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Fichte

Deines Geistes
Hab' ich einen Hauch verspürt.

Uhland.

1.

» Fichte heißt dieser Mann, dem selbst seine entschiedensten Widersacher nichts nachzusagen wissen, was den leisesten Flecken auf seinen Charakter würfe, sondern über den das ganze unterrichtete Deutschland sich längst vereint hat, daß er die Redlichkeit und Reinheit selbst war. Es verlohnt sich wohl, über diesen Mann noch einige Worte zu sagen« … So eine deutsche Zeitung im September 1822, als jene riesige Giftspinne, im Neste der heiligen Allianz ausgebrütet und genannt »Mainzer Zentraluntersuchungskommission«, das Andenken des großen Toten in die Maschen ihres schmutztriefenden Netzes zu verstricken gewagt hatte.

Ja, wohl lohnte es sich damals, zu einer Zeit stupid-boshafter Brutalität von oben und knechtisch-feiger Erschlaffung von unten, der Mühe, wieder an einen Gelehrten zu erinnern, der nicht nur ein solcher, sondern auch ein Mann gewesen war, ein Charakter vom edelsten Metall, in jeder Beziehung einer der besten Männer deutscher Nation und wahrlich nicht im Sinne der »besten« Männer, d. h. Unmänner von 1848. Auch heute dürfte es wieder der Mühe sich lohnen, an einen Mann vom Schlage Fichtes zu erinnern. Liegt doch im Anschauen solcher vom Hauche des Ideals »umwitterter« Gestalten etwas die moralische Atmosphäre Reinigendes, etwas Stärkendes und Erhebendes …

Jedermann weiß, daß die Geschlechtsregister der großen Menschen nicht im » Almanach de Gotha« zu suchen sind. Es ist Ausnahme, nicht Regel, wenn auf den sogenannten »Höhen der Gesellschaft« ein tüchtiger, geschweige ein um eines Hauptes Länge über seine Zeitgenossen wegragender Mann aufwächst. Eher noch gedeihen dort bedeutende Frauen, eine Tatsache, die Jean Paul in seiner Art geistvoll bezeugt hat, indem er sagte: »In die Nester der höheren Stände steige ich eben nur der Frauen wegen hinauf, die da, wie bei den Raubvögeln, größer sind als die Männchen.« Nicht die Gunst, sondern vielmehr die Ungunst der Verhältnisse ist der Hammer, der den Mann schmiedet. Die Kinder des Glücks und nun gar vollends die »im Purpur geborenen« erfahren nur selten oder nie jenen schmerzlichen, aber heilsamen Druck der Not, der die Muskeln der Seele stählt und ihre Federkraft erhöht. Ja, die »große Meisterin«, die Not, sie ist es, die den kategorischen Imperativ der Pflicht lehrt und willensstarke Charaktere bildet. Man braucht wahrhaftig kein Schmeichler der Menge zu sein, um Herders Ausspruch, daß alles wahrhaft Gute und Große nur aus dem Volke komme, als vollkommen gerechtfertigt anzuerkennen. Freilich, der Unterschied zwischen Volk und Pöbel, den nur Toren leugnen können, ist hierbei scharf zu beachten und zu betonen. Aus dem Pöbel ist noch kein Prophet aufgestanden, aus dem Volke gingen sie alle hervor, vom Zimmermann von Nazareth an bis herab auf Rousseau und Schiller.

Im Dorfe Rammenau in der Oberlausitz wurde am 19. Mai 1762 dem Bandweber Christian Fichte ein Sohn geboren, Johann Gottlieb Fichte, der zu einem stillen, träumerischen, nachdenklichen Knaben heranwuchs, nicht eben besondere, glänzende Fähigkeiten verriet und in keiner Weise zu den »Wunderkindern« gehörte, aus denen meist nur gewöhnliche Menschen werden. Man sagt, ein uralter Großoheim habe dem Kinde in der Wiege einen weltklingenden Namen prophezeit. Gewiß jedoch ist, daß in dem weichen, gern einsam durch Flur und Wald schweifenden, die Blicke träumerisch-sehnsüchtig in die Ferne wendenden Jungen niemand den Mann von unbeugsamem Willen, den tapferen Philosophen ahnen konnte. Aber im Feuer der Widerwärtigkeiten und auf dem Amboß der Armut härtet sich edles Metall, während unedles da allerdings zerrinnt und zerstiebt.

Es war keine Aussicht vorhanden, daß der junge Johann Gottlieb dermaleinst in der Welt einen andern Platz würde einnehmen können als den an einem der Webstühle, die unter dem Dache seines Vaterhauses klapperten, und möglich, wahrscheinlich sogar ist es, daß er an diesem Platze das, was die Menschen so »Glück« nennen, besser gefunden hätte, als er es anderwärts fand. » Bene vixit, qui bene latuit« (Gut lebte, wer im Verborgenen gelebt hat). Allein schattengleich-flüchtig und namenlos über die Erde hinzustreichen und in einem stillumfriedeten Winkel das eigene kleine Glück zu bauen, ist solchen nicht gegönnt, welche »Adler im Haupte tragen«. Zwar ist er, wie gesagt, kein Wunderkind gewesen, doch mitunter blitzte plötzlich ein Funkenschlag des Genius aus der Seele des Weberjungen.

Da war aber ein Ortspfarrer, dem das nicht entging, und der würdige Mann begann nicht nur den Knaben zu unterrichten, sondern lenkte auch die Aufmerksamkeit eines wohlwollenden Edelmanns, des Freiherrn von Miltitz, auf ihn. Die Güte dieses Gönners erschloß unserm Johann Gottlieb die wissenschaftliche Laufbahn; denn des Freiherrn Fürsorge machte es möglich, daß sein junger Schützling die Stadtschule zu Meißen, dann das Gymnasium zu Schulpforta und zu Michaelis 1780 die Universität Jena bezog, zunächst in der Absicht, Theologie zu studieren. Da jedoch unser der Gottesgelahrtheit Beflissener mit der schon damals ihm eigenen Energie daran ging, das Glauben mit dem Wissen, die Offenbarung mit der Vernunft in Einklang zu bringen oder, wie er sagte, sich eine »haltbare Dogmatik« zu schaffen, so ging es mit seinem Theologismus erst langsam, dann rascher und rascher bergab. Eine »haltbare Dogmatik!« Wo denn wäre die zu finden, wenn nicht im Nebelheim der absoluten Gedankenlosigkeit?

