der eigensinnigen und kaltblütigen Halsstarrigkeit, die gegen jede Ueberredung gewaffnet, und gegen alle Gründe taub ist. Bucklaw kam nun vom Nachtrab heran, und begehrte in einem sehr unwilligen Tone Einlaß. Doch Caleb blieb unerschütterlich.

»Wenn der König auf seinem Throne an dem Thore hielte,« erklärte er, »so sollten die zehn Finger desselben es nicht öffnen gegen den in der Familie von Ravenswood herrschenden Brauch und gegen die Dienstpflicht des Hausmeisters.«

Bucklaw gerieth nun in den äußersten Zorn, und erklärte sich unter mehr Flüchen und Schwüren, als wir zu wiederholen gedenken, für gröblich beleidigt, und verlangte mit Nachdruck, den Herrn von Ravenswood zu sprechen. Aber auch dieses hörte Caleb mit taubem Ohre an.

»Der Bucklaw ereifert sich gar zu schnell,« sagte er, »doch der Teufel hole mich, wenn er meinen Herrn zu sehen bekommt, ehe er ausgeschlafen hat. Morgen frühe wird er sich selbst besser kennen. Es ist ein Streich von ihm, einen Schwarm betrunkener Jäger hierher zu bringen, da er weiß, daß hier nichts vorhanden ist, womit man den eigenen Durst stillen kann.« Er verschwand so von dem Fenster, und überließ es ihnen, ihren Ausschluß auf's Beste zu verdauen.

Aber eine andere Person, deren Gegenwart Caleb in der Hitze des Streites nicht bemerkt hatte, war von Allem Zeuge gewesen. Es war dies der oberste Diener des Fremden, ein Mann von Zutrauen und Einfluß, der nämliche, welcher Bucklaw bei der Jagd sein Pferd abgetreten hatte. Er war im Stalle, als Caleb auf den Ausschluß der Diener sann, und er entging durch diesen Umstand dem nämlichen Schicksale, vor welchem ihn seine persönliche Wichtigkeit nicht würde behütet haben.

Dieser Mann beobachtete die Handlungsweise Calebs, sah den Beweggrund derselben leicht ein, und da er die Gesinnung seines Herrn gegen die Familie Ravenswood kannte, so war es ihm nicht schwer, den Weg zu finden, den er in seinem Betragen zu nehmen habe. Unbemerkt von Caleb nahm er den Platz ein, den derselbe so eben verlassen hatte, und verkündete dem Dienerhaufen – »es sei der Wille seines Herrn, daß Lord Bittlebrains' und sein eigenes Gefolge nach der benachbarten Schenke gehen, und dort alle Erfrischungen, die zu haben wären, fordern sollten, und daß er die Berichtigung der Zeche übernehmen würde.«

Der muntere Jägerhaufen verließ das ungastliche Thor von Wolf's Crag. Während sie den steilen Dammweg hinabstiegen, verfluchten sie den schnöden und filzigen Schloßherrn, und verdammten mit mehr als weidmännischer Freiheit das Schloß und seine Bewohner. Bucklaw war bei manchen Eigenschaften, die unter günstigeren Umständen einen Mann von Verdienst und Urtheil aus ihm würden gemacht haben, in seiner Erziehung so sehr vernachlässigt worden, daß er unfähig war, anders zu denken und zu fühlen als seine Lustgesellen. Das Lob, das erst kürzlich über Ravenswood ausgeschüttet worden war, stellte er mit dem allgemeinen Tadel zusammen, der sich nun gegen denselben erhob – er rief sich die trüben, einförmigen Tage zurück, die er in Wolf's Crag verlebt hatte, und verglich sie mit seiner gegenwärtigen Lustigkeit – mit großer Entrüstung betrachtete er seinen Ausschluß aus dem Schloß, den er als eine grobe Beleidigung aufnahm, und all' diese Gefühle zusammen verleiteten ihn, mit dem Herrn von Ravenswood zu brechen.

