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Ein Karl
Karl I. und Heinrich VIII. sind gemeint (vgl. Scherr, Cromwell, I, 312). dem Volk, ein Heinrich seinem Weib,
Eint zwei Tyrannen er in seinem Leib.
Byron, Windsor-Reime.
» C'est singulier, Monseigneur, il n'y a que vous d'étranger ici.«
Das wurde eines Tages, so um 1785 herum, an der herzoglichen Tafel zu Braunschweig gesagt. Der es sagte, war ein luftiger Franzose, irgendeiner jener Abenteurer, die zu jener Zeit die Laster von Paris an den deutschen Höfen theoretisch und praktisch lehrten, und an welche die deutschen Fürsten einen nicht geringen Teil ihrer Einkünfte verschwendeten. »Wunderlich! Sie, gnädiger Herr, sind der einzige Fremde unter uns.« Der sich das sagen ließ, war der Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, eine der trübseligsten Figuren deutscher Unglücksgeschichte. In der Tat, er war in seinem eigenen Schlosse, an seiner eigenen Tafel der einzige »Fremde«, d. h. der einzige Nichtfranzose, und wahrhaftig, nur ein so ganz in der Franzoserei Ertrunkener wie der Herzog Karl konnte sich von seiten eines französischen Schmarotzers eine so namenlose Frechheit bieten lassen. Die ganze Erniedrigung der deutschen Aristokratie im Dienste der französischen Mode ist in der angeführten Phrase ausgeprägt.
Der Herzog Karl von Braunschweig erscheint überall als ein vollkommener Adept der französischen Bildung, wie sie zur Zeit Ludwigs XV. oder vielmehr zur Zeit der Pompadour und Dubarry durch den Marschall Richelieu vertreten wurde. Karl war nicht ohne Gaben und auch nicht ohne jenen liberalen Tick, der ja in der Epoche des »erleuchteten« Despotismus keinem über das gemeine Krautjunkertum sich erhebenden Dynasten fehlen durfte. Eben im Sinne dieses erleuchteten Despotismus hat er manches, die materielle und geistige Kultur seines Ländchens Fördernde gewollt und gewirkt. Zugleich aber war der herzogliche Aufklärer nach dem Landgrafen von Hessen in Deutschland der zweitgrößte Händler mit Menschenfleisch. In den Jahren 1778 bis 1794 verkaufte er an Holland 3500 und noch 1795 an England 1900 Braunschweiger Seelen
Am schwunghaftesten wurde, wie jedermann weiß, der Seelenverkauf durch deutsche Fürsten während des amerikanisch-englischen Krieges betrieben. Der alte Schlözer hat, auf amtliche Zahlenangaben gestützt, im sechsten Band seiner »Staatsanzeigen« die Rechnung gestellt, welche Summen zur angegebenen Zeit für an die Engländer verschacherte Landeskinder in die Beutel deutscher Fürsten fielen. Nämlich an:
Hessen-Kassel … 2 600 000 Pfd. Sterl.
Braunschweig … 780 000 Pfd. Sterl.
Hannover … 448 000 Pfd. Sterl.
Hanau … 335 150 Pfd. Sterl.
Ansbach … 305 400 Pfd. Sterl.
Waldeck … 122 670 Pfd. Sterl.
Verschiedene … 535 400 Pfd. Sterl.
Gesamt … 5 126 620 Pfd. Sterl. oder 34 177 486 Taler.
Kuriositätshalber will ich anmerken, daß dieser über alle Maßen greuliche und schmachvolle Menschenhandel in dem charakterlosen Johannes von Müller einen Beschöniger gefunden hat. Als dieser 1781 Professor in Kassel geworden war, apostrophierte er in seiner Antrittsrede die Zuhörer also: »Wenn ihr gierig forschet, wie die Hessen … jenseits des Weltmeeres bald
glorreich gefallen, bald
ruhmvoll gesiegt – dann stammst du von den alten Katten; deine Adelsprobe ist, daß du ihnen gleichsiehst.« Mit vollem Rechte rief der Verfasser der 1797 als eine der Entgegnungen auf die Goethe-Schillerschen Xenien erschienenen »Dornenstücke« empört aus:
»Wer kann es sehn und hören, wie noch stets
Der Dienst- und Menschenhandel bei uns gilt
Und selbst ein Schweizer diese Schandtat frech
Mit Rednerfloskeln zu bedecken sucht?«. Aus dem Siebenjährigen Kriege hatte er in die Revolutionszeit einen Feldherrnruf mit herübergebracht, der weit über seine wirkliche Befähigung ging und zum größten Teil in der persönlichen Vorliebe wurzelte, die sein Oheim, der große Fritz, für ihn hegte. Wie wenig er zur Lösung einer großen militärischen Aufgabe berufen war, zeigte sich sofort, als er 1792 den Oberbefehl über das in die Champagne einrückende preußisch-österreichische Heer übernommen hatte. Er sah diesen Feldzug bekanntlich für einen bloßen »militärischen Spaziergang« an, glaubte überhaupt die Französische Revolution mit den kleinen »Finessen« des preußischen Gamaschenknopf- und altfritzigen Zopftums besiegen zu können
und gelangte denn auch zu den bekannten schmählichen Resultaten, wie sie seiner Plan- und Energielosigkeit vollkommen entsprachen. Trotz dieser herben Erfahrung ließ man dem in seinen altfritzigen Einbildungen versteinerten Herzog auch 1806 die preußische Oberbefehlshaberschaft gegen Napoleon. Als dieser heranzog, war der alte Mann bekanntlich so ratlos, daß die Schlacht von Auerstedt und Jena verloren gewesen ist, bevor sie recht begonnen hatte. Eine der ersten von französischer Seite von Auerstedt abgefeuerten Flintenkugeln schlug dem Herzog beide Augen aus dem Kopfe, und nach einer jammervollen Flucht über den Harz und zuletzt auf dänisches Gebiet starb der Gemarterte am 10. November 1806 zu Ottensee im Wahnsinn, im Elend
Daß der Herzog am 14. Oktober gleich zu Anfang der Schlacht, inmitten seines Generalstabs und ohne sich irgendwie in feindlichem Gedränge zu befinden, von einem feindlichen Schützen so schrecklich verwundet wurde, erschien so ungewöhnlich und seltsam, daß man nicht ohne Grund die Vermutung aufgestellt hat, der Lieblingsadjudant des Herzogs, ein Franzose namens Montjoy, der einen Bruder im Gefolge Napoleons hatte, habe verräterischerweie den rätselhaften Schuß veranlaßt..
Überwiegend sinnlicher Natur, hatte der Fürst von frühauf bis zuletzt dem französischen Evangelium der Frivolität und Genußsucht nachgelebt. Kein Wunder daher, daß der zügellose Sultanismus, der im 18. Jahrhundert die deutschen Fürstinnen zu Märtyrerinnen machte, auch am Hofe von Braunschweig guter Ton war. Herzog Karl hatte sich als Erbprinz im Jahre 1764 mit Auguste, der Schwester König Georgs III. von England, vermählt. Die Prinzessin war nicht sehr hübsch, dabei beschränkter als billig und ungebildet bis zum Exzeß; aber sie brachte ihrem Gemahl einen Brautschatz von 80 000 Pfund und ein englisch-hannoversches Jahrgeld von 8000 Pfund zu. Sie gebar ihm vier Söhne und zwei Töchter: ein unglückliches Geschlecht! Der älteste Sohn ging dem Vater im Tode voran, zwei nachfolgende waren blödsinnig und nur der jüngste, Friedrich Wilhelm, mehrte den alten Ruf des welfischen Hauses mittels seiner glorreichen im Jahre 1809 von Sachsen bis zur Nordsee mitten durch französische Übermacht hindurch vollbrachten Heldenfahrt und mittels seines noch glorreicheren Heldentodes bei Quatrebas am 16. Juni 1815. Die beiden Töchter hießen Auguste und Karoline. Die Geschicke der letzteren werden wir erzählen; von Auguste sagen wir nur, daß sie, als Sechzehnjährige an den nachmaligen ersten König von Württemberg verheiratet, ihrem Gatten drei Kinder gebar und im Jahre 1788 auf dem Schlosse Lohda bei Reval ein unheimlich-jammervolles Ende nahm, dessen Einzelheiten noch nicht historisch festgestellt sind. Die Sage raunt, die Prinzessin habe denselben Ausgang gehabt wie die arme Emmy Robsart in Scotts »Kenilworth«.
Prinzessin Karoline Amalie Elisabeth wurde geboren am 17. Mai 1768. Ihre Erziehung war so, wie sie bei der Geistesrichtung des Vaters und der Unbildung der Mutter, die das Gespött ihrer Kinder gewesen ist, sein konnte. Herzog Karl glaubte seiner väterlichen Pflicht Genüge getan zu haben, wenn er seine Tochter Karoline, wie ihre Geschwister, frömmelnden Pedanten von Erziehern zuwies. Im übrigen kümmerte er sich nicht um sie. Karoline war lebhaften Geistes und hatte nicht das kalte Blut der Mutter, sondern das heiße des Vaters geerbt. Schon in dem kleinen Mädchen empörte sich das leichtentzündliche Gefühl gegen den herben Zwang und gegen die Kargheit, in der ihre Jugend gehalten wurde, ohne daß ein gediegener Unterricht ein heilsames Gegengewicht geboten hätte. Trotz all der Pedanterie oder vielmehr gerade infolge derselben wurde die Kleine zu nichts weniger als zu echter und edler Weiblichkeit angeleitet. Je plumpere Dämpfer man ihrer angeborenen Munterkeit und Heiterkeit aufsetzte, eine um so eigenrichtigere, phantastischere Richtung nahmen diese Anlagen. So wurde sie, wie ihr gerechtester und mildester Beurteiler treffend gesagt hat, eine »wilde Hummel«. Man darf sogar weiter gehen und sagen, daß sie nicht allein zu einem Stück von einem » enfant terrible« aufwuchs, plauder- und zerstreuungssüchtig, fabulier- und lachlustig, sondern daß auch ihre Phantasie schon in Backfischjahren mit Anschauungen erfüllt war, die nicht eben jungfräulicher Art gewesen sein mögen.
Denn es hatte unsere prinzeßliche wilde Hummel ein Paar Augen im Kopfe, die sehr schön, sehr groß, sehr kornblumenblau waren, aber auch sehr neugierig, und sich keineswegs immer sittsam gesenkt und abgewandt haben, wo sie es gesollt hätten. Diesen großen, hellen, neugierigen Blauaugen wurde die ihr elterliches Haus beherrschende Hohlheit, Zerrüttung und Unsittlichkeit allzu frühzeitig offenbar. Wie hätte ihnen die Stellung entgehen können, die der Vater gegenüber der Mutter genommen? Es ist wahr, das Mätressenwesen war ein förmlich und offiziell anerkannter Bestandteil des Hoflebens von damals. Aber man weiß nur zu gut, daß diese Schmach nicht nur auf die fürstlichen Männer, sondern auch auf die fürstlichen Frauen und Töchter jener Zeit in sehr vielen Fällen einen verwildernden Einfluß geübt hat. Welche Vorstellungen von der Männerwelt, welche Begriffe von einer fürstlichen Ehe mußte sich die junge Karoline bilden, wenn sie auf das Gebaren dessen blickte, der für sie ein Muster und Beispiel hätte sein sollen! Herzog Karl hatte von einer im Jahre 1766 nach Italien unternommenen Reise als Favoritodaliske die reizende Contessa Branconi mitgebracht, mit der sich später Lavater in seraphischen Schwärmereien erging. Die Nachfolgerin dieser italienischen Kebse war ein Fräulein von Hardenfeld, das im Braunschweiger Schlosse residierte und von dem ganzen Hofe, ja von der gutmütigen Herzogin selbst sozusagen förmlich als Mitgemahlin anerkannt war. Ihr Reich währte aber auch nicht bis zuletzt. Denn der Herzog ließ sich von seinem intriganten Adjutanten, dem Franzosen Montjoy, eine französische Komödiantin als Konkubine aufhängen, und der einundsiebzigjährige Greis entblödete sich nicht, diese Buhldirne gemeinster Sorte im Feldzuge von 1806 mitzuschleppen. Ein glaubwürdiger Zeuge Graf Henckel von Donnersmark, »Erinnerungen aus meinem Leben« (1846), S. 42 f. hat ausgesagt, es sei die allgemeine Überzeugung gewesen, daß die französische Beischläferin des Herzogs die Pläne und Entschließungen, d. h. die Rat- und Tatlosigkeit des preußischen Hauptquartiers ihren anrückenden Landsleuten mitgeteilt habe. Wie dem sein mag, soviel ist gewiß, daß Karoline von Braunschweig in einem Hause aufwuchs, das, wie mit sehr wenigen Ausnahmen alle fürstlichen Häuser von damals, von der Pestluft der vornehmen Sittenlosigkeit des 18. Jahrhunderts ganz und gar erfüllt war.
Was wollte es gegenüber diesem Miasma zu bedeuten haben, daß man die Prinzessin mit einem Kreise von reifrocksteifen alten Damen umgab, die aus der Sphäre des Lebensgenusses in die der Gottseligkeit sich hinübergespielt hatten oder geschoben worden waren? Gar nichts oder nur Schlimmes. Denn die mürrische Zionswächterei, womit diese Duennen die junge Prinzessin langweilten und ärgerten, stachelten in ihr einen Widerspruchsgeist auf, der sich mitunter mutwillig genug äußerte. Mißmutig über den Zwiespalt, der zwischen den Eingebungen ihrer geschäftigen Phantasie und der Wirklichkeit klaffte, gefiel sich Karoline darin, sich schlimmer darzustellen, als sie war, und ihrem natürlichen Hange zur Eulenspiegelei nachgebend, setzte sie der engbrüstigen Konvenienz eine mehr absichtliche als naive Natürlichkeit entgegen, die sich der höfischen Anstandslehre zum Trotz etwas darauf zugute tat, die Dinge bei ihren Namen zu nennen, – bekanntlich eine Todsünde in dieser Welt des Scheins und der Lüge … Arme wilde Hummel mit den großen glänzenden Kornblumenaugen, wie wird es dir bei so bestellter Denk- und Äußerungsweise drüben in England ergehen, in diesem Urland der Scheinheiligkeit?
Um so schlimmer erging es ihr, da sie ein Herz besaß, das gesprochen hatte, bevor die Staatsräson es befahl. Bekanntlich sollen Prinzessinnen, wenn überhaupt, nur in diesem Falle lieben. Aber so ein kategorischer Imperativ der Unnatur hält eben nicht stand gegen die heißen Pulsschläge eines erwachten Mädchenherzens. Wissen wir nicht von einer sehr nahen Verwandten unserer Karoline, von einer deutschen Prinzessin, die, zur Verlobung mit einem liederlichen Napoleoniden gezwungen, verzweiflungsvoll durch die Korridore des Palastes lief, aufschreiend: »Meinen Trompeter lass' ich nicht!?« Ein hübscher Gardetrompeter nämlich hatte das Herz der Armen wachgeblasen, was beweist, daß Kupidos Bogen unter andern Gestalten auch die einer Trompete annehmen kann. Um aber in dem mythologischen Rokokobild zu bleiben, sagen wir, daß die junge Karoline den Bogen ebenfalls schwirren gehört und daß der von der Sehne geschnellte Pfeil ihr armes warmes Herz getroffen hatte. Am Hofe ihres Vaters, wo es stets von Fremden wimmelte, lebte ein irischer Gentleman, der unter dem Fürsten im Felde gedient und sich den Namen eines tapferen Mannes erworben hatte. Damit verband er glänzende persönliche Vorzüge, auf welche ein Paar Blauaugen mit unverkennbarem Wohlgefallen blickten. Eine derartige Aufmerksamkeit pflegt aber dem Manne, dem sie gilt, nicht zu entgehen, und die Hofherren von damals waren nicht blöde. Genug, man hat Grund, anzunehmen, daß zwischen dem Sohn der Smaragdinsel und der Prinzessin Karoline Geständnisse der Liebe, Schwüre der Treue und Bezeigungen der Zärtlichkeit ausgetauscht worden seien. Ein Urkundenbuch zu diesem historischen Roman, dessen Entwicklung die Staatsräson mit rauher Hand abschnitt, ist freilich meines Wissens nicht vorhanden; doch tut das seiner Glaubwürdigkeit im ganzen keinen Eintrag. Es gibt im Hofleben, wie im Leben überhaupt, Tausende von mehr oder weniger zarten wie von mehr oder weniger brutalen Tatsachen, die vermöge ihrer Natur keine urkundliche Fixierung leiden.