Auf diesem Boden sich anzusiedeln, war Fichte nicht gemacht. In Wahrheit, er hatte die Linksschwenkung von der Theologie zur Philosophie bereits vollzogen, während er noch von dem idyllischen Glück eines dorfpastorlichen Daseins träumte. Träumen war sonst zu dieser Zeit, wo der Jüngling sein philosophisches Talent in die strenge Schule Spinozas gab, nicht eben mehr seine Sache. Aber seine Lage in der Gegenwart war so, daß man begreift, wie er zu seinem Trost ein Zukunftsidyll der erwähnten Art sich ausmalen mochte. Denn zu den inneren Bedrängnissen des Strebenden, der unter hartem Ringen zwischen Glauben und Zweifel den Kern seiner nachmaligen Philosophie, die freie Selbstbestimmung, in seiner Seele reifen fühlte, traten äußere hinzu, da der gütige Freiherr von Miltitz inzwischen gestorben war. Von jetzt an hat der junge Fichte lange Jahre sein Brot, und zwar häufig im herbsten Wortsinn das trockne Brot dem Leben abkämpfen müssen. Das Ergebnis dieses Kampfes war jene herrliche Mannhaftigkeit, die wir an Fichte so sehr zu bewundern und leider an vielen Gelehrten so sehr zu vermissen haben. Es gab von jeher und gibt noch heute in Deutschland eine Menge von armen und bitterarmen Studenten- und Kandidatenexistenzen; aber kaum dürfte eine zweite mit solcher Kraft, mit solchem Stolze sogar getragen worden sein, wie Fichte die seine trug.

2.

Zu den geplagtesten Sterblichen damaliger Zeit gehörten die Hauslehrer, die bei dem kläglichen Zustande der öffentlichen Schulen viel nötiger und viel zahlreicher waren als später. Wen nicht etwa, was freilich häufig genug der Fall, eine angeborene und lakaienhaft entwickelte Gemeinheit darüber hinwegbrachte, der konnte in einem solchen Magisterdasein den Unterschied von Ideal und Wirklichkeit in seiner bittersten Schroffheit kennen lernen. Es war dies auch Fichtes Los; denn vom Jahre 1784 an tat er in verschiedenen sächsischen Familien Hauslehrerdienste. Er machte aber auf dieser Laufbahn kein Glück. Seine »Orthodoxie«, d. h. Nichtorthodoxie, erregte »höheren Ortes« Bedenken, und er war nicht der Mann, der wie Thümmels Magister Sebaldus vorkommendenfalls sich dazu hergegeben hätte, ein abgetragenes Kammermädchen zu heiraten. Im Jahre 1788 finden wir unsern angehenden Philosophen in einem elenden Dachkämmerchen zu Leipzig, ohne Stelle, ohne Aussicht, am Hungertuche nagend. In dieser Not ward ihm durch den vielverdienten Steuereinnehmer Weiße, den »Kinderfreund«, eine Hauslehrerstelle in Zürich angetragen, und im August desselben Jahres machte sich Fichte zu Fuß auf den Weg nach der Schweiz.

In dem an der alten Limmatbrücke gelegenen Gasthof »Zum Schwert«, damals und noch etliche vierzig Jahre lang nachher der erste Zürichs, hat Fichte die Kinder des Besitzers Ott, einen Knaben und ein Mädchen, unterrichtet und nebenbei, weil dies nötig, auch die Mutter seiner Zöglinge erzogen. Vorübungen zur Schriftstellerei füllten die kärglich zugemessenen Mußestunden des Hauslehrers, der sich zugleich auch wieder als Kandidat der Theologie sehen und hören ließ, da ihm Lavaters Verwendung den Zutritt zur Kanzel im Münster eröffnete. Auch in der Gemeinde Flaach und an sonstigen Orten des Kantons hat er etlichemal gepredigt, und es wurden seinen Kanzelreden die Hauptmerkmale seiner späteren akademischen Vorträge nachgerühmt: Klarheit und Kraft.

Fichtes damaliges Leben war nicht ohne geselliges Behagen. Zürich hat vor den meisten übrigen Schweizerstädten allzeit durch ein lebhafteres Interesse für die geistige Regung und Bewegung sich hervorgetan. Im 18. Jahrhundert ist die Stadt sogar, wie jedermann weiß, eine Weile lang einer der vortretendsten Mittelpunkte deutscher Kulturentwicklung gewesen. Einige bedeutsame, selbst ans Pikante streifende Kapitel unserer Literaturgeschichte spielten in Zürich. Auf der Höhe über dem »Hirschgraben«, die jetzt vom Prachtbau des Eidgenössischen Polytechnikums gekrönt wird, stand und steht noch heute das Haus, das der gute alte Bodmer bewohnte und in das am 23. Juli 1750 der fünfundzwanzigjährige Klopstock als heißersehnter und hochwillkommener Gast eintrat. Aus den Fenstern des wohlmeinenden, wenn auch mehr als billig wäßrigen Literaturpatriarchen genoß der Messiassänger des ersten entzückenden Anblicks auf die »Traubengestade« des Sees und auf den firnschneeschimmernden Hochalpenkranz. Wenige Tage darauf hatte jene Fahrt nach der »Au« statt, die, von Klopstock in einer seiner schönsten Oden (»Der Zürchersee«) verewigt, unbedingt eine der anmutigsten Episoden der Sittengeschichte des Jahrhunderts ausmacht. Zwei Jahre später war auch Wieland Bodmers Gast, und das lebhafte gesellige Getriebe, in welches er während seines Aufenthalts in Zürich verwickelt wurde, hat zweifelsohne mitgewirkt, den nachmaligen deutschen Ariost und Lukian von der seraphischen Schwindel- und Schwarmgeisterei, an der er damals noch krankte, zu heilen. Später, in der »Sturm- und Drangperiode«, zog Lavater, der es bekanntlich liebte, seine christliche Rechtgläubigkeit mit Kraftgenialität wunderlichst zu verquicken, mittels der außerordentlichen Anziehungskraft seiner Persönlichkeit manchen Stürmer und Dränger zeitweilig nach seiner Vaterstadt. Es kam der echte Titan Goethe, es kamen auch die beiden Pseudotitanen, die Stolberge. Mit den letzteren, die ihr bißchen Kraft und Jugendfeuer in allerhand burschikosen Auslassungen vertollten, hatte Lavater seine unliebe Not. Man zeigt noch jetzt die Stelle hinter dem »Sihlhölzli«, wo der Gute die Bauern von Wiedikon nur mit Mühe abhielt, die gräflichen Dioskuren, welche nach genommenem Bade in griechisch-bacchantischer Nacktheit am Flußufer ihr Wesen trieben, auf gut »züribieterisch« Mores zu lehren.

