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In seinen Göttern malt sich der Mensch.
Schiller.
Die Deutschen sollen und wollen, wie es scheint, in der Politik ewige Kinder sein und bleiben Im Jahre 1867 geschrieben.. Sind doch sogar, statt vorwärts zu wachsen, die Insassen der »frommen Kinderstube Deutschland« bis zur förmlichen Wickelkindlichkeit zurückgealtert. Wie hätten sie sonst Anno 1866 glauben und hoffen können, ein galvanisierter Leichnam, der deutsche Bund, werde Taten tun? Von Uranfang haben sich die Deutschen zur Idee des Staates unempfänglich, unbeholfen, geradezu tolpatschig verhalten. Ihr von Haus aus schwacher politischer Sinn verkuhschnappelte in der Kleinstaaterei, verkrähwinkelte im Gemeinde- und Korporationswesen vollends zu engherzigster Philisterei. Die größte politisch-soziale Tat, zu welcher das Germanentum es gebracht hat, war die Feudalität, also die absolute Barbarei, das infame Kastenwesen, das unsere Ahnen aus der indisch-arischen Urheimat mit nach Europa herübergeschleppt haben, – ein Erbübel, das noch heute ekelhaft nacheitert.
Aber war denn nicht auch der Staatsbau Englands eine germanische Schöpfung? Jawohl; vorausgesetzt nämlich, daß man die Fiktion von dem Germanentum der aus keltischen, germanischen und romanischen Elementen zusammengebastardeten englischen Nationalität aufrechthalten wolle, was man immerhin tun kann. Denn eine Berechtigung hierzu gibt die Tatsache an die Hand, daß der englische Staatsbau, dieses Ideal der festländischen Liberalen, durch und durch feudal war und ist. Dieweil er jedoch mit allerhand konstitutionellen Brimborien und allerlei parlamentarischem Spielzeug aufgedonnert und ausgeflittert ist, mag er ein ganz passendes Staatsideal für Leute sein, welche ja auch in dem herz- und gewissenlosen Humbuger Palmerston das Muster eines »liberalen« Staatsmanns gesehen und gepriesen haben.
Aber woher rührt denn das Unheil, daß die Deutschen in der Politik ohne Schick und Takt, ohne eigenwüchsigen Willen und elementare Tatkraft sind? Daher, daß sie von Anfang an ein theologisches Volk waren und bis zum heutigen Tage blieben, d. h. ein Volk, dessen höchstes Sinnen und Minnen nicht der »gemeinen Wirklichkeit der Dinge«, sondern den eingebildeten und angeblichen »Urformen« galt und gilt, stets bereit, das Wort der Tat vorzuziehen und für Phantome Wesenheiten hinzugeben.
Falls aber des römischen Poeten bekanntes Sprüchlein: » Solamen miseris socios habuisse malorum« (Trost für die Unglücklichen ist es, Leidensgefährten zu haben) – wahr ist, so fehlt es uns nicht an Trost. Denn nicht uns Deutsche allein hat der Theologismus verhindert, es in der Politik zu etwas zu bringen, wobei selbstverständlich der Begriff Theologismus weder im Sinne des Athanasiusschen Glaubensbekenntnisses noch des Tridentinums, noch der Augsburger oder Helvetischen Konfession gefaßt ist. Es gibt eine weltgeschichtliche Tatsache, welche auch leichteste Korkseelen zum Nachdenken stimmen muß, und die in Form einer schneidenden Schicksalsironie Zeugnis ablegt von dem Unsinn und Unheil des Daseins der Menschheit: die Tatsache, daß gerade die erwählten »Völker Gottes«, d. h. die mit Intelligenz höchster Potenz begabten, mit konsequentestem Idealismus getränkten Inder, Juden, Griechen und Deutschen, die schlechtesten Staatsgeschäfte gemacht und mit all ihrer ungeheuren zivilisatorischen Arbeit, mit aller Hoheit und Tiefe ihres Gedankenlebens, mit der ganzen Schöpfungsmächtigkeit ihrer Phantasie es nur dazu gebracht haben, weltbürgerlicher Kulturdünger zu sein. Der wilde Schmerz über solch ein Geschick spitzte sich in Indien zu der großartigen Religionsdichtung, genannt Buddhismus, zu, wie er aus dem Judentum das weltverleugnende Christentum hervortrieb, und er stöhnt gleich erschütternd aus dem hebräischen Gedichte vom Hiob, wie aus dem hellenischen vom Prometheus und aus dem deutschen vom Faust. Die Juden freilich, die ja so gescheit gewesen sind, schon frühzeitig neben der Stiftshütte ihres Elohim das goldene Kalb aufzustellen, haben sich später an der Welt gerächt, indem sie statt der ihnen versagten Staatsgeschäfte wenigstens glänzende Staatspapieregeschäfte zu machen wußten und wissen.
