Arthur Schnitzler
Therese
Arthur Schnitzler

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33

Die Ischler Villa lag vornehm in einem großen Garten. Vom Balkon aus sah man das Kur- und Badepublikum auf der Esplanade hin und her wandeln. Die Stimmung im Hause Eppich, dessen männliche Mitglieder noch in der Stadt verblieben waren, schien wie befreit, die beiden Mädchen fröhlich, wie Therese sie noch niemals gesehen, und die Mutter freundlicher, liebenswürdiger zu ihr, als sie es in der Stadt zu sein pflegte. An Besuchen fehlte es nicht. Ein eleganter junger Mann mit einer kleinen Glatze, der in der Stadt manchmal, auch mit anderen Gästen, bei Eppichs zu Mittag gespeist hatte, erschien beinahe täglich, und in der Dämmerung saß er mit der Frau des Hauses rückwärts im Garten. Therese unternahm mit den beiden Mädchen längere Spaziergänge, jüngere und ältere Freundinnen mit ihren Erzieherinnen, ziemlich erwachsene Knaben, auch junge Herren schlossen sich an, zuweilen fuhr man an einen nahen See zu kleinen Ruderpartien, und daheim gab es harmlose Gesellschaftsspiele, an denen auch Therese sich beteiligte; das ältere Mädchen, Bertha, schloß sich Theresen mit einer unerwarteten Innigkeit an, machte sie zur Vertrauten unschuldiger Herzensgeheimnisse, zuweilen gingen sie, abgesondert von den andern, Arm in Arm. Die Anmut der Landschaft, die sommerliche Luft, der Aufenthalt im Freien, die Abwechslung, all das tat Therese sehr wohl; und da jeden zweiten Tag kurze Briefchen von Kasimir eintrafen, so war ihr Gemüt von Unruhe ziemlich frei. Plötzlich aber blieben seine Briefe aus. Therese geriet in heftige Erregung, ihr Zustand, an 104 dessen Tatsächlichkeit sie immer wieder zu zweifeln begonnen und den sie manchmal wieder fast als beglückend empfunden hatte, kam ihr in seinem ganzen ungeheueren Ernst zu Bewußtsein. Sie sandte einen Expreßbrief an Kasimir, in dem sie sich rückhaltlos über ihre Besorgnisse aussprach. Keine Antwort von ihm; dagegen ein Brief ihrer Mutter, ob Therese, die ja jetzt nur wenige Stunden von ihr entfernt sei, sie nicht gelegentlich besuchen wollte. Therese erwähnte Frau Eppich gegenüber fast absichtslos dieser Einladung, und als hätte man eine Anregung solcher Art nur erwartet, wurde ein Ausflug nach Salzburg in größerer Gesellschaft beschlossen.

Schon tags darauf reiste Therese in Begleitung der Damen Eppich, einer befreundeten Dame mit Sohn und Tochter und des eleganten jungen Mannes mit der kleinen Glatze nach Salzburg. Gleich am Bahnhof trennte sich Therese von den übrigen und eilte zu ihrer Mutter, die in ein geräumiges, lichtes Erkerzimmer in einem neuen Haus übersiedelt war. Frau Fabiani empfing ihre Tochter mit ruhiger Herzlichkeit; jenes fahrig-unheimliche Wesen der letzten Jahre war beinahe verschwunden, doch schien sie plötzlich eine ganz alte Frau geworden. Sie freute sich, zu hören, daß es ihrer Tochter gut ginge; auch sie habe sich glücklicherweise nicht zu beklagen. Sie verdiene, was sie brauche, und etwas darüber; und das Alleinsein, sie gestand es gerne, kam ihrer Arbeit in jeder Hinsicht zustatten. Sie ließ sich von Theresen über ihre jetzige Stellung und über ihre früheren allerlei berichten, und Therese war beinahe gerührt über das Interesse, das ihr die Mutter entgegenbrachte. Doch während des Mittagmahls, das 105 aus einem benachbarten Gasthof besorgt und an dem kleinen Tischchen im Erker aufgetragen wurde, fing die Unterhaltung zu stocken an, und Therese empfand mit Unbehagen, daß sie bei einer zerstreuten, alten, fremden Frau zu Gaste war.