Zur nämlichen Zeit, wo der angedeutete Roman im Schlosse zu Braunschweig spielte, hatte drüben zu London im St. Jamespalast König Georg III. einen verhängnisvollen Einfall. Ein braver Herr, dieser dritte Georg, ein treuer Gatte und hausbackener Hausvater, daneben fürchterlich beschränkt an Geist, langsam von Begriffen, gegen alles, was entfernt nach Emanzipation der Völker roch, todfeindlich gesinnt, von dem Bewußtsein seines »göttlichen Rechts« bis zur Verrücktheit aufgebläht. Wie jedermann weiß, ist er dann auch zeitig wirklich verrückt geworden. In lichten Momenten, Stunden und Tagen ließ man ihn nach wie vor das königliche Abc aufsagen. Als es ihm aber im Jahre 1810 gefiel, bei Eröffnung des Parlaments an die Stelle der Eingangsformel zur Thronrede: »Mylords und Gentlemen!« die poetische Lesart zu setzen: »Mylords und Waldschnepfen, die ihr die Schwänze in die Höhe streckt« – da legte man ihm das Königshandwerk für immer und machte seinen ältesten Sohn, den Prinzen von Wales, zum Prinzregenten. Diesen ging der Einfall an, den sein Vater im Jahre 1794 hatte; ob in einem lichten oder dunkeln Augenblick, ist sehr zweifelhaft.
Georg, Prinz von Wales – geboren am 12. August 1762 von Sophie Charlotte, einer Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, mit welcher Georg III. elf Monate zuvor sich vermählt hatte – ist in einer sittenlosen Atmosphäre vom Knaben zum Jüngling und Mann erwachsen. Die zuchtlose Roheit der Sitten, die die Regierungszeit der beiden ersten George gekennzeichnet hatte, war wenigstens da und dort noch durch Episoden von ritterlicher, hochromantischer oder hochtragischer Natur unterbrochen worden Die rührendste dieser Episoden ist meines Erachtens folgende. Nach Besiegung des großen jakobitischen Aufstandes von 1745 war unter vielen anderen Gefangenen auch ein Gentleman namens Jakob Dawson prozessiert und zu einem martervollen Tod verurteilt worden, den er zu Kennington erlitt. Er hatte eine junge schöne Braut, die Tochter einer angesehenen Familie. Die Braut bestand auf dem verzweifelten Entschlusse, die Hinrichtung des geliebten Unglücklichen mit anzusehen. Von ihrem Wagen aus betrachtete sie, wie Dawson, in Vollstreckung des barbarischen Urteils, an den Galgen gehängt, dann, bevor er tot war, abgeschnitten und geviertelt wurde. Tränenlos und scheinbar ruhig sah sie den ganzen Greuel mit an. Als aber zuletzt der Henker das rauchende Herz Dawsons ins Feuer warf, lehnte sie sich im Wagen zurück, hauchte zweimal den Namen des Geliebten und verschied.. Unter dem dritten Georg dagegen, dessen häusliche Tugenden sich viel zu hausbacken und eckig darstellten, als daß sie die englische Gesellschaft hätten beeinflussen können, verband sich mit der althergebrachten Ausschweifung der britischen Nobility und Gentry die raffinierte Liederlichkeit, wie sie in der Epoche Ludwigs XV. von Paris her über die vornehmen Kreise Europas sich verbreitet hatte. In betreff der Kolossalität der Verschwendung, Schwelgerei und Schamlosigkeit ließ sogar London die Hauptstadt Frankreichs hinter sich. Der Luxus und die Verachtung aller sittlichen Gesetze ging in den englischen Modekreisen bis zur Raserei. Die Spielwut war grenzenlos. In dem berühmten Londoner Kaffeehaus »Zum Kakaobaum« war es etwas Gewöhnliches, daß junge Noblemen an einem Abend bis zu 25 000 Pfund Sterling verloren. Eines Abends standen daselbst 180 000 Pfund auf einem Satze. Eines andern verlor ein junger Schiffskadett ein soeben von seinem älteren Bruder ererbtes Gut im Werte von 100 000 Pfund. Die Frauen der vornehmen Welt wetteiferten in bronzestirniger Hintansetzung aller Zucht und Scham mit den Männern. Als im Jahre 1778 der Bischof von Llandaff im Oberhaus eine Zusatzbill zu den Ehegesetzen einbrachte, unterstützte er seinen Antrag mittels der statistischen Tatsache, daß seit der siebzehnjährigen Regierung Georgs III. mehr Ehescheidungen vorgekommen seien als während der ganzen übrigen Dauer der englischen Geschichte. Um die Ehestandschronik der Peers und Peeressen Englands von damals zu charakterisieren, braucht man nur an den Bigamieprozeß jenes Hoffräuleins zu erinnern, welches als Miß Elisabeth Chudleigh verschiedene Niederkünfte erfuhr und nachmals unter dem Titel einer Herzogin von Klingston weltberüchtigt wurde. Eine der bedeutendsten Nebenbuhlerinnen dieser » Duchess of Scandal« war Mylady Worseley, die nach zahlreichen Abenteuern mit einem Offizier durchging. Als Sir Worseley einen Entschädigungsprozeß gegen den Entführer anhub, lud Mylady, um diesen aus der Patsche zu ziehen, vierunddreißig junge Gentlemen als Zeugen vor, die aussagen sollten, daß sie alle mit ihr zu tun gehabt hätten. Siebenundzwanzig erschienen wirklich vor Gericht. Man fand aber nicht nötig, alle zu vernehmen, nachdem einer von ihnen ausgesagt hatte, Sir Worseley hätte ihn eines Tages auf seinem Rücken auf die Zinne des Hauses getragen, um ihm Mylady im Bade zu zeigen. Der klägerische Ehemann erhielt bei so bewandten Umständen als Entschädigung einen – Schilling zugesprochen. An demselben Tage fand im Parlament eine wichtige Abstimmung statt, und als Sir Worseley, der zur ministeriellen Seite des Hauses gehörte, nicht auf seinem Platze erschien, rief der Premier Lord North, dem man die Ursache dieses Nichterscheinens mitteilte, mit einem Fluch aus: »Wenn mich alle meine Hahnreie im Stiche lassen, bleibe ich gewiß in der Minderheit.«
So war die Gesellschaft, in die der junge Prinz von Wales eintrat nach einer unter pedantischem Zwange verlebten Knabenzeit, deren widerwillig ertragene Entbehrungen seinen angeborenen Durst nach Ungebundenheit und Vergnügen noch mehr gereizt hatten. Seine Erziehung war ebenso unzulänglich und verkehrt gewesen wie die seiner nachmaligen Gattin. Sobald ihm Gelegenheit geboten war, eilte er, mit dem Joche der väterlichen Autorität zugleich auch jede Fessel der Sitte abzuschütteln, und schon frühzeitig eignete er sich eine empörend schamlose Gleichgültigkeit für seinen persönlichen Ruf wie für das Staatsinteresse an. Das Unglück wollte, daß eine ausgelernte Buhlerin, eine Mistreß Robinson, des jungen Prinzen Einführerin in die Geheimnisse der Lebewelt werden sollte. Unter der Leitung dieser »Freundin« wurde schon der Jüngling ein vollendeter Wüstling, dem weibliche Tugend und Würde nur Traum und Schaum waren. Die äffische Liebe, die seine Mutter ihm bezeigte, konnte hierin nichts bessern. Auf allen Wegen und Stegen begegnete ihm die Verführung, und wetteifernd in Huldigungen drängte sich die Männer- und Frauenwelt der Mode um den »ersten Gentleman des Reiches«, um den Gentleman par excellence, als welchen höfische Schmeichelei den Thronerben feierte.
Allerdings nicht ohne Grund. »Gentleman George« war der erste Prinz aus der hannoverschen Dynastie, der die Engländer an König Karl II. erinnerte, der trotz seiner bodenlosen Nichtsnutzigkeit mittels der leutseligen Munterkeit seines Geistes und der Anmut seines Gebarens seine Untertanen bezaubert hatte. Und der Prinz von Wales war noch dazu von der Natur viel vorteilhafter ausgestattet, als es jener volkstümliche Genußmensch gewesen. Schön, wenn auch mehr weibisch als männisch schön von Antlitz, stattlich und wohlgeformt von Gestalt, ein verwegener Reiter, kecker Fuchsjäger, zierlicher Wagenlenker, geschickter Boxer, besaß er viel natürlichen Verstand, einen feingebildeten Geschmack, Leichtigkeit der Rede und eine Grazie der Haltung und des Benehmens, die ihn fast unwiderstehlich machte, wenn er es sein wollte. Es fehlte ihm vielleicht nur die strenge Schule der Not und Arbeit, um ein ausgezeichneter, wenn nicht ein außerordentlicher Mann zu werden. So wurde er nur ein skandalfroher Prinz und aus diesem ein skandalbehafteter König.
Es war sozusagen Hausgesetz der hannoverschen Dynastie auf dem Throne Großbritanniens, daß König und Thronerbe in erbittertem Zerwürfnisse lebten. Nun wohl, in Übung dieser herkömmlichen Praxis schloß sich der Prinz von Wales der Opposition an und trat mit den genialisch begabten Wortführern derselben, den Burke, Fox und Sheridan, in vertraute Genossenschaft. Man braucht nur Richard Brinsley Sheridan zu nennen, um den Ton zu charakterisieren, der damals in dem Kreise herrschte, dem »Gentleman George« vorsaß. Der prinzliche Pavillon zu Brighton hallte von orgiastischem Gelärm wider. Aber während das Wesen des Prinzen in der geistreichen Witzschwelgerei, in der genialen Liederlichkeit dieser Vergnügungen aufging, waren diese für solche seiner damaligen Genossen wie Burke, Fox und Sheridan nur jugendliche Bacchanalien, aus deren trüben Dünsten der Genius der Genannten zur Gewinnung eines Ruhmes sich aufraffte, der dauern wird, solange es eine Geschichte und Literatur Englands gibt. Der politische Liberalismus des Prinzen hat bekanntlich keine Minute länger gewährt, als bis er sich im Besitze der königlichen Gewalt befand, und will man ein typisches Beispiel der sprichwörtlichen Falschheit und Herzlosigkeit haben, womit Fürsten Freundschaftsbande brechen, so kann der Prinzregent dieses Beispiel liefern. Viel länger als ein Whig ist Gentleman George ein liberaler Gesellschafter geblieben. Er blieb das wirklich sein Leben lang, und seine Liebenswürdigkeit als Wirt und Zechbruder ist über jeden Zweifel erhaben. Lockhart hat in dem vielbändigen Buche, worin er das Leben seines Schwiegervaters Walter Scott erzählt, eine hübsche Probe der erwähnten Liebenswürdigkeit gegeben. Als der große Dichter im Frühjahr 1815 nach London gekommen war, zog ihn der Prinz sogleich zu Hofe und veranstaltete ihm zu Ehren »ein gemütliches Dinner«, das bis Mitternacht dauerte. Ein Mitgast berichtet: »Der Prinz und Scott waren die zwei brillantesten Erzähler, jeder in seiner Weise, die ich jemals kennen gelernt. Beide waren auch ihres Talents sich recht wohl bewußt, und beide übten es an diesem Abend mit ganz herrlicher Wirkung.« Wie bekannt, hüllte Scott damals seine Autorschaft des ein Jahr zuvor erschienenen »Waverley« in ein noch ziemlich lange hartnäckig bewahrtes Geheimnis; allein dessen ungeachtet forderte an jenem Abend gegen Mitternacht der Prinz seine Tafelrunde auf, »einen vollen Humpen mit allen gebührenden Ehren auf das Wohl des Verfassers vom Waverley zu leeren«.
Das Leeren voller Humpen, ja – um für eine häßliche Sache das entsprechende Wort zu gebrauchen – das gewohnheitsmäßige Voll- und Tollsaufen war überhaupt eine der Lieblingsbeschäftigungen des Prinzen. Und noch bei weitem nicht die schlimmste. Denn er war wie als leidenschaftlicher und wenig gewissenhafter Spieler, so auch als zuchtloser, aller Scham und Scheu barer Mädchenjäger verrufen. Schon frühzeitig hatte er gelernt, gegen die öffentliche Meinung sich zu verhärten und kein Mittel, aber auch gar keins schlecht zu finden, wo es galt, seiner ungezügelten Begierde zu frönen. In der ersten Blütezeit seiner Gentlemanschaft, im Jahre 1783, war ihm beschieden, daß er sich in ein Netz verstrickte, das ihm die bittersten Verlegenheiten bereitete. Er war einer irischen Dame begegnet, deren Anblick zum erstenmal eine Leidenschaft edlerer Art in ihm entzündete. Aber freilich, die Flamme verschwand bald genug hinter dem Rauch der Gemeinheit. Mistreß Fitzherbert war Katholikin, um mehrere Jahre älter als der Prinz und schon zum zweitenmal Witwe. Aber sie war nicht nur sehr schön, sondern auch keusch und spröde, und das hatte für den an leichte Siege gewöhnten Prinzen den stachelnden Reiz der Neuheit. Nach Erschöpfung der gewöhnlichen Mittel, die tugendhafte Schöne zu besiegen, nahm der Prinz im Verein mit würdigen Helfershelfern seine Zuflucht zu einem ungewöhnlichen. Wie es scheint, hat dieses Mittel der damals zu London weilende Duc d'Orléans vorgeschlagen, ein Teilnehmer der Orgien von Brighton, nachmals als Citoyen Egalité verrühmt, verachtet und guillotiniert. Das Gaukelspiel einer heimlichen Scheinehe wurde in Szene gesetzt und erfüllte seinen Zweck. Mistreß Fitzherbert ergab sich dem Prinzen von Wales, mit dem sie in aller Form rechtskräftig verheiratet zu sein glaubte. Sie hatte das Spiel für Ernst genommen, und es kehrte auch dem Prinzen bald genug eine ernste Seite zu. Es ging nämlich ein lauter und lauter werdendes Gemunkel von dieser Ehe des Thronfolgers mit einer Katholikin um, und die Feststellung eines solchen Verhältnisses konnte des Prinzen Recht auf die Thronfolge in Frage stellen. Von seinem damaligen Intimus Charles Fox zur Rede gestellt, verleugnete der Prinz, falsch bis ins Mark, seine Heirat und ließ die ganze Angelegenheit durch Fox öffentlich im Unterhause ableugnen. Jedermann war vom Gegenteil überzeugt, aber trotz alledem war und blieb Gentleman George der Gentleman par excellence. Natürlich! Die Welt verzeiht unendlich viel lieber hundert Lügen als eine Wahrheit. Man tut unrecht, die Fürsten ihrer Herzenshärte und Selbstsucht wegen zu verklagen. Wie könnten sie anders sein? Finden doch ihre niedrigsten Instinkte Hätscheler und Schmeichler, die nicht anstehen, solche Gelüste für »noble Passionen« auszugeben.
Seine Verbindung mit Mistreß Fitzherbert verschaffte dem Prinzen, was er früher nie genossen und später nie wieder genießen sollte: häusliches Behagen. Aber auf der anderen Seite diente dieses Verhältnis, das Gentleman George nötigte, eine doppelte Haushaltung zu führen, seine ohnehin schon mißliche Finanzwirtschaft der unheilbarsten Zerrüttung zu überliefern. Der Thronerbe von Großbritannien lebte jahrelang nur von der Gnade der Wucherer. Man sah Stücke seines Hausrats im Leihhause, und seine Schuldenlast dehnte sich in die Hunderttausende von Pfunden. Endlich kam der Augenblick, wo es sich allen Ernstes um prinzliches Sein oder Nichtsein handelte, und diesen Augenblick ersah der zähe, dritte Georg, um seinem Sohne die Einwilligung in einen väterlichen Wunsch abzupressen. Der König hatte lange vergeblich gewünscht, den Prinzen standesmäßig verheiratet zu sehen, und hatte ihm die Tochter seiner Schwester, die Prinzessin Karoline von Braunschweig, als Gattin bestimmt. Gentleman George sträubte sich zwar heftig, aber König Georg drehte aus den zuletzt unerträglich gewordenen Schuldenbedrängnissen des Sohnes einen starken Strick, woran er den Widerstrebenden ins legitime Ehebett schleifte. Ohne Metapher, der Gemahl der Mistreß Fitzherbert willigte ein, um den Preis der Entledigung von seiner Schuldenlast seine Base Karoline zu heiraten, und Mylord Malmesbury ging zu Anfang des Jahres 1795 als Freiwerber nach Braunschweig.