In Wahrheit, die Juden haben mit der Zeit an die Stelle ihrer theologischen Leidenschaft mehr und mehr das »Geschäft« gesetzt und jene sozusagen zu einer bloßen »Schlemihlerei« degradiert, gut genug allenfalls für den »Schabbes«. Die Kinder Teut aber waren nicht so klug wie die Kinder Israel. Im Gegenteil, sie traten die Hinterlassenschaft der letzteren als ein kostbarstes Vermächtnis an, und hätte es den frommen Vätern von Nikäa gefallen, statt des einen Glaubensbekenntnisses deren zehn zu verfertigen, Michel hätte sie alle mit Heißhunger verschluckt. Der arme theologische Nimmersatt konnte ja solcher »Seelenspeise« nie und nimmer genug bekommen.
Daraus erklärt es sich, daß den deutschen Fürsten ihr angestammtes, schon zu des Arminius Zeiten eifrig geübtes Handwerk, der Vaterlandsverrat, im Mittelalter so leicht gemacht war. Wurde es doch mit der Hilfe und zum Vorteile des Papsttums geübt, und die Deutschen nahmen die Papstfabel bekanntlich für bare Wahrheit, nahmen sie blutig ernst, während andere mittelalterliche Christen, die Franzosen, die Engländer, sogar die Spanier, samt ihren Königen den dreifach gekrönten Hirten zwar theoretisch verehrten, praktisch jedoch nur anerkannten, wann und soweit es gerade in ihren Staatskram paßte. Der theologische Vampir hatte demnach schon im Mittelalter gierig vom Herzblut unserer Nation gesogen; allein er wurde zu einem noch kräftigeren und durstigeren Untier aufgehätschelt durch die Lutherei, der es so schön gelungen ist, die widernationale Trias: Bibelbuchstabengötzendienst, fürstlichen Partikularismus und untertänliche Knechtseligkeit – mit dem ganzen Nimbus eines unantastbaren Dogmas zu umgeben. Der ewigglorreiche geistige Befreiungskrieg, den das 18. Jahrhundert gegen alle Mächte der Finsternis geführt hat, schien auch diesen lutherischen Bovist fällen zu wollen, ja schon gefällt zu haben. Wie sollte er standhalten gegen die herrlichen Siegesschläge, welche unsere vier großen Befreier Lessing und Kant, Goethe und Schiller gegen ihn taten? Und doch hielt er stand. Ach, wir waren viel zu sehr vertheologisiert, verbibelt, verjudet, um die von den unsterblichen Viermännern uns gebrachte frohe Botschaft der Vernunft und Humanität zu verstehen und anzunehmen. Darum ist es dann dem lutherischen Jesuitismus, genannt romantische Schule, so leicht geworden, unsere »gebildeten Stände« von den Regionen Lessing-Kantischer Aufklärung und Goethe-Schillerscher Schönheit und Freiheit wieder weg und ins theologische Duster- und Duselland zurückzulocken. Darin dämmern seither die guten Deutschen wieder herum, unermüdlich das leere Stroh dreschend, das ihnen von Kanzelpäpsten und Kathederpfaffen vorgeschüttet wird.