Zu der Zeit, als Fichte in Zürich hauslehrte, war freilich der Most seraphischer sowohl als kraftgenialischer Überschwenglichkeit bereits nicht sowohl zu Wein als vielmehr zu Essig geworden. Indessen hatte sich doch immer noch ein Kreis von Männern erhalten – Lavater, Pfenniger, Tobler, Steinbrüchel, Hottinger –, deren Umgang für Fichte anziehend und anregend sein mußte. Geradezu geschickbestimmend für ihn aber ward es, daß er durch Lavater in das Haus des »Wagemeisters« Rahn eingeführt wurde. Rahn hatte Klopstocks Schwester Johanna geheiratet und von dieser im Jahre 1758 eine Tochter erhalten, Johanna Maria, welche Fichtes Gattin werden sollte – eine jener Gelehrtenfrauen, wie sie zum Glück in den Lebensgeschichten deutscher Geisteshelden nicht selten vorkommen.

Wieland, Voß, Schiller, Jean Paul, Fichte erfuhren die ganze Segensfülle solcher Hausfraulichkeit, während ein guter Teil der geistigen und sittlichen Verlotterung, um nicht zu sagen Verluderung, der Romantiker sicherlich ihrem sehr zweideutigen oder vielmehr unzweideutig-frivolen Verhältnis zu den Frauen auf Rechnung zu setzen ist. Man weiß ja sattsam, wie die Herren Schlegel, Schelling, Werner, Brentano zu den Weibern – welches Wort hier recht absichtlich statt des Wortes Frauen gewählt ist – sich stellten, und gewiß heißt auch die Wurzel von gar vielem Unerquicklichen in Goethes späterem Leben Christiane Vulpius … Fichtes Herzensbund mit Johanna Maria Rahn war übrigens nicht das Resultat heftiger Erregung. »Beide«, so erzählt Fichtes Sohn, »schon in einem Alter, wo leidenschaftliche Verblendung ernste Gemüter nicht mehr täuscht und verwirrt, gründeten ein Verhältnis, das, durch genauere Kenntnis und innigere Achtung immer tiefer sich befestigend, endlich für das ganze Leben geschlossen wurde.«

Zu Ostern 1790 löste Fichte seine Beziehungen zu Herrn Ott. Er war der Hauslehrerei gründlich überdrüssig geworden, geriet aber auf den bei seiner ganzen Charakteranlage höchst sonderbaren Gedanken, eine Stelle als Prinzenerzieher oder als Vorleser am Hofe zu suchen. Daß sein wahrer Beruf der eines akademischen Lehrers sei, scheint er damals noch gar nicht geahnt zu haben. Außerdem gehörte es ja zu den Lieblingstendenzen der Epoche, durch persönliche Einwirkung auf die vornehmen Kreise den zeitbewegenden Ideen Bahn zu brechen. Die guten idealgläubigen Menschenkinder oder Kindermenschen von damals!

3.

Über Stuttgart und Frankfurt in sein Heimatland Sachsen zurückgegangen, schrieb Fichte im Mai 1790 von Leipzig aus an Lavater, daß seine vorhin erwähnten Pläne keine Aussicht auf Verwirklichung hätten und er daher mit schriftstellerischen Arbeiten sich durchzubringen werde versuchen müssen. Eine traurige Notwendigkeit, zumal da Fichte eine eigentliche produktive Natur niemals gewesen ist. Sein Talent war ein sprödes, brüchiges; er arbeitete sehr sangsam und ruckweise, es wäre denn, daß, wie mitunter geschah, die mächtig in ihm schaffenden Gedanken in einem plötzlichen Ausbruch sich entluden. Wie arm er damals war, erkennt man, wenn er sich bei seiner Braut entschuldigt, daß er jetzt nicht die Mittel habe, sein versprochenes Porträt machen zu lassen. Er mußte sich sein kärgliches Brot durch Privatunterricht erwerben, den er Studenten erteilte. Einen hat er in die Kantische Philosophie »eingepaukt« und »dies war«, schrieb er an seine Braut, »die Gelegenheit, die mich zum Studium derselben veranlaßte«. Dieses Studium Kants ist für Fichte unberechenbar wichtig geworden. Auch er wurde also, wie alle die Guten und Besten der Zeit, in den gewaltigen Gedankenkreis des großen Sehers gezogen, der eine ganz andere Berechtigung hat, der »Magus im Norden« zu heißen, als Germaniens Oberkonfusionsrat Hamann. An der Philosophie des Weisen von Königsberg bildete Fichtes eigene sich empor, die folgerichtigste Gestaltung des deutschen Idealismus, die kühnste Offenbarung des germanischen Grundsatzes der freien Persönlichkeit, aber zugleich auch die strengste Zusammenfassung der Forderungen germanischer Sittlichkeit. Fichtes Philosophie war, um das gleich hier zu sagen, eine Ergänzung zu Schillers Poesie. Beide lehrten und forderten die Freiheit des Individuums, aber beide forderten und förderten auch die Weiterbildung der Deutschen von freien Menschen zu freien Staatsbürgern.