Die Prinzessin war zu dieser Zeit siebenundzwanzigjährig, also durchaus kein Backfisch mehr, sondern, wie die Schweizer sagen würden, eine »Jumpfer von bestandenem Alter«. Sie gefiel Mylord Malmesbury nicht. Ihr Gesicht fand er zwar hübsch, aber Figur und Benehmen nicht anmutig, nicht »ladylike«. Sie ihrerseits fand die englischen Herren der Heiratsgesandtschaft ebenfalls nicht nach ihrem Geschmack, und als eines Tages einer von ihnen, der Almosenier des Prinzen von Wales, sich erdreistete, die Prinzessin zu tadeln, weil sie statt in der Bibel in Popes Schriften las, wies sie diese pfäffische Anmaßung gebührend zurück. Sie war überhaupt der Heirat mit Gentleman George ganz entschieden abgeneigt, und das spricht sicher nicht zu ihren Ungunsten. So, wie Gentleman George war, mußte er ein jungfräuliches Gemüt anwidern.
Freilich, der höfische Klatsch hat hinter die Jungfräulichkeit der Prinzessin ein großes Fragezeichen gesetzt. Es geht die Sage, die arme Karoline habe nicht allein mittels des Wortes, sondern auch mittels der Tat gegen die ihr angesonnene Heirat protestiert. Sie habe den abenteuerlichen Entschluß gefaßt und ausgeführt, sich von dem obenerwähnten irischen Gentleman entführen zu lassen, sei aber eingeholt worden und habe eingewilligt, die Frau des Prinzen von Wales zu werden, als man ihr bedeutete, nur um diesen Preis vermöge sie das Leben und die Freiheit ihres Geliebten und Entführers zu retten. Zur Erhärtung des ganzen oder teilweisen Inhalts dieser Novelle ist meines Wissens kein irgendwie ausreichender Beweis beigebracht worden, weswegen sie nur auf mythische Geltung Anspruch machen kann. Genug, die Prinzessin gab ihr Jawort, die Ehepakten wurden aufgesetzt und unterzeichnet, und ein stattliches Geleit von Herren und Damen kam zur Heimholung der Braut von England nach Braunschweig herüber.
Die erste Figur in diesem Brautgefolge machte Mylady Jersey, die zur ersten Hofdame der künftigen Prinzessin von Wales ausersehen worden war. Eine unglückselige Wahl, eine frivole, ja wahrhaft zynische Taktlosigkeit oder auch eine gemeine Bosheit! Denn Mylady war die »Freundin« des Prinzen, und es ist wohl einzig in seiner Art, daß der Bräutigam seine Mätresse zur Heimholung seiner Braut abschickte. Natürlich sah Mylady in der armen Karoline vom ersten Augenblick an nur die Nebenbuhlerin, und die Folgen hiervon ergaben sich bald … Frances Twysden war die Tochter des Bischofs von Raphoe in Irland. Als Fünfzehnjährige nach London gekommen und in die »Welt« eingeführt, galt sie bald für das schönste Mädchen in den drei Königreichen, und zwar mit Recht. Konnte sie doch noch als mit Schwerleibigkeit behaftete Matrone, welche nahezu ein Dutzend Kinder geboren hatte, für ungemein schön gelten. Zur Zeit ihrer Jugendblüte wirkten der edle Schnitt ihrer Züge, das Feuer ihrer Augen, das Lächeln ihres Mundes, die Schlankheit und zarte Fülle ihrer Gestalt, ihr edler Gang und ihr anmutiges Gebärdenspiel bezaubernd. Aus der Menge von Bewerbern, die die Bischofstochter umringten, wählte sie den George Villiers, Earl of Jersey, mit dem sie im Jahre 1770 verbunden wurde. Die neue Gräfin von Jersey war aber nicht allein eine sehr schöne, sondern auch eine sehr weltkluge Dame, und von der Überzeugung durchdrungen, daß das Zepter des Reiches der Mode ihr gebührte, zögerte sie nicht, sich desselben zu bemächtigen. Mit vollem Erfolge, namentlich seitdem Gentleman George in der Vorderreihe ihrer Anbeter stand. Was sollte im »hochsittlichen«, auf dem Altar der Göttin Delicacy unaufhörliche Weihrauchopfer verbrennenden England einer schönen und gescheiten Lady unmöglich sein, welche die »Freundin« des Thronerben und nebenbei noch die Frau eines Earl ist? Ihre Ladyschaft wußte wie alle Welt, »Männlein und Weiblein«, so auch die Mutter ihres kronprinzlichen Freundes für sich einzunehmen und dadurch ihren großen Stand in der Gesellschaft zu mehren und zu festigen. Wie hätte unsere arme wilde Hummel von Braunschweig gegen so eine Ladyschaft aufkommen können, welche die Obliegenheiten einer »Freundin« von Gentleman George so vortrefflich mit den Pflichten der englischen Prüderie und Scheinheiligkeit zu verbinden wußte, der Pflichten der Gräfin von Jersey gar nicht einmal zu gedenken!
Es war am 5. April 1795, als die Prinzessin Braut am Hofe von St. James anlangte. Mylady Jersey hatte es zu passendem Gebrauch ad notam genommen, daß sich die Prinzessin während der Überfahrt nach England mit dem das Schiff befehligenden Kapitän Pole nach ihrer Art lebhaft und zwanglos unterhalten hatte. Erste Todsünde gegen das steifleinene englische Dekorum! Augegeben, daß die arme Karoline, nachdem sie einmal eingewilligt, nach England zu gehen, allerdings verpflichtet war, dieses Dekorum, so wie es einmal war, zu berücksichtigen, so muß doch auch betont werden, daß ihr im Grunde damit nicht viel geholfen gewesen wäre. Denn es kann, alles in allem gewertet, für die Unbefangenen kein Zweifel übrigbleiben, daß, bevor die Prinzessin einen Fuß auf britischen Boden setzte, ein Komplott existierte, um ihr die Behauptung der Stellung, zu der sie berufen war, unmöglich zu machen. In Wahrheit, diese unselige, beiden Teilen aufgenötigte Ehe war untergraben, bevor sie vollzogen wurde. Schon die erste Zusammenkunft des Brautpaares stellte das außer Frage. Mit frostiger Galanterie nahte sich der Prinz seiner Verlobten, die ihn mit gebogenem Knie begrüßte. Er hob mit allem Anstand, der dem Gentleman George zu Gebote stand, die Kniende auf, drehte sich auf dem Absatz herum und ging eilends weg, der Beschämten jedenfalls kein günstigeres Bild von sich zurücklassend, als er von ihr mit fortnahm. Die ganze Szene muß anwesende Kenner der englischen Geschichte auffallend an eine andere erinnert haben, die am Neujahrstage des Jahres 1540 gespielt hatte. Damals empfing Heinrich VIII., der dicke Weibermörder, zu Rochester seine Braut Anna von Kleve. Er konnte es kaum über sich bringen, die ihm beim ersten Anblick schon Mißfällige anständig zu begrüßen, und schnell hinausgegangen, runzelte und fluchte er seine Höflinge an, schreiend: »Was, zum Henker, habt ihr mir da für eine große flandrische Stute gebracht?« Möglich, sehr möglich, daß sich Gentleman George nach der ersten Zusammenkunft mit seiner Verlobten nicht viel zarter ausgelassen hat als Gentleman Harry zweihundertfünfundfünfzig Jahre vorher. Historisch sicher, weil durch Lord Malmesbury bezeugt, ist, daß der Prinz, nachdem er sich von seiner Braut weggewandt hatte, zu dem genannten Hofmann sagte: »Mir ist übel; schaffen Sie mir ein Glas Branntwein.« Die Prinzessin, verblüfft durch sein Benehmen, sagte ihrerseits unklugerweise: »Mein Gott, ist der Prinz immer so? Ich finde ihn sehr dick und keineswegs so schön wie sein Porträt.«
Aber das Unheil war einmal im Gang und mußte seinen Verlauf haben. Drei Tage später wurde die Hochzeit gefeiert, eine jener Hochzeiten, die die Heiligkeit der Ehe in die Schmach der Prostitution verkehren. Der Prinz gab sich nicht einmal am Vermählungstag irgend welche Mühe, zu verbergen, daß er das »Geschäft«, zu dem er sich hatte nötigen lassen, mit dem leichtfertigen Übermut eines vollendeten Roué abzumachen gedenke. Längst gewohnt, unter allen Umständen Inspiration und Trost in der Flasche zu suchen, trank er auch an diesem Tage fleißig, und es ist Tatsache, daß er mehr als halbbetrunken dem bräutlichen Lager Karolines sich nahte. Über die Geheimnisse der Brautnacht ist viel geklatscht worden. Es hieß, der Prinz sei nur unter heftigstem Sträuben der Prinzessin zur Ausübung seiner ehemännischen Rechte gelangt. Ferner, er habe dabei eine Entdeckung gemacht und ein Geständnis empfangen, die wie ein Strahl kalten Wassers auf den Berauschten gewirkt hätten. Dennoch habe er am Morgen darauf eine zufriedene Miene gezeigt. Eine unheimliche Sage will, am Tage der Hochzeit sei von feindseliger Hand der jungen Frau ein das Blut übermäßig erhitzendes Mittel beigebracht worden, dessen Wirkung so heftig gewesen, daß der Prinz, als er das Ehebett bestiegen, vor dem mänadenhaften Gebaren seiner Gattin entsetzt die Flucht ergriffen habe. Gewiß ist, daß kaum jemals eine fürstliche Ehe unter unglückseligeren Konstellationen vollzogen wurde.
»An den Höfen ist beständig ein heimlicher Krieg im Gange«, hat eine eingeweihte Kennerin höfischer Zustände gesagt, Madame de Campan. Am englischen Hofe war dieser mit den Waffen der Intrige geführte Krieg jedoch ein öffentlicher, von dem Prinzen von Wales und seinem Anhang schon in den ersten Tagen seiner Ehe scham- und scheulos gegen seine Gattin geführt. Er ließ die Prinzessin bei jeder Gelegenheit recht geflissentlich merken, daß er Mylady Jersey für seine eigentliche Frau ansehe. Auch die nie ganz gelöste Verbindung mit Mistreß Fitzherbert pflegte er jetzt wieder eifriger. Die Prinzessin lebte ziemlich einsam und verlassen in Carltonhouse. Zwar die Volksstimme war seit ihrer Ankunft in England ganz entschieden für sie, aber wann hat an Höfen die Volksstimme etwas gegolten? Nur der König blieb ein standhafter Beschützer seiner Nichte und Schwiegertochter, während ihre Schwiegermutter, die Königin, die gewünscht hatte, daß ihr Sohn die Prinzessin Luise von Mecklenburg heiraten sollte, welche als Königin von Preußen ihrem Volke mit Recht so teuer geworden ist, der armen Karoline von Anfang an abgeneigt war und blieb.
Leider war die Prinzessin nicht dazu angetan, diese schwierigen und peinlichen Verhältnisse zum Bessern zu wenden. Auch ist sehr die Frage, ob dies überhaupt möglich gewesen. So, wie sie war, d. h. lebhaft, geradeheraus, unschmiegsam und taktlos, mußte Karoline in dem bald ganz ärgerlich entbrannten Kampfe mit ihrer klugen, gewandten und geschmeidigen Nebenbuhlerin, der Gräfin von Jersey, notwendig den kürzern ziehen. Mylady, in ihrer Eigenschaft als Hofdame der Prinzessin aufgedrängt, umgab diese mit Spionen, ließ sie überall ihre Überlegenheit fühlen und dabei über die Persönlichkeit und die Taktlosigkeit der angeblichen Herrin von Bosheit funkelnde Witze ausgehen. Unfähig, das länger zu ertragen, forderte die Prinzessin von ihrem Gemahl, daß er die Gräfin entließe; auch beschwerte sie sich bei dem König. Dieser suchte zu vermitteln, allein mit welchem Erfolg zeigt ein Brief, den Karoline im Dezember 1795 nach Deutschland schrieb und worin sie äußerte: »Elende und böse Gesinnungen umgeben mich, und all mein Beginnen stellt man in ein falsches Licht. Die Gräfin ist noch immer hier. Ich hasse sie und weiß, daß sie ebenso gegen mich gesinnt ist. Mein Gemahl ist ganz für sie eingenommen, und so mögen Sie leicht das übrige erraten.«
Indessen schien eine günstige Wendung im Geschicke der Prinzessin sich vollziehen zu wollen, als sie am 7. Januar 1796 ihre Tochter Charlotte geboren hatte. Der Prinz näherte sich seiner Frau wieder und bewies ihr Aufmerksamkeit. Allein die Verstimmung war doch schon auf beiden Seiten zu groß, als daß sie noch hätte überwunden werden können. Das Mißbehagen, das die Gatten bei ihren Zusammenkünften empfanden, wurde geradezu unleidlich. So kleidete sich denn schon wenige Monate nach dem glücklichen Ereignis vom Januar der Gedanke einer Trennung in Worte. Der Prinz ließ seine Frau durch Lord Cholmondeley darüber sondieren. Die Prinzessin stellte zwei Bedingungen, erstens müßte ihr Gemahl das Verlangen der Trennung schriftlich gegen sie aussprechen, zweitens müßte diese Trennung eine unwiderrufliche sein. »Denn«, sagte sie, »ich will mich nicht zum zweitenmal der Staatsräson zum Opfer bringen lassen.« Darauf schrieb der Prinz am 30. April zu Windsor an seine Frau einen Brief, den sie als Scheidungsbrief von Tisch und Bett betrachten konnte und auch wirklich so betrachtete. Ihre vom 6. Mai datierte Antwort war gehalten und würdig. Nur an einer Stelle machte sich die Bitterkeit ihres Herzens Luft, da, wo sie sagte: »Ich hätte es nicht für nötig geachtet, Ihren Brief noch zu beantworten, wäre er nicht in Ausdrücken verfaßt, die es zweifelhaft lassen könnten, ob dieses Arrangement von Ihnen oder von mir herrühre, obschon Sie sehr gut wissen, daß das Verdienst desselben Ihnen allein zukommt.« Edelsinnig lautete der Schluß des Schreibens: »Für Sie bewahre ich die Empfindung der Dankbarkeit, da ich Ihnen die Lage verdanke, in der ich als Prinzessin von Wales der freien Übung der Mildtätigkeit mich hingeben kann, was meinem Herzen stets teuer war. Darin, sowie in dem Bestreben, allen Prüfungen Geduld und Ergebung entgegenzusetzen, will ich fürder meinen Beruf finden.«
Nach der Trennung des Paares bezog der Prinz wieder seinen Lieblingssitz, den Pavillon von Brighton, wo er bis zum Jahre 1810 wohnen blieb. Er begann dort sein altes Lasterleben von neuem. Rasende Verschwendung, wildes Zechen, Spiel und Unzucht füllten seine Tage und Nächte aus, und zwar zu einer Zeit, wo England in den furchtbaren Anstrengungen und Nöten des Weltkampfs gegen die Französische Revolution und den Bonapartismus mehrmals am Rande des Verderbens schwebte. Der Skandal der Lebensweise des Gentlemans George war so arg, daß die Presse sein Brighton mit dem Kapri des Tiberius verglich und William Pitt im Unterhause das Gebaren des Thronerben den strengsten Rügen unterwarf. Aber der Getadelte, dessen Herz von Mühlsteinhärte und dessen Stirn von Eisen, half sich mit etlichen schlechten Witzen und lautem Lachen über diese öffentlichen Zensuren hinweg. Er wußte, daß er trotz alledem in den Augen der englischen Aristokratie der feinste Gentleman der drei Königreiche bliebe, namentlich seitdem er aus den liberalen Kreisen der Fox und Sheridan mit Geräusch in die Reihen der Tories übergegangen war, welche mit kurzen Unterbrechungen bis zum Ende der Napoleonischen Kriege und noch lange nachher in der Politik Oberwasser hatten.