So ein Kathederpfaffe höchster Potenz ist auch der Hegel gewesen, dem das Tübinger »Stift« sein Lebtag aus allen Poren guckte. Ein Wortschaumschläger, der sein bißchen Talent dazu verbrauchte, die deutsche Sprache zu einem Babelturmbaukauderwelsch zu verhunzen, womit eine Nation zu behelligen, welcher Lessing unlange zuvor eine wissenschaftliche Prosa geschaffen hatte, nur die äußerste Schamlosigkeit sich erfrechen konnte. Und was barg denn diese kauderwelsche Hülle für einen Kern? Theologie, was sonst? Die Hegelsche Philosophie ist wie eine Zwiebel – abscheuliches Gewächs! Du schälst und schälst immerzu, um zur Sache, zum Kern, zur Fruchtsubstanz zu kommen; aber nach Abstreifung der letzten Haut findest du – nichts. Oder doch etwas? Freilich. Hat unser Kathederpfaffe nicht gekauderwelscht von der »absoluten« Religion, d. h. vom Judenchristentum, und vom »absoluten« Staat, d. h. vom königlich-preußischen Polizeistaat? Das also wäre der Zwiebel Kern! Man kann übrigens die Hegelei, die in Deutschland so viele Schafsköpfe drehend gemacht hat, auch vergleichen mit einem jener Vexierpakete, welche junge Leute einander zu übersenden lieben. Dreifach umschnürt, siebenfach versiegelt, mit großer Wertangabe versehen, enthält so ein Paket, nachdem der Empfänger die Dutzende und Wiederdutzende von Papierhüllen aller Formen und Farben entfernt hat, schließlich nur einen neuen Spielpfennig oder einen alten Hosenknopf. So wirst du, wenn du die zahllosen kauderwelschen Konvolute durchbrochen und mit gebührendem Überdrusse beiseite geworfen hast, im Innersten, im Tabernakel der Hegelschen Philosophie nur den alten, angemoderten, muffigen theologischen Zopf vorfinden, den der unverschämte Gaukler, der freche Sophist, welcher wie die Trinitätsfabel so auch die Karlsbader Beschlüsse sykophantisch und denunziantisch zu rechtfertigen unternahm, vorzeiten im Tübinger Stift getragen hatte. Dieser Zopf ist der Fetisch, das Palladium, die Standarte der Schüler des Mannes geworden und geblieben. Deshalb die ewige Wiederaufwärmung und Wiederauftischung der altbackenen faden Judenmatzen, welche unsere Großväter voll Ekel und Verachtung weggeworfen hatten; deshalb der zudringliche Eifer, die Untersuchung der Bestandteile und der Zubereitungsart dieser Matzen immer und immer wieder den geduldigen Deutschen als eine »Angelegenheit der Nation« aufzuschwatzen.
Und sie lassen sie sich aufschwatzen. Denn dies ist auch eins der unglücklichen Charaktermerkmale unseres Volkes, daß es aus lauter Tiefsinnigkeit gern das Unsinnige annimmt und glaubt, seinen wahren Sehern und wirklichen Lehrern dagegen ein eisiges Mißtrauen entgegenbringt. Im Juni 1807 sagte in Tilsit der russische General Budberg zum preußischen Freiherrn von Schladen: »Mit einem Monarchen wie der Ihrige kann niemand den Staat retten. Er hört und befolgt immer nur den Rat der Schwächlinge und Schurken.« Genau so, wie Friedrich Wilhelm III. tat, tun die Deutschen. Laßt ihnen einen Mann von lauterster Vaterlandsliebe und makellosestem Ruf aus der ganzen Fülle seines Herzens und aus der ganzen Genialität seines Kopfes einen Rat geben: sie werden daran unendlich zu deuteln, zu mäkeln, zu tadeln haben und ihn jedenfalls nicht befolgen; denn er ist ja zu einfach, zu gerade und zu gesundmenschenverständig, er trifft zu sehr das Rechte und Richtige. Aber laßt einen ehrgeizigen Schwachkopf, einen selbstsüchtigen Gaukler, einen phrasenschleimigen Parlamentshanswurst das Kläglichste, laßt den nächsten besten Lump und Schuft das Lumpigste und Schuftigste anraten: die guten Deutschen werden Wohlgefallen daran finden; insbesondere, wenn, was übrigens selbstverständlich, der Ratschlag dahingeht, den dämmernden, duselnden, dahlenden Lebenswandel fortzusetzen und die »rohe Empirie des Handelns« getrost andern Völkern zu überlassen, da sie sich für die »Nation von Denkern und Kritikern« nicht schicke.
