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Ein Junkerkomplott

O blygd! Är detta er, är detta Göthers stam?

Tegnér.

1.
Der König

Die Materialien zu diesem Essay sind aus nachstehend verzeichneten Quellen geschöpft: E. G. Geijer, Des Königs Gustav III. nachgelassene und fünfzig Jahre nach seinem Tode eröffnete Papiere. 3 Bde. Hamburg 1843. – Schlözers Briefwechsel, Heft 22, S. 230 fg. – Schlözers »Staatsanzeigen«, Bd. 12. – Raumer, Beiträge zur Geschichte Europas vom Ende des Siebenjährigen bis zum Ende des Amerikanischen Krieges, nach französischen und englischen Gesandtschaftsberichten. 3 Bde. 1839. – Des Königl. Schwed. Hofgerichts Untersuchung und Urteile über den Königsmörder Ankarström und übrige Mitschuldige. Aus dem Schwedischen. Greifswald 1792. – Arndt, Schwed. Geschichten. Leipzig 1839. – Clarus, Schweden sonst und jetzt. 2 Bde. Mainz 1847. – Sheridan (zur betreffenden Zeit Attaché der englischen Gesandtschaft in Stockholm), History of the late revolution in Sweden. Dublin 1778. – Clarke, Travels in various countries, p. IV, t. I (Scandinavia). London 1811-1812. – Brown, The northern courts. Tom. 2. London 1818. – Nouvelle Biographie générale. Paris 1845 seq.

Das Gepräge der Münze des Königtums verschleift sich mehr und mehr. Nicht als ob zu wähnen wäre, die Menschen würden sich in den nächsten paar Jahrhunderten oder vielmehr Jahrtausenden ihrer angestammten Knechtschaffenheit soweit entwöhnen, um die Monarchie entbehrlich zu finden und zu machen, – o nein! Solch einer phantastischen Hoffnung heute noch sich hinzugeben, nach allen den traurigen Erfahrungen unseres 19. Jahrhunderts sich hinzugeben, wäre pure, blanke Narretei. Aber das Königtum schöpft die Bürgschaft seines Bestehens jetzt nicht mehr aus einer über alle Kritik erhaben gewähnten Quelle, aus dem sogenannten »göttlichen Recht«, das längst zu einem Spottlachen geworden ist, sondern es beruht nur noch, wie eben in unseren Tagen alles und jedes, auf Nützlichkeitsgründen. Die Dummheit der bildungslosen Massen nämlich glaubt und die Feigheit der gebildeten Stände stellt sich an zu glauben, Monarchie oder Anarchie seien die einzigen Möglichkeiten; eine dritte gebe es nicht. Der überirdische Nimbus des Gottesgnadentums um das Haupt des Königtums her ist demnach erloschen: es glaubt, so zuversichtlich es mitunter sich äußern mag, selber nicht mehr daran. Vielmehr wissen die Könige, obwohl sie es sich verhehlen möchten, recht gut, daß sie nur auf der soeben angedeuteten Grundlage stehen; auf einer Grundlage also, der zwar keineswegs die Dauerhaftigkeit abgesprochen werden kann, der jedoch das Eigenschaftswort »reinlich« weniger zukommt.

Es ist nun aber ein unbehagliches Gefühl, auf einem so zweifelhaften Boden zu stehen, und dieses Gefühl vermögen sehende Augen auf den Gesichtern der Könige unserer Zeit großgedruckt zu lesen. Die »göttliche« Sicherheit ist dahin, die fixe Idee der Unfehlbarkeit und Unverantwortlichkeit stößt immer unsanfter mit fixeren Tatsachen zusammen, das naive Allmachtbewußtsein hat einem künstlich zurechtgeflickten Platz gemacht, und mitunter gibt sich sogar die voreilige Besorgnis kund, die Säulen der Monarchie, der Afterglaube der Völker und die gemeine Selbstsucht der Gebildeten und Bevorrechteten, seien wankender als sie in Wahrheit sind und noch lange, vielleicht allzeit sein werden. Arme Könige! Ihr vertraut nicht mehr so recht auf euch selbst, und das verleiht eurem Wollen und Tun, eurem ganzen Sein und Erscheinen den unerquicklichen Charakter der Halbheit, ja geradezu etwas Schemen- und Schattenhaftes, so daß das Königtum von heute häufig genug nur noch als ein Gespenst des Königtums von ehemals sich darstellt.

Wie so ganz anders treten die Kronenträger des 18. Jahrhunderts vor uns hin! Sie waren inhuman, sie waren brutal, sogar in ihren Bestrebungen als »erleuchtete« Despoten, sie waren roh und grausam selbst als gekrönte »Aufklärer«, voll souveräner Verachtung der Menschen und Menschenrechte, hartherzig, genußwütig bis zur Bestialität, gänzlich gewissen- und skrupellos, Untertanenschinder, Jagdwüteriche, Menschenfleischhändler, – aber sie waren Gestalten aus einem Guß, Charakterfiguren, ganze Kerle. Nichts Verschwommenes und Verschlissenes, nichts Schemenhaftes und Gespenstisches an ihnen! Despoten durchweg, Tyrannen häufig, Wohlfahrtsausschüßler auf Thronen, Scheusale nicht selten, Narren dann und wann; aber immerhin Menschen von Knochen, Fleisch und Blut, Leute von Rasse, Originale.

Gegen die Sintflutzeit hin, also vom Hubertusburger Friedensschluß ab und bis in die achtziger Jahre hinein, hatte der Despotismus noch einen ganz eigentümlichen Beigeschmack, indem er sich mit der Essenz der revolutionären Philosophie des Jahrhunderts parfümierte. Er roch nach Voltaireismus und Dideroterie, mitunter sogar ein bißchen nach Jean-Jacquerie. Doch ist das letztgenannte Parfüm in den bevorrechteten Kreisen bald nicht mehr comme il faut gewesen: sein Geruch war gar zu scharf. Den »Pucelle«-Spaß hatte man lustig mitgelacht; aber den »Contrat-Social«-Ernst fand man denn doch zu ernsthaft, und wo man allenfalls gute Miene dazu machen wollte, ward eine Grimasse daraus. Als es dann vollends rheinherüber rasaunte: » Allons, enfants de la patrie!« da erblickte und verabscheute man in dem bislang als himmlischen Genius geliebkosten Geiste des Jahrhunderts nur noch den höllischen Dämon …

Zu jener Zeit hat droben in Schweden ein König gelebt, der sich selber einen » roi citoyen« (Bürgerkönig) nannte, als Revolutionär anfing und als Don Quichotte der Reaktion endete; ein König, der im Namen der Freiheit das Junkertum zu Boden trat und dafür schließlich im Namen der Freiheit vom Junkertum ermordet wurde, – ohne daß weder in diesem noch in jenem Falle gelogen worden wäre. Denn, in Wahrheit, Gustav III. sowohl als auch die schwedische Adelskaste wollten ernstlich die Freiheit, nämlich jener und diese wollte sie für sich. Sie wollten frei, d. h. Alleinherren sein in Schweden. Der Adel war es seit dem Tode Karls XII., des Könignarren oder Narrenkönigs, gewesen, und diese schwedische »Freiheitszeit«, dieses Junkerregiment hatte dann auch glücklich den Staat zur wüsten Zerrüttung, das Volk zum bittersten Elend herabgebracht, wie das überall und allzeit der junkerlichen Herrschaft naturnotwendige Folge gewesen ist. Gustav III. entriß dem Junkertum das Zepter, was ihm hauptsächlich darum gelang, weil der Adel in sich selber uneinig gewesen ist, indem die eine Partei der Junker, die »Hüte«, ganz offenkundig an Frankreich, die andere, die »Mützen«, ebenso offenkundig zuerst an England, dann an Rußland verkauft war. Der König hat die erlangte Gewalt anfänglich zur Basis einer Helden- und Herrscherrolle im großen Stile zu machen den guten Willen gehabt. Leichtsinn und Liederlichkeit ließen ihn aber nur dazu kommen, die Rolle eines Königs der Komödie, eines flunkernden Komödiantenkönigs zu spielen. Sein »Abgang« im fünften Akt hatte jedoch etwas echt Tragisches, das noch erhöht wurde durch das Wiederhervorbrechen der besseren Seite seiner Natur auf dem Sterbebett.

Es dürfte ein reinmenschliches, sowie auch ein historisches Interesse darbieten, den Auf-, Vor- und Ausgang dieses Neffen Friedrichs des Großen mitanzusehen.

*

Gustav, nachmals der Dritte genannt, ist am 13. Januar 1746 geboren worden, der älteste Sohn des Schwächlings und Königschattens Adolf Friedrich von Holstein-Gottorp und der preußischen Prinzessin Luise Ulrike, in der eine starke Ader vom Geiste und auch vom Despotengeist ihres Bruders Friedrich pulsierte. Sie ertrug daher keineswegs so geduldig wie ihr Herr Gemahl die Nullität, in der der wirkliche und vielköpfige König, der »Reichsrat«, das nominelle Königtum hielt, und sie hat es auch nicht an Machenschaften fehlen lassen, das Joch dieser Nullität zu brechen, so oft der wütende Parteizank zwischen den »Hüten« und den »Mützen«, der den Reichsrat, d. h. das oberste Zentrum des schwedischen Junkerregiments zerriß, eine günstige Gelegenheit zu bieten schien. Ihre Versuche liefen aber übel ab, und sie mußte sich der Hoffnung auf ihren heranwachsenden Sohn trösten, der allerdings der Junkerei den Meister zeigte; aber nicht zum Vorteil seiner Mutter, wie diese gehofft hatte, sondern zu seinem eigenen.

Der Haß gegen den Übermut einer feilen, an das Ausland verkauften, durchaus nichtswürdigen Oligarchie, die gleich der adligen Ochlokratie Polens ein abschreckend weltgeschichtliches Beispiel gegeben hat, was für eine verläßliche Stütze der Adel für die Throne sei, – dieser Haß wurde dem Prinzen schon an der Wiege vorgesungen, und zwar mit größtem Erfolg. Gustav konnte auch mit Grund sagen, daß er schon in der Wiege von den Junkern tyrannisiert worden sei. Die gerade im Reichsrat herrschende Partei schlug nämlich vor, daß der kleine Kronprinz mit der wenige Tage nach ihm geborenen Prinzessin Sophie Magdalene von Dänemark verlobt würde, und setzte diese Verlobung, gegen die Gustavs Eltern des entschiedensten auftraten, im Jahre 1750 durch. Der frühreife Prinz gewann überhaupt schon in seinen Knabenjahren so viele Einblicke in das freche junkerliche Treiben, und er wurde schon frühzeitig so gewaltsam zwischen den Mützen und Hüten hin und her gezerrt, daß wir seiner Aufzeichnung Glauben schenken dürfen, in seinem vierzehnten Lebensjahr sei seine Ansicht über den Adel fertig und sein Entschluß in betreff des künftigen Verhaltens gegen diesen gefaßt gewesen. Am meisten habe er zu dieser Zeit gehaßt und verabscheut den Reichsrat Palmstjerna, den Freiherrn Pechlin und den Grafen Tessin. Der letztgenannte Magnat, Gustavs Hofmeister, hatte eine heftige Leidenschaft für die Königin Luise Ulrike gefaßt und behelligte sie mit verliebten Zumutungen, bis endlich die beleidigte Dame eine Szene herbeiführte, die die Entfernung des Grafen vom Hofe zur Folge hatte.

Der Prinz war sechzehn Jahre alt, als der unrühmliche Anteil, den Schweden am Siebenjährigen Kriege genommen hatte, durch den Friedensschluß von 1762 beendigt wurde. Gustav hegte den Wunsch, für eine Weile in die preußische Armee zu treten, um der Unterweisung seines großen Oheims in der Kriegskunst und im Königsgeschäft teilhaft zu werden, und sprach diesen Wunsch lebhaft aus. Allein der Reichsrat sagte nein; denn es konnte den Herren Junkern keineswegs dienlich erscheinen, daß ihr künftiger Namenskönig etwas Tüchtiges lernte. Vier Jahre später setzte der Reichsrat einem wunschweise geäußerten Nein des Kronprinzen sein befehlendes Ja entgegen. Gustav machte nämlich einen Versuch, dem ihm selber, noch mehr aber seiner Mutter verhaßten dänischen Ehebund zu entrinnen; aber vergebens. Der Reichsrat ordnete sofort den Vollzug dieser Heirat an, und am 26. September 1766 mußte der kronprinzliche Bräutigam wider Willen nach Helsingborg gehen, um seine Braut zu empfangen. Deren Erscheinung machte nicht etwa einen ungünstigen Eindruck auf ihn. Er schrieb im Oktober aus Gothenburg an den Grafen Scheffer: »Der Anblick der Prinzessin war sehr edel. Sie sieht gut aus, ohne gerade schön zu sein; sie ist sehr wohlgewachsen, stellt sich mit Würde dar, ist nur etwas zu artig für ihren Rang und schüchterner, als sich für ein Frauenzimmer von Stande schickt. Sie ist die Güte selbst, still und mild. Ich versichere Ihnen, daß ich in ihr eine Frau bekommen zu haben glaube, welche für mich paßt. Sie besitzt Schönheit genug, um angenehm zu sein, und nicht genug, um mir den Kopf zu verdrehen; sie hat hinlänglich Verstand, um sich nicht dumm zu betragen, und Charaktersanftmut genug, um sich keine Gewalt über mich anzumaßen« In den »Denkwürdigkeiten des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel«, deren französische Originalhandschrift zuerst nur als Manuskript gedruckt, dann aber (1866) in deutscher Übertragung veröffentlicht wurde, findet sich (S. 46) folgende Aufzeichnung von der Hand des Landgrafen über die Brautfahrt nach Helsingborg, welche der Verfasser im Auftrage des Dänenkönigs mitgemacht hatte: »Auf der Brücke von Helsingborg wurde ich sehr höflich empfangen und unmittelbar in das Haus des Kronprinzen, des nachmaligen Königs Gustav III. geführt, welcher mich mit offenen Armen empfing. Es war ein geistig sehr begabter Fürst, der eine ausgezeichnete Erziehung genossen hatte; aber er hatte etwas Falsches in seinem Ausdruck, was mir gleich auffiel. Als die Kronprinzessin sich näherte, begab er sich auf die Brücke, wohin ich ihn begleitete. Ich stand neben ihm, als er sah, wie sie sich im Schiffe erhob, um an Land zu gehen. Er rief ganz laut: ›Gott, wie schön ist sie!‹ Und wirklich hatte sie eine sehr majestätische und schöne Haltung. Besonders war sie schön, wenn sie im großen Putz erschien. Sie war groß, hatte große schöne Augen und einen sehr wohlwollenden Ausdruck in ihrem Gesicht. Der Kronprinz reichte ihr die Hand und führte sie in sein Haus. Es war ohne Zweifel das beste in Helsingborg, welches damals nur einstöckige Häuser mit vielen Strohhütten hatte. Die Dragoner von Schonen machten längs der Straßen Spalier, große Leute mit kleinen Pferden und mit Uniformen aus Karls XII. Zeit. Alles hatte ein eigentümliches, sehr kleinliches Aussehen. Abends war Ball im Hause des Kronprinzen, wo man einen Tanzsaal auf dem Boden eingerichtet hatte. Statt der Tapeten hatte man die Decken von Handpferden und ähnliche Dinge aufgehängt, um die Seitenwände dieses Gemaches zu bedecken. Der Ball begann. Als Herr von Llano, spanischer Gesandter in Dänemark, welcher auch nach Helsingborg gekommen war und sehr gut tanzte, aber sehr groß und von einem Gewichte war, welches einen festeren Ballsaal als diesen erforderte, anfing, mit seiner gewohnten Lebhaftigkeit zu tanzen, wollte der Saal zusammenbrechen. Man stellte deshalb den Tanz ein, bis man den Boden mit Balken gestützt hatte.« … Und dennoch: arme Sophie Magdalene! Dein Los war ein richtiges Prinzessinnenlos. Dein Herr Gemahl hatte ja, nach gieriger Erschöpfung aller von der Natur gebotenen Genüsse, sich zur Widernatur gewendet und war auf schmachvollen Lasterwegen bis zur Impotenz hinabgestiegen. Außerdem empfing dich deine Schwiegermutter Luise Ulrike mit einem unerbittlichen, einem wahrhaft knöchernen Alteweiberhaß, der kein, aber auch gar kein Mittel verschmähte, von Anfang an deinen Gemahl in jeder Weise gegen dich zu verhetzen und deine Tage kummervoll, deine Nächte schlummerlos zu machen. Das gab eine sehr unerquickliche, unglückselige Ehe ab, wenn überhaupt eine solche statthatte. Auch der Prinz fühlte sich unter dem Doppeljoch der Anmaßlichkeit des übermütigen Junkertums und seiner herrschsüchtigen Mutter sehr gedrückt und unbehaglich. Er führte damals ein Tagebuch, und darein hat er zum Jahresschlüsse von 1767 die Verse aus Voltaires »Ödipe« geschrieben:

» Le passé m'épouvante et le présent m'accable,
Je lis dans l'avenir un sort épouvantable.
« Die Vergangenheit erschreckt mich, und die Gegenwart drückt mich nieder; ich lese in der Zukunft ein entsetzliches Schicksal.