Im Frühling 1791 war Fichte entschlossen,nach Zürich zurückzugehen, um sich mit seiner Verlobten zu verbinden. Allein wie bisher so ziemlich alle seine Pläne, scheiterte auch dieser, und zwar an dem Umstand, daß Johannas Vater gerade damals sein Vermögen durch den Bankrott eines Bankhauses verlor. Erst später konnte ein Teil desselben gerettet oder wiedererlangt werden. So reiste denn Fichte Ende April nicht südwärts, sondern ostwärts, um eine ihm angebotene Erzieherstelle im Hause des Grafen von P. in Warschau anzutreten. Unterwegs hatte er zu Bischofswerda eine Zusammenkunft mit seinem Vater, und es kennzeichnet ihn vortrefflich und schön, wenn er in sein Reisetagebuch schrieb: »Der gute, brave, herzliche Vater! Mache mich, Gott, zu einem so guten, ehrlichen und rechtschaffnen Mann und nimm mir alle meine Weisheit, und ich habe immer gewonnen.« Dieses Reisetagebuch ist übrigens sehr beachtenswert, voll Anschaulichkeit und Leben. Es beweist sehr hübsch, wie treu und frisch der Mann, der der kühnste aller Abstrakteren, der sicherste aller spekulativen Wolkenwandler gewesen ist, trotzdem des Lebens Wirklichkeit aufzufassen verstand.

Die Reise nach Warschau jedoch erwies sich als ein Fehlgang, sobald Fichte in den Palast des Grafen von P. getreten war und diesem Herrn und Madame sich vorgestellt hatte. Der gegenseitige Eindruck war ein »unvorteilhafter«. Der ernste, gediegene, aber dabei deutsch-viereckige Fichte und die französisch lackierte polnische Frivolität von damals, wie paßten die zusammen? Gar nicht. Für den polnischen Adel war zu jener Zeit der nächste beste französische Windbeutel der beste, d. h. der wahlverwandteste und willkommenste Pädagog. Man weiß ja, welches Glück Pariser Frisierer und Barbierer, Tanzlehrer und Köche damals und noch lange nachher in der polnischen wie in der russischen Hauptstadt als Erziehungskünstler gemacht haben. Das Verhältnis Fichtes zur sarmatischen Welt löste sich demnach, noch bevor es wirklich begonnen hatte, und er pilgerte von Warschau gen Königsberg, weil es ihn drängte, Kants persönliche Bekanntschaft zu machen. In Königsberg angelangt, setzte er sich hin, um sich selber einen Empfehlungsbrief an den berühmten Mann zu schreiben: eine »Kritik aller Offenbarung«, eine Arbeit, mit deren Veröffentlichung Fichte in der philosophischen Welt sich ankündigte. Kant nahm diesen Empfehlungsbrief und dessen Schreiber »mit ausgezeichneter Güte« auf, und außerdem gewann sich Fichte in Königsberg rasch warme Freunde, deren Empfehlung ihm eine Erzieherstelle im Hause des in der Nähe von Danzig begüterten Grafen von Krokow verschaffte. Also abermals Hauslehrer! Aber diesmal wenigstens unter anständigen Bedingungen und in einer Familie, die seinen Wert zu schätzen verstand.

Unterdessen wurde der »Versuch einer Kritik aller Offenbarung« bei Hartung in Königsberg gedruckt, und die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Kreise, die damals durch die Kantische Philosophie so hoch bewegt waren, lenkte sich auf die zuerst anonym erschienene Schrift. Man hielt Kant selber für den Verfasser, bis der große Denker mittels einer Erklärung in der Allgemeinen Literaturzeitung Fichte als Autor nannte und diesen damit sozusagen dem gelehrten Publikum vorstellte. Es begannen hiermit für Fichte die vielen Leiden und wenigen Freuden deutscher Autorschaft und literarischer Berühmtheit. Auch das orthodoxe Hallo der Ketzerriecher begann sofort, wie das immer geschieht, so oft ein Stück Wahrheit in die Welt tritt.

Im Sommer 1793 treffen wir unsern jetzt schon ehrenhaft genannten Philosophen abermals in Zürich, wo die Verhältnisse im Hause seiner Braut sich wieder so leidlich günstig gestaltet hatten, daß Hochzeit gemacht werden konnte. Sie wurde am 22. Oktober in Baden bei Zürich wirklich gefeiert, und Lavater gab den Neuvermählten auf ihren Flitterwochenausflug in die welsche Schweiz den Denkspruch mit:

Kraft und Demut vereint wirkt nie vergängliche Freuden,
Lieb' im Bunde mit Licht erzeugt unsterbliche Kinder.

Auf dieser Fahrt machte Fichte die Bekanntschaft und gewann die Freundschaft von Baggesen und Fernow, und er führte, nach Zürich zurückgekehrt, die beiden den See hinauf nach Richterswyl zu Pestalozzi. Der Schöpfer des unübertroffenen Volksbuches von Lienhard und Gertrud, der große Reformator der Volkserziehung, neben Ulrich Zwingli einer der besten und größten Männer, die die Schweiz hervorgebracht hat, war damals, wenig oder gar nicht beachtet, mit Vorübungen auf sein Lebenswerk beschäftigt, – nach einer brieflichen Äußerung Fernows »ein Mann zwischen vierzig und fünfzig, häßlich und blatternarbig von Gesicht, simpel in seiner Kleidung und in seinem Äußern wie ein Landmann, aber so voll Gefühl, wie ich wenig Menschen kenne, und dabei voll trefflicher praktischer Philosophie«.

4.

Zunächst in glücklicher Muße im Hause seines Schwiegervaters lebend, brachte Fichte, auf der Grundlage der Kantischen Philosophie weiterbauend, den Um- und Aufriß seines eigenen philosophischen Systems, wie es in der »Wissenschaftslehre« (1794) zuerst hervortrat, mehr und mehr in sich zur Klarheit und Reife. Auch trug er, der Bitte Lavaters und mehrerer Freunde entsprechend, ihnen einen vollständigen Kursus der Lehre Kants vor. Wie bedeutend Fichte schon damals als philosophischer Lehrer auf seine Zuhörer wirkte, bezeugen verschiedene enthusiastisch-dankbare schriftliche Äußerungen Lavaters, der freilich, nebenbei gesagt, kaum imstande war, den eigentlichen Kern von Kants und Fichtes Gedanken zu erfassen.