Oh, über den deutschen Kritizismus! Er gemahnt nur allzu häufig an jene höchst verwickelte, tiefsinnige und kunstvolle Maschine beim Hogarth, welche erfunden und konstruiert wurde, um – den Kork aus einem Flaschenhalse zu ziehen. Oder auch gemahnt er an den »Spodizator« beim Rabelais, welcher »einem toten Esel künstliche Winde entlockte und die Elle davon zu fünf Sols verkaufte«. So ein richtiger deutscher Kritikakerlak beweist dir mit breitspurigster »Wissenschaftlichkeit« ein-, zwei-, drei- und mehrbändig, daß 3 mal 1 gleich 3, nicht aber gleich 1 sei, und andere dergleichen Dinge mehr. Hüte dich wohl, zu meinen oder gar zu sagen, sotane Großtaten Kritikakerlaks seien ja ganz überflüssig, für jeden überflüssig, welcher fünf gesunde Sinne besitze und seinen Denkapparat überhaupt einmal, und wäre es nur auch zehn Minuten lang, in Bewegung gesetzt habe, – hüte dich! Denn sofort würde eine ganze Horde von Kritikakerlaken über dich herfallen und dich als undeutsch, oberflächlich, frivol und unwissenschaftlich verschreien.
Die armen Franzosen, welche, so viele ihrer nämlich überhaupt starstechfähig, schon von ihren Rabelais, Montaigne und Voltaire den Glaubensstar sich stechen ließen! Wie schauderhaft »ungründlich« und »unwissenschaftlich« ist es bei dieser Operation zu- und hergegangen! Zwar das läßt sich kaum bestreiten, daß die frivolen Franzosen gegen das Ende des 18. Jahrhunderts hin schon gerade so weit waren, wie die ernsten Deutschen jetzt gegen das Ende des 19. hin sind. Aber das tut nichts: – sie hätten von Wissenschafts wegen warten sollen und müssen, bis die gründliche deutsche Kritik all den Plunder, Schund und Wust vielbändig-wissenschaftlich wegbewiesen gehabt hätte, welchen der »französische Leichtsinn« so vorschnell und ohne Umstände weggespottet und weggelacht hatte.
Nun aber vernehm' ich aus der Janhagelgegend her eines deutschdümmlichen Bierbasses ingrimmig Gebrumm: » Quousque tandem?« … Wie lange noch ich euch die Wahrheit sagen werde, vielteure Landsleute? Gerade noch so lange, als ich Zunge und Feder rühren kann. Gerade noch so lange, als ihr es nötig habt. Und ihr habt es – bei Wuotan und Frouwa! – sehr nötig. Ja, ihr braucht einen über der Atmosphäre deutscher Knechtschaffenheit stehenden Mann, der den ernüchternden Kaltwasserguß der Wahrheit auf eure vom selbstgefälligen Phrasenfusel eurer Turn-, Schieß-, Sang- und Sauffeste beduselten Schädel herabschüttet. Ihr seid eines solchen rücksichtslosen Grobians doppelt bedürftig zu dieser unserer Zeit, wo eine erkleckliche Anzahl von Hofräteseelen, welche bei den Fürsten nicht mehr an- und unterzukommen wußten, die Volkshofrätelei etabliert hat. Wie sie sich drücken und ducken und biegen und schmiegen, die Herrn Volkshofräte, um auf dem Wege sanfter Opposition zu Fürstenhofräten mählich vorzurücken! Mit wie zierlich nationalökonomischen Pas sie den liberalen Veitstanz um das goldene Kalb her mitmachen! Wie sie scharwenzeln und fuchsschwänzeln an den Tafeln der Bankokraten und begeisterungsvoll einstimmen in das »Hoch der allmächtige Dollar!« Mögen sie das alles tun; sie sind nun einmal dazu gemacht, und die den Weltmarkt beherrschende Firma Lump und Kompanie hat auch solche Kommis nötig. Nur kann man an dem Gesindel nicht vorübergehen, ohne daß einem das Bein juckte, ihm einen Gelegenheitsfußtritt zu geben. Damit von dieser Grundsuppe deutscher Gründlichkeit weg und zurück zu den ungründlichen Franzosen …
Das ist ein Springervolk! Sprunghaft seine ganze Geschichte. Mitunter scheinbar ganz verloren in allerlei Albernheiten und Kindereien, in Louis-Philippismus oder in Louis-Bonapartismus, in Chateaubriandismen oder in Saint-Simonismen, und doch stets auf dem Sprunge, mit gleichen Füßen in die Revolution hineinzuspringen, ins Unberechenbare, ins Chaos, – so ist dieses quecksilberne Franzosentum nun einmal dazu bestimmt, das Barometer der Welthistorie abzugeben. Die Elastizität der französischen Quecksilbrigkeit ist unzerstörbar, ihre Expansionskraft unermeßlich; aber ihre Verläßlichkeit gleich Null. Wem sollte auch einfallen, vom Quecksilber Festigkeit, vom Winde und der Welle Beständigkeit zu verlangen und zu erwarten? Diese gallischen Springinsfelde sind wie jener Münchhausensche Läufer, der sich Bleigewichte an die Beine binden mußte, um seinen Schnellgang zeitweilig einigermaßen zu mäßigen. Die Restaurationszeit, der Geldprotzenkönig, »des Haupt glich einer Birne«, der » L'empire-c'est-la-paix«-Alp » L'empire c'est la paix« (Das Kaiserreich ist der Friede), sagte Prinz Louis Napoleon am 9. Oktober 1852. sind solche Bleigewichte. Eines schönen Tages aber streift Monsieur Vert-Galant die abscheulichen Bleiklötze plötzlich wieder ab und tut einen Juli- oder Februarsprung, daß Europa in seinen Grundfesten erzittert und die Völker aufjauchzen vor Staunen und Freude.