Ein sonderbares Ding, dieses kronprinzliche Tagebuch! Ein Gemisch von Schwärmerei und Blasiertheit, ganz eigentümlich durchsäuert von unwillkürlich sich kundgebenden Wünschen einer ungeduldigen Kraftgenialität. Nicht selten begegnen uns da Äußerungen, die im »Diary« Byrons stehen könnten. So aus dem Jahre 1768 die Worte der Entrüstung über die Machenschaften Katharinas II. in Polen und über die feige und feile Lumpigkeit des weiland Buhljungen der Zarin, Stanislaus Poniatowski, dem der Prinz zudonnert: »Welche Infamie! Du bist weder König noch Bürger. Stirb, um deines Vaterlandes Selbständigkeit aufrechtzuerhalten, und unterwirf dich nicht unwürdig dem Joche!« Ganz lyrisch schwärmt Gustav weiterhin über den gleichzeitigen Freiheitskampf der Korsen. »Ihr General Paoli ist jetzt der größte Mann der Zeit. Könige der Erde, kommt, um in der Schule eines einfachen korsischen Bürgers die Lehren der Tugend, des Mutes, der Gerechtigkeit und Seelengröße zu empfangen, die euch vielleicht unbekannt sind.« Mitten zwischen derartigen Auslassungen stehen Zitate aus den Memoiren des Kardinals Retz, die der Prinz damals eifrig studierte. Vom Ganzen empfängt man den Eindruck, Gustav sei ein echter Blutsverwandter seines preußischen Oheims gewesen. Friedrich hat ja auch, wie jedermann weiß, zu Rheinsberg in tugendhafter Entrüstung mit der einen Hand den Machiavelli widerlegt, während er zur gleichen Zeit mit der anderen Pläne entwarf, bei deren Ausführung er den Machiavellismus übermachiavellisieren wollte. Schon im Jahre 1769 sann Gustav alles Ernstes darauf, gegen den Adel einen Staatsstreich zu wagen. Die Indolenz und Mutlosigkeit seines Vaters war aber der Inszenesetzung des Planes, den der Prinz ein Jahr zuvor in einer ausführlichen Denkschrift erörtert hatte, so hinderlich, daß er vertagt werden mußte.

Die Lage des Prinzen nahm infolgedessen an Unbehaglichkeit zu und ebenso durch die Mißbilligung, welche seine Stellung, d. h. Nichtstellung zu seiner Frau im Publikum fand. In betreff dieses Punktes aber fragte Gustav der öffentlichen Meinung nichts nach und klagte seinerseits über die »Langeweile, welche die Prinzessin begleitet«, sowie über »ihre Schroffheit und wenig behagliche Umgangsart«. Er sehnte sich aus Schweden fort, um wenigstens für eine Weile alles abzuschütteln, was ihn drückte und quälte, und dieser Reisedrang zielte besonders auf Frankreich ab, seitdem Graf Kreutz, außerordentlicher Gesandter Schwedens in Paris, von der französischen Hauptstadt her in seinen Briefen den Prinzen von Voltaire und allen den Pariser Herrlichkeiten des »philosophischen Jahrhunderts« gar lockend unterhielt. Im Spätherbst 1770 durfte Gustav endlich reisen und eilte über Dänemark und durch Deutschland Paris zu, wo er zu Anfang Februar 1771 anlangte, seines Weilens aber nicht lange war. Denn schon am 1. März empfing er von daheim die Botschaft, daß sein Vater Adolf Friedrich am 12. Februar gestorben sei, und zwar so, wie es eines Roi fainéant (faulen Königs) nicht unwürdig. An einer durch ein überschweres »Gemengsel von Heißwecken, Sauerkohl und Austern« verursachten Magenüberladung nämlich.

Gustav III. – denn der war er jetzt – benutzte die ihm knapp zugemessene Zeit in der Hauptstadt Frankreichs vortrefflich, um sich den Nerv der Dinge zu verschaffen, die er nach seiner Heimkehr in Ausführung zu bringen entschlossen war. Er machte dem scharlachenen Weibe, welches damals im Königsschlosse von Versailles babylonisch thronte, Madame Dubarry, dienstbeflissen den Hof und fand Gnade in den Augen der Sultana des fünfzehnten Louis. »Die Mätresse ist für uns«, schrieb er triumphierend an einen Vertrauten nach Stockholm, »und auch des Königs Herz.« Unter diesen Umständen schlug Gustav aus der französischen Staatskasse zwölf Millionen Livres »Subsidien« heraus. Die armen und geplagten Untertanen des allerchristlichsten Königs waren zwar damals am Verhungern; allein auf solche niedrige Nebenumstände braucht die hohe Politik nicht zu achten, und Frankreich hat ja bekanntlich »allzeit die Mittel besessen, seinen Ruhm zu bezahlen«. Es gehörte aber damals ganz wesentlich mit zur französischen Gloire, mit den Millionen, welche man dem armen, zerlumpten und hungernden Jacques Bonhomme an der Seine, Marne, Loire, Rhone und Garonne auspreßte, droben am Mälar die langen und leeren Taschen schwedischer Prinzen und Junker vollzustopfen

Auf seiner Heimreise ging der junge Schwedenkönig über Berlin; wahrscheinlich, um auf der Terrasse von Sanssouci beim Oheim »Sauertopf«, wie der Alte Fritz in der Familie hieß, ein eiliges Privatissimum über den » Despotisme illustré« zu hören. Am Vorabend von Pfingsten landete Gustav zu Karlskrona und wurde hier von dem Senior des Reichsrats, Graf Ekeblad, als König begrüßt. Ein wirklicher zu sein, nicht bloß ein schemenhafter, das war Gustavs fester Entschluß, und er ging sofort, obwohl sehr sacht auftretend und vorsichtig ausschreitend, an die Ausführung desselben. Der feste Grund, auf dem er fußte, war die Tatsache, daß die schamlos selbstsüchtige adlige Mißregierung in den Volkskreisen eine bittere Unzufriedenheit hervorgerufen hatte. Der Haupthebel, den er anzuwenden beschloß, war demnach die Eifersucht und Erbitterung des Bürgerstands und der Bauernschaft gegen das Junkertum. Als ein ebenso handliches wie unentbehrliches Werkzeug schnitt er sich eine höfische Militärpartei zu, bei deren Bildung ihm der Haß zwischen Hüten und Mützen natürlich sehr zustatten kam. Zuvörderst aber führte er – bei Eröffnung des Reichstags 1771 – die Rolle eines Friedensfürsten und Versöhners mit vielem Anstande durch, wobei ihn seine bedeutende rednerische Begabung unterstützte. Obgleich noch jung an Jahren, war er ein Greis an Verstellung. Selbst der »Principe« des Staatssekretärs von Florenz hätte seine Sache nicht besser machen können. Mittels seiner recht augenfällig hervorgekehrten Beflissenheit, eine Aussöhnung zwischen Mützen und Hüten zuwege zu bringen – die sogenannte »Komposition« – wie nicht minder mittels scheinbar höchst harmloser Lebensführung – wußte er sich den Augen der Junker als ein wohlmeinender, dem Vergnügen ergebener Scheinkönig darzustellen. Inzwischen aber arbeitete er, von dem französischen Gesandten Vergennes mit blanken »Platten« ( écus) unterstützt, eifrig an der Bildung der erwähnten Militärpartei, wozu ihm der Offiziersklub »Swenska Botten« das Material lieferte. Dieser Klub, an dessen Spitze der Dragoneroberst Freiherr Jakob Magnus Sprengtporten stand, wurde unter Gustavs kluger Einwirkung mehr und mehr ein royalistischer. Sprengtporten war der Mann, der den Plan zum Staatsstreiche von 1772 entworfen hat.

Am 29. Mai dieses Jahres wurde die Krönung Gustavs gefeiert, und ein Vierteljahr später machte er sich zum wirklichen Könige. Die Vorbereitungen zu dieser Revolution von obenher wurden mit großer Sorgfalt getroffen. Die Geldmittel schaffte Vergennes herbei, im ganzen 2 034 000 Taler Kupfermünze. Es wurden Beutel voll Dukaten bereit gehalten, um bei der Garde und Artillerie in der entscheidenden Stunde dem Royalismus das nötige Gewicht zu geben; bei der Infanterie wurde ein Sechstalerzettel für den Mann bestimmt. Solche Mitglieder der bestehenden Regierung und des Reichstags, von denen ein mehr oder weniger energischer Widerstand zu erwarten war, sollten durch Verhaftung im voraus unschädlich gemacht werden. So die Reichsräte Ribbing und Funck, so die adligen Reichstagsmannen Essen, Frietsky und Pechlin, die geistlichen Wijkman und Gadolin, die bürgerlichen Sebaldt und Sorbon. Von großer Wichtigkeit war die Herüberziehung der Bürgerwehr von Stockholm zur königlichen Sache. Sie wurde sehr geschickt bewerkstelligt. Ein Meisterstreich von Hinterlist ist es gewesen, daß Gustav und seine Helfershelfer das, was sie planten, den Gegnern unterschoben. Es wurde nämlich, als im Publikum die Sage vom nahebevorstehenden Ausbruch einer Verschwörung zu rumoren begann, in der Armee und im Volke das Gerücht ausgesprengt, es sei allerdings etwas im Werke, aber gegen den König, dessen Freiheit und Leben von den Junkern bedroht wären.

Bei Vergegenwärtigung von alledem kommt einem unwillkürlich der Einfall, der Hauptmann der Gesellschaftsretterbande vom Dezember 1851 habe mit seinem Staatsstreich ein Plagiat an dem gustavischen begangen. Auch der Zug verstärkt noch die überraschende Ähnlichkeit, daß, wie am Abend des 1. Dezembers 1851 im Palais Elysée eine große und muntere Gesellschaft versammelt war, so Gustav III. am Abend des 18. August 1772, also am Vorabend seiner Gesellschaftsrettung, im Stockholmer Schlosse ein großes Souper mit Konzert gab und dabei »in ungezwungenster Weise« den liebenswürdigen Wirt machte, ein ganzes Feuerwerk von Scherzen und Witzen loslassend. Damit freilich ist die angedeutete Ähnlichkeit zu Ende. Denn erstens war der Schwedenkönig, alles zusammen genommen, nicht allein berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, dem schandbaren und verderblichen Junkerregiment ein Ende zu machen. Zweitens ist er bei der Ausführung seines Plans mit seiner Person tapfer eingestanden. Drittens hat er seinen Sieg nicht mißbraucht wie ein mordwütiger Tiger, sondern er verfuhr mit schonungsvoller Menschlichkeit und Milde. Selbst gegen entschiedene Gegner so milde, daß der allerentschiedenste, der General Pechlin, nur wenige Monate in Haft blieb.

Blut ist bei der ganzen Haupt- und Staatsaktion vom 19. August 1772 gar nicht geflossen. Dagegen ging durch diese Revolution, die binnen zwei Stunden den König aus einer Marionette der Oligarchie zum Diktator umwandelte, ein sehr starker komödienhafter Zug. Die Junker allerdings spielten nicht tragische, aber doch traurige Figuren, während Gustav in seiner Rolle als Königkomödiant geradezu glänzte. Er gaukelte und schauspielte vortrefflich, indem er nach Umständen den Patrioten, den Helden, den Rhetor und sogar den Betbruder sehen ließ. Als er in der Hauptwache zu den versammelten Offizieren und Unteroffizieren zur entscheidenden Ansprache herantrat, redete er sich in eine solche Begeisterung hinein, daß er im Augenblick wohl selbst glaubte, was er sagte. Er sprach schwungvoll von Gustav Wasa und Gustav Adolf, von der Rettung des Vaterlands, von der Abschaffung der junkerlichen Mißgewalt und der Wiederherstellung der uralten schwedischen Freiheit. Schließlich versicherte er hochpathetisch, er entsage »feierlich dem verhaßten Absolutismus (schwedisch envälde, Alleingewalt, Alleinherrschaft) und erkenne es für die höchste Ehre an, der erste Bürger eines freien Volkes zu sein«. Als er dermaßen flunkerte, hatte er die neue, von ihm verfertigte »Verfassung«, die er dem Lande aufzwingen wollte, schon in der Tasche, eine Verfassung, die unter dem blassen Scheine des Konstitutionalismus – aber der Konstitutionalismus ist ja an und für sich und immer und überall nur blasser Schein und blauer Dunst – das Königtum so ziemlich zum absoluten machte. Denn Reichsrat und Reichstag blieben zwar nominell bestehen, waren aber nur Maschinen, die der königliche Wille mit einiger Geschicklichkeit und Geduld nach Belieben lenken zu können hoffen durfte. Das Wesen der Gewalt vereinigte Gustav in seiner Hand …

Die Schlußszenen der Umwälzung waren mit großem Pomp und Prunk angeordnet: das »Volk« mußte doch auch etwas davon haben, etwas Spektakel nämlich. Am 20. August hielt der König auf dem Marktplatz der Hauptstadt eine große Rede an die versammelte Bürgerschaft, um sie zur Leistung des neuen Huldigungs- und Treueschwurs zu begeistern, und erreichte diesen Zweck vollständig. Am folgenden Tage mußte der Reichstag daran. Die Repräsentanten der vier Stände wurden im Reichssaale versammelt, um welchen her, natürlich nur zur Erhöhung der Feierlichkeit, starke Truppenmassen, auch hinlänglich viele Kanonen und Kanoniere mit brennenden Lunten aufgestellt waren. Gustav hielt vom Throne herab wiederum eine große Rede, worauf die neue »Konstitution« vorgelesen wurde. »Wollt ihr sie annehmen, beschwören, unterschreiben und besiegeln, ihr Herren vom Adels-, Priester-, Bürger- und Bauernstande?« – »Jawohl, mit Freuden.« – (Schade, daß es damals noch keine Photographie gegeben hat, welche die Gurkensalatgesichter der schwedischen Junker in diesem »erhebenden« Augenblick hätte fixieren können.) – »Und sagt niemand nein?« – »Niemand.« – »Nun wohlan,« sprach der König gerührt, zog ein Kirchengesangbuch aus der Tasche und stimmte mit heller Stimme an: »Herr, Gott, dich loben wir!«, und wohl oder übel mußte die Versammlung mit einstimmen.

2.
Das Komplott.

Es ist und bleibt eine denkwürdige Tatsache, daß sich die genialsten Menschen aller Zeiten entschieden zum Fatalismus bekannt haben. Schon in den ältesten Dichtungen des Orients, dann in den Homerischen Gesängen, in der attischen Tragödie, weiterhin in der bedeutendsten Offenbarung des römischen Genius, im Lehrgedicht des Lukrez, ist dieses Thema mächtig angestimmt worden, um bis auf unsere Tage herab unaufhörlich variiert zu werden. Durch die älteste Urkunde germanischer Weltanschauung, die Edda, geht ein Schicksalsglaubenzug, eisig, wie von den Gletscheröden Islands kommend, bis aufs Mark einschneidend. Die Welt Shakespearescher Dichtung durchdröhnt der Fatalismus mit der majestätischen Eintönigkeit einer Bachschen Fuge, gespielt auf einer Riesenorgel. Wie sehr Goethe ein Fatalist gewesen, ist bekannt. In der vielzitierten Stelle im Egmont: »Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unseres Schicksals leichtem Wagen durch, und uns bleibt nichts als, mutig gefaßt, die Zügel festzuhalten und bald rechts bald links vom Steine hier, vom Sturze da die Räder wegzulenken« – macht er der Lehre vom freien Willen des Menschen noch eine Einräumung; allein er gibt sich selber ein Dementi, indem er später seinen Helden sagen läßt: »Es glaubt der Mensch, sein Leben zu leiten, sich selbst zu führen, und doch wird sein Innerstes nach seinem Schicksal gezogen.« Noch mehr, Wolfgang der Große hat auch die Überzeugung ausgesprochen, daß, je höher der Mensch auf der sozialen Leiter stehe, desto mehr seine Unfreiheit zunehme. Deshalb legte er der Statthalterin Margareta die Worte in den Mund: »Oh, was sind wir Großen auf der Woge der Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und sie treibt uns auf und ab, hin und her.« Noch allgemeiner faßte das, der sozialen Aristokratie die geistige gesellend, der größte Poet Schwedens Tegnér, wenn er in seinem berühmten, im Jahre 1813 auf Napoleon gemünzten Gedichte sagte: »Dichter, Denker und Helden, alles, was herrlich auf Erden, wirkt blind, wie der Geist es will.«