Bei seiner Ankunft an der Dorfschenke zu Wolf's Hope traf er unerwartet einen alten Bekannten, der gerade vom Pferde stieg. Dies war kein anderer, als der sehr achtbare Kapitän Craigengelt, der alsbald auf ihn zukam, und ohne an die Lauigkeit ihrer letzten Trennung zu gedenken, ihm auf's Wärmste die Hand schüttelte. Es war Bucklaw unmöglich, irgend einen warmen Händedruck unerwidert zu lassen, und Craigengelt fühlte kaum die Berührung seiner Finger, als er auch wußte, wie er mit ihm stand.

»Langes Leben, Bucklaw!« rief er aus, »es ist noch Leben für ehrliche Leute in dieser schlechten Welt!«

Die Jakobiten dieser Zeit, ich weiß nicht aus welchem Grunde, gebrauchten den Ausdruck ehrliche Leute als besonders geeignet ihre Partei zu bezeichnen.

»Ja, und für Andere nebenbei, scheint es,« antwortete Bucklaw, »wie würdet Ihr Euch sonst hierher gewagt haben, edler Kapitän?«

»Wer – ich? – ich bin frei wie der Wind um Martini, der weder Steuer noch Abgaben zahlt; Alles ist ausgeglichen – Alles berichtigt mit jenen ehrlichen, alten Faselhänsen von Auld Reekie – Oho! sie wagten es nicht, mich eine Woche in Gewahrsam zu halten. Eine gewisse Person hat bessere Freunde unter ihnen, als Ihr denkt, und kann einen Freund beschützen, wenn es am wenigsten wahrscheinlich ist.«

»Still!« antwortete Bucklaw, der den Charakter seines Mannes wohl kannte, und darum völlig verachtete, »nichts von Eurem lügenhaften Kauderwälsch – sagt mir offen, seid Ihr in Freiheit und Sicherheit?«

»In Freiheit und Sicherheit wie ein Whig-Amtmann auf der Landstraße seines eigenen Bezirks, oder ein polternder, presbyterianischer Geistlicher auf seiner eigenen Kanzel – und ich komme, Euch zu sagen, daß Ihr Euch nicht länger zu verstecken braucht.«

»Ich darf darum annehmen, daß Ihr Euch meinen Freund nennt, Kapitän Craigengelt?« sagte Bucklaw.

»Freund!« versetzte Craigengelt, »mein Streithahn? sieh, ich bin dein wahrer Achates, Mann, wie die Studenten sagen – Hand und Handschuh – Rinde und Baum – dein auf Leben und Tod!«

»Das will ich gleich sehen,« antwortete Bucklaw. »Du bist nie ohne Geld, wenigstens hast du jetzt welches. Leihe mir zwei Goldstücke, um den Leuten da den Staub aus der Kehle zu spülen, und dann –«

»Zwei Goldstücke? zwanzig stehen dir zu Dienste, Kerlchen – und noch einmal zwanzig obendrauf.«

»Wie – was soll das heißen?« sagte Bucklaw, und hielt inne; denn seinem natürlichen Verstand mußte der Beweggrund zu einer so übertriebenen Freigebigkeit verdächtig erscheinen. »Craigengelt, Ihr seid entweder der ehrlichste Kerl in allem Ernst, und ich weiß kaum, wie das zu glauben ist – oder Ihr seid pfiffiger als ich dachte, und ich weiß wieder nicht, wie ich das annehmen kann.«

» L'un n'empêche pas l'autre,« sagte Craigengelt, »nehmt und schaut – das Gold ist gut, als wär's gewogen.«

Er schüttelte eine Anzahl Goldstücke in Bucklaws Hand, und dieser steckte sie zu sich, ohne sie zu zählen und zu betrachten, und bemerkte nur, »daß er in einer Lage sei, worin er sich müsse anwerben lassen, auch wenn der Teufel das Handgeld biete;« und dann zu den Jägern gekehrt, rief er aus; »Kommt heran, ihr Burschen – Alles geht auf meine Kosten!«

»Lang lebe Bucklaw!« schrieen die Jagdgesellen.

»Und Schande über den, der an der Jagd Theil nimmt, und die Jäger so trocken läßt wie ein Trommelfell,« fügte ein Anderer zur Ergänzung hinzu.