Die Prinzessin zog mit ihrer Tochter, die man ihr erst 1806 auf Betreiben ihres Gemahls entzog, nach der Villa Montaguehouse zu Blackheath, wo man ihr einen ihrem Rang leidlich gemäßen Haushalt eingerichtet hatte. Sie wurde hier mehrmals von ihrem königlichen Schwiegervater besucht. Männer, die zu den hervorragendsten des Landes gehörten, wie Pitt und Perceval, waren häufig ihre Gäste. Der nachmalige große Premier, George Canning, der England aus den durch die Liverpool und Castlereagh gehaltenen Fesseln der Heiligen Allianzpolitik losmachen sollte, war oft ein Teilnehmer an dem Blindekuhspiel, womit die arme muntere und unvorsichtige Verstoßene sich und ihre Gesellschaft zu Montaguehouse belustigte. Andere Hausfreunde der Prinzessin waren der Schifsskapitän Manby, der höchst fashionable Maler Sir Thomas Lawrence und der Admiral Sir Sidney Smith.
Für harmlose Beobachter war das Leben zu Montaguehouse harmlos genug. Die Prinzessin beschäftigte sich mit Musik und Malerei, mit Lektüre und Gärtnerei. Froh, dem Hofzwang entzogen zu sein, richtete sie ihr Leben nach ihrem Geschmack ein, d. h. idyllisch und ungeniert. Für englische Augen freilich viel zu idyllisch und ungeniert, namentlich für solche, deren Inhaber und Inhaberinnen nach Blackheath kamen, um unter allen Umständen mehr und anderes zu sehen, als wirklich zu sehen war, oder wenigstens dem dort Gesehenen die schlimmste Deutung zu geben. Wahr ist freilich, das Benehmen Karolines übersprang oft mit gleichen Füßen die Schranken englischer Prüderie und Steifleinigkeit. Ihre Zunge ging oft im Galopp mit ihr durch. Wie stockenglische Ladies das Gebaren der Prinzessin ansahen, beweisen die Äußerungen der bekannten Lady Esther Stanhope, einer Nichte Pitts, in ihren hinterlassenen Denkwürdigkeiten. Mylady regt sich hier darüber auf, daß die Prinzessin, bei der sie häufig zu Gaste gewesen, »herumhüpfte wie eine Operntänzerin« und daß sie in einem ihrer Zimmer einen »chinesischen Automaten hatte, welcher die überraschendsten (indezenten) Bewegungen machte«. Ferner sagt Mylady: »Die Prinzessin war so niedrig und gemein, daß sie – (hört!) – ihre Strumpfbänder unter dem Knie knüpfte.« Sodann spricht sie von Liebesbriefen, die die Prinzessin an den Kapitän Manby geschrieben, wenn dessen Schiff an der Küste vor Anker lag, und endlich gibt Mylady das auch nicht eben sehr nach englischer »Delicacy« schmeckende Verdikt ab: »Die Prinzessin war eine gemeine, schamlose Person, ein verworfenes Geschöpf, geradezu eine Schlumpe ( slut).«
Karoline hatte eine große Vorliebe für Kinder und liebte es, sich mit solchen zu umgeben. Hierdurch ließ sie sich zu einem großen Mißgriff verleiten. Sie adoptierte im Jahre 1802 in aller Form einen kleinen Knaben, Billy Austin. Wenn sie dabei, wie sie durchblicken ließ, den Nebenzweck hatte, ihren Gemahl zu ärgern, so erreichte sie das vielleicht. Aber sicher ist, daß die Adoption des Knaben, wenn schon kaum zu bezweifeln, daß er das Kind eines armen Schiffszimmermanns in Deptford und von seiner Mutter der Prinzessin überlassen war, ihren Feinden einen willkommenen Anlaß zur herbsten Anklage gab. Karolines aufrichtige Freunde machten sie darauf aufmerksam, daß ihre Gegner sie für die Mutter des Knaben ausgeben könnten. »Bah«, entgegnete sie halb trotzig, halb scherzhaft, »laßt sie das beweisen und ich will den Jungen zum Prinzen von Wales machen«, – eine Äußerung, die darauf hinzudeuten scheint, daß Gentleman George auch nach der Trennung von seiner Frau mitunter noch Umgang mit ihr gehabt habe. Man stellte nun der Prinzessin vor, daß die Bezichtigung des Ehebruchs für sie leicht die Anklage auf ein Kapitalverbrechen nach sich ziehen könnte. Darauf sagte sie ernst und bitter: »Ich habe nie Ehebruch getrieben außer einmal, und zwar mit dem Manne der Mistreß Fitzherbert.«
Das war ein Witzhieb, der sogar auf der zehnfach gegerbten Seele des Prinzen von Wales eine blutrünstige Spur zurückließ. Bis dahin war ihm seine Frau nur gleichgültig oder höchstens widerwärtig gewesen, jetzt begann er sie zu hassen mit dem zähesten, unerbittlichsten Haß. Er, der schamlose, verworfene Wüstling, der Zechbruder jenes Herzogs von Queensbury, der sich rühmte, »mehr Jungfernschaften zerstört zu haben, als er Haare auf dem Kopfe habe«, – er legte plötzlich die lebhafteste Besorgnis um die Tugend und den Ruf seiner verstoßenen Gattin an den Tag. Die Babylonierinnen von Brighton-Kapri, von der Ballettspringerin an bis hinauf zur Marchioneß (Marquise), nährten eifrig diese prinzliche Stimmung. Die taktlose Zuneigung, die die Prinzessin dem Knaben Billy Austin bezeigte, bot eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen durfte. Erst zischelte, dann flüsterte, dann schallte durch die Londoner Salons das Gerücht von einem Hochverrat der Prinzessin von Wales, begangen durch die Geburt eines in ehebrecherischer Umarmung erzeugten Kindes, als dessen Vater von den einen der Admiral Smith, von den andern der Kapitän Manby, von dritten der Maler Lawrence bezeichnet wurde. Es fehlte nur noch ein Angeber oder eine Angeberin, die mit der gehörigen Bestimmtheit auftrat, und die Angeberin fand sich.
Zu Blackheath in der Nachbarschaft von Montaguehouse wohnte der General Sir John Douglas. Die Prinzessin hatte mit seiner Frau, Lady Charlotte Douglas, Bekanntschaft gemacht und kam oft in das Haus des Generals, wo sie auch Sir Sidney Smith kennen lernte. Der General und seine Frau waren sehr häufige Gäste in Montaguehouse, und es scheint, die Prinzessin habe sich mit gewohnter Unbesonnenheit in eine vertraute Freundschaft mit der Lady eingelassen. Ebenso unbesonnen brach sie den Umgang mit Mylady im Jahre 1804 plötzlich ab und verbot ihr mittels eines Billetts den Zutritt in Montaguehouse. Die Generalin, die mit Lady Jersey in Verbindung getreten war, nahm ihre Rache: sie wurde das Hauptrad in der Anklagemaschine, die die Feinde der Prinzessin konstruierten und in Gang setzten. Die ärgerlichsten Einzelheiten über den Lebenswandel der Prinzessin wurden Tag für Tag ausposaunt, und das Geschrei wurde so arg, daß das Ding allmählich die Bedeutung einer Staatssache bekam. Der Prinz von Wales wollte sich den Anschein geben, als würde er gedrängt, eine Untersuchung zu fordern. Seine Brüder, die Herzöge von Sussex und von Kent, taten ihm diesen Gefallen. Nun wandte sich der Prinz an den König, der wohl oder übel die verlangte Untersuchung befehlen mußte (1806).
Georg III. beauftragte die Lords Erskine, Grenville, Spencer und Ellenborough mit Führung dieser »heiklen Untersuchung«. Die Kommission trat in Downingstreet zusammen, und dort erschien am 1. Juni genannten Jahrs Mylady Douglas vor den vier Lords. Die Aussage der Angeberin konnte nicht deutlicher und bestimmter sein, als sie war. Es wurde ein Protokoll darüber aufgenommen, das Mylady unterzeichnete, und dieses Protokoll bildete eins der Hauptstücke jener gegen die Prinzessin bis zum Jahre 1820 nach und nach zusammengebrachten Sammlung von Denunziationen, die unter dem Namen »der grüne Sack« oder »der grüne Beutel« berüchtigt geworden ist. Enthielten die Angaben der Lady Douglas Wahrheit, so konnte an der Schuld der Prinzessin allerdings kein Zweifel sein. Die Frau Generalin gab nämlich unter anderem folgendes zu Protokoll: »Im Mai oder Juni 1802 kam die Prinzessin eines Tages ganz allein zu mir und sagte, ich sollte einmal raten, was ihr begegnet sei. Ich nannte verschiedenes, worauf sie mir endlich eröffnete, sie sei in anderen Umständen und fühle das Kind sich bewegen. Ich erinnere mich nicht mehr genau, ob es an demselben Tage oder einige Tage vorher war, daß sie mir sagte, die Milch sei ihr, während sie bei Lady Willoughby frühstückte, in die Brüste getreten, so daß ihr davon das Kleid naß geworden. Wer der Vater des Kindes sei, hat sie mir nicht gesagt, wohl aber, daß sie, falls die Sache entdeckt würde, den Prinzen von Wales als Vater angeben werde, denn er habe in diesem Jahre in Carltonhouse zwei Nächte bei ihr zugebracht.«
Die Denunziantin trug Sorge, die Wahrscheinlichkeit dieser Aussage zu verstärken, indem sie weiter sich verlauten ließ: »Die Prinzessin hat mir gesagt, daß sie so oft wie möglich einen Bettkameraden habe, was der Gesundheit sehr zuträglich sei. Ihr Schlafzimmer sei dazu sehr bequem eingerichtet, weil über einer Treppe gelegen, die in den Park hinabführe. Wiederholt sagte sie zu mir: ›Ich bin erstaunt, daß Sie sich mit Sir John begnügen.‹ Sie erzählte mir auch, daß Sir Sidney Smith bei ihr geschlafen hätte, und daß sie glaube, alle Männer schliefen gern bei Frauen, Sir Sidney aber mehr als jeder andere.«
Man muß gestehen, es war dies eine Anklage der Prinzessin auf Ehebruch und folglich auf Hochverrat in bester Form. Es fehlte nur die Erweisung derselben, aber damit haperte es gewaltig. Die vier Lords verhörten das Gesinde der Prinzessin, allein wenngleich stark zu vermuten ist, daß mehrere ihrer Diener als Spione in ihre Nähe gebracht worden und zu belastenden Aussagen bereit waren, so konnte doch kein wirklich überführender Beweis beigebracht werden. Ein Lakai, Robert Bigwood, gab an, daß er mittels eines Spiegels gesehen, wie die Prinzessin den Kapitän Manby küßte; ein anderer, William Cole, daß er den Admiral Smith sehr vertraut neben der Prinzessin auf dem Sofa sitzen gesehen habe. Allein sämtliche übrigen Diener und Dienerinnen der Prinzessin traten ganz entschieden als Entlastungszeugen auf, und durch eidlich bekräftigte Zeugnisse ward festgestellt, daß der Knabe Billy wirklich der Sohn des Schiffszimmermanns Austin und seiner Frau Sophie sei.
Der ganze Anschlag fiel demnach ins Wasser. Die Prinzessin hatte den nachmaligen Minister Perceval und den nachmaligen Lordkanzler Eldon, welche beide in späterer Zeit ihre frühere Klientin schmählich im Stiche ließen, zu Rechtsbeiständen gewählt, und in der von diesen Herren entworfenen Verteidigungsschrift wurde die Denunziation von Mylady Douglas nach Gebühr gebrandmarkt. Perceval hatte außerdem auf Anregung der Prinzessin über die Verhandlungen ein Buch verfaßt, in welchem das ganze Verhältnis der Angeschuldigten zu ihrem Gemahl dargelegt war; allein da er Minister werden wollte und es kurz darauf wirklich wurde, ließ er sich, um dem Hof gefällig zu sein, bestimmen, die Veröffentlichung der Schrift zu unterlassen. Die vier Untersuchungskommissare erklärten sich von der Unschuld der Prinzessin völlig überzeugt, und gaben am 25. Januar 1807 ein dahin lautendes Verdikt, worauf der König, die Brüder des Prinzen von Wales und die Prinzessinnen Staatsbesuche in Montaguehouse abstatteten.
So war die Ehre der armen Karoline gerettet, aber gerade dies machte die Abneigung und den Haß, die ihr Gemahl und ihre Schwiegermutter gegen sie hegten, nur noch größer. Während der peinlichen Untersuchung, der sie unterworfen worden, hatte sie auch den schrecklichen Ausgang ihres Vaters zu betrauern gehabt. In der Verbitterung, in die alle diese Erlebnisse sie stürzten, ward es ihr zu einem Troste, daß ihre verwitwete Mutter nach England zog, um in Blackheath bei ihr zu leben. Einen andern Trost konnte es ihr gewähren, daß ganz in dem Maße, in welchem ihr Gemahl bei dem englischen Volk in Ungunst und Verachtung sank, die Volkssympathie für ihre Person sich erhöhte. Aber freilich, sie sollte nicht sterben, ohne erfahren zu haben, wie schwankend und veränderlich die Stimmung der urteilslosen Menge ist.
Im übrigen drängt sich jedem die Frage auf: War die Aussage der Lady Douglas wirklich durchaus falsch und von A bis Z erfunden? Doch wohl kaum. Alles zusammengehalten, sind wir der Ansicht, die Prinzessin könne sich gar wohl gegen Mylady mit Unbesonnenheiten und Phantastereien ausgelassen haben, welche dann die Frau Generalin als bare Münze in Umlauf setzte. Es gibt allerdings einen sehr gemeinen Volksausdruck, welcher aber, wie mir scheint, das Wesen der Prinzessin zur Blindekuhspielzeit von Blackheath ganz vortrefflich bezeichnet. Leider ist er unschreibbar und auch nicht einmal anzudeuten.
Der erste Sturm war also abgeschlagen. Aber derartige Stürme hinterlassen auch bei den Siegern unvertilgbare Narben. Es war doch etwas an der armen Karoline hängen geblieben. Der König zwar hielt treu an seiner Schwiegertochter, aber sonst war und blieb sie bei Hofe verfemt, und was man mittels eines Keulenschlages nicht erreicht hatte, trachtete man jetzt durch Nadelstiche zu erreichen. Die Prinzessin konnte das schon etliche Monate nach dem Schlusse der Untersuchung deutlich erkennen: der König hatte zur Feier ihres Geburtstags die ganze königliche Familie nach St. James eingeladen; aber niemand erschien, und Karoline befand sich den ganzen Tag mit ihrem Schwiegervater allein. Nachdem dieser ihr Beschützer im Jahre 1810 völligem Wahnsinn verfallen und der Prinz von Wales Prinzregent geworden war, mehrten sich die Neckereien und Verfolgungen gegen die Prinzessin in jeder Weise, und ihre Stellung ward um so bedenklicher, da ihr Verhältnis zu dem Gemahl ein Motiv des politischen Parteilebens geworden. Von den Perceval und Eldon schnöde verlassen, hatte sich Karoline den Whigs zugewandt, und die Grey, Withbread und Brougham wurden jetzt ihre Berater und Sachwalter. Daß sich auch diese Herren um die Person der Prinzessin wenig kümmerten, sondern sie nur als einen Hebel ihrer Politik schätzten, ist sicher; doch muß zugestanden werden, daß namentlich Henry Brougham in Führung von Karolines Sache sein ganzes Genie als Politiker, Schriftsteller und Redner aufgeboten hat. Bekanntlich begründete er eben hierdurch seinen Ruf und seine staatsmännische Geltung.
Die Nadelstiche prickelten unaufhörlich und drangen auch nicht selten tief in die Seele der Prinzessin. Man hatte ihr die Tochter entzogen, man suchte ihr Zusammenkommen mit ihr immer entschiedener zu erschweren und zuletzt ganz zu hindern. Das war mehr, als Fleisch und Blut einer Mutter ertragen konnte. Sie wandte sich in einem würdig gehaltenen und meisterhaft geschriebenen, wahrscheinlich von Brougham verfaßten oder wenigstens eingegebenen Schreiben beschwerend an den Prinzregenten. Als die Antwort lange auf sich warten ließ, veröffentlichte die Prinzessin ihren Brief im Morning-Chronicle vom 9. Februar 1813. Hierauf erklärte der Premier Mylord Liverpool im Namen des Prinzregenten, die Besuche der Prinzessin bei ihrer Tochter müßten in Zukunft ganz unterbleiben, und zugleich wurden von seiten der Regierung die Untersuchungsakten von 1806 ins Publikum gebracht. Auf diese Veröffentlichung antworteten die Freunde der Prinzessin dadurch, daß sie das obenerwähnte »Buch« von 1806 bekannt machten. Auch in den beiden Häusern des Parlaments ward über die Sache hin und her gestritten. Der unerhörte öffentliche, ja amtliche Skandalkrieg zwischen dem Regenten von Großbritannien und seiner Frau war demnach im schönsten Zuge.