Aber fiele damit in den Welthändeln nicht alle moralische und rechtliche Verantwortlichkeit weg? Freilich, oder vielmehr diese Verantwortlichkeit braucht nicht erst wegzufallen, kann nicht wegfallen; denn sie hat ja gar nie existiert. Die ganze Moral der Weltgeschichte läßt sich auf die Formel zurückfuhren: Macht oder Unmacht, Gelingen oder Mißlingen, Sieg oder Niederlage, Reichtum oder Armut. Will man diese Anschauung, nein, diese Tatsache mit der Bezeichnung »Pessimismus« abfertigen, so mag man das zum Troste schwacher Seelen und zur Berückung blöder Geister immerhin tun; allein dadurch wird schlechterdings nichts gewonnen und die infernalische Komödie des Daseins der Menschheit nicht um einen einzigen Blutakt, nicht um eine einzige Tränenszene ärmer …

Wäre der Vers Tegnérs schon zu Gustavs III. Zeit gedichtet gewesen, der König hätte sich zu seinen Gunsten darauf berufen können. Wenn nicht als Held, so doch als Poet. Denn in der Tat, Se. Majestät von Schweden war ein Stück von einem Dichter, und zwar von einem dramatischen oder, besser gesagt, von einem theatralischen. Ist doch das Schauspielen von Kindheit auf seine Leidenschaft gewesen und das Kostümieren, Deklamieren und Agieren alle seine Lebtage sein liebster Zeitvertreib geblieben. Ein ganzer Theaterkönig, war er auch wenigstens ein halber Theaterdichter. Zwar der Herzschlag echter Leidenschaft fehlt den ernsten und scherzhaften, von ihm in Prosa geschriebenen Dramen – »Gustav Wasa«, »Gustav Adolf und Ebba Brahe«, »Helmfelt«, »Frigga«, »Der betrogene Pascha« –, aber sie bewegen sich leicht, natürlich und zierlich und sind an theatralischen Wirkungen reich. Des Königs Hofdichter Kellgrén hat dann die Prosa seines Gebieters in Verse von fließendem Wohllaut umgesetzt und insbesondere aus dem Drama »Gustav Wasa« eine Oper geschaffen, die das Entzücken der Schweden wurde. Sie ist am 19. Januar 1786 zum erstenmal aufgeführt worden, und zwar auf der Bühne des neuen, von Gustav erbauten Opernhauses. Als der König bei der dreiundzwanzigmal wiederholten Aufführung in vollen Zügen seine Autoreitelkeit genoß, da ist ihm, wenn er aus seiner Loge auf das Beifall jauchzende Publikum im Saale niederschaute, gewiß keine Vorahnung von der schwarzen Stunde gekommen, wo er, aus derselben Loge in denselben Saal hinabgestiegen, der passive Held eines tragischen Stückes werden sollte, aus dem man später auch eine Oper machen würde. Törichter Wunsch des Menschen, die Zukunft vorher wissen zu wollen! Mit der Erfüllung dieses Wunsches würde unser Geschlecht das höchste Leid treffen, und das ohnehin von tausenderlei Qualen zerrissene Dasein würde so unerträglich werden, daß die verzweifelnde Menschheit zum Selbstmord greifen müßte.

Gustav III. wußte sich etwas damit, seine Brüder in Apoll um sich zu versammeln. Sein Hof war wirklich eine Art von Musenhof. Satirische Spiegelbilder des Treibens an diesem Hofe finden sich zahlreiche in den Spottliedern und Epigrammen des »schwedischen Anakreon«, jenes hochbegabten Karl Michael Bellman, der, zopfig zu sprechen, auf seiner reichbesaiteten Leier die ganze Tonleiter vom Schnapsrauschjodler und Zotenschwank bis hinauf zum seelenvollen Liebeslied und zum feierlichen Hymnus genialisch durchgespielt hat. Auch mit einem wundersamen Talent der Improvisation ausgestattet, war Bellman eine oder vielmehr die Hauptfigur der Bacchanalien, denen der König vorsaß und deren Geräusch sich häufig genug zum mänadischen steigerte. An Eulenspiegeleien, welche mitunter bis in die Sphäre des Schweinigeligen hinabgriffen, hat es dabei ebenfalls nicht gefehlt. Doch springt aus den vielen Anekdoten, die uns über dieses geistreich-leichtfertige Treiben und insbesondere über den Verkehr Gustavs mit Bellman überliefert sind, mancher sprechende Zug von echt menschlicher Güte hervor, der dem König zur Ehre gereicht, und immerhin gewährt der schöngeistige Tumult, den Gustav im Sommerschlosse Haga um sich her gewähren ließ, einen viel erquicklicheren Anblick als seines Oheims Tafelrunde zu Sanssouci, deren Mitgliedern man ja die unaufhörliche Angst ansah, mitten in den Ausgelassenheiten freigeistiger Scherzreden plötzlich derbe Stockzepterschläge von seiten des Wirtes zu empfangen, der, wie in seinen Preußen, so in allen Menschen nie etwas anderes als Sklaven, als seine Sklaven gesehen und dennoch am Ende seiner Laufbahn wunderlicherweise geseufzt hat, daß er überdrüssig sei, über Sklaven zu herrschen.

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Die rasche, glatte und milde Manier, womit Gustav seinen Staatsstreich durchgeführt hatte, gewann ihm die Bewunderung Europas und verschaffte ihm daheim eine außerordentliche Volkstümlichkeit. Das schwedische Volk, von den Bedrückungen, womit das Junkerregiment es überhäuft hatte, aufatmend, erblickte in dem jungen Monarchen seinen Befreier, erklärte ihn zu seinem Liebling und feierte ihn mit Sang und Klang als den besten König des Nordens (» den bästa kung, som Norden äger«). Er seinerseits nahm auch Anläufe, dieser verschwenderisch ihm zugeteilten Volksbeliebtheit zu entsprechen und den auf sein königlich souveränes Walten gesetzten Hoffnungen gerecht zu werden. So geschah denn in den ersten Jahren manches Löbliche zur Reorganisation des chaotisch verworrenen Staatshaushalts, zur Erleichterung des Volkes, zur Wiederaufrichtung des tiefgesunkenen Ansehens Schwedens nach außen. Aber es waren doch nur Anläufe, zum Teil nicht einmal glückliche. Ausdauer und Folgerichtigkeit fehlten durchweg. Des Königs Korkseele ermangelte allzusehr des Ballastes sittlichen Ernstes. Mit genialischem Hin- und Hertasten richtet man in der Politik nicht viel aus, und Schöngeisterei und Kunstdusel taugen da vollends gar nichts. Der Geniestreich vom August 1772 allerdings war ein rechter gewesen, hatte gut getroffen und durchgeschlagen; aber er schien auch das Wesen von Gustavs Willen und Kraft aufgezehrt zu haben. Denn fortan war all sein Tun, näher angesehen, nur noch Schein und Schaustellung. Das Komödiantische in dem Manne wurde übermächtig bis zur Widerlichkeit. Er wollte sozusagen immer auf der Bühne stehen, immer agieren, und so hat er denn seine Königschaft zu eitel Schauspielerei gemacht.

So ein Komödiantentum kostet aber Geld, viel Geld, sehr viel Geld. In der Beschaffung desselben bestand im Grunde die ganze Staatskunst Gustavs. Er krankte an der Sucht, den Prunk, den Luxus, die unsinnige Vergeudung von Versailles an seinem Hofe nachzuahmen, und er brachte es auch glücklich zu einer Gewissenlosigkeit im Verschwenden, daß z. B. ein einziges, im Jahr 1776 abgehaltenes Ringelrennen 400 000 Taler Kupfermünze kostete. Nicht weniger ein zweites, im folgenden Jahre veranstaltetes. Nun war aber Schweden ein armes Land, dem die Aufbringung der Kosten des phantastischen Luxus, in welchem König Gustav die Verwirklichung seiner »Heldenträume« suchte, sehr schwer fallen mußte. Der Pfiffe und Kniffe, durch die die königliche Finanzerei das Geld aus dem Volke herauspreßte, waren viele; aber der Hauptpfiff und Erzkniff ist gewesen, daß der König sich zum Großhändler, zum Einzighändler mit Schnaps machte. In der Tat, der »ritterliche« Gustav, Gustav der Poet, Gustav » den bästa kung«, wurde Schnapskrämer, – in großem Stile, versteht sich. Der König wußte recht gut, daß die Völker dumm und feig genug sind, sich geduldig die Haut über die Ohren ziehen zu lassen, falls man ihnen nur weismacht, dieses Schinden sei eigentlich ein heilsames Kitzeln. Er war auch ein zu geriebener Gaukler, als daß er die Plumpheit begangen hätte, seinem geliebten Schwedenvolk mit Auflegung von neuen Steuern lästig zu fallen. Da er jedoch Geld und immer wieder Geld haben mußte und wollte, so kam er auf den sinnreichen Einfall, sein Volk auf gut russisch zu beglücken, d. h. nach russischem Muster am 17. Mai 1776 das Branntweinbrennen für ein Hoheitsrecht der Krone und das Branntweinverkaufen für ein königliches Monopol zu erklären, und der arme Narr von Schwedenvolk glaubte dem allerdurchlauchtigsten Schnapspropheten und kaufte jährlich für etwa 1½ Millionen Silbermünze »blaues Gift« in der königlichen Fuselbude.

Leider ist Volksgunst ein nicht minder gebrechlich und zerbrechlich Ding als Glück und Glas, und infolgedessen finden wir, daß nach Verlauf von etlichen Jahren die guten Schweden – wir meinen Bürger und Bauern – ihren vielgeliebten Kung nicht mehr mit allzuheißen Liebesblicken ansahen und viele sogar auf den Gedanken kamen, die »glorreiche« Revolution von 1772 wäre eigentlich ein Schwindel, eine Prellerei gewesen, da die Herren Junker im ganzen nicht schlimmer gewirtschaftet hätten, als jetzt der oberste der Junker wirtschaftete. Die königliche Schnapspest mit ihren unliebsamen Spezialitäten, als da waren Angebereien, Haussuchungen, Beschlagnahmen und Steuerbelästigungen, verheerte das arme Land materiell und moralisch gleich sehr und brachte denkende Menschen zu der Meinung, ein König könnte und sollte doch eigentlich Besseres tun, als Branntwein brennen und ausschenken. Die denkenden Menschen machten indessen in Schweden, wie allenthalben, eine verschwindende Minderheit aus, die wenig zu bedeuten hatte, und obwohl auch in die Massen eine dumpfe Unzufriedenheit mit dem Theaterkönig mehr und mehr sich einzufressen begann, so brauchte sich Gustav und brauchen sich überhaupt große Herren um die Unzufriedenheit des Volkes nicht zu kümmern. Laßt die Schafe immerhin unzufrieden sein, laßt sie sogar sich unterstehen, mitunter kläglich zu blöken, schadet nichts, wenn sie nur gewohnterweise ihre Wolle hergeben.

Das Jahr 1777 markiert ziemlich bestimmt den Wendepunkt, von wo ab Gustav die Nebenpartie seiner Rolle, den populären König, den » roi citoyen« zu agieren, immer lässiger behandelte und endlich ganz fallen ließ. In dem genannten Jahre machte er auch seine allen braven Schweden höchst anstößige Reise nach Petersburg. Einen Vorwand dazu bot ihm die üble Miene, die die »Semiramis des Nordens«, als Beschützerin der »Mützen«, zum Staatsstreich von 1772 und seither Schweden gegenüber gemacht hatte. Gustav traute sich Geistesüberlegenheit und Liebenswürdigkeit genug zu, die übelwollende Nachbarin zu versöhnen und für sich zu gewinnen. Das tiefer gelegene Motiv zu seiner Reisefahrt ist aber wohl dies gewesen, daß seine Eitelkeit den König gestachelt hat, der Welt zu zeigen, wie es keinesfalls zu seinem Nachteil ausschlüge, wenn er neben der größten Komödiantin der Zeit, neben der siebenfach destillierten und siebzigfach potenzierten Intrigenkünstlerin Katharina auf der Bühne erschiene.

Er täuschte sich gewaltig, nicht aber die Welt, die ganz deutlich erkannte, daß die genialische Majestät von Schweden, verglichen mit der Zarina, doch nur ein »geflickter Lumpenkönig« war. In Wahrheit, Katharina II. wußte den blendenden, ja sogar einen überzeugenden Schein von Großartigkeit um all ihr Tun, um ihr ganzes Sein und Gebaren zu breiten. Selbst um ihre Messalinaschaft. Man hatte am russischen Hofe, auch nachdem man die greulichen Ausschweifungen Peters I. und die Liebschaften der Zarin Anna gesehen, doch noch immer ein wenig Gefühl für Scham oder wenigstens für Anstand. Sogar die indolente Säuferin, die Kaiserin Elisabeth, hatte ihre Gardegrenadiere nur mit verbundenen Augen in ihr Schlafgemach kommen lassen. Katharina II. dagegen verachtete solche kleinlichen Rücksichten, und mit dem ganzen Zynismus einer großartigen, durch ihre Beispiellosigkeit die Menschen verblüffenden Schamlosigkeit erklärte sie das zwölfmal neu besetzte Amt ihres ersten Beischläfers zum höchsten Hof- und Staatsamt … Gegen dieses dämonische Weib, gegen welches selbst der Alte Fritz keine andern Waffen als die der untertänigsten Schmeichelei zu gebrauchen wagte, konnte Gustav gar nicht aufkommen. Daß er die Zarin nicht durchschaut, daß er ihre doch schon deutlich genug kundgegebenen Absichten auf Finnland, sowie ihre fortwährenden Beziehungen zu dem schwedischen Junkertum nicht erkannt hatte, bezeugt der Umstand, daß der König nach seiner Heimkehr im August 1777 aus Drottningholm an den Grafen Kreutz in Paris schrieb: »Meine Reise ist über Erwarten gut ausgefallen, und ich ernte schon die Früchte derselben. Die alte Mützenpartei ist zertrümmert, und mit den Kabalen der Aristokratie hat es ein Ende, nachdem ihnen alle Hoffnung benommen worden ist, durch Entflammung des Hasses der Kaiserin meine Regierung zu beunruhigen. Freundschaft ist (von seiten Katharinas) auf Vorurteil gefolgt.« Allein der schwedische Gesandte am französischen Hofe war besser unterrichtet; denn er schrieb am 5. September zurück: »Die russische Kaiserin hat nach Ew. Majestät Abreise Äußerungen getan, welche nicht für die Aufrichtigkeit der Freundschaft sprechen, die sie Ihnen bezeigte.« Summa: Schweden samt seinem Theaterkönig war für Katharina auch nur eine der Mäuse, mit denen die geile Kaiserinkatze eine Weile graziös-grausam spielte, bevor sie sie auffraß oder ihnen wenigstens dieses oder jenes Glied vom Leibe riß.

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Im folgenden Jahre hat im gustavischen Lebensdrama ein ganz häßlicher Akt gespielt, dessen erste Szenen freilich um mehrere Jahre weiter zurückreichen.

Die Ehe des Königs, vorausgesetzt, daß es überhaupt eine gewesen, war kinderlos geblieben. Gustav hatte sich dem haßvollen Willen und Wunsch seiner Mutter gemäß seiner Gemahlin gegenüber auf den Standpunkt kühl-zeremonieller Zurückhaltung gestellt, was ihm freilich aus weiter oben angedeuteten Gründen nicht eben viel kostete. Seitdem aber auch die Ehe seines Bruders Karl, Herzogs von Södermanland, als unfruchtbar sich herausgestellt hatte, scheint sich der König über die Gefährdung der Thronfolge und Dynastie mehr und mehr Gedanken gemacht zu haben. Die Folge war, daß er sich im Jahre 1775 seiner Gemahlin Sophie Magdalene näherte und daß eine förmliche Aussöhnung zwischen dem Paare stattfand, zum äußersten Verdruß der Königinwitwe Luise Ulrike. Diese fing denn auch, als zu Anfang des Jahres 1778 die Schwangerschaft ihrer Schwiegertochter Sophie Magdalene ruchbar wurde, vom Schlosse Fredrikshof, ihrem Witwensitz, aus ein heilloses Rumoren an, so zwar, daß der König schon im August in einem seiner Briefe an den Grafen Kreutz über die »unglückliche Geschichte« sich zu beklagen hatte, welche »Unruhe und Spaltung in das Innere der königlichen Familie brächte«. Einen Monat vor der Niederkunft der Königin schrieb Graf Kreutz aus Paris: »Der Herr Graf Maurepas hat mir aufgetragen, Ew. Majestät auf das eindringlichste vorzustellen, wie wichtig es sei, daß die Königinwitwe gezwungen werde, dem Taufakt beizuwohnen und das Kind zur Taufe zu halten.« Ein sattsam deutlicher Wink, wie Frau Luise Ulrike über die Legitimität, d. h. Illegitimität ihres zu erwartenden Enkels dachte.