Neben diesen Arbeiten beteiligte sich unser Philosoph, dessen ganzes Wesen ja auf die Tat, auf das Handeln, auf die Betätigung menschlicher Kraft im Staatsleben gestellt war, unmittelbar an dem großen Kampfe der Zeit, indem er, unbeirrt durch das wütende Geheul der reaktionären Meute über die Ausschreitungen der französischen Staatsumwälzung, seine »Beiträge zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution« schrieb, sowie seine »Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europas, die sie bisher unterdrückten«. Fichte gehörte bekanntlich zu den wenigen, sehr wenigen deutschen Gelehrten und Literaten, die die Notwendigkeit der Revolution und ihren Entwicklungsgang wirklich und wahrhaft begriffen, während zum Beispiel Goethe über die höfische und Schiller über die gemütliche Anschauung dieser weltgeschichtlichen Tragödie niemals hinausgekommen sind. Natürlich gelangte Fichte zu dem Ruf eines Demokraten, und wie nachteilig dieser Ruf später vielfach auf sein äußeres Glück wirken mußte, ist leicht zu ermessen.

So viel war klar, Fichte hatte nicht die kleinste Ader weder von einem Hofrat, noch von einem, der es werden wollte. Aber zum Ruhme der deutschen Regierungen von damals muß gesagt werden, daß es wenigstens da und dort eine gab, die bei Berufungen akademischer Lehrer das Vorhandensein der Hofratsader nicht als unerläßliche Bedingung aufstellte. Zu Ausgang des Jahres 1793 erhielt nämlich Fichte einen Ruf nach Jena als Professor » supernumerarius« der Philosophie an die Stelle des nach Kiel berufenen Reinhold. Daß er den Ruf annahm, erregte in Jena große Freude, nur nicht beim dortigen Professor » numerarius« der Philosophie. Wie weltbekannt, sind die professores ordinarii philosophiae in der Regel wirklich sehr ordentliche, d. h. ordinäre Philosophen, welche Grund haben, die Konkurrenz der außerordentlichen zu fürchten. Der liebe akademische Brotneid, auch in diesem Falle, wie gewöhnlich, das arg verschlissene und notdürftig zusammengeflickte Mäntelchen orthodoxer Wissenschaftlichkeit umhängend, machte demnach unserm Fichte schon vor dessen Ankunft den Krieg, in dem aber nicht er zu kurz kam.

Sein Auftreten in Jena, wo er im Mai 1794 seine Vorträge eröffnete, war überhaupt ein sieghaftes. Seine Persönlichkeit eroberte sich überall guten Stand und gewichtige Geltung. Nicht so bald wieder hat in einem Manne die geistige Kraft auch äußerlich so mächtig sich dargestellt. Denn Fichtes leibliche Erscheinung ist an und für sich keineswegs ansehnlich gewesen. Von Wuchs mehr unter als über Mittelgröße, war er von untersetzter, muskulöser Gestalt. Aus dem scharfmarkierten, charaktervollen, adlernasigen Gesicht leuchtete unter buschigen Brauen hervor das lebhafte Feuer dunkler Augen. Schritt und Gang prägten die Festigkeit und Entschiedenheit seines Wesens aus. Nicht minder verkündigte der stolze, gebieterische Klang und Ausdruck seiner Stimme und Sprechweise einen unbeugsamen Willen. Es war etwas Imponierendes, etwas im besten Sinne Cäsarisches in dem Manne, dessen Wirkung auf die akademische Jugend sich sofort bemerkbar machte.

Die Universität Jena hatte, wie bekannt, zu jener Zeit gerade ihre Glanzperiode angetreten, und Fichtes Lehrtätigkeit trug zur Erhöhung dieses Glanzes nicht wenig bei. Die kleine Stadt an der Saale war damals in Wahrheit bis zum Ende des Jahrhunderts Deutschlands geistige Hauptstadt, wohin nicht nur aus allen deutschen, sondern so ziemlich aus allen europäischen Ländern die Musenjünger strömten. Fichte behagte sich in seiner erfolgreichen Wirksamkeit um so mehr, als er in dem freundschaftlichen Entgegenkommen von Männern wie Wieland, Goethe und Schiller eine wertvolle Anerkennung seines Talents und seines Eifers erkennen mußte. Ein scharfer Beobachter von des Mannes damaligem Gehaben und Gebaren, Forberg, hat dieses Bild davon entworfen: »Der Grundzug von Fichtes Charakter ist die höchste Ehrlichkeit. Ein solcher Charakter weiß aber gewöhnlich wenig von Delikatesse und Feinheit. In seinen Schriften kommen auch wenige eigentlich schöne Stellen vor, sein Trefflichstes hat immer den Charakter der Größe und Stärke. Auch spricht er eben nicht schön, aber alle seine Worte haben Gewicht. Sein Vortrag rauscht daher wie ein Gewitter, das sich seines Feuers in einzelnen Schlägen entladet. Fichtes Auge ist strafend, und sein Gang ist trotzig. Er ist wirklich gesonnen, durch seine Philosophie auf die Welt zu wirken. Bei jeder Gelegenheit schärft er ein, daß Handeln! Handeln! die Bestimmung des Menschen sei.«

Ein Mann und Lehrer dieses Schlages war ganz dazu angetan, allem, was er für töricht und schlecht ansah, rücksichtslos zu Leibe zu gehen. So stieß sich denn seine bis zur Härte gehende sittliche Energie an dem damaligen studentischen Ordenswesen, in dem er die Wurzel aller akademischen Übel sah. Er wollte diese Wurzel durchschneiden, und zwar zunächst mittels einer Reihe von Vorträgen über die »Bestimmung des Gelehrten«, die er später nach einem erweiterten Plane hielt, und zwar, weil nur an diesem Tage dazu Raum und Zeit war, am Sonntag. Das war nun der Pfaffheit gerade recht, die dem kühnen Denker, der nicht an das Kredo von Nikäa glaubte und – schrecklich zu sagen! – noch dazu im Geruche des Demokratismus stand, schon lange auf den Dienst gelauert hatte. Flugs ging eine Denunziation nach Weimar, daß Fichte »die bisherige gottesdienstliche Verfassung untergraben wollte« – und damit begann die Hatz, die unsern Philosophen richtig aus Jena weghetzte.