Es sieht halb einem Wunder gleich und spricht doch wieder sehr für die arme Karoline, daß jetzt ihre herangewachsene Tochter Charlotte durch keinerlei Künste der Mutter sich abspenstig machen ließ. Das junge Mädchen, dessen Verstandes- und Charakterstärke die frohe Hoffnung erweckte, sie werde dereinst als Königin von England eine zweite Elisabeth sein, bezeigte den Feinden seiner Mutter offenste Abneigung. Ihre Großmutter von väterlicher Seite, die Königin, war der jungen Prinzessin, wie sie sagte, »zuwider wie Schöpsenfleisch«. Was sie von ihrem Vater hielt, bezeugt der Umstand, daß sie Bedenken trug, seinen Einladungen nach Brighton zu entsprechen, weil der Aufenthalt im Pavillon »ihrem Rufe nachteilig sein könnte«. Als im März 1813 ihre Großmutter von mütterlicher Seite, die Herzogin von Braunschweig, zu Blackheath gestorben war, ertrotzte die Prinzessin Charlotte die Erlaubnis, ihrer Mutter einen Beileidsbesuch machen zu dürfen. Bei dieser Gelegenheit war es, daß die Prinzessin von Wales, als ihre Tochter vermittelnd und tröstend sich äußerte, ihrer unsäglichen Verbitterung Luft machte, indem sie, ein Glas Wein über das Tafeltuch hinschüttend, sagte: »Eher wird dieser ausgegossene Wein wieder in die Flasche zurückfließen, als ich meine Gesinnung gegen die ändere, welche mich so schimpflich und niederträchtig verleumdet haben.«
Die Königin Sophie und der Prinzregent verfehlten nicht, auch ihre Gesinnung gegen die Verstoßene bei jeder Gelegenheit kundzugeben. Nachdem die Prinzessin Charlotte an ihrem achtzehnten Geburtstag mündig erklärt worden war, sollte ihre feierliche Vorstellung bei Hofe erfolgen. Natürlich wollte sie, wie das recht und billig, nur von ihrer Mutter sich vorstellen lassen. Das schlug man ihr ab, und so unterblieb die ganze Feierlichkeit. Als nach dem ersten Pariser Frieden der Besuch des Zaren Alexander und des Königs von Preußen in England angekündigt wurde, schrieb die Königin Sophie namens ihres Sohnes unterm 23. Mai 1814 ihrer Schwiegertochter einen Brief, der für diese die Weisung enthielt, während des Aufenthalts der fremden Monarchen in England vom Hofe sich fernzuhalten. Außer sich über diese Beschimpfung, wandte sich die Prinzessin klagend an das Parlament; allein dieses fand, obgleich in beiden Häusern warme Fürsprecher für Karoline auftraten, daß es nicht seines Amtes sei, in dieser »Frage der Etikette« einzugreifen. Zugleich bewilligte es jedoch bei diesem Anlaß der Prinzessin eine jährliche Apanage von 50 000 Pfund, wovon sie aber nur 35 000 Pfund annehmen zu wollen erklärte. Ihr Einkommen war ohnehin durch das ihr von seiten ihrer Mutter zugefallene Erbe sehr bedeutend geworden.
Die zuletzt erfahrene Kränkung brachte aber das Gefäß zum Überschäumen. Die Prinzessin hatte sich schon lange mit dem verhängnisvollen Gedanken getragen, nach dem Festland zu reisen. Jetzt, nachdem man sie angesichts von ganz England und der fremden Monarchen recht ausdrücklich als eine Unwürdige und Verstoßene behandelt hatte, wollte sie nicht länger in einem Lande leben, dessen Boden ihr unter den Füßen brannte. Am 9. August 1814 schiffte sie sich mit einem zahlreichen Gefolge, worunter auch ihr Adoptivsohn Billy Austin, an Bord der Fregatte Jason zu Worthing ein, um über Hamburg zunächst nach Braunschweig zu gehen. Der Prinzregent atmete fröhlich auf: er glaubte sich für immer von der verhaßten Gattin erlöst und befreit. Aber er täuschte sich und sollte eines Tages erfahren, wie wahr der griechische Tragiker gesprochen, als er sagte: »Das Unbezähmbarste ist das Weib.« Zwei Jahre nach der Abreise der Prinzessin wurde ihre Tochter Charlotte, ohne daß man die Mutter zu Rate gezogen oder auch nur benachrichtigt hätte, mit dem Prinzen Leopold von Sachsen-Koburg, nachmaligem König der Belgier, verheiratet.
Ich habe vorhin von einem überschäumenden Gefäß gesprochen, und zwar nicht ohne Absicht. Denn, die Wahrheit zu sagen, die arme Karoline glich, sowie sie England verlassen hatte, nur allzusehr einem Gefäß, das lange am Feuer gestanden und dessen siedender Inhalt überwallt, sobald man den niederpressenden Deckel entfernt. Seltsam, diese Frau war jetzt sechsundvierzigjährig und folglich in einem Alter, wo sonst der Hochsommer der Leidenschaft bereits in den Herbst matronenhafter Resignation übergegangen ist. Hier war das nun keineswegs der Fall. Die Prinzessin schien jetzt erst recht austoben und für allen Zwang, für alle Unterdrückung und Kränkung, die sie erfahren hatte, sich entschädigen zu wollen. Sie entfaltete während ihres Aufenthalts in Deutschland, Italien, Griechenland und in der Levante den ganzen Freiheits- und Vergnügungsdurst eines jungen heißblütigen Mädchens, welches, aus einer klösterlichen Pension entronnen, plötzlich völlig sich selbst überlassen ist und die Mittel besitzt, allen seinen Launen gerecht zu werden. Aber die Prinzessin bedachte nicht, daß auch in der Fremde jeder ihrer Tritte und Schritte von einem argusäugigen Haß überwacht würde. Es ist verbürgt, daß der Prinzregent bereits im Jahre 1817 geäußert hat: »Mein Urahn Georg I. sperrte seine Gemahlin in ein hannoversches Schloß ein; weshalb sollte ich nicht das gleiche tun?« Er dachte auch schon damals allen Ernstes an eine förmliche Scheidung von seiner Frau und war eifrig bemüht. Beweise zu sammeln, daß ihre Aufführung ihm gewichtigen Grund dazu gäbe. Zu diesem Zwecke wurde, namentlich unter Vermittlung des hannoverschen Grafen Ernst Friedrich Herbert von Münster, der als dirigierender Minister des neugeschaffenen Königreichs Hannover dem Prinzen zur Seite war, eine Spionage organisiert, welche die reisende Prinzessin überallhin verfolgte und unter deren infamen Praktiken die Auskundschaftung der Schlafzimmer-, Bett- und Bettwäschemysterien obenanstand.
Karoline war am 18. August 1814 unter ihrem väterlichen Dache zu Braunschweig eingetroffen, wo jetzt ihr Bruder Wilhelm, dem zehn Monate nachher am Vorabend von Waterloo ein ruhmvoller Tod beschieden sein sollte, als Herzog waltete. Der bis zur Abenteuerlichkeit phantastische An- und Aufzug der Prinzessin und ihr tollustiges Benehmen fielen den guten Braunschweigern nicht wenig auf. Aber noch bedenklicher sah ihr englisches Gefolge dazu. So bedenklich, daß binnen wenigen Monaten alle die englischen Herren und Damen in ihrem Dienste, die beiden Ladys Lindsay und Forbes, sowie alle die Kammerherren und Stallmeister unter verschiedenen Vorwänden sich verloren. Am längsten hielt ihr Arzt Holland bei der Prinzessin aus, aber auch dieser verließ sie im folgenden Jahre. Ein mißliches Ding! Denn das Weggehen der Engländer warf schon an und für sich einen Schatten auf das Benehmen Karolines, und außerdem wurde der Umstand, daß sie genötigt war, sich mit lauter fremder Dienerschaft zu umgeben, in jeder Weise zu ihrem Nachteil ausgebeutet. Sie selbst kümmerte sich freilich ganz und gar nicht darum. Im Gegenteil, sie mag froh gewesen sein, von den »langen« und »langweiligen« englischen Gesichtern gänzlich befreit zu sein.
Sie ging über Frankfurt und Straßburg nach der Schweiz und im Oktober von Genf nach Mailand. Ein verhängnisvoller Ort für die Prinzessin! Denn hier nahm sie den Italiener Bartolomeo Bergami, der bei dem österreichischen General Pino gedient hatte, als Kurier in ihre Dienste. Die Gunst, in die dieser Mensch binnen kurzer Zeit bei der Prinzessin kam, war in der Tat erstaunlich. Sie machte ihn zu ihrem beständigen Begleiter, zu ihrem Kammerherrn und Oberhofmeister, verschaffte ihm verschiedene Orden und den sizilianischen Baronstitel. Seine Schwester, die als Contessa Oldi bezeichnet wird, ernannte sie zu ihrer Hofdame; auch belud sie sich mit einem Töchterlein Bergamis, das Vittorina hieß. Das war des Wohltuns doch wohl zuviel. Das ganze Gebaren der übelberatenen Prinzessin mit dem Signor Bartolomeo war danach angetan, das entrüstete Pfui der englischen Fashion und Delicacy herauszufordern. Man muß gestehen, sie hätte kaum mehr tun können, um sich als die darzustellen, für die ihr Gemahl sie angesehen wissen wollte. Der Schein war ganz gegen sie. Dies ist historische Wahrheit. Wie weit aber ihre wirkliche Verschuldung ging, das dürfte wohl geschichtlich nie zu erweisen sein.
Im November 1814 befand sich die Prinzessin in Rom und Neapel, an welchem letzteren Orte sie der König Murat, dessen Abenteurerkönigtum bald zu Ende ging, trotz der gehässigen Abmahnung von seiten des englischen Gesandten mit außerordentlicher Artigkeit aufnahm. Zu Ostern 1815 war sie wieder in Rom, ging dann nach Oberitalien zurück, besuchte Venedig, bereiste den Gotthard und die lombardischen Seen und kaufte am Comer See die Villa d'Este, wo sie sich einen luxuriös-phantastischen Haushalt einrichtete. Im Spätherbst schiffte sie über Elba nach Sizilien, von da nach Tunis, von dort nach Athen und Konstantinopel, von wo sie nach Ephesus und Jerusalem ging. Im September 1816 kam sie wieder auf ihr Landhaus am See von Como zurück und kaufte für den teuren Signor Bartolomeo in der Nähe von Mailand eine Villa, die den Namen Villa Bergami oder La Barona erhielt. Im Frühjahr 1817 machte die Prinzessin eine Fahrt durch Tirol nach Süddeutschland, wo sie den Hof von Karlsruhe besuchte.
Hier lebte damals als preußischer Geschäftsträger, wie er in seinen Denkwürdigkeiten mit unendlicher Selbstgefälligkeit erzählt hat, Varnhagen von Ense, ein sauber gebürsteter, diplomatisch sterilisierter und korrekt gefältelter Mann, der nachmals in alten Tagen in Liberalismus zu machen suchte, dabei aber doch kindlich beglückt war, wenn es ihm gelang, zeitweise einen gnädigen Blick des Herrn von Metternich zu ergattern. Varnhagen sah den Signor Bartolomeo, dessen Name drei Jahre nachher in ganz Europa be- und verrufen war, und schrieb in seine Memorabilien: »Der Oberhofmeister Bergami ist ein Patron, der nach meinem Erachten noch einem stürmischen Jahrhundert trotzen kann. Im Gefecht wünscht' ich mir ihn als Vordermann; bei Tisch ist er ein langweiliger Nachbar; im Walde mag er fürchterlich sein, und den Kindern kann er als zweiter Saturn erscheinen. An seiner Brust prangen drei Orden, auf seiner Rückseite sein Kammerherrnschlüssel und auf seinem Säbel die Porträts der Muratschen Familie. Im Stalle erzogen, gilt er übrigens für einen sehr festen Reiter und wird als solcher auch dafür geehrt.« Varnhagen berichtet dann, daß nach der Abreise der Prinzessin von Karlsruhe der hannoversche Gesandte, Freiherr von Reden, auf Graf Münsters Veranlassung in dem Gasthof, wo Karoline gewohnt hatte, durch Kellner und Zimmermädchen unnennbare Schlafzimmerforschungen habe anstellen lassen.
Nach Italien zurückgegangen, lebte die Prinzessin bis zum Jahre 1820 abwechselnd in Rom, Pesaro und auf den Villen d'Este und Bergami. Ihr widerfuhr im Spätherbst 1817 das tiefe, mit schwerer Demütigung versetzte Leid, aus den Zeitungen erfahren zu müssen, daß ihre Tochter Charlotte nach der Geburt eines toten Knaben am 6. November verstorben sei. Man hatte absichtlich unterlassen, der Mutter den Tod der Tochter amtlich anzuzeigen, – den Tod dieser Tochter, die freilich ein Jahr zuvor zum Freiherrn Christian Friedrich von Stockmar (»Denkwürdigkeiten«, S. 60) das schreckliche Wort gesprochen hatte: »Meine Mutter war schlecht; aber sie wäre nicht so schlecht geworden, wenn mein Vater nicht noch viel schlechter gewesen wäre.« Bestürmt von Kummer und Entrüstung, wollte Karoline sofort nach England zurück. Wie es scheint, hat ihr Ratgeber Brougham, der sie das Jahr zuvor in der Villa d'Este besucht hatte, sie vermocht, ihre Rückkehr nach England noch bis zum Tode Georgs III. aufzuschieben. Kaum war demnach der alte wahnsinnige König am 29. Januar 1820 zu Windsor verschieden, als Brougham den alten treuen Haushofmeister der Prinzessin, John Sikkard, mit dieser Botschaft an sie abschickte. Sofort schrieb die Königin, denn das war Karoline zur Stunde von Rechts wegen, daß sie nach England heimkehren werde.
Wütend darüber und entschlossen, zu zeigen, daß er sie nie und nimmermehr als seine königliche Gemahlin anerkennen wollte, befahl König Georg IV. dem Erzbischof von Canterbury, den Namen der Königin aus dem Kirchengebet zu streichen. Der Lord Prälat gehorchte unweigerlich, wie das dem höchsten Würdenträger der servilsten aller christlichen Kirchen ganz gut anstand. Als Gegenkundgebung ging ein ungeheures Brausen und Schreien zugunsten der Königin im Volke los. » The Queen for ever!« wurde das Stichwort und die Losung der Massen gegen den verhaßten König, der ja schon als Prinzregent seit Jahren sich in den Straßen von London nicht hatte sehen lassen dürfen, ohne ausgezischt und angegrunzt zu werden und ohne zu riskieren, daß seine Wagenfenster mit Steinen und er selbst mit Kot beworfen würde. Aber der Haß des Mannes war stärker als seine Furcht. Auf Veranlassung seiner Minister gingen Brougham und der Alderman Wood der Prinzessin entgegen, die auf ihrer Reise nach England bereits in St. Omer eingetroffen war.
Der tapfere Signor Bartolomeo hatte sich mit seinem bedenklichen Schnurr- und Backenbart, seinen Orden, seinem Kammerherrnschlüssel, seinem Säbel und seiner wohlgefüllten Börse klüglich seitwärts geschlagen, nicht »in die Büsche« zwar wie Seumes Hurone, wohl aber nach Paris, wo er seine »Memoiren« aufsetzen, drucken und der Ausgabe derselben sein Porträt und ein Faksimile seiner Handschrift beigeben ließ, – letzteres zum überzeugenden Beweise, daß er nicht nur vortrefflich in der Reitkunst, sondern auch leidlich in der Schreibkunst beschlagen wäre.