Am 1. November gebar Sophie Magdalene einen Sohn, den nachmaligen Gustav IV., närrischen Andenkens. Der König setzte sich sogleich hin, seine Mutter von dem glücklichen Ereignisse zu benachrichtigen. Aber von Fredrikshof kam auf seinen Brief diese Antwort herein: »Mein Herr Sohn! Ich bin Mutter, und dieser geheiligte Charakter kann aus meinem Herzen niemals vertilgt werden. Er wird mich stets bewegen, einen aufrichtigen Anteil an Ew. Majestät Glück zu nehmen, und ich erwarte von der Zukunft, daß die Binde, welche Ihre Augen beschattet, werde zerrissen werden. Dann wird es geschehen, daß Sie mir Gerechtigkeit widerfahren lassen und die Härte bedauern werden, mit der Sie einer Mutter begegnen, die Sie bis zum Grabe lieben wird. Verbleibend Ew. Majestät sehr gute Mutter Luise Ulrike« … Auf dieses Schreiben hin ließ Gustav – sei es, daß er wirklich Grund hatte, sich für den Vater des neugeborenen Prinzen zu halten; sei es, daß ihn, wenn dies nicht der Fall war, die ihm imputierte Augenbinde nur um so mehr verdroß – seiner Mutter das Erscheinen bei Hofe verbieten, was die alte Frau zunächst so in Schrecken setzte, daß sie einen Entschuldigungsbrief an ihren Sohn sandte. Darin hieß es: »Die Binde, von der ich sprach, bezieht sich in keiner Weise auf die Person der Königin.« Allein der König ließ die Ausrede nicht gelten und schrieb zurück: »Genießen Sie Ihre Rache; aber, um Gottes willen, stellen Sie sich nicht dem Publikum bloß!«

Es war dann die Rede davon, auf gute Manier Luise Ulrike aus dem Lande zu entfernen und sie nach Schwedisch-Pommern zu schicken. Sie erklärte, hierein zu willigen, stellte aber so überstiegene Bedingungen, daß man den Reiseplan fallen und die alte Zankbürste ließ, wo sie war. Dadurch noch mehr erbost, tat sie jetzt erst recht, Shakespearesch zu reden, das »Gatter ihrer Zähne« auf, falls sie nämlich noch welche hatte, und ließ sich gegen ihren Sohn Karl von Södermanland heraus, sie wisse wohl, was die Aussöhnung des Königs mit seiner Frau zu bedeuten habe, und wem sie zu verdanken sei. Der König habe ja selbst laut genug gesagt – das war wahr! –, daß er sie seinem Hofstallmeister, dem Baron Munck, verdanke. Jawohl! Denn der Munck, ja, der sei mit Wissen Gustavs der Vater des Kronprinzen geworden. Was zum Teufel? schrie der Herzog von Södermanland auf, dessen starke Seite bekanntlich der Verstand niemals gewesen ist, und rannte, den Hofstallmeister aufzusuchen, den er mit Schmähungen überhäufte. Munck klagte das dem Könige, der nun seinerseits wütend gegen die Mutter und den Bruder losbrach. Eine himmlische Wirtschaft von Gottes Gnaden!

Die Skandalchronik hatte seit Jahrhunderten in Stockholm nicht so viel zu tun gehabt wie damals. Das Gerücht behauptete, erst habe man einen Kronprinzen herbeischaffen wollen dadurch, daß man das zu erwartende Kind der jungfräulichen Schwester des Königs, der weiß der Himmel wann, wie und von wem in interessante Umstände versetzten Äbtissin von Quedlinburg, unterzuschieben willens gewesen sei. Leider aber habe – o Schrecken! – Ihro jungfräulich prinzeßlich-äbtissische Gnaden Sophia Albertina einen Mohrenknaben zur Welt gebracht. Daraufhin erst hätte der König und die Königin ihre Zuflucht zu dem guten Munck genommen.

So etwas konnte sich denn doch die Legitimität von Gottes Gnaden nicht bieten lassen. Es galt, den Strom des Ärgernisses an der Quelle zu verstopfen, was mit großem Geräusch ins Werk gesetzt wurde. Die Königinwitwe mußte zu Fredrikshof in Gegenwart des Königs und eines halben Dutzends von Reichsräten eine feierliche schriftliche Erklärung abgeben, daß bei der mehrerwähnten Aussöhnung Gustavs mit Sophie Magdalene alles mit rechten Dingen zugegangen und demnach der Kronprinz ihr echter und rechter Enkel sei. Fatal nur, daß das Publikum an diese Erklärung so wenig glaubte wie Luise Ulrike selber.

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Die Sage vom » bästa, kung« hat sich mehr und mehr zu einer verschollenen gestaltet, und auf seinem mit guten Vorsätzen gepflasterten Wege ist der aufgeklärte Despotismus Gustavs III. schon so ziemlich vollständig in die Region des gemeinen und schlendrianischen hinabgelangt. Je tiefer aber der Mann in der Wirklichkeit sank, desto höher strebte er in Gedanken, nämlich als Gaukler und Komödiant.

Da kann es denn auch nicht verwunderlich erscheinen, daß die Starkgeisterei und Kraftgenialität in dem Könige zu dieser Zeit plötzlich in eine ganz läppische Mysteriensucht um- und überschlug. Es ist ja das der Starkgeisterei und Kraftgenialität dazumal auch anderwärts häufig genug begegnet, – zur Zeit, wo das Geheimnisseln und Geheimbündeln an den Höfen und in der »guten« Gesellschaft Mode war und die tollgewordene Freimaurerei und der durch die Jesuiten gefälschte Illuminatismus einem so jämmerlichen Halunken, wie Balsamo-Cagliostro einer gewesen, die Pfade bereiteten, auf denen er Europa als Triumphator durchziehen konnte. Auch in Stockholm geheimnisselte und geheimbündelte man eifrig, und zwar hat sich dort als Hauptmacher in den mancherlei Ordensalfanzereien der Staatssekretär Elias Schröderheim aufgetan. Durch ihn war der Phantastikus von König, dessen »Aufklärung« nicht eben taktfest war, tief in die Rosenkreuzerei und anderen Schwindel verstrickt. Nachdem er es glücklich dahin gebracht hatte, zum »Tempelherrn« geweiht zu werden, gab er dem Anstoß zur Verblödung und Verduselung soweit nach, daß er durch zwei Scharlatane von der erbärmlichsten Sorte, durch den Schweden Plommenfelt und den Finnen Björnram, die Lebenselixiere brauten und Gespenster beschworen, sich ganz lächerlich nasführen ließ.

Daneben wurde seiner Sucht, zu schauspielen, Effekt zu machen, zu glänzen, die heimatliche Bühne zu enge. Er verlangte nach einer europäischen, um auf ihr den großen Staatsmann und den noch größeren Kriegshelden darzustellen. Alle Vorstellungen der verständigeren seiner Minister gegen das Bedenkliche, ja Gefährliche derartiger Träumereien und Wünsche fanden ein ungeneigtes Gehör und hatten nur den Erfolg, den Sinn des Königs mehr und mehr seiner Pflicht, mit den inneren Angelegenheiten Schwedens sich zu beschäftigen, zu entfremden. Die Rückwirkung, die der Unabhängigkeitskampf der Nordamerikaner auf Europa übte; der kriegerische Hader, worein infolge dieses Krieges England mit Frankreich geraten war; die Verwicklungen, die die riesenhaften von Katharina II. in Gemeinschaft mit ihrem Potemkin ausgeheckten Eroberungspläne, sowie die Projekte Kaiser Josephs in Aussicht stellten, bestärkten den Schwedenkönig in seiner Einbildung, daß es ihm bald beschieden sein würde, die Rolle Karls XII. zu erneuern.

Das Jahr 1783 schien solche Wünsche der Erfüllung näher zu bringen. Es war aber nur ein Schein; denn die abenteuerliche Politik Gustavs konnte unmöglich zu einem Sein werden. Es war alles nur ein Hin- und Herflackern, ein Hin- und Widerfahren, ein Verfolgen großer Ziele mit kleinen Mitteln, ein über die Maßen kostspieliges Komödienspiel, das zudem hinter der heroischen Aufflitterung nicht selten recht gemeine Blößen zeigte. Als die Zarin Katharina unter unmittelbarer Beihilfe des von der großen Ränklerin genarrten Kaisers Joseph II. die Länder der krimschen, tamanschen und kubanschen Tataren von der Türkei abriß und in den unersättlichen Magen der Matuschka Moskawia beförderte, wähnte der Schwedenkönig Zeit und Lage günstig genug, um ebenfalls den Eroberer herauskehren zu können, und zwar zuvörderst gegen Dänemark, dem Norwegen entrissen werden sollte. Es wurden zu diesem Zwecke Rüstungen vorgenommen, und Gustav machte eine Fahrt nach Finnland, um dort eine Zusammenkunft mit der Zarin zu haben; sei es, daß er hoffte, ihre Zustimmung zu seinen Plänen zu gewinnen, sei es, daß er sich vor den Leuten wenigstens den Anschein geben wollte, dieser Zustimmung sicher zu sein. Die schlaue Katze und der heroische Mauserich trafen sich am 29. Juni 1783 zu Fredrikshamn und verlebten unter rauschenden Lustbarkeiten drei Tage. Gustav schlug keineswegs die wirkliche oder auch nur die scheinbare Bundesgenossenschaft Katharinas heraus, wohl aber ein Almosen von 200 000 Rubeln, die unter dem Titel eines Ersatzes seiner Reisekosten der Königkomödiant anzunehmen Lump genug war.

Mit Hilfe dieses russischen Geschenks, dessen Kapital nebst Zinsen und Zinzeszinsen Rußland später in Form des schwedischen Finnland einzuziehen verstanden hat, unternahm Gustav, seine Heldenrolle einstweilen vertagend, als Graf von Haga im September 1783 seine Schwelger- und Gauklerreise nach Italien. In Neapel bewirtete ihn der russische Gesandte in verschwenderischer Weise, und sozusagen als Dessert wurde dem Könige dann in Venedig ein Brief seiner hohen Gönnerin überreicht, worin die Zarin schrieb: »Man schwatzt davon, daß Ew. Majestät geheime Rüstungen mache, um sich Norwegens zu bemächtigen. Ich glaube kein Wort davon und ebensowenig an das Gerücht, das mich mit einem Einfall in (russisch) Finnland bedroht, wo Ew. Majestät, wie man behauptet, meine schwachen Besatzungen niederzusäbeln und geradeswegs auf Petersburg loszugehen beabsichtigt, vermutlich, um dort zu soupieren. Da ich kein Gewicht auf das lege, was man in Gesprächen ausspricht, in denen der Verschönerung der Rede wegen häufiger die Sprünge der Phantasie sich zeigen als Wahrheit und Möglichkeit, so sage ich jedem, der es hören will, ganz einfach, daß weder aus dem einen noch aus dem andern etwas werden wird.« … Das war eine starke Prise, noch dazu tüchtig mit Spottpfeffer gemischt. Sie stach auch dem Könige sehr scharf in die Nase, und er wollte der übermütigen Spötterin zur Erwiderung ebenfalls eine darbieten, die gehörig gewürzt sein sollte. Es handelte sich nur um das Können, und dieses glaubte Gustav durch einen Besuch am französischen Hofe zu ermöglichen, wohin er von Italien aus ging. Die Minister Ludwigs XVI., die wirkliche Bedeutung Schwedens im Staatensystem Europas weit überschätzend, ließen sich in der Tat bestimmen, am 16. Juli 1784 zu Versailles einen neuen Allianz- und Subsidienvertrag abzuschließen, kraft dessen Gustav über die bisher aus der französischen Staatskasse bezogenen und fürder zu beziehenden »ordentlichen« Hilfsgelder hinaus noch »außerordentliche« im Betrage von 1 200 000 Livres jährlich, sowie, im Falle Schweden von einem Feinde angegriffen würde, kriegerischen Beistand zugesichert erhielt.

Der König hat die Vorkommnisse seiner Reise in einer Reihe von Briefen geschildert, deren meiste an seinen jetzigen Premierminister, den Grafen Kreutz, gerichtet wurden. Von besonderem Interesse ist ein aus Rom am 27. Januar 1784 an den Generaladmiral Trolle geschriebener Brief, worin sich Gustav über Kaiser Joseph II., mit welchem er in Florenz und dann in der Papststadt zusammengetroffen war, also ausließ: »Alles scheint eine große Umwälzung zu verkünden, und des Kaisers Projekte sind so umfassend, daß eine solche Krisis unvermeidlich sein dürfte. Ich habe diesen Fürsten gesehen, dessen Person ebenso wunderbar ist wie sein Benehmen. Nachdem er den Papst fast insultiert, nachdem er der römischen Gewalt den letzten Stoß gegeben« – warum nicht gar? – »und den Grundbau der römischen Lehre untergraben hat« – wodurch denn? – »sah man ihn hier in der Peterskirche auf den Knien liegen, von einer Kirche zur andern laufen und mit großem Eifer alle die Andachtsübungen vollziehen, die die katholische Lehre vorschreibt. Ich bin sehr erfreut, ihn gesehen und kennen gelernt zu haben; aber ich kann nicht leugnen, daß ich finde, er erwecke Bewunderung, doch nicht die Liebe und den milden Enthusiasmus, welche nur ein Menschenfreund einflößen kann und welche die Freundlichkeit und die Manieren der Kaiserin von Rußland erzeugen« … Der königliche Briefschreiber stellt also in betreff der Menschenfreundlichkeit Joseph unter Katharina: das zeichnet deutlich die gustavische Korkseele …

In Versailles erhielt der galante Schwedenkönig Zutritt zum vertrautesten Kreise der schönen Königin. Marie Antoinette tanzte mit ihren Artois, Polignacs, Coignys, Lauzuns und Besenvals damals noch leichtbeschwingten Fußes und lachenden Mundes dem Abgrund entgegen. Am 24. Juni 1784 schrieb Gustav aus Versailles: »Die Fete der Königin zu Trianon war scharmant. Man spielte auf dem kleinen Theater Le dormeur éveillé, Text von Marmontel, Musik von Gretry, mit allem Zubehör von Oper und Ballett. Man soupierte in den Pavillons des Gartens, und nach dem Souper war der englische Garten illuminiert. Es war eine vollkommene Zauberei« … Zehn Jahre später war an das Tor des in Ruinen fallenden Zauberschlosses der königlichen Armida ein Plakat angeschlagen des Inhalts: »Nationaleigentum; zu verkaufen oder zu vermieten« – und war der englische Garten eine Wildnis voll Dornen und Unkraut …

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Im August 1784 nach Schweden heimgekehrt, spielte Gustav seine Heldenrolle weiter – in Gedanken. Inzwischen hatte sich aber in der Wirklichkeit sein Verhältnis zur Nation wesentlich anders gestaltet, d. h. die Unzufriedenheit mit der gustavischen Staatswirtschaft war auch im Bürgerstand und in der Bauernschaft so groß geworden, daß die Geistlichkeit zu murren und der Adel offen zu widerstehen wagen konnte. Der König ließ sich durch die Symptome eines Umschwungs der öffentlichen Meinung nicht warnen und nahm insbesondere die Todfeindschaft, die gegen ihn im Schoße des Junkertums brütete, viel zu leicht, überhaupt schenkte er den mancherlei Schwierigkeiten, die sich im Innern gegen ihn anzusammeln und aufzutürmen begannen, wenig oder keine Achtsamkeit, ganz und gar von der Don Quichottephantasie erfüllt und beherrscht, nach außen »Schwedens Macht und Ruhm zu vergrößern«, d. h. die obschwebenden Verwicklungen der europäischen Politik – das weitere Vorgehen der Zarin gegen die Türkei, die Vergrößerungspläne Kaiser Josephs in Deutschland, die Gärungen in den Niederlanden, die infolge des amerikanischen Krieges eingetretene Ermattung Englands, die Vorwehen der Revolution in Frankreich – zu benutzen, um ein recht großer Schwedenkönig, à la Gustav Adolf etwa, zu werden. Übrigens ist in dieser Narretei nicht einmal Methode gewesen. Des unsteten Mannes Sinnen und Wollen war veränderlich wie Wind und Welle. Heute sann er darauf, Rußlands Bundesgenossenschaft zu suchen, um über Dänemark herfallen zu können; morgen aber wollte er ein Bündnis mit Dänemark schließen, um, gestützt auf dessen Rückhalt, Rußland anzugreifen. Der im Mai 1786 eröffnete Reichstag hätte den König belehren können, daß er seine ganze Aufmerksamkeit, Kunst und Kraft den inneren Angelegenheiten Schwedens zukehren müßte. Er begegnete einer geschlossenen Opposition und vermochte von seinen sämtlichen zur Beratung vor die Stände gebrachten Vorschlägen nur einen einzigen, und zwar sehr untergeordneten, durchzusetzen. Der Verblendete zog aber daraus nur die Lehre, daß er beim Staatsstreich von 1772 dem Reichstag noch viel zuviele konstitutionelle Befugnisse gelassen hätte.

Man ist doch oft versucht, wenn man die unzweifelhaft genialischen Naturanlagen Gustavs mit seinem Tun zusammenhält, alles Ernstes das Wort des römischen Autors Seneka.: »Jedem Genie ist eine Dosis Wahnsinn beigemischt« – auf ihn anzuwenden. Die Abenteuer seiner sechs letzten Lebensjahre könnten einem modernen Cervantes reichlichen Stoff liefern.