»Das Haus von Ravenswood war sonst ein gutes und achtbares Haus im Lande,« sagte ein Alter, »aber sein Ansehen ist heut zu Tage hin, und der jetzige Herr hat sich nicht anders, als wie ein großer Lump gezeigt.«

Und mit diesem Beschluß, den alle Anwesenden einstimmig annahmen, stürmten sie in das Wirthshaus, wo sie bis in die Nacht zechten. Das fröhliche Gemüth Bucklaws erlaubte ihm selten, in der Wahl seiner Genossen bedenklich zu sein, und bei der gegenwärtigen Gelegenheit, wo ihm der frohe Genuß durch die vorhergegangene ungewöhnliche Mäßigkeit und Enthaltsamkeit gewürzt wurde, fühlte er sich so glücklich in der Leitung des Schmauses, als wäre er in der Gesellschaft von Prinzen. Craigengelt hatte seine eigenen Absichten, seinem Hange zu schmeicheln, und da er einige Laune, viel Unverschämtheit und die Gabe, ein Lied zu singen, besaß, auch nebenbei den Charakter seines wiedergewonnenen Gesellen vollkommen kannte, so gelang es ihm leicht, denselben bis über die Ohren in das rauschende Gelage zu versenken.

Die Scene, die unterdessen im Thurme von Wolf's Crag statt hatte, war von ganz anderer Art. Als der Herr von Ravenswood, der zu sehr mit seinen eigenen verworrenen Betrachtungen beschäftigt war, als daß er auf die Unternehmungen Calebs geachtet hätte, den Hofraum verlassen hatte, führte er seine Gäste in die große Halle des Schlosses.

Der unermüdliche Balderstone, der aus Neigung oder Gewohnheit vom Morgen bis in die Nacht arbeitete, hatte dieß düstere Gemach nach und nach von den Ueberbleibseln des Leichenschmauses geräumt und einigermaßen in Ordnung gebracht. Aber all' seine Kunst und Mühe vermochte es nicht, die wenigen noch vorhandenen Möbel vortheilhaft zu ordnen, und diesen alten, kahlen Wänden ihren trüben und traurigen Anschein zu benehmen. Die engen, zu den Seiten mit tiefen Nischen umgebenen Fenster schienen das heitere Tageslicht eher auszuschließen, als einzulassen, und die schwere, dunkle Gewitterwolke vergrößerte noch die Finsterniß.

Als Ravenswood mit dem Anstande eines Ritters jener Zeit, jedoch nicht ohne eine gewisse Steifheit und Verlegenheit die junge Dame an der Hand nach dem oberen Ende des Gemaches führte, blieb der Vater derselben näher an der Thüre stehen, gleich als wollte er sich seines Hutes und seines Mantels entledigen. In diesem Augenblicke hörte man den Schall des Thores; bei diesem Ton fuhr der Fremde auf, schritt eilig nach dem Fenster, und blickte mit einem Ausdruck von Unruhe auf Ravenswood, als er das Thor verschlossen und seine Diener ausgesperrt sah.

»Ihr habt nichts zu fürchten, Sir,« sagte Ravenswood ernst, »dieß Dach vermag es noch, Schutz zu verleihen, wenn auch keinen Willkomm. Indeß,« fügte er hinzu, »es ist Zeit, daß ich erfahre, wer die sind, die meine zerfallene Wohnung so hoch beehren.«

Die junge Lady blieb still und ruhig, und der Vater, an den die Frage zunächst gerichtet war, schien in der Lage eines Schauspielers, der sich in einer Rolle versucht, für die er sich nicht geschickt fühlt, und der stecken bleibt, gerade wenn man am meisten erwartet, daß er reden sollte. Indem er seine Verlegenheit durch äußere Zeichen des Anstandes zu verbergen suchte, und seine Verbeugung machte, schien es, als ob er mit dem einen Fuß vorwärtsgehen, und mit dem anderen davonlaufen wolle, – und als er den Kragen seines Mantels aufknöpfte, und seinen Castorhut abnahm, versagten ihm die Finger, gleich als wäre jener mit verrostetem Eisen zugeknöpft, und als hätte dieser schwer wie Blei gewogen. Die Dunkelheit der Wolke nahm zu, und schien die Vermummung, die er so zögernd bei Seite legte, überflüssig zu machen. Die Ungeduld von Ravenswood wuchs im Verhältniß zu der Zögerung des Fremden, und er schien heftig mit sich zu kämpfen, obwohl wahrscheinlich aus einem anderen Grunde. Er bemühte sich, seine Worte zurückzuhalten, während der Fremde allem Anschein nach Worte suchte, um das auszudrücken, was er nothwendig zu sagen hatte. Die Ungeduld Ravenswoods zerriß endlich die Bande, womit er sich selbst gefesselt hatte.