Es ist eine trübselige Geschichte. Die Dunkelmänner schlugen gegen Fichte Lärm in Weimar, in Dresden und an allen den übrigen sächsischen Höfen. Auch gelang es ihnen, einen Teil der Studentenschaft gegen ihn zu verhetzen, obgleich die Macht seines Wortes so groß war, daß beim Beginn dieser Wirrsale die Mitglieder der drei zu Jena bestehenden Orden dem verehrten Lehrer feierlich hatten erklären lassen, sie wären ihm zuliebe bereit, ihre Verbindungen aufzulösen. Nun kam noch zu alledem ein weiterer Umstand hinzu, den Fichtes Feinde zu benutzen sich beeilten. Er veröffentlichte nämlich in seinem gemeinschaftlich mit Niethammer herausgegebenen philosophischen Journal seinen Aufsatz: »Über die Gründe unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung« – und hierauf gründeten seine Feinde eine Anklage auf Atheismus, so geschickt agierend, daß der Dresdner Hof, religiös rückständig, wie er war, diese Anklage zu seiner Sache machte und in Weimar drohende Schritte tat. Fichte ließ gegen alle diese unsauberen Zettelungen eine »Appellation an das Publikum« ausgehen, worin er klar dartat und unumwunden aussprach, daß nicht sein wirklicher oder angeblicher Atheismus der Grund der Anklage sei, sondern vielmehr sein »Demokratismus«, der Geist der Freiheit und Selbständigkeit, zu dem seine Philosophie erziehe. Natürlich wurde durch das Schwenken dieser roten Wahrheitsfahne der Bulle des Obskurantismus, der Knechtschaffenheit und Verfolgungssucht so recht zur vollen Wut aufgereizt, wodurch sich indessen die Weimarer Regierung nicht von dem Versuch abbringen ließ, den Handel in einer Weise beizulegen, die, wie sie glaubte, für Fichte so schonend als möglich wäre. Er sollte sich nur einen Verweis »wegen Unvorsichtigkeit« gefallen lassen. Allein der tapfere Denker, den Kampf für Geistes- und Lehrfreiheit mit Entschiedenheit durchfechtend, war nicht so einer, der einen Verweis hinnimmt, wo er von seinem Recht überzeugt ist. Er drang auf eine ehrenvolle Freisprechung von der gegen ihn erhobenen Anklage oder auf seinen Abschied. Den letztern erhielt er, und zwar in ziemlich barscher Weise.

Man muß, um der Weimarer Regierung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, unbedenklich zugestehen, daß in dem ganzen Handel Fichtes oben berührter Mangel an »Delikatesse und Feinheit« sich sehr bemerkbar gemacht hat. Trotzdem war er ganz unzweifelhaft in seinem Recht, und darum ist es schmerzlich, sagen zu müssen, daß Goethe und Schiller in dieser Angelegenheit keineswegs sich benommen haben, wie sie gesollt hätten. Goethes vornehmer Quietismus macht freilich das lässig-bezaubernde Achselzucken erklärlich, womit er dem Ausgang der Sache zusah. Die Verehrer Schillers aber müssen lebhaft wünschen, daß er den, mildestens gesagt, sehr unschillerischen Brief, worin er sich am 14. Juni 1799 gegen Goethe über Fichtes »Unklugheit« und »inkorrigible Schiefheiten« ausließ, nicht geschrieben haben möchte. Hier geziemte sich nicht nörgelnde, fast schadenfrohe Wiederholung feindseligen Klatsches, sondern mannhaft-herzliche Teilnahme.

5.

Mit der Wegweisung aus Jena bedroht und vom Fürsten von Rudolstadt, in dessen »Staaten« er eine Zuflucht suchen wollte, abschlägig beschieden, ging Fichte im Juli 1799 aufs Geratewohl nach Berlin, wohin er Frau und Kind – es war ihm zu Jena ein Sohn geboren worden – nachkommen ließ, als seinem Aufenthalt in der preußischen Hauptstadt kein Hindernis in den Weg gelegt wurde und seine Existenz daselbst sich befestigt hatte. Es gereicht Friedrich Wilhelm III., der damals noch nicht, wie später geschah, in Leuten wie Kamptz, Schmalz und Ttzschoppe die Stützen von Thron und Altar erblickte, zu nicht geringer Ehre, daß er im Geiste seines großen Großoheims dem verfolgten, auch in Berlin bereits gehörig angeschwärzten Denker den Aufenthalt in seiner Hauptstadt gestattete, und zwar mit den Worten: »Ist es wahr, daß Fichte mit dem lieben Gott in Feindseligkeiten begriffen ist, so mag das der liebe Gott selber mit ihm ausmachen. Mir tut das nichts.«

Fichtes Sohn hat in der Biographie seines Vaters mit Grund bemerkt, daß die Übersiedlung desselben nach Berlin auch »innerlich einen wichtigen Abschnitt« im Leben des Mannes bezeichnete. Die Richtung seines Philosophierens auf praktische Ziele blieb dieselbe, ja sie erhöhte sich sogar noch, wie wir sehen werden; allein sein System erfuhr eine völlige Erneuerung und Umbildung, dadurch nämlich, daß er in ihm, wie früher die sittliche, jetzt die religiöse Weltanschauung zur Geltung zu bringen suchte. Daß übrigens die Religiosität Fichtes eine lichte und helle war und blieb, ist selbstverständlich. Dieser Kopf war nicht dazu organisiert, sich à la Schelling mystisch benebeln zu lassen oder auch als mystisch benebelt sich anzustellen. Ohne eine amtliche Stellung zu besitzen, hatte Fichte in Berlin für seine privatlichen Vorträge bald eine zahlreiche Zuhörerschaft gewonnen. Die vorragendsten Männer der damaligen Berliner Gesellschaft besuchten sein Auditorium, das für eine Weile auch das Kuriosum darbot, daß daselbst die Todfeinde August Wilhelm Schlegel und August Kotzebue friedlich nebeneinander saßen, während sie draußen die tiefsten Skandalkloaken der literarischen Polemik aufwühlten, um Stinktöpfe, überschrieben »Der hyperboreische Esel« und »Ehren- und Triumphpforte Kotzebues«, einander an die Köpfe zu werfen. Fichte erkannte, daß sich ihm auf dem Boden der Hauptstadt Preußens eine bedeutende Wirksamkeit eröffnete; er fühlte, daß er hier eine Mission zu vollziehen habe. In diesem Bewußtsein trug er tapfer, wie er ja all sein Schicksal getragen hat, die Ungewißheit und Unsicherheit seiner Existenz und schlug erst einen an ihn ergangenen Ruf nach Charkow in Rußland und dann einen zweiten nach Landshut aus.