Aber mit der Phantasterei des Königs ging Hand in Hand ein gewissenloser Leichtsinn, den es wenig kümmerte, ob das Brillantfeuer, mittels dessen das eigene liebe Ich in hellste und schönste Beleuchtung gerückt werden sollte, Schweden und vielleicht ganz Europa verzehren würde. Seine grenzenlose, durch und durch komödiantische Eitelkeit hätte Gustav III. das furchtbare Wort: »Bin ich erst tot, mag die Erde in Flammen aufgehen!«, das Kassius Dion dem Menschenverächter Tiberius in den Mund gelegt und die lachende Liederlichkeit der Madame Pompadour bekanntlich kurz vor dieser Zeit ins Französische übersetzt hatte (» Après nous le déluge!«), unbedenklich nachsprechen lassen.

Falls man überhaupt von einer Berechnung in dem Handeln des Königs in dieser Epoche noch sprechen dürfte, so müßte man sagen, daß er sich im Jahre 1788 Hals über Kopf in den Krieg mit Rußland gestürzt habe, um mit dem Geräusch dieses Krieges den in Schweden laut und lauter sich äußernden Widerstand gegen seine ganze Wirtschaft zu überlärmen. Es ist ja allzeit und bis auf unsere Tage ein beliebtes Hausmittelchen des Despotismus gewesen und geblieben, die Völker, wenn sie nach Freiheit und Recht schreien oder auch nur seufzen, für fiebernd und delirierend auszugeben und sie mittels Kriegführens für Ehre, Gloire, die »Interessen der Zivilisation« und dergleichen mehr starken Aderlässen zu unterwerfen.

Das russische Kabinett, nachdem es der feindlichen Absichten Gustavs vergewissert war, machenschaftete durch seinen Gesandten in Stockholm, Rasumowski, noch viel entschiedener als früher dahin, das alte Parteiwesen in Schweden neu zu beleben, insbesondere das Junkertum gegen den König zu steifen und die liebe gute schöne »Freiheitszeit« wieder herzustellen. Matuschka Moskawia ist ja bekanntlich für die »Freiheit« der Völker damals so zärtlich besorgt gewesen. Vergleiche die Geschichte Polens und – Deutschlands! Das Ränke- und Schwänkespiel, das die Russen in und mit Schweden trieben, hatte aber immerhin fast noch etwas Großartiges, verglichen mit den kläglichen, zum Teil ganz kindischen Veranstaltungen, durch die Gustav seinem Volke und der Welt vorgaukeln wollte, er sei zum Kriege gezwungen, er sei in Finnland statt der Angreifer der Angegriffene. Ganz widerlich war die Großprahlerei des Königs, wenn er die schwedischen Hofdamen zum voraus zu einem Tedeum in der Kathedrale von Petersburg und zu einem Ball im kaiserlichen Lustschlosse Peterhof einlud; wenn er haselierte, er werde Asien und Afrika mit dem Schalle seines Namens erfüllen; wenn er, im Begriffe, zum Heere nach Finnland abzugehen, im Verlauf seiner im Reichsrat gehaltenen Abschiedsrede so recht im Stile des » Miles gloriosus« aufschnitt: »Mein Entschluß, den Tod fürs Vaterland zu sterben, ist gefaßt. Wenn das Schicksal die Waffen meines tapfern Volkes begünstigt, so will ich von allen Denkmälern des russischen Übermuts keins verschonen als die Bildsäule Peters des Großen, um auf ihrem Piedestal den Namen Gustav zu verewigen.«

Katharina II. kannte ihren Gegner als den Theaterkönig, der er war, und hatte ihn stets als solchen behandelt. Sie erblickte daher in den heldischen Wallungen und kriegerischen Rüstungen des Königs nur Komödie oder höchstens Spiegelfechtereien. Noch am 4. Juni 1788 schrieb die Zarin an Potemkin: »Ich glaube, sie (die Schweden) packen nicht an und beschränken sich auf bloße Demonstrationen. Es handelt sich nur darum, ob diese Demonstrationen zu leiden sind. Wärest Du hier, so würde ich mich, nachdem ich mit Dir Rücksprache genommen, in fünf Minuten entscheiden, was zu tun. Anfangen aber dürfen wir schon darum nicht, weil, wenn er (Gustav) uns angreift, er von der schwedischen Nation nach ihren Konstitutionen keine Hilfe erhält; packen dagegen wir an, so muß sie ihm helfen. So denke ich denn, ihm volle Zeit zu lassen, Dummheiten zu machen, Geld zu verschleudern und sein Brot aufzuessen.« Katharina täuschte sich zwar darin, daß der Schwedenkönig, der am 2. Juli in Finnland anlangte, nur demonstrieren wollte – die Feindseligkeiten an der Grenze hatten, unzweifelhaft von den Schweden hervorgerufen, noch vor Ankunft des Königs begonnen – nicht aber täuschte sie sich darin, daß Gustav »Dummheiten« machen würde.

In Wahrheit, die ganze Kriegführung ist von A bis Z nur eine große Dummheit gewesen, recht dazu angetan, die moskowitische Absicht, ganz Finnland zu verschlingen, um einen mächtigen Ruck zu fördern. Und wie hätte das auch anders sein können, da der Theaterkönig den Krieg eben nur als Theaterkrieg zu führen verstand? Hören wir darüber Gustavs geborenen Untertan und begeisterten Lobpreiser Arndt. »Statt das Spiel des Krieges, oder wenigstens die äußere Gebärde dieses Spiels zu spielen, spielte er unter Männern, die nordischer Kraft und altnordischer Taten warteten, wirklich nur den Spieler. Er, der bei der bösen Stimmung vieler seines Adels und auf dem großen Wendepunkt der Dinge, wo die Würfel eines blutigen Kriegs geschüttelt wurden, sich den Rock und die Sporen Karls XII. hätte anlegen« – wozu denn? warum überhaupt Mummenschanz treiben? – »und so unter seinen Schweden und Finnen einherschreiten sollen, erschien unter denen, welche die Kanonen des 18. Jahrhunderts abdonnern sollten, als ein Turnierritter des scherzhaften Lanzenspiels im bunten burgundischen Seidenwams, mit flatterndem, vielfarbigem Federhut, in Schuhen mit roten Bändern zu Pferde oder gar als neronischer Nachäffer der luftigen Darstellungen der Mimen und Sänger. Und er hatte Sänger, Histrionen und Dichter wirklich mit sich; im Lager wurden Gesang- und Theaterproben gemacht, manche seiner fröhlichen und tapferen Begleiter waren zugleich Macher und Täter mit der Feder und dem Degen. Es war König Arthur mit seinen Zwölfen wirklich im Feldlager.« Das heißt denn doch, aus dem Arndtischen ins Tatsächliche übersetzt, nichts anders als: Gustav handelte wie ein ganzer Hans Narr, und blutiger Ernst wurde von ihm und seinen Kumpanen verdammlich frivol wie ein Fastnachtsschwank betrachtet und betrieben. Trotzdem bezeichnet der »königische« Ernst Moritz Arndt den Windbeutel von König immer wieder als einen »Löwen«. Die Wahrheit ist, daß der angebliche Löwe im Finnischen Feldzug seine vollständige Unfähigkeit, den Heerbefehl zu führen, kläglich erwiesen hat.

Das leichtsinnig und liederlich in Szene gesetzte Theaterstück hatte auch ein entsprechendes Finale. Nachdem der Kampf zwischen der schwedischen und der russischen Flotte – jene wurde von dem Herzog von Södermanland kommandiert – bei der Insel Hoghland am 17. Juli unentschieden geblieben war, wollte Gustav mit der Landarmee zum Angriff auf Fredrikshamn vorschreiten. Da barst unter seinen Füßen eine längst gebohrte und geladene Mine los, geladen nicht mit russischem Pulver, aber mit russisch-katharinischer Diplomatie. Diese hatte auf die gärende und schwärende Unzufriedenheit der Junkeroffiziere des Schwedenkönigs spekuliert, und zwar mit Glück. Der Adel im Heere, vorab der in Finnland begüterte, trat gegen den Staatsstreichmacher von 1772 in förmliche Rottierung und mit der Zarin in heimliche Verbindung. Noch eine Stunde vor dem Ausbruch der offenen Meuterei hatte Gustav keine Ahnung von dem, was ihn bedrohte.

Es war am 3. August. Der König hatte einen Sturm auf die Festung angeordnet, und das Regiment Åbo sollte die Spitze der Sturmkolonne bilden. Gustav gab das Zeichen zum Angriff, allein das Regiment rührte sich nicht von der Stelle, und der Oberst Hästesko trat vor und erklärte, sie würden keinen Schritt vorwärts tun. Zu ihm standen sofort die übrigen Offiziere, dem angedonnerten König einen Protest gegen die Weiterführung des »verfassungswidrig« unternommenen Krieges ins Gesicht werfend. Gustav, gewaltsam sich zusammennehmend, versuchte den tückischen Streich mittels einer Rede an die Soldaten abzuwenden; allein es war dafür gesorgt, daß seine Beredsamkeit nur taube Ohren fand. Das Regiment gab auch dem königlichen Redner eine sehr deutliche Antwort: es legte vor seinen Augen die Waffen nieder, und der Oberst Hästesko erläuterte diese Antwort, indem er dem Könige zuflüsterte: »Sire, es ist ein entscheidender Augenblick. Bedenken Sie, daß ein falscher Schritt Sie um Ihre Krone bringen kann.« Es muß eine Stunde unsäglicher Pein für Gustav gewesen sein. Er mußte die Junker gewähren lassen. Seine beschleunigte Abreise aus Finnland glich gar sehr einer Flucht vor dem eigenen Heere, dessen Führer ihren Landesverrat vollendeten, indem sie im Quartier des Generals Armfelt auf dem Edelhof Anjala am Kymene ein Bündnis untereinander stifteten und auf eigene Faust einen Waffenstillstand mit der Zarin abschlossen. Weiterhin gaben die zum Anjalabund vereinigten Offiziere Manifeste aus, worin sie erklärten, sie hätten sich dem königlichen Willen in ihrer Eigenschaft als Bürger widersetzt, weil der Krieg gegen Rußland ebenso ungerecht wie verfassungswidrig unternommen worden sei. Schließlich wurde auf unverweilte Berufung eines Reichstags gedrungen und deutlich genug die Hoffnung ausgesprochen, daß auf diesem Reichstag der Adel seine Macht und alle die Herrlichkeit der lieben alten guten »Freiheitszeit« zurückerobern werde.

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Mit Grimm und Groll in der Seele war der König nach Stockholm zurückgekehrt, wo er, wie begreiflich und verzeihlich, den schmählichen Ausgang des finnischen Unternehmens einzig und allein der verräterischen Tücke des Adels zuschrieb und mit großer Geschicklichkeit im Bürger- und Bauernstande das Mißtrauen und die Erbitterung gegen die Junkerei erfolgreich aufwühlte. Das kam ihm sofort zustatten bei der Abwehr einer von außen her drohenden Gefahr.

Dänemark hatte, falls der Ausdruck gestattet ist, den Stiel umgedreht, d. h. es wollte tun, womit es der Schwedenkönig mehrmals bedroht hatte. Im Bunde mit Rußland unternahmen die Dänen einen Einfall in Schweden. Am 26. September überschritten sie, von Norwegen her, die Grenze, nahmen Strömstad und rückten auf Gothenburg. In dieser Bedrängnis fand Gustav die guten Eingebungen, die Klugheit, die Tatkraft seiner besten Jugendjahre für eine Weile wieder. Er flog nach Dalekarlien und sammelte, wie weiland Gustav Wasa getan, mittels der Macht seiner Rede die streitbaren Dalkerle um sein Banner. Er brachte überall das schwedische Vaterlandsgefühl in Wehr und Waffen. Er machte von Karlstad aus und das östliche Ufer des Wenersees entlang einen Gewaltritt, wie solche nur der zwölfte Karl gemacht hatte, um sich nach Gothenburg zu werfen und diesen wichtigen Platz gegen die dänischen Belagerer zu halten. Dies gelang, und so hatten denn die von seiten Englands und Preußens angestrengten Friedensvermittlungsversuche um so rascheren Erfolg. Am 9. Oktober kam ein Waffenstillstand zustande, und das Ergebnis weiterer Verhandlungen war, daß Dänemark versprach, während des Weitergangs vom schwedisch-russischen Kriege neutral zu bleiben und Frieden zu halten.

Dies gewonnen, sann König Gustav darauf, für die Schmach von Fredrikshamn sich Genugtuung zu verschaffen und an den Anjalabündlern Rache zu nehmen. Nicht wird ihn darum tadeln, wer da weiß, daß gute Instinkte und schlechte Leidenschaften die bewegenden Motive des Trauerspiels »Weltgeschichte« sind. Er wollte sich, den genannten Zweck und nebenbei noch etliche andere zu erreichen, der Reichstagsmaschinerie bedienen, deren Räder tüchtig zu schmieren er nicht vergaß: nämlich die Leithammel des Pfaffen- und Bürgerstandes, da er der bäuerlichen damals ohnehin sicher zu sein glaubte. »Der König«, berichtet der englische Gesandte Keene im Dezember 1788 nach Hause, »benutzt jede Gelegenheit, den Groll des Volkes gegen den Adel aufzustacheln. Da er zudem eine Summe von 500 000 Gulden, die er in Holland entlehnte, in Händen hat und damit unter der Geistlichkeit und den Bürgern sich viele Freunde machen kann, so ist es sehr wahrscheinlich, daß er den bevorstehenden Reichstag nach seinem Willen lenken wird.«

Der Reichstag wurde am 2. Februar 1789 zu Stockholm eröffnet, ein Vierteljahr vor dem Zusammentritt der französischen Reichsstände zu Versailles. Der Adel fand schon in des Königs Thronrede eine Kriegserklärung auf Leben und Tod und nahm sofort den hingeworfenen Fehdehandschuh auf. Gustav, der Zustimmung der drei übrigen Stände gewiß, hatte sich für Notfälle noch eines handfesteren Rückhalts versichert, indem er drüben bei Drottningholm etliche Tausende von Dalkerlen versammelte, um sie, wie er sagte, in den Waffen üben zu lassen. Er entwickelte eine außerordentliche Tätigkeit, schmeichelte und schalt, streichelte und kratzte, zog nacheinander alle Register seiner wohlgestimmten Rednerorgel. Umsonst, die Junker hielten ihre Opposition gegen die königlichen Vorschläge entschieden aufrecht. Infolgedessen gab Gustav – er war ja auch ein Autor! – eine zweite verbesserte Auflage vom 19. August 1772 heraus, und zwar am 20. Februar 1789. Zur Mittagsstunde nämlich wurden die Grafen Fersen, Brahe, Horn, der Freiherr de Geer und andere Vorfechter des Junkertums verhaftet, nachdem der Befehl zur Verhaftung der Bündler von Anjala schon früher nach Finnland ergangen war. Fersen und seiner Mitverhafteten jedoch wollte der König sich nur für so lange entledigen, bis die Reichstagskomödie zu Ende gespielt wäre. Die Herren wurden daher einen Monat lang im Schlosse Fredrikshof in bequemer Haft gehalten und dann freigelassen. Die Verräter und Meuterer in Finnland, soweit man ihrer habhaft werden konnte, traf ein härteres Los. Sie wurden kriegsgerichtlich zum Tode, zu lebenslänglicher Haft oder Verbannung verurteilt; doch ließ Gustav, der durchaus kein Blutmann war, nur an einem den Todesspruch vollziehen, an dem Obersten Hästesko.

Man muß es dem schwedischen Adel zum Lobe nachsagen, daß er in dieser Krisis den Mut der Überzeugung bewährte. Das »Ritterhaus« verharrte auch der Gewalttätigkeit des Königs gegenüber bei seinem parlamentarischen Widerstand, bis zur äußersten Möglichkeit, d. h. so lange, bis Gustav am 27. April mittels einer aus Lug und Trug und Gewalt widerlich gemischten Gaukelei die scheinbare Zustimmung des Ritterhauses zu seinen Wünschen und Vorschlägen geradezu erschwindelte. So gelangte er denn zu dem gewünschten Resultat des Reichstags, dazu nämlich, daß an die Stelle der im Jahre 1772 aufgezwungenen Verfassung die sogenannte »Vereinigungs- und Sicherheitsakte« vom 21. Februar 1789 trat, kraft welcher die Adelsprivilegien zum Vorteil der übrigen Stände beträchtliche Beschränkungen erlitten, die königliche Gewalt aber tatsächlich nicht nur, sondern auch, unter ganz dünner Verschleierung, förmlich zur unbeschränkten gemacht wurde. Der Adel verschwand demzufolge sozusagen von der schwedischen Staatsbühne; aber nur, um im Dunkel des Privatlebens über seinen Beschwerden zu brüten, Komplotte zu spinnen und Mordgewehre zu laden.

