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Meine ursprüngliche Absicht ist es gewesen, eine dritte Ausgabe der Übersetzung des Kāmasūtram, falls eine solche überhaupt nötig werden sollte, nur im Anschluß an eine kritische Bearbeitung des Sanskrittextes zu veröffentlichen. Die dazu unerläßlichen Vorarbeiten, in erster Linie die Beschaffung und Sichtung alles erreichbaren handschriftlichen Materials, habe ich mir in den letzten zehn Jahren angelegen sein lassen, soweit es meine anderen Arbeiten und Pflichten erlaubten. Leider ist das Resultat meiner Bemühungen bisher kein glänzendes gewesen. Was ich an Manuskripten des Textes und des Kommentares von Yaśodhara gesehen habe, ist alles von mittelmäßigem Werte; und ohne mich hier in eine eingehende Würdigung dieser Manuskripte einzulassen, will ich doch bemerken, daß sie sicher auf eine Quelle zurückgehen und, was Yaśodhara anlangt, dieselbe Lücke enthalten, die Durgāprasād's editio princeps aufweist. Ich möchte es also vorläufig nicht riskieren, an die Herstellung des Textes nach europäischen Grundsätzen zu gehen, so nützlich ein solches Unternehmen im Hinblick auf die außerordentliche Wichtigkeit des Kāmasūtram auch sein mag, die zu meiner Freude erst ganz kürzlich von einer solchen Autorität wie Pischel betont worden ist (in dem Sammelwerk »Die orientalischen Literaturen«).
Ich habe mich also genötigt gesehen, der neuen Auflage der Übersetzung nur diejenige Unterstützung zuteil werden zu lassen, die einige gute Lesarten in den Handschriften sowie ein im Laufe der Jahre geschärftes Verständnis gewähren können. Für den letzten Teil war mir von größtem Nutzen der Text des Yaśodhara, den Kedār Nāth, der Sohn Durgāprasād's, Bombay 1905 veröffentlicht hat: mudraṇāvaśiṣṭā Vātsyāyanīya-kāmasūtrasya ṭīkā Yaśodharaviracitā Jayamaṅgalā … Durgāpras ādatanayasya Kedāranāthasya kṛte Mumbayyāṃ Nirṇayasāgarayantre mudritā. 1905. So weist denn der Upaniṣad-Abschnitt gegen früher ganz erhebliche Verbesserungen auf. Aber auch in den übrigen Teilen habe ich eine Menge Änderungen und, wie ich hoffe, Verbesserungen anbringen können, so daß es sich bei der vorliegenden Ausgabe keineswegs um einen bloßen Neudruck handelt. Für den Index gilt dasselbe. Bei der Benutzung bitte ich zu beachten, daß die Zahlen sich auf die Bombayer Ausgabe beziehen und stets den Schluß der betr. Seite bezeichnen.
Benutzt habe ich folgende Handschriften:
A. Für den Text des Vātsyāyana allein:
Grantha-Ms. auf Palmblätter geschrieben, 196 Bl., angeblich = Hultzsch II, 991. Die hier aufgeführte Handschrift enthält aber nur 54 Blätter und ist für unsereinen unzugänglich.
Nāgarī-Ms. des Indian Institute, Oxford, No. 150.
Nāgarī-Ms. von 60 S. 2°, = L 183.
Weber 2237.
Eine in meinem Besitz befindliche, von Venis besorgte Abschrift von NP VIII, 66.
Abschrift von Stein 64, ebenfalls in meinem Besitz.
Abschrift des Ms. der Madras Government Library (mit beigefügtem Kommentar des Bhāskaranṛsiṃha); in meinem Besitz.
Ms. IO 396.
Mss. Seshagiri Sastri, Report I, No. 57 und II, No. 305; Varianten hieraus von dem indischen Kopisten eingetragen in die in meinem Besitz befindliche Abschrift A 7.
B. Für den Text, zusammen mit dem Kommentare des Yaśodhara:
Ms. Notices, vol. XI, p. 25 (des Alphabetical Index of Mss. purchased up to 1891), No. 313. 22 Bl.
Ms. Peterson II, 109 So die genaue Nummer; nicht 108, wie Peterson in seiner Beschreibung (p. 67) angibt. Aufrecht hat 190.. 22 Bl.
Ms. Peterson IV, 25 (No. 665). 126 Bl.
Ms. Weber 2238.
Ms. Stein 64. Abschrift in meinem Besitz.
C. Für den Text des Yaśodhara allein:
Abschrift eines Ms. unbekannter Herkunft (Benares?) in meinem Besitz; an A 5.
D. Vātsyāyana's Text mit dem Kommentare des Bhāskaranṛsiṃha:
Ms. Bhandarkar, Report … Bombay Presidency, Bombay 1897, No. 985. Dazu A 7.
Außer dem, was ich aus diesem Material für die vorliegende Neuausgabe entnommen habe, sind natürlich auch diejenigen Änderungen berücksichtigt worden, die in meinen »Beiträgen zur indischen Erotik« Platz gefunden haben. Dort ist auch die Stellung, die das Kāmasūtram in der indischen Literatur einnimmt, sowie auch seine Bedeutung hinlänglich gekennzeichnet, so daß ich hier darauf verweisen darf.
Daß der ersten Auflage meiner Übersetzung überdies die ehrenvolle Auszeichnung zuteil wurde, mit Unterstützung der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gedruckt zu werden, dürfte nicht zuletzt für die Bedeutung des Kāmasūtram sprechen.
Zur vorliegenden 5. Auflage habe ich nichts weiter zu bemerken, als daß ich den Text gründlich durchgesehen und stilistisch manches geändert habe, was hoffentlich zugleich eine Verbesserung bedeutet. Neues Material habe ich inzwischen nicht mehr ausfindig machen können; an eine kritische Ausgabe des Originaltextes ist also immer noch nicht zu denken. Ich verweise aber auf die Arbeiten von H. Jacobi (SBA 1911, p. 962 und 1912, p. 840) und J. Jolly (Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Bd. 68, 1914), die auf die merkwürdigen Parallelen zwischen dem Kāmasūtram und dem Kauṭilīya Arthaśāstram aufmerksam gemacht haben.
Richard Schmidt.