Inzwischen ließ das englische Ministerium durch die genannten Unterhändler zu St. Omer der Königin ein Abkommen vorschlagen. Sie sollte ein Jahresgehalt von 50 000 Pfund beziehen, es aber im Ausland verzehren und auf den Titel einer Königin von England verzichten. Georg IV. und seine Minister hatten übersehen, daß sich eine mutvolle Frau nicht so leicht erkaufen läßt wie Parlamentsmitglieder. Zum äußersten entschlossen, verwarf Karoline den Vorschlag und erklärte, sie wollte Königin sein und heißen. Am 5. Juni 1820 landete sie, mit Zurücklassung ihres ganzen italienischen Gefolges, in Dover, dessen Kommandant ihr die königlichen Ehren erwies. Am folgenden Tage brach sie nach London auf. Ihre Fahrt dahin war ein völliger Triumphzug.
An ebendiesem 6. Juni fuhr Georg IV. in großem Staate nach Westminster, um dem Parlament persönlich seine Zustimmung zu der ihm bewilligten Zivilliste zu erkennen zu geben. Überall auf seinem Zuge wurde er mit dem wütenden Gebrüll: » The Queen for ever!« begrüßt, und die seine Karosse umgebenden Leibgarden hatten Mühe, ihn vor persönlichen Beschimpfungen zu schützen. Die Flut der Volksstimmung ging hoch und wild gegen den König und für die Königin. Aber die Minister hatten die bestimmtesten Verhaltungsbefehle und kamen ihnen nach. Um die fünfte Abendstunde erschien Mylord Liverpool, der Premier, im Hause der Lords und brachte eine königliche Botschaft, die den Peers von Großbritannien empfahl, ihre Aufmerksamkeit auf den »grünen Beutel« zu richten, in welchem »gewisse, das Betragen der Königin außerhalb Landes betreffende Aktenstücke« gesammelt seien.
In diesem Augenblick, wo das Oberhaus diese Aktenstücke einer geheimen Kommission zur Prüfung zu überweisen beschloß, ertönten vom Westend her die Freudenschüsse und das Glockengeläut, womit die Königin bei ihrem Einzug bewillkommt wurde. Ein unermeßliches Hurra stieg mehrere Tage lang ihr zu Ehren in die Lüfte, mehrere Nächte hindurch fanden Illuminationen statt, Lordmayor und Aldermen der City begrüßten die Heimgekehrte, aus dem Lande gelangten zahlreiche Begrüßungsadressen an sie herein, und zum Gegensatz wurden den beiden leitenden Ministern, Liverpool und Castlereagh, die Fenster eingeworfen und konnte Carltonhouse, die Stadtwohnung des Königs, nur mühsam vor einem Angriff der Volksmenge geschützt werden.
Die Lage war in Wahrheit drohend. Das Land hatte in den Kriegen gegen Napoleon so ungeheure Anstrengungen gemacht, daß umittelbar darauf Ermattung und Erschöpfung naturgemäß hatten eintreten müssen. Der Steuerdruck war furchtbar, Industrie und Handel erlagen einer zeitweiligen Lähmung, die Massen hungerten. Der König und seine Minister, die Castlereagh und Liverpool, Gegenstände tiefster Erbitterung von seiten des Volkes. Die vornehme Gesellschaft von totaler Sittenverderbnis durchfäult und von giftigem Parteitreiben zerrissen. Der öffentlichen Verstimmung der Nation über das herrschende System geheime Komplotte von verzweifeltem Charakter zugesellt. Und nun in dieses wüste Wirrsal, zur Vermehrung desselben, noch der beispiellose, weil mit schamlosester Öffentlichkeit betriebene Skandal der Prozedur geworfen, der ein achtundfünfzigjähriger Monarch seine zweiundfünfzigjährige Gemahlin unterwarf. Wohl hatte Mylady Charlotte Campbell recht, damals in ihr Tagebuch zu schreiben: »Man kann nur sagen, daß die Kloaken nach Unflat durchwühlt worden sein müssen, um einen bösen Feind, dem die Hochsinnigkeit des englischen Volkes verhaßt war, anzueifern, Ebenbilder der Männer zu formen, welche zu dieser Zeit im Besitze der Macht waren, und daß er in ihrem Namen ein Verfahren gestattete, welches nach Gebühr zu kennzeichnen die englische Sprache kein ausreichend schwarzes Eigenschaftswort besitzt.« Allein Georg IV. wußte wohl, daß es vom Grunzen und Schreien des Volkes bis zu einer Revolution unermeßlich weit sei, und da ihm seine Minister zu Willen waren, so beschloß er, der ja an Ehre, Ruf und Achtung ohnehin nicht ein Atom mehr zu verlieren hatte, seinem Hasse Genüge zu tun, selbst auf die Gefahr hin, dem Königtum eine der tiefsten Wunden zu schlagen, die es jemals empfangen hatte. Das ist ja das Unglück der Könige, daß sie selten oder nie die rechten Werkzeuge, das Gute und Rechte zu tun, zu finden verstehen, stets aber bereitwillige, das Schlechte, Verkehrte und Verbrecherische in Ausführung zu bringen.
Während die Königin, aus den Beweisen ihrer Popularität den Mut schöpfend, nicht zu wanken oder zu weichen, sich in Brandenbourghouse einrichtete, drang Lord Liverpool beim Parlament darauf, die angeregte Untersuchung gegen sie durch eine geheime Kommission führen und abmachen zu lassen. Dagegen legte Brougham namens der Königin Protest ein und bestand auf einem öffentlichen Verfahren, vielleicht in der Erwartung, daß sich der König doch scheuen werde, die ganze Sache der Öffentlichkeit anheimzugeben. Allein am 6. Juli brachte der Premier im Oberhause gegen die Königin eine förmliche Straf- und Bußbill ( Pains and Penalties Bill) ein, welche darauf abzweckte, die Angeklagte ihrer Rechte als Königin verlustig und ihre Ehe als aufgelöst zu erklären, »dieweil sie mit einem gewissen Bartolomeo Bergami in verbrecherischen Verhältnissen gelebt«. Ihre Aufführung wurde in dem Vortrage von Lord Liverpool als »ärgerlich, schändlich und lasterhaft« bezeichnet. Man hatte also das Parlament zum Richter der Königin bestellt und in Benützung eines im parlamentischen Brauche begründeten Vorteils die Sache zuerst an das Haus der Lords gebracht, weil man in ihm einer Mehrheit sicher war. War die Bill erst von den Lords genehmigt, so hoffte man sie auch durch das Unterhaus zu bringen.
Das ganze Verfahren war von Anfang an schmählich und gewaltsam. Man verweigerte der angeklagten Königin die im gemeinen englischen Recht begründete »Rekrimination«, man versagte ihr die Mitteilung der Liste von Zeugen, die gegen sie auftreten sollten, und ebenso die Angabe der Orte, wo sie die Handlungen, deren man sie beschuldigte, begangen haben sollte. Zum letztenmal wandte sie sich an die Person ihres Gemahls mittels eines Schreibens, in welchem man den Meisterstil Broughams unschwer erkennt. Der Brief schloß mit den Worten: »Die Giftschale und der Dolch des Meuchelmörders sind edlere Mittel, den Gegner zu verderben, als Meineide und bestochene Gerichte; sie sind weniger grausam, denn sie nehmen nur das Leben, nicht die Ehre. Wenn mein Tod Ihre Ruhe hätte sichern können, ich würde ihn nicht gescheut haben, unter der Bedingung, daß man mir einen Platz neben dem Staube meiner Tochter vergönnte. Aber da Sie mich mit Schande bedeckt ins Grab stürzen wollen, so werde ich mich Ihren Angriffen mit allen Kräften widersetzen, die mir Gott verleihen wird.« Die edle Beschwörung blieb unbeantwortet und ohne Wirkung.
Da die von den Lords am 6. Juli bestellte Kommission erklärt hatte, eine Untersuchung sei notwendig »gleichermaßen für die Würde der Krone wie für das moralische Gefühl des Landes«, – eine wunderliche Manier fürwahr, jene Würde und dieses Gefühl zu fördern! Es charakterisiert das ganze Verfahren, daß unter den vierzehn Mitgliedern der erwähnten Kommission nicht weniger als vier Mitglieder des Kabinetts waren. Der grüne Beutel wurde also teilweise von denselben Leuten untersucht, die ihn angefüllt hatten. – so setzte es der Premier gegen allen Rechtsbrauch durch, daß die erste Lesung der Strafbill schon auf den 17. August anberaumt wurde, als hätte man es der Königin schlechterdings unmöglich machen wollen, aus dem Ausland Entlastungszeugen herbeizubringen. Für die rechtzeitige Beibringung der Belastungszeugen dagegen hatte man umsichtig gesorgt. Schon von der Stunde an, wo die Königin ihren Entschluß, nach England zu kommen, zu erkennen gegeben, war die ganze Bande dieser Zeugen zusammengebracht, reichlich beköstigt und besoldet, sowie sorgsam instruiert worden.
Das Haus der Lords bot an dem Tage, wo die Königin vor ihren Richtern erscheinen sollte, einen imposanten Anblick dar. Die alte Halle, ausgeziert mit den Tapeten, die den Sieg über die spanische Armada darstellten, war gedrängt voll. An der Schranke ( Bar) war eine Loge für die Königin hergerichtet mit einem elfenbeinernen, purpurbedeckten Lehnstuhl. Der Loge zur Seite ein Platz für Mr. Brougham und Mr. Denman, die Anwälte der Angeklagten. In der Mitte des Hauses der Ministertisch und darauf der berüchtigte »grüne Beutel«. Der Lordkanzler Eldon führte auf seinem mit Scharlach überzogenen Wollsack den Vorsitz. Zunächst um ihn die »Rechtslords« in ihren Amtstalaren und Amtsperücken. In demselben Kostüm an der Bar die Anwälte des Königs, der Attorneygeneral Sir Robert Gilford und der Solicitorgeneral Sir John Copley. Dreihundertundachtundsechzig Peers hatten auf den Namensaufruf geantwortet und füllten die Scharlachsitze des Amphitheaters. Hinter der Schranke sah man die Mitglieder des Unterhauses sich drängen. Die ministeriellen Lords hatten durch die Westminster umwogenden Volksmassen gleichsam Spießruten laufen müssen. Ihre Kutscher und Lakaien waren von der Menge gezwungen worden, mit abgezogenen Hüten: »Es lebe die Königin!« zu rufen. Die Ankunft der Minister hatte ein furchtbares Gegrunze begleitet. Auch der Herzog von Wellington war in aller Form ausgepfiffen worden, zu nicht geringer Überraschung Sr. Herrlichkeit.
Ein unerhörtes Hurrageschrei durchbrauste Pall Mall, als die Königin in ihrem sechsspännigen Staatswagen heranfuhr. Neben ihr war ihre Ehrendame Lady Anna Hamilton Nicht etwa zu verwechseln mit einer andern, sehr berüchtigten Lady Hamilton, welche als Mätresse Nelsons den von Abukir nach Neapel gekommenen Seehelden daselbst zu den bekannten, seinen Ruhm so sehr bemakelnden Abscheulichkeiten verführte.. Auf ihrem ganzen Wege winkten und wehten ihr die Frauen aus allen Fenstern mit weißen Tüchern und Bändern zu, und aus den Volksmassen, die ihren Wagen umdrängten, stiegen unaufhörlich die Rufe auf: »Die Königin für immer! Die Königin oder den Tod!« Sie konnte nur langsam vorwärts kommen. Schwarz gekleidet, einen weißen Schleier über den Scheitel gebreitet, trat sie um halb elf Uhr vormittags in ihre Loge. Die Lords erhoben sich beim Eintritte der Königin, setzten sich dann wieder und stülpten die Hüte auf den Kopf, wie das in beiden Häusern des englischen Parlaments gentlemanlike war und ist.
Was für Gefühle die arme Karoline bestürmt haben mögen, als sie so vor dem stolzesten Senate der Erde dasaß? Dasaß auf einer Anklagebank von Elfenbein mit Purpurpolstern, aber doch immer auf einer Anklagebank, sie, die Matrone mit schon ergrautem Haar, angeschuldigt eines Gebarens, das nur heißblütige Jugend erklärlich und verzeihlich machen kann! Ob sie sich zu dieser Stunde eingestand, daß es der Tochter eines Herzogs, der Frau des Thronerben von Großbritannien nicht wohl angestanden, wie eine wilde Hummel durchs Leben zu surren? Wie aber Beschämung, Reue und Entrüstung wechselnd in ihrer Brust wogen und stürmen mochten, ein Trost war ihr sicher: sie wußte, daß der Segen der Öffentlichkeit sie vor Vergewaltigung behüten werde. Mochten ihr Gemahl und seine Minister das Schlimmste an ihr tun, sie hatten doch nicht die Macht, einen Spruch der Kabinettsjustiz gegen sie zu fällen, wie Georg I. gegen die arme Sophia Dorothea einen gefällt hatte, und hier auf dem Boden Englands reichten aller Haß, alle Wut, alles Racheschnauben eines Königs bei weitem nicht aus, seine Frau im geheimen von den nämlichen Schurken anklagen, verhören und verurteilen zu lassen, wie das der unglücklichen Mathilde von Dänemark geschehen war. Nein, die Ankläger Karolines hatten nicht einmal die Macht, die Reporter der Zeitungen von den Verhandlungen auszuschließen. Dort saßen sie, seitwärts von der Barre, schnellfingrig und federfertig, bereit, ganz England, ganz Europa instand zu setzen, in diesem Prozeß mit zu Gericht zu sitzen.
Als das Haus zur Tagesfrage schritt, sprachen nacheinander die Lords Leicester, Carnarvon und Grey von verschiedenen Standpunkten aus gegen die Inbetrachtnahme der Bill. Dann wurde dem ersten Anwalt der Königin zugestanden, seine Einwendungen gegen die Rechtsgrundsätze der Bill vorzubringen. An die Schranke tretend, eröffnete Brougham damit die Reihe seiner in dieser Sache gehaltenen herrlichen Reden, die ihn als vierten Stern dem großen Dreigestirn englischer Beredsamkeit anfügten, das aus dem älteren Pitt, Sheridan und Fox zusammengesetzt war. Brougham tat überzeugend dar, daß es sich hier darum handelte, ein noch dazu rückwirkendes Ausnahme- und Gelegenheitsgesetz zu machen. Das widerstreite allen englischen Rechtsprinzipien, und es sei folglich das ganze Verfahren ungesetzlich und unrechtmäßig. Mit schneidender Kühnheit fragte der Redner unter anderem die Minister: »Wie, ihr sagt, die Würde der Krone und die Würde der Nation seien gefährdet, weil, wie eure Bill behauptet, eine Frau aus der königlichen Familie sich eine ehebrecherische Aufführung zu schulden kommen ließ? Aber warum trat denn diese Gefährdung nicht ein, warum wurden keine Maßregeln dagegen ergriffen, als ein männliches Mitglied derselben königlichen Familie vor etlichen Jahren einen bewiesenen und eingestandenen Ehebruch beging?« Dem Herzog von York, einem Bruder des Königs, der in seiner Eigenschaft als Peer unter den Richtern seiner Schwägerin mitsaß, mochte es ziemlich schwül werden bei dieser Frage, mit der niemand gemeint war als er. Oder doch noch jemand? Ohne Zweifel, denn es ist klar, daß Brougham den Sack schlug und den Esel meinte, d. h. seinen Zuhörern hinter dem skandalhaften Lebenswandel des Herzogs von York den noch weit skandalhafteren des Königs zeigte …
An diesem Tage wurde nicht weiter vorgegangen. Am folgenden erhielt zuerst der zweite Anwalt der Königin, Denman, das Wort und griff das Materielle der Bill mit scharfer Dialektik an. Unter vielem Treffenden brachte er auch eine höchst glückliche Vergleichung vor, indem er sagte: »Der ganze Inhalt der Bill erinnert schlagend an jene Szene einer allbekannten Komödie, wo jeder und jede dem Gerüchte ein Wörtchen hinzufügt, bis die letzte mit Achselzucken und gleichsam unfreiwillig das Wort Ehebruch! ausspricht« Ich brauche kaum zu sagen, daß die meisterhafte Komödie » The school for scandal« (Die Lästerschule) von Sheridan gemeint ist.. Auf die Aufführung der Königin seit ihrer Ankunft in England zurückgreifend, wies der Redner nach, daß man nach den Aussagen glaubwürdiger und parteiloser Personen der Prinzessin von Wales nie etwas Schlimmeres habe nachsagen können, als daß sie leichtsinnig (» flirting«) gewesen sei und einen Hang zur Gefallsucht habe.