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Die Kräfte des Reiches in seiner Hand zusammenfassend, hat König Gustav in den beiden folgenden Jahren den Krieg gegen die Zarin mit wechselnden Erfolgen in Finnland geführt. Das Beste, was die Schweden während des ganzen Krieges zuwege brachten, war ihr in der mörderischen am 9. Juli 1790 in der Bucht von Swenskesund geschlagenen Seeschlacht über die übermächtige russische Flotte errungener Sieg, welcher Katharina II. die beabsichtigte Verschluckung von Schwedisch-Finnland vorderhand noch vertagen machte. An diesem Tag ist auch der Heldentraum Gustavs III. einmal glänzende Wirklichkeit gewesen. Die Zarin, zur gleichen Zeit in einen alle Kräfte Rußlands in Anspruch nehmenden Türkenkrieg verstrickt – auch die armen Türken wollten sich nicht ohne weiteres verschlucken lassen – beeilte sich, dem Schwedenkönig mit Friedensanträgen entgegenzukommen, welche auszuschlagen Gustav denn doch nicht genug Don Quichotte war. Hatte ihm doch der Verlauf des ganzen Krieges gezeigt, daß die Gustavische Phantasie, in der Petersburger Kathedrale ein schwedisches Siegestedeum anzustimmen und in Peterhof schwedische Damen zum Tanze zu führen, nicht so leicht zu verwirklichen wäre. Zu Werelä am Kymene wurden Unterhandlungen eröffnet und gelangte der Friedensvertrag, kraft dessen die Beziehungen zwischen Rußland und Schweden auf den Zustand vor dem Kriege zurückgeführt wurden, schon am 14. August zum Abschluß.

Mit diesem Ausgang der unersprießlichen dreijährigen Rauferei war für Gustav, nachdem er »mit leidlichen Ehren«, wie man zu sagen pflegt, die Pfote aus dem Dreck herausgezogen hatte, die Möglichkeit aufgetan, die Wunden, die der Krieg seinem Lande geschlagen, zu heilen und überhaupt einmal nicht allein den König zu spielen, sondern auch in Wahrheit ein rechter Regent zu sein, ein eifriger Wächter von Recht und Gerechtigkeit, ein redlicher Fürsorger und wirklicher Kulturförderer, ein weiser und gewissenhafter Staatswirt. Von alledem war aber keine Rede. Dazu hätte es ja des Ernstes, der Hingebung und Selbstverleugnung, der Ausdauer und schlichten Pflichterfüllung bedurft, und woher sollte ein von Eitelkeit mißduftender Theaterkönig, dem die Komödianterei zur Natur geworden, die Eigenschaften, die Geduld, die Beharrlichkeit nehmen, zu tun, »was frommet und nicht glänzt?« Gustav ist, wie alle liederlichen Halbgenies es sind, durchweg ein Mensch der Anläufe gewesen, welcher von jener Arbeitsfreude, von jener –

»Beschäftigung, die nie ermattet,
Die langsam schafft, doch nie zerstört« …

gar keine Vorstellung und für seine wirkliche Schuldigkeit gar kein Gefühl hatte. Alles in allem ein bloßer Gaukler.

Statt daheim zu tun, was nötig und was ihm oblag, griff der jetzt vierundvierzigjährige Phantast alsbald mit seinen Träumereien wieder ins Weite und Blaue hinaus. Eine Donquichotterie größten Stils ward ausgeheckt – ein Kreuzzug gegen die Französische Revolution und für die absolute Fürstendespotie. Soweit war der Mann heruntergekommen, welcher vorzeiten einer der Personen seines »Gustav Wasa« die Worte in den Mund gelegt hatte: »Glaube, es gibt eine Macht, welche mehr vermag als des Glückes wandelbare Gunst und gekaufte Soldatenscharen, eine Macht, welche auch schwache Kräfte ins Übermenschliche steigert, waffenlose Kinder über Helden siegen lehrt und, je mehr unterdrückt, desto gewaltiger sich erhebt. Die Liebe zur Freiheit ist's!« Man tut jedoch dem Könige vielleicht unrecht, wenn man die Ausheckung seines antirevolutionären Kreuzzugschwindels einzig und allein seiner Eitelkeit und Abenteuerlichkeit auf Rechnung setzt. Denn die Französische Revolution beseitigte ja unter andern Herrlichkeiten des Ancien Régime auch die Verschleuderung der französischen Staatsgelder und setzte den allerchristlichsten König und seine schöne Königin außerstande, unter dem Titel von Subsidien der Majestät von Schweden alljährlich ein Almosen von vier bis fünf Millionen zuzustecken. Das Ausbleiben dieses Almosens mußte natürlich besagter Majestät sehr unliebsam sein, und so darf man mit Bestimmtheit sagen, daß der beabsichtigte Kreuzzug das Reale mit dem Idealen, das Nützliche mit dem Angenehmen, das Praktische mit dem Poetischen verbinden sollte.

Aber der ganze Schwindel wird stinkend, wenn man zusieht, wie er ins Werk gesetzt werden wollte. Mit Hilfe Katharinas II. nämlich. Die abenteuerliche Politik Gustavs III. schlug plötzlich einen Purzelbaum und legte sich dann graziös huldigend zu den Füßen der Zarin nieder. Anders kann man diese Wendung der gustavischen Unpolitik, welche eben noch Rußland auf Leben und Tod bekämpft hatte und jetzt ganz verrußt sich gebärdete, doch kaum bezeichnen. Die süßen Freundschaftsbriefe, die der König und die Zarin zu dieser Zeit einander schrieben, sind geradezu ekelhaft. Sie freilich, die große Ränklerin, sie war keine Phantastin; sie wußte, was sie wollte, und hat daneben mit der Donquichotterie Gustavs ihren souveränen Spaß getrieben.

Jedermann weiß oder könnte wenigstens heutzutage wissen, daß der Kreuzzug gegen die Französische Revolution ein katharinischer Pfiff und Puff gewesen ist. Daß Gustavus Phantastikus sich für diese Torheit begeistern ließ, kann nicht verwunderlich erscheinen, wenn man bedenkt, daß ja auch Österreich und Preußen sich für diese Sache gewinnen ließen. Die Kaiserinkatze hetzte Preußen und Österreich gen Westen in den »heiligen« Krieg für Thron und Altar, damit sie inzwischen im Osten die arme Maus Polonia in aller Bequemlichkeit vollends zerreißen und verschlingen könnte Katharina sprach das ihren Vertrauten gegenüber mit zynischer Offenheit aus.. Ein prächtiges Intrigenstück! Die Völker zwar verbluteten sich daran, aber wozu wären denn diese armen Teufel von Völkern überhaupt da, wenn nicht dazu, zeitweilig zum Vergnügen allerhöchster Herrschaften einander gladiatorisch zu martern und zu morden?

Im Sommer 1791 reiste Gustav in die Bäder von Aachen und Spaa, um unterwegs in Mecklenburg, Braunschweig und anderwärts mit französischen Emigranten und päpstlichen Nuntien zu konferenzeln. Der Zweck dieser Konferenzen und seiner ganzen Festlandsreise war, sich nach Mitteln und Wegen zur Verwirklichung seines mit der Zarin vereinbarten Kreuzzugsplans umzusehen und umzutun. Dieser Plan – eine pure Phantasterei, versteht sich – ging dahin, daß eine aus Schweden und Russen zusammengesetzte Armee von 30 000 Mann, natürlich unter Führung des Schwedenkönigs, nach den Küsten Frankreichs segeln und dort in einem Paris möglichst nahe gelegenen Hafenplatz landen sollte, um mit den die französischen Grenzen überschreitenden Heeren der übrigen Verbündeten, zunächst Sardiniens und Spaniens, zugleich auf die französische Hauptstadt loszugehen und dort den umgeworfenen absoluten Königsthron nebst Altar wieder aufzurichten.

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Der königliche Abenteurer und ritterliche Kreuzzügler in spe mußte aus der hochfliegenden Traumregion, wo er sich in der vorweggenommenen Rolle des Ritters und Retters einer durch den Drachen Revolution bewachten und bedrängten Königin selbst bespiegelte, leider wieder in die prosaische Wirklichkeit herabsteigen, wo es heißt: Ohne Geld läßt sich nichts machen. Zwar hatte eine honigsüß schreibende Zarin Katharina auch so etwas von an ihren Freund – »Dupe« (Gimpel), denkt sie Wie die Zarin den Schwedenkönig wertete, zeigen am deutlichsten ihre während des schwedischen Krieges an Potemkin geschriebenen Briefe. In einen derselben (vom 13. Mai 1790) steht wörtlich: »Der Schwedenkönig jagt überall umher wie ein tollgewordener Kater.« – zu bezahlenden jährlichen Subsidien hingeworfen und sogar von zwei Millionen Rubeln, welche alsogleich bar und blank von Petersburg nach Stockholm geschickt werden sollten. Allein so etwas sagt man, tut es jedoch nicht, wenn man eine selbstherrliche Zarin ist. Folglich mußte Gustav daran denken, die zu den Kreuzzugsrüstungen nötigen Gelder aus den armen schwedischen Taschen herauszuklopfen. Da nun die Schweden trotz der Staatsstreiche von 1772 und 1789 noch immer der altmodischen Überzeugung lebten, zur Taschenfegung bedürfte der König einer Bewilligung des Reichstags, so blieb nichts übrig, als mit möglichst guter Miene das Widerwärtige hinzunehmen und einen Reichstag zu berufen. Nur nicht nach Stockholm, dessen Bewohnerschaft damals nicht mehr gut gustavisch gesinnt, sondern sehr widerhaarig gestimmt war, so widerhaarig, daß sie aufjubelte, als aus dem Reichstagswahlkampf innerhalb ihrer Mauern ein entschiedener Oppositionsmann als Sieger hervorging. Darum berief Gustav den Reichstag in das abgelegene Hafenstädtchen Gefle, wo er am 24. Januar 1792 die Versammlung mit einer pompösen Theaterkönigsrede eröffnete.

Es war in und um Gefle auch viel Soldaterei entfaltet worden, um die reichstägliche Opposition einzuschüchtern oder, wo nötig, mit Gewalt niederzuschlagen. Allein im entscheidenden Augenblick scheint dem Könige das Herz versagt zu haben, einen dritten Staatsstreich zu machen. Und doch konnte nur ein solcher vielleicht zum Ziele führen. Denn die Verhandlungen zu Gefle zeigten bald, daß die Französische Revolution mit ihren weltumspannenden Gedankenarmen auch nach Schweden hinaufgegriffen habe. Zwar waren die Vertreter der Bürger- und Bauernschaft, ja sogar die der Geistlichkeit willig, dem König in allem und jedem gegen den Adel beizustehen; allein von der eigentlichen Herzensangelegenheit Gustavs, nämlich von einer neuen Anleihe von zehn Millionen Talern »zur Ausführung gewisser Pläne«, wollten auch die Geistlichen, die Bürger und die Bauern schlechterdings nichts wissen. Es war natürlich ein öffentliches Geheimnis, daß die »gewissen Pläne« auf Wiederherstellung der königlichen Despotie in Frankreich abzielten, und dieser Umstand steigerte die in den Gemütern brodelnde Gärung bedeutend und verschärfte den Widerstand gegen die Wünsche des Königs. Die Rede, womit er am 24. Februar den gänzlich unfruchtbaren Reichstag schloß, war eine elende Gaukelei. Er schwatzte davon, daß, während »ein fanatischer Schwindel beinahe alle Länder erschütterte«, er sich ganz auf »die Ergebenheit« des Reichstags und die »großmütige Denkungsart« der Nation verlassen könnte. Und doch war die Stimmung im Reichstag allmählich ganz gewitterschwül unheimlich geworden und hatte Gustav auch aus der Hauptstadt Botschaften empfangen, daß dort die allgemeine Unzufriedenheit immer bedenklicher sich äußerte.

Ein dräuendes Gewitter hatte sich am Staatshimmel Schwedens zusammengeballt, keine Frage; aber nicht in einem populären Wolkenbruch sollte es sich entladen, sondern in einem aristokratischen Mordblitz.

Die Junker hatten von Gefle die Gewißheit mitgenommen, daß es mit dem Könige bergab ginge; aber auch die Besorgnis, daß er damit umginge, der Aristokratie in Schweden so oder so den Garaus zu machen, und zwar wahrscheinlich mit Beihilfe der Bürger und Bauern, denen die adligen Privilegien als Pfand und Draufgeld ihres Bundes mit dem absoluten Königtum hingeworfen werden sollten; vielleicht aber mittels bloßer Soldatenbrutalität, deren Möglichkeit jedoch sehr fraglich war, da die überwiegende Mehrzahl der Offiziere wenig für den König übrig hatte. Alles zusammengehalten, hätte der Adel die Entwicklung der Dinge ruhig abwarten können. Denn der König hätte, wenn auch vielleicht den Mut, doch schwerlich die Werkzeuge gefunden, daheim in Schweden alles durchzuführen, was durchgeführt werden mußte, um ihm einen Versuch der Verwirklichung seines Kreuzzugstraumes zu ermöglichen. Allein schon war an die Stelle kaltblütiger Erwägung die Leidenschaft getreten, und sie wurde von geschickten Händen zur immer höher lohenden Flamme aufgeschürt und angeblasen.

Die Staatsumwälzung Frankreichs sandte ihre elektrischen Schläge über ganz Europa hin. Wurden durch diese Entsendungen der kolossalen in Paris arbeitenden Batterie doch sogar die guten Deutschen, diese abstrusen Literaturmenschen und abstrakten Kunstduseler, was sie damals gewesen sind, da und dort so empfindlich getroffen, daß sie aus ihrem Dusel emporfuhren und schier so taten, als wollten sie fürderhin nicht mehr im Traumland leben. Droben in Schweden aber wickelte sich aus den Gärungen der Zeit jenes eigentümlich-nordische, in der Geschichte der skandinavischen Völker so oft wirksame Element und Motiv heraus, jener gefrorene Haß, der dem weißglühhitzigen des Südens an Fanatismus nichts nachgibt. Dieser im schwedischen Junkertum schon lange arbeitende Haß hatte das Verderben König Gustavs beschlossen.

Daß im schwedischen Adel ein unmittelbar gegen die Person des Königs gerichtetes Komplott seit langem vorhanden gewesen, hatte schon der Anjalabund sattsam erwiesen. Allein es dürfte aktenmäßig nie zu beweisen sein, wer zu dem Mordkomplott, das zur Zeit des Reichstags von Gefle zur Reife gedieh, den Keim gepflanzt habe. Aktenmäßig nie zu beweisen, wohlverstanden! Denn keine Geschworenenbank würde nach dem von dem öffentlichen Ankläger geführten Indizienbeweise anstehen, als solchen Keimpflanzer den Freiherrn und Generalmajor Pechlin schuldig zu sprechen. Der zweiundsiebzigjährige Fuchs war der hartgesottenste Aristokrat in Schweden. Eine wahre Sohllederseele von Junker! Sein Haß gegen Gustav war seit dem Staatsstreich von 1772 ein tödlicher, aber wie ein vergifteter Dolch in der Sammetscheide kluger Zurückhaltung versteckt. Dieser Mann von stahlfesten Nerven hat »den Schnittern das Kornfeld gezeigt und die Sicheln geschärft«. Er hat das junkerliche Mordkomplott zu Faden geschlagen, aber ohne dabei die Hände zu zeigen. Er ist einer jener dämonischen Schlauköpfe gewesen, die es verstehen, mittels eines Augenzwinkerns, eines Kopfnickens, einer Handbewegung, eines hingeworfenen Wortes die Menschen zu bösen Taten zu treiben und nachher achselzuckend zu sagen: »Wie Dummköpfe einen doch mißverstehen können!« Es kennzeichnet den greisen Schurken, daß er von vornherein sorgsam darauf Bedacht nahm, in keinem Falle gesetzmäßig überführt werden zu können, indem er, den Buchstaben des Gesetzes über Zeugenbeweis im Auge haltend, niemals zweien zugleich seine Gedanken, Wünsche und Ratschläge andeutete. Neben und mit Pechlin hantierten bei Schaffung des Komplotts der Freiherr Thure Bjelke und die beiden Junker und Brüder Kanzleirat und Sekretär Engeström. Bjelke hat sich nach dem Mordanschlag und angehobener Untersuchung vergiftet.

An seiner Peripherie, wo sich der Junkerhaß gegen den König nur in unbestimmten Wünschen und Drohungen erging, hatte sich das Komplott massenhafter Beteiligung zu erfreuen. Vielleicht ist die Sage, wenigstens zwei Drittel des schwedischen Adels hätten von der Verschwörung gewußt und sie gebilligt, keine allzu große Übertreibung, sondern wenigstens annähernd eine Tatsache, in der auch die Erklärung des Umstandes läge, daß der Mordprozeß auf einen möglichst kleinen Umkreis eingeschränkt worden ist. Man konnte ja unmöglich gegen alle Mitwisser strafrechtlich verfahren; um so weniger, da, wie ein unheimliches Gerücht raunte, ein solches Verfahren möglicherweise bis in die königliche Familie hinein- und bis zum Bruder des Königs, dem Herzog von Södermanland, hätte hinanreichen müssen.