Zum Dank erhielt er auf Beymes, Altensteins und Hardenbergs Betreiben die Bestallung als Professor der Philosophie an der (damals noch preußischen) Universität Erlangen, und zwar mit der besonderen Vergünstigung, nur im Sommersemester dort lesen zu müssen, den Winter dagegen in Berlin verbringen zu dürfen. Im Mai 1805 trat er sein neues Lehramt an. Allein im Spätherbst des folgenden Jahres erfolgte die Schlacht bei Jena und mit ihr der Zusammenbruch des Staates Friedrichs des Großen, an und in welchem von oben bis unten alles morsch und faul geworden war.

Nicht gewillt es zu machen, wie es z. B. Johannes von Müller machte, d. h. dem übermütigen Sieger so oder so sich zu unterwerfen und dann etwa nach Art des Genannten ein königlich westfälischer Figurant am Lenkseil Bonapartescher Polizei zu werden, verließ Fichte vor dem Einrücken der Franzosen Berlin und begab sich nach Königsberg, von wo er am 4. Mai 1807 an seine in Berlin zurückgebliebene Frau, die ihm gemeldet hatte, daß Müller im Handumdrehen sich zu Napoleon bekehrt habe, gegen den er kurz zuvor so heftig deklamiert hatte, und von dem Empereur zu Gnaden angenommen worden sei, die Worte schrieb: »Müller beneide ich nicht, sondern freue mich, daß mir die schmachvolle Ehre nicht zuteil geworden wie ihm; auch, daß ich frei geatmet, gedacht, geredet habe und meinen Nacken nie unter das Joch des Treibers gebogen« … Er schiffte sich dann, da bei der trostlosen Lage Preußens nach dem Frieden von Tilsit kaum Raum zu gewünschter Wirksamkeit für ihn sich finden wollte, zu Memel nach Kopenhagen ein, wo seiner jedoch nur Enttäuschungen warteten. Um sich darüber, wie über den Kummer der Zeit hinwegzuhelfen, studierte er in jenen trüben Tagen eifrig das Erziehungssystem Pestalozzis, ein Studium, aus dem der große Gedanke der Begründung einer nationalen Erziehung des deutschen Volkes erwuchs, dem Fichte bald so beredsamen Ausdruck geben sollte.

Denn gegen das Ende des August 1807 kehrte er nach Berlin zurück, wo damals das ruhmvoll-schwere Werk der Wiedererschaffung des preußischen Staates an die Hand genommen wurde, ein Werk, das zu kennzeichnen man nur Namen wie Stein und Scharnhorst zu nennen braucht. Sogar dem stumpfsten Verstande hatte das Unglück die Einsicht aufgedrängt, daß mittels der Junkerei, mittels jener Junkerei, welche vor dem französischen Gesandtschaftshotel in Berlin säbelwetzend bramarbasiert, bei Auerstedt-Jena kommandiert, in Magdeburg, zu Prenzlau usw. kapituliert hatte, Preußen aus seiner tiefen Erniedrigung nicht wieder aufzurichten sei. Man mußte sich schon bequemen, es ging schlechterdings nicht anders, man mußte »den Geist anrufen in der Not«. Der Geist ist aber ein gutmütiger Gesell: er hilft auch solchen aus der Patsche, von denen er sehr wohl weiß, daß sie ihn eben nur in der Not anrufen, um ihn nachmals mit eherner Stirne wieder zu verleugnen.

6.

Noch im Laufe des unseligen Jahres 1807 faßten erleuchtete Patrioten den Plan der Gründung einer Hochschule in Berlin ins Auge, und Fichte arbeitete einen Entwurf aus, der den alten Universitätszopf, den mittelalterlichen Formalismus, alle den Kram und Plunder akademischen Chinesentums beiseite warf. Allein dieser Plan ist selber beiseite geworfen worden, weil ja, wie bekannt, mit Steins von allen Verehrern und Ausnützern der alten Mißbräuche mit Jubel begrüßter Entfernung vom Staatsruder die preußische Staatsreform überhaupt ihren energischen Trieb und Schwung gänzlich eingebüßt hat. Die Berliner Universität wurde dann ganz in der herkömmlichen Weise gestaltet und eingerichtet; da jedoch Lehrer wie Fichte an sie berufen wurden, so hat sie wenigstens in der ersten Zeit ihres Bestehens im reformistisch-patriotischen Sinne gewirkt.

Bevor ihm aber die Lehrtätigkeit an der neuen Hochschule eröffnet war, hatte Fichte, seinem innersten Herzensdrange folgend, eine Arbeit getan, die ohne Frage die weitaus beste seines Lebens gewesen ist: im Winter von 1807-1808 hielt er im Berliner Akademiegebäude seine »Reden an die deutsche Nation«.