»Ich sehe,« sprach er, »daß Sir William Ashton abgeneigt ist, sich in dem Schlosse Wolf's Crag anzukündigen.«

»Ich hoffte, es wäre unnöthig,« sagte der Lord Keeper, von seinem Schweigen befreit, wie ein Gespenst bei der Stimme seines Beschwörers, »und ich bin Euch dafür verbunden, Herr von Ravenswood, daß Ihr das Eis auf einmal gebrochen habt, da Umstände, laßt mich sagen – unglückliche Umstände, eine Selbsteinführung besonders mißlich gemacht haben.«

»Und ich darf also nicht,« sagte der Herr von Ravenswood ernst, »die Ehre dieses Besuchs für einen bloßen Zufall halten?«

»Unterscheiden wir ein wenig,« sagte der Lord, eine Zutraulichkeit zeigend, von der vielleicht sein Herz nichts wußte, »ich habe diese Ehre schon einige Zeit begierig ersehnt, doch ich würde sie nimmer erhalten haben, ohne den zufälligen Sturm. Meine Tochter und ich sind gleich erfreut über die Gelegenheit, dem braven Manne danken zu können, der ihr und mir das Leben gerettet hat.«

Der Haß, der in den Lehenszeiten die großen Familien trennte, hatte wenig von seiner Bitterkeit verloren, obwohl er nicht mehr in offene Gewaltthaten ausbrach. Weder die Gefühle, die Ravenswood begonnen hatte, gegen Lucie Ashton zu nähren, noch die Gastlichkeit, die er seinen Gästen schuldig war, konnten, so warm sie auch stritten, jene tiefe Leidenschaft gänzlich unterdrücken, als er den Feind seines Vaters in der Halle der Familie stehen sah, deren Sturz derselbe so sehr beschleunigt hatte. Sein Blick fiel vom Vater auf die Tochter mit einer Unschlüssigkeit, deren Verlauf abzuwarten, Sir William Ashton nicht für gut fand. Dieser letztere hatte bereits sein Reitkleid abgelegt, und nachdem er sich seiner Tochter genähert hatte, löste er das Band ihrer Maske.

»Liebe Lucie,« sagte er, indem er sie auf Ravenswood zuführte, »lege die Maske weg, und geben wir dem Herrn frei und unverhüllt unsern Dank zu erkennen.«

»Wenn er so gut sein will, ihn anzunehmen,« war Alles, was Lucie hervorbrachte; aber ihre Stimme tönte so sanft, und drückte das Gefühl über die kalte Aufnahme und die Verzeihung derselben so wohl aus, daß die Worte des so unschuldigen und so schönen Geschöpfes sein strenges Herz durchschnitten. Er murmelte etwas von Ueberraschung und Verlegenheit, und indem er mit Wärme und Lebendigkeit die Freude ausdrückte, ihr in seinem Hause ein Obdach anbieten zu können, grüßte er sie nach den damals üblichen Regeln des Anstandes. Ihre Wangen hatten sich berührt, und sich wieder von einander entfernt – Ravenswood hielt noch immer ihre Hand mit freundlicher Höflichkeit fest – eine Röthe, die bei weitem mehr Wichtigkeit auf diese Höflichkeitsbezeigung legte, als es gewöhnlich der Fall war, bedeckte die schönen Wangen von Lucie Ashton, als auf einmal die Halle in einem Blitzstrahl erglänzte, der ihre Dunkelheit völlig zu verschlingen schien. Für einen Augenblick mochte man jeden Gegenstand deutlich unterscheiden. Die zarte, hinsinkende Gestalt von Lucie Ashton, das wohlgebaute und stattliche Aeußere von Ravenswood, seine ernsten Züge und der feurige, doch unsichere Blick seines Auges, die alten Waffen und Wappenbilder, die an den Wänden des Gemaches hingen, waren für einen Augenblick dem Lord Keeper in einem rothen, glänzenden Schimmerlicht deutlich erkennbar. Das Verschwinden des Lichts war von einem Donnerschlag begleitet, denn die Wetterwolke war in der Nähe des Schlosses, und die Erschütterung war so plötzlich und so furchtbar, daß der alte Thurm bis in seine Tiefe bebte, und Jeder, der sich darin befand, seinen Einsturz befürchtete. Der Ruß, der seit Jahrhunderten ungestört geblieben war, fiel durch die weiten Schornsteine herab, Kalk und Staub flog in Wolken von der Wand, und, sei es, daß der Blitz wirklich das Schloß getroffen, oder sei es die gewaltige Erschütterung der Luft, mehrere schwere Steine stürzten von den verwitterten Zinnen in die brausende See hinab. Es konnte scheinen, als wenn der alte Gründer des Thurmes auf der Wetterwolke stehe, und sein Mißfallen äußere, daß sich sein Nachkömmling mit dem Feinde des Hauses versöhne.