Die Verschwörung verengte sich konzentrisch, und in ihrer Konzentration verdichtete sie sich zum Mordkomplott. Dem Zentrum, wo wir die eigentlichen Attentatsgesellen, die »Schwarzen«, finden werden, haben schon sehr nahe gestanden drei Offiziere: der Oberstleutnant Lilljehorn bei den Garden, der Major Hartmansdorff von den Garden und der Freiherr und Leutnant Ehrensvärd. Der Major war aus junkerlich-militärischen Gründen ein Hasser Gustavs, Lilljehorn und Ehrensvärd dagegen hatten aus der Zeitatmosphäre das revolutionäre Feuer eingeatmet. Sie schwärmten aufrichtig für die schwedische » Frihet«, welche sie sich freilich ganz anders vorstellten, als sie jemals gewesen war, und verabscheuten daher in Gustav den »Tyrannen«.

Noch glühender webte und waltete dieses idealische Element des Komplotts in der Seele des vierundzwanzigjährigen Grafen und Majors Klas Fredrikson Horn, der mit dem Grafen und Kapitän Adolf Ludwig Ribbing und dem Kapitän Jakob Johann Ankarström das Triumvirat der »Schwarzen« ausmachte. Graf Horn, kaum ins Mannesalter eingetreten, Sprößling einer der ersten Familien Schwedens, schön von Antlitz und stattlich von Gestalt, reich und brav, liebenswürdig und geliebt, ist ein lyrischer Dichter gewesen, der von Gustav III. dachte wie der Brutus des Plutarch vom Cäsar und ganz in Klopstockischer Weise für die Französische Revolution – in ihrer ersten Phase – schwärmte, sie, ganz wie Klopstock, als »die Morgenröte eines anbrechenden neuen Welttags« begrüßend. Er hat Lieder gedichtet – sie sind noch heute in seinem Vaterlands nicht ganz verklungen – Lieder voll süß-melancholischer Milde und Melodie, und es müßte wunderbar erscheinen, wie ein so weichherziger Poet dazu gekommen, in ein Mordkomplott, ja so recht in den Mittelpunkt eines Mordkomplotts zu treten, wenn man nicht wüßte, daß gerade in solchen »indischen Blumenseelen« mitunter die Wollust der Grausamkeit rast. Es ist überhaupt ein eigen Ding um die Süßen, Zarten, Sanften, Milden, um die Mimosenherzen und Mondscheingemüter! Im Verkehr mit ihnen hat man nicht selten Veranlassung, des orientalischen Sprichworts zu gedenken: »Wer das Reh in den Dschungeln jagt, dem springt der Tiger entgegen.«

Nicht vom lyrischen Schlage war der Graf Ribbing. Ein stolzer, fester, entschlossener Aristokrat, dessen Seele seine schöne und leidenschaftliche Mutter von Kindheit an auf dem Amboß ihres Hasses hart geschmiedet hatte. Sie soll dem leichtfertigen Könige Dinge zu verzeihen gehabt haben, die ein stolzes und heißes Weib nie verzeiht, selbst dann nicht, wenn es aus einem jungen Buhlweib ein altes Betweib geworden ist. Und auf diesen angeborenen und anerzogenen Groll hatte Ribbing noch weiteren gehäuft, Parteigrimm und persönliche Erbitterung. Denn er hatte um die Hand des liebreizenden Fräuleins de Geer von Löfstad geworben, der reichsten Erbin im Schwedenland, und hatte hoffen dürfen, den Preis davonzutragen, selbst gegenüber der Mitbewerbung eines so glänzenden Nebenbuhlers, wie der Freiherr von Essen war, der Oberstallmeister und ein Günstling des Königs. Allein Essen wußte Gustavs dringende Fürsprache bei der Familie de Geer zu erlangen, und der glückliche Oberstallmeister führte die schöne und reiche Braut heim. In explodierender Wut hatte Graf Ribbing den Freiherrn gefordert, und es hatte ein Duell stattgefunden, innerhalb der königlichen »Schloßfreiheit« sogar, um deren gewalttätiger Verletzung willen über den Herausforderer eine längere Haft verhängt worden war. Man sieht, es kochte und schäumte ein hinlänglich Maß von Groll und Rachelust in der Brust des Grafen, um es glaubwürdig zu machen, daß er der eigentliche Mordplanentwerfer gewesen sei. Gewiß ist, daß mehrere der Eingeweihten während der Prozedur diesen Plan ausdrücklich den Ribbingischen genannt haben. Andere freilich behaupten, Ribbing sei im Kreise der »Schwarzen« nur das Sprachrohr des alten Fuchses Pechlin gewesen, dessen Winke er in Worte übersetzt habe.

Vielen galt immerhin der Graf als der rechte Treiber innerhalb des Kreises der Verschworenen. Allein hart ihm zur Seite stand ein Mann, der entschieden keines Treibers bedurfte: Ankarström. Dieser im Jahre 1761 geborene Junker entstammte einer wallonischen, in Schweden eingewanderten Familie. Er hatte von Jugend auf Hofdienste getan; war zuerst Page im Königsschlosse, dann Korporal in der Garde, dann Fähnrich bei den Gardes du Corps gewesen. Diese sozusagen höfische Laufbahn hatte aber die wilden Affekte, die in ihm arbeiteten, nicht beschwichtigt. Ein schwarz- und schwerblütiger Mensch allzeit, in dessen Anschauungs- und Empfindungsweise etwas von altskandinavischer Härte und Wildheit eingegangen war, etwas von der Steinherzigkeit und Berserkerwut nordischer Urzeit. Ein Charakterkopf, ohne Frage, und ein Mann von großer Wohlgestalt. Der Schädel von unten nach oben sich mächtig erweiternd, energisch geschlossener Mund, prächtige Nase, unter weit und schön gewölbten Brauen große dunkle Augen und darin der melancholische Metallblick des Fanatismus, in den tiefen Furchen der breiten Stirn Stimmung und Entschluß zu finstern Taten. Auch Ankarström hatte persönliche Beschwerden gegen den König oder glaubte doch welche zu haben, weil er von ihm öffentlich gegen Gustav ausgestoßener Schmähworte halber in Untersuchung genommen und zu einer Geld- und Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Gustav, zu dessen besten Eigenschaften das großmütige Hinwegsehen und Hinweggehen über ihm persönlich angetane Beleidigung gehörte, hatte zwar den Beleidiger begnadigt; aber so, wie der Mann nun einmal war, mußte die Verachtung, die in solcher Begnadigung lag oder wenigstens zu liegen schien, den Stachel in Ankarströms Seele nur schärfen. Zusammengesetzt war übrigens dieser Stachel wunderlich genug aus junkerlichem Kastengeist und aus aufrichtiger Vaterlandsliebe, und es untersteht keinem Zweifel, daß nicht die persönlichen, sondern die patriotischen Motive es gewesen sind, welche den Fanatiker zu seiner Tat getrieben haben. In Wahrheit, er sah in Gustav den bösen Genius, geradezu den Verderber Schwedens, und seit Jahren hatte er sich in die Vorstellung hineingebrütet, daß er seines Landes Befreier werden müßte, sein Leben einsetzend für die Vernichtung des Verderbers. In der Stille des Landlebens, in welche er sich, nachdem er im Jahre 1783 als Kapitän seinen Abschied und dazu eine Frau genommen hatte, zurückgezogen, war dieser Gedanke zu einem Ungetüm geworden, das sich nicht mehr halten lassen wollte. Im Winter von 1791-1792 kam Ankarström nach Stockholm zurück und beteiligte sich eifrig an dem politischen Treiben seiner Standes- und Parteigenossen.

Unlange vor Weihnachten wurde er näher bekannt mit dem Grafen Klas Horn und durch diesen dann mit dem Grafen Ribbing. Wer von den dreien das Wort »Königsmord« zuerst ausgesprochen, ist mit Sicherheit nicht anzugeben. Doch liegt gar kein Grund vor, Zweifel zu setzen in Ankarströms eigene Angabe, daß er im Kreise seiner Genossen mit seiner Absicht, den König zu töten, gar nicht heimlich getan und bald nach Weihnachten, wo ja durch die Verhandlungen des Reichstags zu Gefle die Aufregung und Verwirrung der Gemüter noch beträchtlich gesteigert wurde, sich entschlossen habe, den Gedanken zur Tat zu machen. Die gangbare Sage, daß Ribbing und Horn ihrem Mitverschworenen die Ehre, den Streich auf Gustav zu führen, nicht gegönnt hätten, daß unter den dreien das Los geworfen worden und zugunsten Ankarströms gefallen sei, mag einer jener Arabeskenschnörkel sein, die die Mythenbildungssucht um derartige Tatsachen der Geschichte her zeichnet. Fest steht, Ankarström war einer jener Männer, die nicht lange fackeln und flunkern, sondern kurzweg sagen: »Ich tu' es!« und es wirklich tun.

Der gräfliche Lyriker Horn besaß in reizender Lage am Mälar ein Landgut und Sommerschloß, Hufvudstad geheißen. Dorthin lud er »an einem Sonntage nach Neujahr« seine beiden Genossen Ribbing und Ankarström zu einer entscheidenden Beratung, wobei es schon nicht mehr um das Was, sondern nur noch um das Wie sich handelte. Denn der schwarz- und schwerblütige Kapitän schnitt die Verhandlungen über die öffentlichen Nöte und Sorgen kurz ab mit den Worten: »Wenn wir den König nicht los werden, hilft alles nichts. Ich schaff' ihn weg, wo und wann sich die erste Gelegenheit dazu findet.« Sollte nicht Schloß und Park zu Haga, Gustavs Lieblingsaufenthalt, die gewünschte Gelegenheit bieten? Man diskutierte die Frage, wobei Ankarström und Horn die Beschaffenheit von Haga genau erörterten. Doch faßte man auch schon das Opernhaus zu Stockholm ins Auge. Zuletzt bemerkte der Kapitän: »Meine Pistolen taugen nichts; ich muß mir bessere verschaffen.« – »Oh, was das angeht, ich habe ein paar vortreffliche«, sagte der lyrische Graf. – »Wollt Ihr sie mir leihen?« – »Mit Vergnügen.«

Von diesem »Sonntag nach Neujahr« an umlauerte Ankarström den König. Erst in der Hauptstadt, dann auch in Gefle, wo Gustav während des Reichstags mehr als einmal in Gefahr gewesen ist, auf einem seiner Spazierritte vom Pferde geschossen zu werden. Vielleicht geschah es nur deshalb nicht, weil der Auflaurer der Verläßlichkeit seiner Waffen nicht traute, da er die »vortrefflichen« Hornschen Pistolen zum Zwecke der Reinigung in Stockholm zurückgelassen hatte. Sobald dann der König Gefle verließ, folgte ihm Ankarström nach der Hauptstadt, wo es sein erstes war, die inzwischen gereinigten Pistolen abzuholen. Wenige Tage darauf erfuhr er, daß am Abend des 16. März im Opernhause eine große »Maskerade« stattfinden sollte, welchem Vergnügen Gustav III. sehr zugetan war. »Die Gelegenheit ist günstig«, dachte der starrsinnige Attentäter und eilte zum Grafen Ribbing. »Ob der Hund von Sodomiter kommen wird?« fragte der Graf zweifelnd. »Ich hoff' es«, versetzte der Kapitän; »und wenn er kommt, dann … meine Pistolen sind bereits geladen, mit Kugeln und mit Hagel!«

Am 15. März begaben sich Ribbing und Ankarström, nachdem sie in Erfahrung gebracht, daß der König den auf den folgenden Abend angesetzten Maskenball besuchen würde, nach Hufvudstad, wo sie mit Horn verabredeten, daß sie am nächsten Tage um vier Uhr abends in Ribbings Stadtwohnung sich treffen wollten, um die letzten Vorbereitungen zur »Maskerade« ins Werk zu richten. Diese Zusammenkunft fand zur angegebenen Stunde statt. Graf Ribbing hatte aber unmittelbar zuvor einer andern beigewohnt, beim Freiherrn Pechlin, an dessen Mittagstafel an diesem 16. März 1792 die »Crème« des Komplotts versammelt war. Daß hier von dem beabsichtigten Königsmord ausdrücklich gesprochen worden, ist nicht erwiesen. Wohl aber ist erwiesen, daß des näheren darüber verhandelt wurde, was »in betreff des Reichsregiments zu tun sein möchte«, wenn »das nahe bevorstehende Unglück eintreten sollte«. Bei dieser Gelegenheit scheint, den Aussagen des Freiherrn und Oberstleutnants Lilljehorn zufolge, der alte Fuchs Pechlin einmal aus seinem Malepartus ganz und gar herausgegangen und von der Schnauze bis zur Wedelspitze als der oberste Leiter der Verschwörung sich gezeigt zu haben. Lilljehorn selbst wurde während der Verhandlung von Bedenken und Reue angewandelt und gab dieser Stimmung Ausdruck, indem er seine Genossen beschwor, den Mordplan fallen zu lassen. Er richtete nichts aus und ließ seine Skrupel sogar so weit beschwichtigen, daß er mit Pechlin und dem Kanzleirat Engeström in eine Erörterung über die Vorkehrungen einging, welche getroffen werden sollten, um »nach geschehnem Unglück« die gute alte schwedische »Freiheit« wieder heraufzuführen. Dann, nach dem Weggang aus Pechlins Hause, schlug ihm das Gewissen abermals, und er beschloß sofort, dem König eine Warnung zugehen zu lassen.

Graf Ribbing ging etwas früher von Pechlin weg, um verabredetermaßen Horn und Ankarström in seiner Wohnung zu treffen. Er teilte ihnen mit, der Freiherr und Generalmajor hätte geäußert, daß, wenn die »Sache« nicht jetzt geschähe, große Gefahr der Entdeckung vorhanden wäre, da so viele Leute von dem »Ding« unterrichtet seien. »Gut; ich werd' es tun!« sagte Ankarström und ging mit Horn nach Hause, wo er alsbald seine Pistolen hervornahm und jede mit zwei Kugeln und mit Bleihagel lud. Diesen Waffen fügte er eine dritte hinzu, ein langes Messer mit schwarzem Griff, das er acht Tage zuvor in einer Eisenbude auf dem Ritterhausmarkt gekauft hatte. Er feilte jetzt einen Widerhaken hinein und schliff die Spitze mittels eines Wetzsteines scharf. Während dieser Arbeit mag er zum Grafen Horn gesagt haben, daß er entschlossen sei, sein Leben für die »gute Sache« hinzugeben und, falls er mit der einen seiner Pistolen den König getötet hätte, die Mündung der andern sofort gegen die eigene Stirne zu richten. Ob der finstere Fanatiker in diesen Stunden irgendwie seiner Frau und seiner vier Kinder gedacht habe, darüber ist nicht die leiseste Andeutung auf uns gekommen.

Die drei »Schwarzen« hatten bei Ribbing die Verabredung getroffen, daß sie in schwarzen Dominos auf der Maskerade erscheinen und, hieran einander erkennend, zwischen elf und zwölf Uhr im Opernhause sein wollten. Horn kleidete sich bei Ankarström an. Dieser selbst tat einen Frack an, darüber den schwarzen Domino, band eine weiße Larve vor das Gesicht und setzte einen runden schwarzen Hut auf. In die linke Brusttasche steckte er die eine Pistole, und zwar mit gespanntem Hahn, die andere in die rechte Hosentasche. Das mit einem Stücke dünnen schwarzen Taffets umwickelte Messer nahm er in die linke Hand. So gerüstet, brach er um elf Uhr mit Horn aus seiner Wohnung auf, um über den Nordermalmsmarkt nach dem Opernhause zu gehen.

3.
Der Mord.

Die Lawine des Unheils war also im Rollen, und nichts mehr sollte sie aufhalten. Auch der Gewissensschrei nicht, den der Oberstleutnant Lilljehorn vernommen und halbwillig so befolgt hatte, daß nur eine anonyme Halbheit daraus hervorging. Zu schwach zum Guten und zu feige zum Bösen, spielt der Jesuitismus des Menschen gar gern mit solchen Halbheiten. Die Lawinen der Geschicke rauschen achtlos darüber hinweg.

König Gustav hatte im Opernhause ein Speisezimmer einrichten lassen und pflegte dort an Theater- und Ballabenden zu soupieren. So tat er auch am Abend des 16. März 1792. Sein Oberstallmeister Essen und noch etliche begünstigte Hofleute saßen mit ihm zu Tische, während der Saal des Hauses sich allmählich mit Masken füllte und das Getön der Ballmusik stoßweise in das königliche Zimmer herüberklang.

Es war halb elf Uhr, als ein Diener, Peter Barck, der seinen Herrn zum Opernhause begleitet hatte und jetzt unter dem Portikus stand, neugierig die ankommenden Masken betrachtend, von einem bemäntelten Manne mit der Frage angetreten wurde, ob er des Königs Kammerdiener Remi kenne. »Ja, wohl kenne ich den«, gab Barck zur Antwort. Worauf der Mann im Mantel: »Ihr sollt zwei Reichstaler haben, wenn Ihr diesen für Se. Majestät bestimmten Brief da geschwind dem Remi überbringen wollt.« Peter nahm den Brief und eilte damit die Treppe hinauf. Da er aber im Vorzimmer zum königlichen Speisegemach den Kammerdiener nicht traf, übergab er den Brief einem königlichen Läufer, der ihn hineintrug.