Während die Mutter auf dem Diwan ihre Nachmittagsruhe hielt, blickte Therese durch das Erkerfenster auf die Straße hinab, die sie weit verfolgen konnte, bis zur Brücke über den Fluß, dessen Rauschen herdrang. Sie dachte an die Leute, mit denen sie hiehergefahren war und die nun im Hotel bei der Mittagstafel sitzen mochten, sie dachte an Max, an Alfred und endlich an den Fremdesten unter all diesen Fremden, an Kasimir, von dem sie ein Kind unter dem Herzen trug und der ihre letzten Briefe nicht beantwortet hatte. Aber wenn er ihr auch weniger fremd gewesen wäre, was konnte er ihr helfen? Mit seiner Liebe und ohne seine Liebe – sie war in gleicher Weise allein.

Sie entfernte sich leise, ohne die Mutter aufzuwecken, und wandelte eine Weile in den Straßen der Stadt umher, die zu dieser heißen Sommernachmittagsstunde still und verlassen waren. Zuerst war sie versucht gewesen, allerlei Stellen aufzusuchen, die mit Erinnerungen für sie verknüpft waren; aber diese Erinnerungen schienen ihr nun ohne Glanz. Und sie selbst fühlte sich so müde, so ausgelöscht, als wenn das Leben für sie zu Ende wäre. So begab sie sich bald, ohne inneren Anlaß, fast mechanisch, in das Hotel, wo ihre Reisegesellschaft abgestiegen war; diese aber hatte einen Ausflug unternommen, und Therese in der kühlen Halle durchblätterte illustrierte Zeitungen; und als ihr Blick durch die Glastüre zufällig in das Schreibzimmer fiel, kam 106 ihr der Gedanke, nochmals einen Brief an Kasimir zu richten. Sie schrieb in Worten einer heißen Zärtlichkeit, die gemeinsame Stunden der Lust in seinem Gedächtnis neu erwecken sollten, schilderte ihm verlockend die Möglichkeiten eines Zusammenseins nachts im Garten der Villa oder im Wald und erwähnte mit Absicht nichts von dem, was sie eigentlich bewegte.

Als sie den Brief geendet, verließ sie etwas erleichtert das Hotel, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich wieder in die Wohnung ihrer Mutter zu begeben. Diese saß schon bei ihrer Arbeit, Therese nahm von der Bücherstellage einen Band, der ihr eben in die Hand geriet; es war zufällig ein Kriminalroman, von dem sie bis in die Dämmerung hinein vollkommen gefangen blieb. Nun legte auch die Mutter ihre Arbeit beiseite und lud Therese zu einem kleinen Spaziergang ein; schweigsam gingen die beiden Frauen in der kühlen Abendluft den Fluß entlang und saßen endlich in einem bescheidenen, von Reisenden kaum je besuchten Wirtsgarten, wo Frau Fabiani vom Wirt als Stammgast begrüßt wurde und zu Theresens Verwunderung drei Krügel Bier trank. Zur Nacht mußte sich Therese, so gut es ging, auf dem Diwan behelfen. Sie wachte auf wie zerschlagen; obwohl sie erst mittags mit den andern an der Bahn zusammentreffen sollte, verabschiedete sie sich bald von ihrer Mutter, die in einem durch Vorhänge abgeschlossenen Alkoven zu Bette lag, und war froh, als sie die Treppe wieder unten war.

Der Morgen war hold und hell, Therese saß im Mirabellgarten im Farbenglanz und Duft von tausend Blumen. Zwei junge Mädchen, Schulkolleginnen von einst, kamen vorüber, von denen sie nicht gleich erkannt 107 wurde, aber bald wandten sie sich wieder nach ihr um, kamen auf sie zu, und ein Grüßen und Fragen ging hin und her. Therese erzählte, sie sei Gesellschafterin in einem vornehmen Wiener Hause und habe hier ihre Mutter besucht, dann erkundigte sie sich, was es in der kleinen Stadt Neues gäbe. Aber da sie sich weder nach Max, noch nach Alfred zu fragen getraute, hörte sie nur lauter Klatsch, der sie nicht im geringsten anging. Es war ihr, als sei sie den beiden Schulkameradinnen, die im gleichen Alter mit ihr waren, um Jahre voraus; sie hatte mit ihnen, mit dieser Stadt nichts mehr zu schaffen und war froh, als sie eine Stunde später auf dem Bahnhof mit ihrer Ischler Gesellschaft zusammentraf, um abzureisen.


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