Die weitere Sitzung füllten Redegefechte zwischen den Anwälten der Krone und denen der Königin. In der Sitzung vom 19. August beantragte gleich zu Anfang Mylord King, das ganze Verfahren möchte als unnütz aufgegeben werden. Hiergegen erhob sich der Premier Liverpool, und die Lords beschlossen auf seinen Antrag mit 181 Ja gegen 65 Nein die Fortführung der Prozedur. Nun kam, aufgefordert vom Lordkanzler, der Attorneygeneral vor und entwickelte in dieser und der nächsten Sitzung vom 21. August folgende Anklageakte:
»Mylords! Nur mit Schmerz erfülle ich die Pflicht, hier vor euch die Gründe und Tatsachen auseinanderzusetzen, auf welche die Anklage gegen die Königin sich stützt. Leider vermag ich hierbei nicht Einzelheiten zu vermeiden, die jeden tugendhaften und wohlerzogenen Mann empören müssen; aber die Zeit des Schweigens ist vorbei, und ich werde, wennschon mich jedes Urteils über das Betragen Ihrer Majestät enthaltend, das hier darlegen, was durch die bestimmtesten Aussagen der Zeugen zu beweisen ich mich imstande fühle.
Wie bekannt, reiste die Königin im Jahre 1814 aus England fort. Am 9. Oktober desselben Jahres kam sie in Mailand an, wo sie als Kurier einen gewissen Bartolomeo Bergami in ihre Dienste nahm, der damals gerade dienstlos, früher aber als Kammerdiener bei dem General Pino gewesen war. Es war in den ersten vierzehn Tagen des Aufenthalts der Königin in Mailand, als sie den Bergami in ihre Dienste nahm. Bereits am 8. November kam die Königin in Neapel an, und folglich war damals Bergami höchstens drei Wochen im Dienste von Ihro Majestät. Wer könnte aber wohl glauben, daß in einer so kurzen Zeit sich schon ein vertrautes Verhältnis zwischen einer Person von so hohem Range und einem Domestiken anknüpfen konnte! Und dennoch läßt es sich durch Zeugen beweisen, daß der ehebrecherische Umgang der Königin mit dem Bergami bereits am Abend des 9. November seinen Anfang nahm. Schon am Tage ihrer Ankunft in Neapel hatte die Königin befohlen, daß der Knabe, William Austin, nicht mehr wie bisher in ihrem Zimmer schlafen sollte. Am Abend des 9. November bemerkte eine der Kammerfrauen der Königin, daß diese bei ihrer Rückkehr aus der Oper ganz ungewöhnlich bewegt war. Unfern des Schlafkabinetts hatte sie ein anderes Kabinett, das mit dem ihrigen in direkter Verbindung stand, einrichten und ein Bett hineinsetzen lassen. Man glaubte, dieses Gemach sei für William Austin bestimmt; aber keineswegs, Bergami erhielt es. Die Kammerfrau, die wie gewöhnlich Ihro Majestät bedienen wollte, wurde zu ihrem großen Erstaunen abgewiesen, verwunderte sich aber noch mehr, als sie am andern Morgen sah, wie das Bett der Königin ungebraucht war, während das von Bergami aufs unverkennbarste zeigte, daß es zwei Personen zum Lager gedient hatte.
Dieser einzige Umstand würde schon vor einem Geschworenengericht den Ehebruch außer Zweifel stellen; allein es ist meine Pflicht, die weiteren Umstände dieses unsittlichen Lebenswandels in ein noch näheres Licht zu setzen. Obschon Bergami noch immer bei der Tafel die Dienste eines Domestiken verrichtete und auf der Reise die eines Kuriers, so bemerkten doch die andern Dienstleute sehr wohl die unschickliche Vertraulichkeit, die zwischen ihm und der Prinzessin herrschte. Er frühstückte z. B. mit ihr allein in ihrem Kabinett, und man sah sie verschiedentlich mit ihm auf der vor ihrem Hause befindlichen Terrasse sich ergehen und ihm den Arm geben. Bei einem großen Fest, das die Königin dem Murat und den Großen von Neapel gab, erschien sie unter verschiedenen, für eine ehrbare Frau unschicklichen Verkleidungen, und so oft sie diese wechselte, zog sie sich allein mit Bergami, ohne daß eine ihrer Kammerfrauen ihr folgen durfte, in das zum Umkleiden bestimmte Kabinett zurück. Lassen sich aber solche Vertraulichkeiten einer Dame von hohem Stande gegen einen Diener anders erklären als durch die Voraussetzung eines ehebrecherischen Lebens?
Ich werde aber einen noch gewichtigeren Beweis aufstellen. Bergami wurde durch das Ausschlagen eines Pferdes verwundet und erhielt während seiner Krankheit die Erlaubnis, zu seiner Verpflegung einen seiner Bekannten ins Haus zu nehmen. Dieser Mensch schlief nahe bei Bergamis Zimmer und hörte mehrmals die Königin, wenn schon alles zur Ruhe war, vorsichtig und leise über den Korridor nach Bergamis Stube hinschleichen. Er legte sein Ohr an die Tür und hörte genau, wie die Königin und Bergami sich umarmten. (Bei dieser Anführung ließ sich durch die ganze Versammlung der Ausdruck des Unwillens vernehmen; der Kläger, dies bemerkend, fuhr fort:) Ich fühle, daß die Einzelheiten, zu denen ich gezwungen bin, von einer Art sind, daß ich in Gefahr komme, mir euren Unwillen zuzuziehen; aber ich muß Eure Herrlichkeiten bitten, nicht zu vergessen, daß es meine Pflicht ist, klar, obschon mit möglichster Dezenz, die Sachen, wie sie sind, darzulegen.
Ihre Majestät die Königin blieb bis im März des folgenden Jahres in Neapel und setzte während dieser ganzen Zeit ihren ehebrecherischen Umgang mit Bergami fort. Mehrere englische Damen aus ihrem Gefolge verließen sie, selbst ohne vielleicht einmal zu wissen, wie weit die Unsittlichkeit ihrer Aufführung ging. Eines Tages erschien sie auf einer öffentlichen Maskerade im Theater San Carlo in einem so unanständigen Aufzug, daß das Publikum sie beleidigte und sie sich gezwungen sah, sich wegzubegeben. Von Neapel reiste sie nach Rom, Civitavecchia und Genua. An Bord der von Kapitän Peachell geführten Fregatte Klorinde stand Bergami hinter ihrem Stuhl zu ihrer Bedienung; dennoch ging ihre Vertraulichkeit mit ihm so weit, daß man sie sogleich in Genua bemerkte. Hier begleitete Bergami sie öfters auf den Spaziergängen und fing überhaupt an, sich seinen häuslichen Diensten nach und nach zu entziehen. Seine Tochter, namens Viktorine, ein Kind von zwei Jahren, wurde ins Haus genommen, und der Königin konnte nicht unbekannt bleiben, daß er verheiratet sei. Durch Zeugen läßt sich beweisen, daß in Genua die Königin den Bergami stets in einem mit dem ihrigen in Verbindung stehenden Zimmer wohnen ließ, daß die Kammerfrauen alle Morgen das Bett der Königin ungebraucht fanden, so daß sie nur die Decke desselben ein wenig wieder in Ordnung zu bringen hatten, und daß sich in Bergamis Bette die unverkennbaren Spuren davon zeigten, daß zwei Personen darin übernachtet hatten. – In Mailand, zu Ende des Monats Mai 1815, war die Königin von allen Engländern ihres Gefolges verlassen; sie nahm jetzt als Gesellschaftsdame die Gräfin Oldi, die Schwester Bergamis, zu sich, während dieser immer noch ihr Kurier blieb. Die andern Dienstboten wußten nicht, daß die Gräfin Oldi Bergamis Schwester war. In Venedig, wohin sich die Königin begeben hatte, um ihre große Reise anzutreten, sah man sie eines Tages dem Bergami eine goldene Kette umhängen. Dieser aber, noch immer nichts weiter als Bedienter, nahm mit einem galanten Bezeigen die Kette wieder von seinem Halse ab und hängte sie der Prinzessin um, die sie hierauf ihm noch einmal um den Nacken schlang. Beweisen solche Vertraulichkeiten mit einem Diener nicht das Verbrechen? In der Villa d'Ami bei Venedig schenkte die Königin dem Bergami einen Schlafrock von blauer Seide. Er hatte hier freien Zutritt in ihr Schlafgemach zu jeder Stunde.
Ich muß hierbei bemerken, daß die Entartung der äußeren Seiten des Benehmens, die die notwendige Folge einer ungehörigen Aufführung ist, schon sehr sichtbar im Betragen der Königin wurde. So spielte sie z. B. öfters mit ihren Dienstleuten Karten; doch fing sie im November 1815 an, ihrem vertraulichen Verkehr mit Bergami eine Art von größerer Schicklichkeit zu verleihen, indem sie ihn zum Range eines Kammerherrn erhob. Auf dem Schiffe Leviathan, mit dem sie die Überfahrt nach Sizilien machte, spazierte sie häufig mit Bergami auf dem Verdeck umher, reichte ihm den Arm und gab ihm überhaupt viele Beweise ihrer Zuneigung. In Palermo nahm sie ihn sogar mit an den Hof. Er war in eine prachtvolle Husarenuniform gekleidet. In Messina, wo sie bis zum 6. Januar blieb, dauerten die gegenseitigen Vertraulichkeiten fort. Hier sahen sie ihre Kammerfrauen im tiefsten Negligé aus Bergamis Zimmer kommen und hörten, wie sie ihn mit den zärtlichsten Benennungen, z. B. ›mein Herz, mein Freund‹ usw. ansprach.
Als Kapitän Peachell, der die Klorinde führte (auf welchem Schiffe die Königin sich am 6. Januar einschiffte), sich weigerte, den Bergami mit an seinen Tisch zu nehmen, fragte ihn die Königin um die Ursache, und Peachell antwortete: ›Weil er noch im vorigen Jahre hinter meinem Stuhle stand.‹ Weit entfernt, sich über diese Antwort zu entrüsten, wie jede andere Frau getan hätte, ließ die Königin sich eine besondere Tafel besorgen, an der sie mit Bergami allein speiste. In Syrakus und in Catania sah man die Königin im Negligé aus Bergamis Zimmer kommen, unter dem Arm ein Kopfkissen tragend, auf dem sie gewöhnlich zu ruhen pflegte. Hier verschaffte sie dem Bergami das Malteserkreuz. Der Adel, der anfänglich der Königin seine Aufmerksamkeit bezeigt hatte, wandte sich bald von ihr ab und ließ sie mit ihrem Liebhaber allein.
Von Catania begab sich die Königin nach Augusta. Hier erhielt Bergami den Titel eines Barons della Franchini. Wodurch anders als eine ehebrecherische Verbindung mit ihm kann man so ausgezeichnete Gunstbezeigungen sich erklären? Sie ließ sich in türkischem Kostüm malen und schenkte dies Bild ihrem Liebling, den sie in gleicher Tracht hatte proträtieren lassen. Nun mietete sie eine Polacre und begann ihre Seereisen. Auf dem Schiffe ließ sie ihr Schlafkabinett so einrichten, daß, wenn sie sich in ihrem Bette befand, sie Bergami in dem seinen sehen konnte. In Tunis und in Utika kam der neue Kammerherr sehr häufig in das Kabinett der Königin, noch ehe diese sich erhoben hatte. Was konnte er da wohl als Kammerherr zu tun haben? In Savona, wo die Königin den 12. April 1816 ankam, hat man die überzeugendsten Beweise von der Fortsetzung ihres ehebrecherischen Umgangs mit Bergami gesammelt. Sie schlief dort niemals in ihrem Bett, und das von Bergami zeigte fortwährend die Spuren, daß immer zwei Personen darin geschlafen hatten.
Von Afrika begab sich Ihre Majestät nach Athen und hielt sich einige Zeit in Milo auf. Nach Athen kam sie den 22. April 1816. Hier fiel eine Begebenheit vor, die die Vertraulichkeit, die zwischen der Prinzessin und Bergami herrschte, und des letzteren wenigen Respekt vor Ihrer Majestät hinreichend dartut. Ein englischer Schiffskapitän kam, Ihrer Majestät seine Aufwartung zu machen. Man führte ihn durch den Garten nach einer Art von Laube, wo er die Prinzessin, die Gräfin Oldi und Bergami fand. Die Königin ließ den Fremden niedersitzen, um sich mit ihm zu unterhalten. Bergami stand nach kurzer Zeit auf, um sich zu entfernen. Er ging, ohne sich von Ihrer Majestät zu beurlauben. Dies Benehmen fiel dem Offizier ungemein auf, der mit Erstaunen sah, wie dieser Mensch Ihre Hoheit als seinesgleichen behandelte. Von Athen begab sich die Königin über Konstantinopel nach Ephesus. Hier bereitete man ihr ein Schlafzimmer in der Vorhalle einer alten, mit Bäumen umgebenen Kirche. Hier speiste sie auch mit ihrem Kammerherrn und saß gewöhnlich auf einem kleinen Reisebett, Bergami aber neben ihm auf der Erde. Nach Tische blieb er immer eine geraume Zeit mit ihr allein. Von Ephesus reiste Ihre Majestät nach Aume in Syrien. Hier ergaben sich noch mehrere Beweise für den strafbaren Lebenswandel der Königin. Man errichtete ein Zelt für Ihre Majestät und setzte ein Bett hinein. Auf diesem lag die Königin, halbausgezogen, und Bergami, gleichfalls im Negligé, saß daneben und blieb beträchtliche Zeit bei ihr. Von hier ging der Weg nach Jerusalem, wo die Königin, nicht zufrieden mit den Auszeichnungen, die sie bereits dem Bergami hatte zukommen lassen, ihm den Orden des heiligen Grabes verschaffte, ja noch einen neuen Hausorden unter dem Namen ›der heiligen Karoline von Jerusalem‹ errichtete, den sie an mehrere ihrer Dienstleute verlieh und dessen Großmeister Bergami wurde. (Hier fing die ganze Versammlung an zu lachen.) So war er also Kammerherr, Malteserritter, Ritter des Ordens vom Heiligen Grabe, Großmeister des Ordens der heiligen Karoline von Jerusalem und Baron della Franchini geworden! Von Jerusalem begab sich die Königin nach Jaffa. Da es sehr heiß war, so wollte Ihre Majestät nicht in der Kajüte schlafen und ließ sich daher auf dem Verdeck ein Zelt aufschlagen, in dem ihr Bett ganz nahe und ohne Zwischenwand bei dem von Bergami stand. So schliefen sie beide alle Nächte ohne Unterbrechung bis zur Rückkehr nach Italien. Am Tage wurde das Zelt gewöhnlich geöffnet, um frische Luft einzulassen; aber zuweilen ließ sie es am hellen Tage zumachen und blieb dann geraume Zeit mit Bergami allein. An Bord des Schiffes nahm die Königin zuweilen ein Bad, und dann war Bergami der einzige, der sie dabei bedienen und bei ihr bleiben durfte. Am 24. August, als dem Namenstag Bergamis (seine Vorname ist bekanntlich Bartolomeo), gab die Königin auf dem Schiffe ein großes Fest, so wie sie es schon das Jahr vorher an demselben Tage in Como gemacht hatte, bei welcher Gelegenheit das Schiffsvolk die Gesundheit von Ihrer königlichen Hoheit mit der von Bergami zugleich trank. Alles dies läßt keinen Zweifel mehr über die ehebrecherische Verbindung der Königin mit Bergami übrig. Als sich die Königin nach der Villa d'Este begab, ernannte sie Bergamis Bruder zum Aufseher ihres Palastes. Seine Mutter nahm von dieser Zeit den Namen ›Madame Livris‹ an. Während der Abwesenheit von Ihrer Majestät hatte man in Villa d'Este ein Theater erbaut. Auf diesem Theater wurden späterhin Stücke aufgeführt, in denen Ihre Majestät selbst einige Rollen übernahmen, so wie Bergami, der die Liebhaber spielte. Ihre Majestät machte zuweilen die Liebhaberin.