Gustav saß bei seinem Lieblingsgetränk, Champagner mit Selterwasser, und war heiter gestimmt. Lässig öffnete er den ihm überreichten Brief, der französisch und mit Bleistift geschrieben war, aber keine Unterschrift trug. Der anonyme Schreiber – wir wissen, daß es Lilljehorn war – warnte den König, heute die Maskerade zu besuchen, weil ihm dort Gefahr drohe. »Bah«, sagte Gustav, den Brief in die Tasche steckend, »wieder so ein anonymer Droh- und Warnbrief! Wenn ich dergleichen Zuschriften beachten wollte, könnte und dürfte ich nirgends mehr hingehen.«

Um elf Uhr ließ sich der König einen Domino reichen und erklärte, er wollte sich die Maskerade ansehen. Er begab sich zunächst in seine runde Gitterloge, von der aus er den prächtigen Theatersaal, der fünf Logenreihen übereinander hatte und zweitausend Zuschauer zu fassen vermochte, bequem überblicken konnte. Ob ihm, während er hier, etwa eine halbe Stunde lang, verweilte, eine Maske im schwarzen Domino mit weißer Gesichtslarve und einem hohen runden Hut irgendwie aufgefallen sein mag? Diese Maske bewegte sich langsam durch das Gewühl im Saale. Zwei andere schwarze Dominos suchten sich augenscheinlich in ihrer Nähe zu halten, und wer darauf geachtet hätte, würde bemerkt haben, daß alle drei die königliche Loge scharf im Auge behielten.

Es ging gegen Mitternacht, als Gustav seine Loge verließ und, auf den Arm seines Oberstallmeisters Essen gelehnt, in den Saal herabkam. Er durchschritt ihn, begab sich dann nach dem Foyer, kam bald wieder zurück und mischte sich mitten in das Getreibe der Maskenlust. Der Ort war voll rauschender Fröhlichkeit. Das Orchester lärmte, und Scherz und Lachen scholl im Saal und in den Logen.

Der König, noch immer Arm in Arm mit Essen, schritt auf eine dichte Gruppe von Masken zu, innerhalb deren es sehr laut und lustig herging. In diesem Augenblick tauchten die drei schwarzen Dominos ganz in seiner Nähe auf.

Gustav schreitet vorwärts, den Oberstallmeister zu seiner Rechten. Einer der drei Schwarzen hält sich dicht im Rücken des Königs; der andere mehr rechts, als wollte er die Aufmerksamkeit Essens ablenken; der dritte naht sich von links her, legt flüchtig seine Rechte auf die linke Schulter Gustavs und sagt mit verstellter Stimme: »Gute Nacht, Maske!«

Als wäre das ein Stichwort, macht der schwarze Domino mit der weißen Larve hinter dem Könige eine rasche Bewegung. Dann zuckt ein Pulverblitz, und ein Schuß donnert durch den Saal.

Der getroffene Monarch – die Ladung des Mordgewehrs ist ihm oberhalb der Hüfte in den Rücken gedrungen – sagt zu seinem Begleiter Essen: »Ich bin verwundet. Führt mich hinweg und verhaftet ihn!«

»Feuer! Feuer!« schreit es durch den Saal. In wilder Verknäuelung stürzt die Menge den Ausgängen zu, und das Haus scheint unter dem wütenden Gestampfe und Getobe zusammenbrechen zu müssen Wie leicht begreiflich, widersprechen sich die Berichte über Gustavs Ermordung in betreff der Einzelheiten gar sehr. Auch aus den Prozeßakten ist kein durchweg genaues und verläßliches Bild der Katastrophe zu gewinnen. Ich habe mich bemüht, möglichst verbürgte Züge zusammenzustellen, kann aber auch nicht alle verbürgen. Der Überlieferung zufolge war es Graf Horn, der dem Könige die Hand auf die Schulter gelegt und die Worte: »Gute Nacht, Maske!« gesprochen hat. In den Verhören hat freilich der arme Lyriker das gänzlich geleugnet und angegeben, er wäre, als Ankarström den Mordschuß tat, »gewiß zehn Ellen von ihm entfernt gewesen«. Allein der Graf hat ja auch geleugnet, daß er die Mordpistolen seinem Mitverschworenen geliehen habe, was doch als erwiesen angenommen werden muß..

Essen hatte in dem schrecklichen Moment, als ihm sein königlicher Gönner zum Tode verwundet in die Arme sank, Geistesgegenwart genug, nach dem Polizeiminister Lilljensparre zu rufen und die Schließung der Saaltüren anzuordnen. Dies geschehen, wurde der König in sein Zimmer hinaufgetragen, wo der erste Verband angelegt wurde. Gustav behielt seine Fassung und Haltung vollständig. Ja, er vermochte sogar zu scherzen. Als er auf einer Sänfte vom Opernhause zum Schlosse getragen wurde und die ungeheure Volksmenge wahrnahm, welche voll unverkennbar leidvoller Teilnahme ihm das Geleit gab, sagte er: »Seht mal, ich bin wie der Heilige Vater in Rom; man trägt mich in Prozession.«

Aber was ging inzwischen im Palaste von Gustavs Bruder, in den Gemächern des Herzogs Karl von Södermanland vor? Unheimliches, scheint es. Denn als der von Essen gesandte Hiobsbote, ohne darauf zu achten, daß man ihm in der Vorhalle des Palastes sagte, der Herzog wäre in seinem Schlafzimmer und schon seit mehreren Stunden zu Bette, in das Kabinett des Hausherrn drang, fand er diesen in voller Großadmiralsuniform. Erwartete der Herzog etwas? Hielt er sich vielleicht bereit, seine Rolle in dem Trauerspiel sofort antreten zu können? Nun, er hat sie dann auch wirklich angetreten; denn wenige Stunden nachher erließ der verwundete König ein Edikt, kraft dessen er seinen Bruder Karl an die Spitze der aus dem Grafen Wachtmeister, dem Grafen Oxenstierna, dem Freiherrn Taube und dem Freiherrn Armfelt zusammengesetzten Reichsregentschaft stellte.

Die rasche Bestellung dieser Regentschaft, in der die scheinbare Hauptperson eine wirkliche Nebenperson gewesen ist, hat den geheimen Leitern des explodierten Junkerkomplotts einen Stein in den Weg gewälzt, über den sie nicht hinwegzukommen vermochten. Die von den Herren Pechlin, Bjelke, Engeström und anderen gewollte Revolution, zu welcher Gustavs Ermordung das Signal geben sollte, kam nicht zustande, d. h. die Maßregeln, die der tödlich verwundete König noch zu treffen vermochte, verhüteten die Wiederkehr der guten alten frommen »Freiheitszeit« Schwedens. Gustav war gefällt, aber die Junker waren geprellt. Sie wagten den geplanten zweiten Akt der Mordtragödie nicht in Szene zu setzen; sie wagten auch nicht einmal eine Vorbereitung dazu, weil das Volk Stockholms und Schwedens dem vom Adel meuchlerisch getroffenen Könige alle seine Sünden verzieh und Bürger und Bauern den auf Sicherung der Thronfolge und auf Wahrung der königlichen Macht abzielenden Bestimmungen und Anordnungen des Verwundeten tatkräftige Unterstützung zu leisten entschlossen waren. Das Verderben des königlichen Hauses wurde freilich dadurch nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Die Verrücktheit Gustavs IV. vollendete, was die leichtfertige Komödianterei Gustavs III. begonnen hatte, und am 13. März 1809 nahm der schwedische Adel seine endgültige Rache für den 19. August 1772 und für den 21. Februar 1789.

Der zum Tode verwundete König hat übrigens auf seinem vieltägigen Schmerzenslager weit mehr wahre Größe bewiesen als während seines ganzen früheren Lebens. Was nur immer ursprünglich gut und edel in ihm gewesen war, kehrte sich in diesen Leidenstagen heraus. Nicht allein mit Unverzagtheit, sondern auch mit Heiterkeit sah er dem Unvermeidlichen entgegen. Er vermochte zu scherzen und wußte sich durch Einfälle prickelnder Laune über Schmerzen und Todesschauer hinwegzuhelfen. Nur einmal entfuhr ihm eine bittere Rede, der giftigen Klatschbase und Skandalchronistin Gräfin Klinkowström gegenüber, einer Tochter des Ur- und Erzjunkers Graf Axel Fersen, als sie gekommen war, am Qualbette des Königs Heucheltränen zu vergießen. Da sagte er mit spöttischem Lächeln zu ihr: »Frau Gräfin, wie, Ihr weint? Gefall' ich Euch denn nicht, wie ich hier liege? Ihr habt das ja seit lange gewünscht, und viele wünschen es mit Euch. Aber gebt acht, es kommt eine Zeit, wo man den Tyrannen Gustav zurückwünschen wird …« Zu hohem Ruhme gereicht es dem gemeuchelten Manne, daß er bei Prozessierung der Verschwörer größtmögliche Milde ausdrücklich empfahl und befahl. Allerdings mag hierbei die traurige Ahnung oder vielmehr Gewißheit, daß bei der weiten Verzweigung und Verwurzelung des Komplotts vollständige Gerechtigkeitsübung ja doch unmöglich wäre, mitbestimmend gewirkt haben. Aber Gustav hat auch ausdrücklich gewünscht, daß nicht nur im allgemeinen gegen die Rottierer und Komplottierer milde verfahren, sondern daß sogar seinem Mörder Gnade zuteil werden möge, – ein Wunsch, der freilich keine Berücksichtigung fand und, wie die Sachen lagen, keine finden konnte.

*

Daß der Meuchlerschuß den König nur tödlich verwundet hatte, statt ihn auf der Stelle zu töten, war, wie schon angedeutet worden, für die Pechlin, Bjelke, Engeström und Mitjunker eine Störung, die ihnen das Konzept vollständig verrückte. Aber auch der Attentäter selber wurde durch diesen Umstand ganz aus seiner Fassung gebracht. Er hat eingestanden, daß, als er bemerkte, sein Schuß habe den König nur verwundet, eine »Sinnentribulation« ihn überfiel, welche ihn vergessen ließ, die Mündung seiner zweiten Pistole auf die eigene Brust oder Stirn zu richten. Er hat während des Tumults im Saale diese zweite Pistole in eine Loge geworfen, nachdem er die losgefeuerte samt dem großen Messer schon zuvor hatte auf den Boden fallen lassen. Es ist bekannt, daß, nachdem der Versuch, des Attentäters unmittelbar nach dem Attentat im Opernsaale selbst habhaft zu werden, mißlungen war, die dort aufgefundene Mordwaffe auf die Spur des Mörders und zur Verhaftung desselben führte.

Ankarström hatte keinen Versuch zur Flucht gemacht. Im ersten Verhör bezeichnete er seine Tat als ein Werk persönlicher Rachsucht und wollte von politischen Motiven und Mitschuldigen nichts wissen. Diese Stellung ließ sich aber nicht lange halten gegenüber den erdrückenden Anzeichen und Beweisen vom Bestehen eines Junkerkomplotts, welche die Untersuchung von Tag zu Tag deutlicher zutage förderte. Der Attentäter sah sich daher gezwungen, wenigstens seine nächsten Gesellen, Ribbing und Horn, zu nennen, und die Geständnisse dieser beiden gaben dann dem Oberstatthalteramt, das den Prozeß leitete, weitere Fäden in die Hand.

Die Darlegung des Prozesses selbst mag billig einem neueren oder neuesten »Pitaval« überlassen werden. Genug, am 17. April fällte das königliche Hofgericht sein Urteil über den Hauptschuldigen, und dieser Spruch lautete also: »Weil der Kapitän Jakob Johann Ankarström als ein geborener Schwede, der dadurch und durch seine Eidespflicht dem Könige des Reiches als Untertan zur Treue und Huld verbunden gewesen, überführt worden, seinen König mit überlegtem Mut, aus Rachsucht, vorsätzlich, innerhalb seines Burgfriedens ermordet zu haben, so hält das königliche Hofgericht dafür, daß, vermöge des Kapitels 4, § 1 des Titels von Missetaten und der Gesetze wegen Schärfung der Strafe bei vorzüglich groben Verbrechen, dieser grimmige Missetäter, Jakob Johann Ankarström, welcher durch einen solch argen Vorsatz und dessen abscheuliche Ausführung alles bürgerliche Ansehen, Ehre und Würde abgelegt und des adligen Standes sich unwürdig und verlustig gemacht hat, dieser unerhörten Missetat wegen zum allgemeinen Schrecken und Abscheu solchergestalt bestraft werde, daß er erstlich auf drei verschiedenen Märkten (Ritterhaus-, Heu- und Neumarkt) drei Tage nacheinander zwei Stunden am Schandpfahl stehen solle, mit einer über seinem Kopfe befestigten Tafel mit der Aufschrift: Der Königsmörder Jakob Johann Ankarström –; daß er jedesmal, nach verflossenen diesen Stunden, vom Büttelknecht mit fünf Paar Ruten und mit jedem Paar mit drei Hieben gestrichen werde; daß er endlich, nach vorhergegangener Bereitung zum Tode, zum Galgenplatz geführt werde, die rechte Hand und den Kopf verliere und dergestalt aufs Rad gelegt werde, daß Hand und Kopf auf einen Pfahl gesteckt, der übrige Körper aber auf vier Räder gelegt werde. Auch sollen alle fahrenden und liegenden Güter des Mörders der Krone anheimfallen. Überdem soll sowohl am Galgen als am Kack des Packaremarktes eine Tafel befestigt werden, worauf vermerkt ist, wie der Königsmörder Ankarström im Jahre 1792 verurteilt und bestraft worden.«

Dieses Urteil ist mit all seinen barbarischen Einzelheiten vollstreckt worden, ohne daß die Nerven des gemarterten Mannes versagten. Standhaft ist er bis zuletzt dabei verharrt, daß er in Gustav III. den Feind, den Unterdrücker und Verderber des Vaterlandes getötet habe Der schwedische Novellist Crusenstolpe hat in seinem historischen Roman »Der Mohr« (Bd. 4, Kap. 17) folgenden Zug als historisch verbürgt, welcher, falls er das wirklich wäre, wieder einmal recht deutlich zeigen würde, daß, wie im Shakespearischen Trauerspiel, so auch in der »Weltgeschichte« dem Tragischen das Komische auf die Fersen tritt und Clown, Harlekin und Hanswurst vor den Augen Melpomenes ihre Späße machen. Unmittelbar nach der Hinrichtung Ankarströms erschien nämlich, dem genannten schwedischen Autor zufolge, in Stockholm ein Holzschnitt, der den Attentäter während seiner Ausstellung am Pranger darstellte. Der Holzschnittdrucker mußte Tag und Nacht drucken, so begehrt war das Bild. Bei dieser hastigen und gewaltsamen Abnutzung zersprang die Holzplatte. Woher in der Geschwindigkeit eine neue nehmen? Eine neue war nicht zu beschaffen, wohl aber eine alte. Zwar nicht eine mit Ankarströms, aber doch eine mit – Luthers Bildnis. Diese schnitzelte der Holzschneider etwas zurecht, setzte die Inschrift: »Der Königsmörder Ankarström« über den Kopf des Reformators und druckte dann lustig weiter, eine Menge von Luther-Ankarströmen..

Auch über Ribbing, Horn, Lilljehorn und Ehrensvärd ergingen Todesurteile. Der Regent jedoch, Herzog Karl von Södermanland, begnadigte die Viere zur Verbannung, und sie sind dann, etliche erst nach langen Jahren, in der Fremde gestorben und verschollen. Der alte Fuchs Pechlin und der Kanzleirat Engeström kamen mit langwieriger Festungshaft davon …

Gustav III. aber war seinem Mörder im Tode vorangegangen. Der kalte Brand seiner Wunde brachte ihn um, und in seinem siebenundvierzigsten Lebensjahr am Vormittag des 29. März 1792 ist er von der Weltbühne abgetreten. Denn es mag wohl nicht unpassend sein, den Hingang gerade dieses Königs also zu bezeichnen. Hätte er doch, wie vormals der sterbende Oktavianus Augustus getan, in seiner letzten Stunde an seine Freunde die Frage tun dürfen: » Ecquid videretur mimum vitae commode transegisse?« Zweifelhaft ist freilich sehr, ob die Freunde, wenn sie hätten ehrlich sein wollen, die Rolle des Theaterkönigs als eine gutdurchgeführte zu beklatschen berechtigt gewesen wären. Immerhin war der arme eitle Gustav, was man einen »denkenden Schauspieler« nennt, und das ist schon etwas, – vorausgesetzt, daß überhaupt »etwas« ist an und in diesem Schaum und Traum, von welchem da geschrieben steht beim Evangelisten vom Avon: –

»Ein Schatten nur,
Der wandelt, ist das Leben, weiter nichts;
Ein armer Komödiant, der auf der Bühne
Sein Stündchen stelzt und große Worte macht,
Worauf man weiter nichts von ihm vernimmt;
Ein Märchen ist's, erzählt von einem Schwachkopf,
Voll wilden Wortschwalls, doch bedeutungsleer.«


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