Die Bestürzung war allgemein, und der Lord Keeper und Ravenswood mußten ihre Anstrengungen vereinigen, Lucie vor einer Ohnmacht zu bewahren. So befand sich Ravenswood zum zweiten Male in dem bedenklichen Fall, mit Hülfe und Beistand einem reizenden, hülflosen Geschöpfe beizuspringen, welches, da er dasselbe schon einmal in einem ähnlichen Zustande gesehen hatte, bereits der Lieblingsgegenstand seiner Träume im Wachen und im Schlafe geworden war. Wenn der Schutzgeist des Hauses wirklich eine Vereinigung zwischen Ravenswood und einem weiblichen Gaste verdammte, so war das Mittel, wodurch er seine Meinung ausdrückte, so unglücklich gewählt, wie es nur ein bloßer Sterblicher hätte wählen können. Die verschiedenen kleinen Dienstleistungen, die durchaus nöthig waren, die Aufregung der jungen Dame zu besänftigen, und ihre Kräfte zu erwecken, brachten den Herrn von Ravenswood in so nahen Verkehr mit ihrem Vater, daß dadurch für den Augenblick die Scheidewand zusammenfiel, welche der Familienhaß zwischen ihnen errichtet hatte. Sich mit Härte oder nur mit Kälte gegen einen Greis auszudrücken, dessen Tochter (und solch' eine Tochter) vor ihnen lag, überwältigt von natürlichem Schrecken, und das Alles unter seinem eigenen Dache – das Ding war unmöglich! und als endlich Lucie, nach Beiden ihre Hände ausstreckend, fähig war, ihnen für ihre Güte zu danken, fühlte Ravenswood, daß sein Haß gegen den Lord Keeper nicht das vorherrschende Gefühl in seinem Busen sei.

Das Wetter, der Zustand ihrer Gesundheit, die Abwesenheit ihrer Dienerschaft verhinderten Lucie Ashton, die Rückreise nach Bittlebrains-House anzutreten, das volle fünf Meilen entfernt war; und der Herr von Ravenswood konnte höflichkeitshalber nichts Anderes thun, als er mußte sein Dach für den Rest des Tages und die Nacht anbieten. Aber ein Erröthen von weniger Zartheit, ein Blick, der seinem Gesichte eigener war, wurden bemerklich, als er erwähnte, wie schlecht er zur Verpflegung seiner Gäste versehen sei.

»Sprecht nicht von Mängeln,« sagte der Lord Keeper, begierig, ihn zu unterbrechen, und ihn nicht auf ein bedenkliches Kapitel kommen zu lassen, »Ihr habt vor, nach dem festen Lande zu reisen, und Euer Haus ist darum wahrscheinlich für jetzt nicht versehen. All das verstehen wir wohl, doch wenn Ihr von Unbequemlichkeit sprecht, so werdet Ihr uns zwingen, in dem Dörfchen Bequemlichkeit zu suchen.«

Als der Herr von Ravenswood antworten wollte, that sich die Thür der Halle auf, und Caleb Balderstone stürzte herein.

 


 << zurück weiter >>