Eines Tages geschah es, daß Bergami einiger wichtigen Angelegenheiten wegen einen Kurier nach Mailand sandte. Dieser, der in der Nacht oder wenigstens so früh des Morgens wiederkehrte, daß noch niemand aufgestanden war, glaubte es seiner Pflicht gemäß, sich sogleich zu Bergami begeben zu müssen. Er fand ihn indessen nicht in seinem Zimmer, sah aber, wie er gleich darauf im Schlafrock aus dem der Prinzessin kam. Da dieser Mensch noch nicht lange in den Diensten Ihrer königlichen Hoheit stand, so hielt Bergami es für nötig, sein Kommen aus dem Kabinett der Königin zu bemänteln. Er gab nämlich vor, das Kind, das bei Ihrer Majestät schlief, habe geschrien, und er sei deswegen hingeeilt, es zu beruhigen; auch bat er den Kurier, nicht weiter über diesen Vorfall zu sprechen. Außer den Orden und Titeln, die die Königin an Bergami verliehen hatte, kaufte sie ihm nun auch noch ein Landhaus in der Gegend von Mailand und gab ihm den Namen ›Villa Bergami‹ oder ›La Barona‹. Hier wurden während des Karnevals 1817 die abscheulichsten Orgien gefeiert. Die lasterhaftesten Menschen des Ortes fanden sich hier ein, und man konnte dieses Haus eher für ein Freudenhaus als für den Palast einer britischen Prinzessin halten. Nach ihrem Aufenthalt in der Barona machte die Königin eine Reise nach Tirol. Bei ihrer Ankunft in Brixen ging Bergami in Geschäften nach Innsbruck. Die Königin, die nicht vermutete, daß er in der Nacht wiederkehren würde, ließ eine ihrer Kammerfrauen bei sich ihm Zimmer schlafen. Bergami kam aber und begab sich sogleich ins Kabinett Ihrer Majestät, die alsbald der Kammerfrau befahl, sich zu entfernen. In Karlsruhe wohnte sie in einem Gasthause in dem Zimmer Nummer 10, Bergami in dem Nummer 12; durch Nummer 11 waren beide Gemächer miteinander verbunden. Den Morgen nach ihrer Ankunft trat eine Aufwärterin in Bergamis Zimmer und sah mit Erstaunen, wie Ihre königliche Hoheit auf Bergamis Bette saß und ihren Arm um seinen Nacken geschlungen hatte. Als die erwähnte Person Bergamis Bett machte, fand sie ein Kleidungsstück, womit Ihre königliche Hoheit nachher bekleidet war.«
So lautete die Anklage, die Georg IV. gegen seine Gemahlin erheben ließ! Mit Überwindung unseres Ekels haben wir sie vollständig hergesetzt, weil sie erstens eines der wundersamsten Aktenstücke zur Sittengeschichte des Königtums bildet und weil sie zweitens unvergleichlich ausdrucksvoll dartut, was eigentlich hinter der englischen Scheinzüchtigkeit steckt. Weiter wollen wir jedoch die »königliche Bordellkomödie«, wie der Prozeß damals genannt wurde, nicht mehr in allen ihren Einzelheiten verfolgen, sondern nur die Hauptpunkte herausheben.
Die Prozedur währte volle fünf Monate und nahm zweiundfünfzig Sitzungen des Oberhauses in Anspruch. Nach Verlesung der Anklageakte wurden die Belastungszeugen vor die Schranken gerufen, ein Rudel italienischer Lakaien, eine französische Schweizerin, welche Kammerfrau bei der Prinzessin gewesen, eine Kellnerin aus Karlsruhe, im ganzen vierundzwanzig Personen. Als der erste dieser Zeugen, der Italiener Majochi, welcher Kammerdiener bei der Prinzessin gewesen war, vortrat, um gegen seine Gebieterin auszusagen, entfuhr der Königin beim Anblick des Mannes ein lauter Schrei der Überraschung und Entrüstung, und erschüttert zog sie sich in das neben der Halle für sie bereitete Kabinett zurück. Sie hatte diesen Menschen mit Wohltaten überhäuft! Zum Dank dafür hatte er sich dem Bruder Castlereaghs, Mylord Stewart, Gesandten in Wien, als Zeuge gegen seine Wohltäterin verkauft. Es war kein Wunder, wenn die arme Karoline in Stunden, wo ihr Herz in Galle schwamm, von den Menschen überhaupt nur noch als von »schlechten und niederträchtigen Kreaturen« sprach.
Die Verhöre der Belastungszeugen, in den schmutzigsten Einzelheiten umherklaubend, wühlten erst recht die Grundsuppe des Ärgernisses auf. Vom 17. August bis zum 24. Oktober dauerte die Befragung dieser Zeugen. Am meisten belastend für die Königin lauteten die Aussagen des Majochi und der Waadtländerin Luise Dumont. Deshalb bot Brougham seinen ganzen Scharfsinn auf, um gerade diese beiden Zeugen mit der unerbittlichen Beißzange seiner Kreuzfragen zu fassen. Sie wanden und krümmten sich zum Erbarmen, und wenn nun der italienische Schuft sein berüchtigt gewordenes » Non mi ricordo« (Ich erinnere mich nicht) und die welsche Schelmin das entsprechende » Je ne me rappelle pas« hervorstotterte, hallte die Halle von Gelächter über den »evidenten Schuldbeweis« wider, den gerade diese beiden Personen erbringen sollten. Es wurde bald klar, daß ein solcher Beweis überhaupt nicht erbracht werden konnte.
Am 6. November, wo die zweite Lesung der Bill statthatte, hielt Brougham, von seinem Kollegen trefflich unterstützt, seine große Verteidigungsrede, in der er erklärte, daß er sich im Notfall namens seiner Klientin eine Gegenklage gegen den König vorbehalte. Die Rede gilt mit Recht für eine der glorreichsten von allen, die jemals gehalten worden sind. Sie ward von solchen Hörern, die sich des berühmten Begums-Speech erinnerten, die der geniale Sheridan im Prozesse des Warren Hastings gehalten hatte, unmittelbar neben diese gestellt. Der Eindruck war ein gewaltiger, in der Halle der Lords selbst, noch mehr aber draußen in der Stadt, in ganz Großbritannien, in der ganzen zivilisierten Welt. Aber noch hielten die Minister und ihre Anhänger aus. Als die Frage: Soll die Bill zum zweiten Male gelesen werden? gestellt wurde, blieben die Ja mit 28 Stimmen in der Mehrheit.
Aber diese Mehrheit war so gering, daß selbst der Lordkanzler Eldon, im Herrendienst sonst nie skrupulös oder bedenklich, zu wanken begann und den Rat gab, wenigstens die Scheidung aus der Bill fallen zu lassen, um das übrige zu retten. Aber die Partei der Königin im Oberhause drang auf Aufrechthaltung gerade dieser Bestimmung, in der Hoffnung, die ganze Bill werde an dieser Klippe scheitern. Was den Premier betrifft, so hatte diesen die von Brougham ausgesprochene Drohung der Königin, sobald die Sache an das Unterhaus gelange, eine Gegenklage gegen den König anzustellen, mit Schrecken erfüllt, allein der König und Castlereagh trieben ihn an, auszuharren, und so ließ er der Sache ihren Lauf.
Inzwischen brachten die Anwälte der Königin ihre Entlastungszeugen vor. Schon die Erscheinung derselben mußte günstig wirken, denn es war eine Anzahl unzweifelhaft ehrenhafter Männer und Frauen, von denen sich keiner und keine weder zur Spionage noch zum Meineid hergegeben hätte. Ihre Aussagen lauteten des bestimmtesten zugunsten der Angeklagten, und besonders gute Wirkung taten die Darlegungen des vieljährigen Haushofmeisters Karolines, des greisen Johann Jakob Sikkard, eines Deutschen von Geburt.
In den Debatten des Hauses kamen viele charakteristische Äußerungen vor. Mylord Grosvenor z. B. sagte gelegentlich: »Wäre ich Erzbischof von Canterbury gewesen, so hätte ich dem König lieber das Prayer-Book ins Gesicht geworfen, als die Königin aus ihm gestrichen.« Unter den gegen die Königin stimmenden Peers taten sich die Herzoge von Newcastle und von Northumberland, der eine durch die Plumpheit, der andere durch den Blödsinn seines Votums hervor: jener äußerte, er gebe seine Stimme für die Bill in ihrem ganzen Umfang, »obzwar er die Verteidigung nicht gehört habe«; dieser sprach weinerlich von »der Tugend des königlichen Hauses« – die Tugend Georgs IV. und seiner Brüder, d. h. ein Knäuel von Laster und Verworfenheit! – und »zur Aufrechthaltung dieser Tugend stimme er gegen die Königin«. Man hätte das für eine blutige Ironie nehmen können, wäre der edle Herzog nicht ein notorischer Schafskopf gewesen. Der Herzog von Bedford meinte ganz richtig: »Was würde, wenn ein Baron Ompteda (der Oberspion, dessen sich Graf Münster gegen die Königin bedient hatte) der glorreichen Königin Beß auf allen ihren Gängen nachgeschlichen wäre, aus dem Rufe derselben geworden sein?« Der Nestor des Hauses, der hochbetagte Lord Erskine, besiegte Krankheit und Schwäche, um viermal für die Angeklagte das Wort zu nehmen. In der Schlußdebatte sagte er: »Der Prozeß hat angehoben mit Bestechung, wurde fortgesetzt mit Meineid und wird, wenn die Anklage triumphieren sollte, ein Triumph infamer Ungerechtigkeit und Grausamkeit sein.«
Bei der dritten Lesung der Bill, am 10. November, kam die Entscheidung. Auch jetzt noch, um einen Ausdruck des englischen Parlamentarismus zu gebrauchen, »hatten es« die Ja, aber mit einer Mehrheit von nur neun Stimmen, gerade so viel als das Ministerium Mitglieder zählte. Jetzt versagte den Ministern das Herz. Es war so gewiß, wie 2 x 2 = 4 ist, daß die Bill nicht durch das Unterhaus zu bringen sein würde. Lord Liverpool stand auf und beantragte aschgrauen Gesichtes und bebender Lippe »die Vertagung der weiteren Behandlung der Bill auf sechs Monate«, zu deutsch: die Regierung erklärte, daß sie den ganzen Prozeß fallen ließe. Mylord Erskine beglückwünschte sich, das Haus und das Land, weil durch Aufgebung dieser »fluchwürdigen« Sache das Recht, das Gesetz und die englische Verfassung gerettet sei. Mylord Grey zeichnete mittels der Brandmarke seiner rotglühenden Worte die Stirnen der Minister; aber nur eine derselben senkte sich darum schamvoll, die von George Canning, dem Blindekuhmitspieler der Königin in den Tagen von Blackheath: er schied aus dem Kabinett, dessen Gebaren die Stimme der Nation so laut verurteilt hatte.
Die Angeklagte harrte am 10. November in ihrem Zimmer neben der Lordshalle der Entscheidung. Nachdem der Premier die mitgeteilte Erklärung abgegeben, eilte Brougham, sie seiner Klientin zu bringen. Karoline stand starr wie eine Statue und ließ sich dann mechanisch von ihren Freunden hinunterführen. Als sie in den Wagen stieg, erhoben die ihrer harrenden Volksmassen ein unbändiges Jubelgeschrei: » The Queen! The Queen for ever!« Da brach die so Begrüßte in einen Strom von Tränen aus. Drei Nächte lang war London festlich beleuchtet, Freudenfeuer loderten in den Straßen und wehe den Fensterscheiben, hinter denen keine Lichter brannten.
Freilich, bei wieder eintretender Ernüchterung mußte es bald klar werden, daß der Sieg, den die Königin über ihren Gemahl davongetragen, doch nur ein solcher wäre, welcher vieles, ja alles in der Schwebe ließ. Karoline hieß jetzt allerdings unbestritten Königin, aber daß sie es nicht war, sollte sie bald genug innewerden. Während der Dauer des Prozesses hatten der Mut und die Standhaftigkeit, die sie an den Tag legte, ihre wesentlich auf der Unpopularität des Königs beruhende Volksbeliebtheit bis zur Vergötterung gesteigert. Wenn aber die Gefühle der Massen einmal zu solcher Exaltation gediehen sind, so folgt ein Rückschlag so sicher wie der Flut die Ebbe. So geschah es auch jetzt. Es war doch etwas an der Königin hängen geblieben, und nun der Tumult der Leidenschaften und des Parteikampfes, wie er während des Prozesses getobt, sich gelegt hatte, mußten sich selbst die entschiedensten Freunde Karolines gestehen, daß ihr Verhältnis zu Bergami vor einer nüchternen und gewissenhaften Kritik nicht bestehen konnte. Die Konsequenzen hiervon machten sich bald bemerkbar und brachen das Leben der Fürstin, wie der Prozeß ihre Gesundheit gebrochen hatte. Sie war nicht mehr die »wilde Hummel« von ehemals, sie war nur noch eine unglückliche, stets in Tränen schwimmende alte Frau.
Zwar noch einmal raffte sie sich auf zu energischem, wenn auch nicht sehr taktvollem Tun; aber der Erfolg war kläglich. Im Sommer 1821 sollte die Krönung des Königs stattfinden. Georg IV. strengte alle seine Erfindungsgabe in Sachen des Luxus und Geschmackes an, um diese Feierlichkeit zur prächtigsten zu machen, die England jemals gesehen, und das gelang ihm vollständig. Von der Königin war bei den Vorbereitungen gar keine Rede. Sie jedoch ließ den Ministern erklären, daß sie der Krönung des Königs beiwohnen würde und nach Vollziehung derselben ebenfalls gekrönt sein wollte. Man nahm von dieser Erklärung keine Notiz, indem man nicht ohne Grund erwartete, die bevorstehende Prachtentfaltung würde dem Volke keine Zeit lassen, mit der davon ausgeschlossenen Königin sich zu beschäftigen. Und so geschah es denn auch. Am 19. Juli fand die Krönung des Königs in der von Glanz und Herrlichkeit funkelnden großen Festhalle von Westminster statt. Auch Karoline kam angefahren und versuchte, begleitet von Lord Hood, ihrem Kammerherrn, in die Halle zu dringen. Aber man wies sie zurück, weil sie keine – Eintrittskarte vorzeigen konnte. Keine Hand und keine Zunge rührte sich für die Unglückliche. Wo waren denn die Tausende und Hunderttausende, die wenige Monate zuvor nicht hatten müde werden können, zu brüllen: »Die Königin für immer!« Ach, sie waren auch heute wieder da, aber sie gafften stumm und teilnahmlos.
Das war zuviel für die arme Frau. Am Abend des 30. Juli erkrankte sie plötzlich in ihrer Loge im Drurylanetheater. Sie hatte ein Glas Limonade getrunken, und es wird erzählt, ohne jedoch verbürgt zu sein, daß sie, als schon am Morgen darauf ihre Krankheit den bedenklichsten Charakter angenommen, ausgerufen habe: »Der König hat mich vergiften lassen!« Sterbend verzieh sie ihren Feinden, setzte ihren Adoptivsohn Austin zum Haupterben ein und verordnete, daß man sie daheim in Braunschweig begraben sollte. So verschied sie am 7. August 1821. Für die Tote erwachte die Teilnahme des Volkes wieder. Es zwang den Leichenkondukt, statt um die City herum mitten durch diese zu gehen, und noch bei der Einschiffung des Sarges zu Harwich brüllte die Menge: »Die Königin! Die gemordete Königin!« Georg IV. überlebte seine Frau fast um volle neun Jahre, welche er, ziemlich menschenscheu geworden, im Kreise seiner männlichen und weiblichen Günstlinge meist in Windsor verbrachte. Seinen sonstigen Lebensgewohnheiten blieb er treu bis zuletzt, auch dem großen Glas Brandy, das er jeden Morgen trank, um »den Tag über zu leben«. Am 26. August 1830 nahm ihn ein Schlagfluß hinweg.
Die Geschichte hat ihm sein Urteil gesprochen, das nicht anders als streng und verdammend lauten konnte. Milder hat sie über die Königin geurteilt, und heutzutage dürfte kein Billigdenkender mehr geneigt sein, einen Stein gegen das Andenken einer Frau aufzuheben, die die Eitelkeit menschlicher Größe so bitterlich erfahren mußte. Ihre Verirrungen sind mit ihr begraben worden, aber ihre Leiden umgeben sie in den Augen der Nachwelt mit einem Schimmer von Poesie. Eindringlich offenbart ihr Geschick das Unbeständige und Trügerische der öffentlichen Meinung. Fürstengunst, hat man mit Fug gesagt, sei ein zweischneidiges Messer. Aber Volksgunst ist das bekannte Lichtenbergsche Messer ohne Heft, dem die Klinge fehlt.