Die preußische Hauptstadt war damals von den Franzosen besetzt. Alles lag chaotisch durcheinander. Schwer wie Blei wuchteten die Bestimmungen des Friedens von Tilsit auf dem niedergetretenen und ausgesogenen Lande. Da unternahm es der tapfere Denker, die verdüsterten Gemüter wieder hoffen zu lehren, die wie zerschmetterten Geister wieder aufzurichten und einem durch die Schuld seiner Regenten und noch mehr der »Privilegierten« hinter der Zeit zurückgebliebenen und darum schmachvoll besiegten Volke Die Königin Luise von Preußen schrieb im Frühjahr 1808 an ihren Vater: »Es wird mir immer klarer, daß alles so kommen mußte, wie es gekommen ist. Die göttliche Vorsehung leitet unverkennbar neue Weltzustände ein, und es soll eine andere Ordnung der Dinge werden, da die alte sich überlebt hat und in sich selbst als abgestorben zusammenstürzt. Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeern Friedrichs des Großen, welcher, der Herr seines Jahrhunderts, eine neue Zeit schuf. Wir sind mit ihr nicht fortgeschritten und deshalb überflügelt sie uns« … Es ist auch bekannt oder könnte und sollte es wenigstens sein, daß Friedrichs des Großen nach dem Siebenjährigen Kriege unternommene Reformversuche an der bornierten Selbstsucht des Junkertums, dessen Anmaßlichkeit der König freilich selber mit großgezogen hatte, kläglich gescheitert sind. Insbesondere die auf Hebung der Landwirtschaft und der Bauernschaft gerichteten Versuche. Damit war aber, bei Lichte betrachtet, aller und jeder Vorschritt lahmgelegt. Wie konnte sich denn ein Staat gesund entwickeln, in welchem aller gekrönten Aufklärerei zum Trotz die bäuerliche Leibeigenschaft fortbestand? Bis zu seinem schmachvollen Bankrott von 1806 ist Preußen in der Barbarei des Feudalismus verharrt. die Zukunftsbahn zu weisen. Die alte Zeit ist tot; laßt uns eilen, sie zu bestatten. Die neue ist geboren, sie lebt; aber sie muß erzogen werden. Wodurch wird sie es? Durch eine völlige Umschaffung unserer Gesinnung, durch eine gänzliche Erneuerung der Volksstimmung durch alle Stände hindurch. Und wie diese Umschaffung, diese Erneuerung zuwege bringen? Mittels einer umfassenden Nationalerziehung, welche mit der spannkräftigsten sittlichen Energie durchzuführen ist.

Dies die Grundgedanken, welche Fichte in seinen berühmten Reden aufstellte und überzeugend ausführte. An die ganze Nation gerichtet, haben sie wenigstens auf den besseren Teil derselben gewirkt. Unbeirrt und ungeschreckt durch das Schlagen französischer Trommeln, welche draußen durch die Straßen von Berlin gingen, zeigte drinnen der begeisterte Redner dem preußischen, dem deutschen Volke den Weg, den es zu wandeln habe, um die übermütigen Eroberer wieder aus Deutschland hinauszuwerfen. Aber nicht dies war das mutvollste, daß Fichte angesichts der fremden Sieger so sprach, wie er gesprochen hat; sondern einen unendlich viel höheren Grad von Mut erforderte es, in jener Schmerz- und Schmachzeit noch an die Möglichkeit des Fortbestandes deutscher Nation zu glauben. Dieser Glaube ist durch Fichtes Reden so recht ein nationales Evangelium geworden.

Des Mannes ganzes Leben und Wirken von 1807-1813 war überhaupt dem großen Ziele zugewandt, der Befreiung und Wiedergeburt des Vaterlands. Und das eben ist und bleibt Fichtes bester Ruhm, eine Philosophie der Tat verkündigt, mit in der Vorderreihe der Männer gestanden zu haben, die die Erhebung Preußens gegen Napoleon anbahnten und vorbereiteten. Glücklich ist er zu preisen, daß es ihm beschieden war, die Zeit nicht mehr zu erleben, wo den vollberechtigten Erwartungen des edelsten Enthusiasmus die schmerzlichsten Enttäuschungen bereitet wurden.

Als Jahr und Tag der Erhebung gekommen waren, entließ Fichte mit begeisternden Worten seine Zuhörer in den Kampf. Er selbst ist, so darf man wohl sagen, ein Opfer desselben geworden, wenn er auch nicht auf der Walstatt gefallen. Wie damals so viele deutsche Frauen, hat sich nämlich auch die Gattin unseres Philosophen um das Vaterland wohlverdient gemacht mittels heldischer Mühwaltung in den Lazaretten. Nach fünfmonatiger eifriger Erfüllung dieser Pflicht wurde sie vom Nervenfieber ergriffen, wie es die Lazarettatmosphäre auszubrüten pflegt. Nach heftigem Ringen mit dem Tode trat eine wohltätige Krisis ein. Der Arzt benachrichtigte Fichte davon, und dieser, von Freude überwältigt, neigte sich über die Kranke, um die Gerettete, ihm neu Geschenkte zu begrüßen. Wahrscheinlich hat sie ihm schuldlos in diesem Augenblick den Keim der Krankheit mitgeteilt. Schon am Tage darauf war er leidend, und rasch wuchs das Übel so, daß keine Aussicht auf Rettung blieb.

Auf das Sterbelager des Trefflichen warf die Botschaft vom Rheinübergang Blüchers noch einen letzten hellen Freudenschein. Da hat des Kranken Seele noch einmal in patriotischer Begeisterung sich ergossen. Später sprach er wenig mehr und unter dem wenigen das Wort: »Ich bedarf keiner Arznei mehr; ich fühle, daß ich genesen bin.« Ob er damit die Genesung vom Leben meinte? In der Nacht des 27. Januars 1814 ist er gestorben, noch nicht ganz zweiundfünfzigjährig, in der Vollkraft des Geistes und auch des Körpers: sein Mund hatte noch keinen Zahn verloren und die Schwärze seines Haares spielte noch nicht ins Graue. So hat er denn, wie Goethe schön von Winckelmann sagt, als Mann gelebt und ist als ein vollständiger Mann von hinnen gegangen.

Auf dem Kirchhof vor dem Oranienburger Tor wurde der große Tote zur Ruhe gebracht, und auf den Grabstein meißelten sie ihm das Prophetenwort: »Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels Glanz und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne, immer und ewiglich.«

Es haben fürwahr ihrer nicht gar viele gelebt, deren Grab diese Inschrift so sehr verdiente wie das Grab von Johann Gottlieb Fichte.


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