Solche Sprünge müssen doch wohl auch mit zum Weltorganismus gehören, da sie von Zeit zu Zeit immer wieder geschehen. Die Theorie von einer deutschlangsamen und deutschmethodischen, aber stetig vorschreitenden Entwicklung, welche die Gedanken der »allgemeinen Vernunft«, die »ewigen Grundsätze« des Rechtes friedlich und ungehemmt in Taten übersetzt, ist recht schön. Schade nur, daß die weltgeschichtliche Praxis sich so wenig darum kümmert. Wollte sie jener Theorie nachleben, wie gemütlich und idyllisch würde es auf dieser unserer Erde zugehen! Es bedürfte dann auch keiner französischen Leichtfüße von Revolutionsspringern mehr. Und das wäre gut, da diese mitunter doch gar zu tolle Sprünge machen, heidnische Sprünge geradezu, unmittelbar in die satanischen Regionen von Gog und Magog hinein.
So einen Sprung machten sie im Jahre 1793, einen richtigen Purzelbaum aus dem Christentum ins Heidentum hinüber, indem sie auf dem Altar des »dreieinigen« Gottes die » Déesse de la Raison« (Göttin der Vernunft) inthronisierten. Das ganze Hussa und Hallo dieser Orgie erinnerte auffallend an das wüste Spektakel der mittelalterlichen »Narren- und Eselsfeste«, welches ja ebenfalls auf französischem Boden am wildesten getobt hatte. In jedem Menschen steckt bekanntlich der Narr, der zuweilen mit aller Gewalt herauswill. Es kommt nur darauf an, ob er Kraft genug hat, die Zwangsjacke der Gewohnheit zu zerreißen oder nicht. Die Narren von 1793 hatten die erforderliche Kraft, und so setzten sie das große Narrenfest des Atheismus in Szene, das wir uns jetzt etwas näher ansehen wollen. Es ist der Mühe nicht unwert.
Ja, der Narr war los, stellte sich auf den Kopf und schlug Räder. Es geschah, was immer geschieht und geschehen wird, wenn das alte Gewohnheitstier, der Mensch, den Versuch macht, mit der Vergangenheit plötzlich und vollständig zu brechen: die chronische Torheit wurde zum akuten Wahnwitz.
Da zur Zeit des Ancien Régime das Christentum ganz und gar im Pfaffentum untergegangen war, so mußte der revolutionäre Zorn eine stark aufgetragene heidnische Färbung haben. Wie auch konnte die Erinnerung an das antike Heidentum einem am 10. August 1792 triumphierend zum Durchbruch gekommenen Republikanismus fernbleiben? War doch die Gironde, welche dem von Madame La France zur Welt geborenen Augustkind zunächst zur Amme und Wärterin bestellt wurde, mit antiken Erinnerungen so vollgestopft, daß ihr die griechischen und römischen Sentenzen bündelweise zum Munde heraushingen. Das gute parlamentarische Schwatzweib, was hat es dem Püppchen für hübsche milesische Märchen und für sinnreiche Äsopische Fabeln vorgeleiert, um es zu einer honetten, attisch wohlerzogenen, Griechisch und Latein verstehenden Respublica (Staat) zu erziehen! Aber ach, der kleine Engel ward im Handumdrehen ein großer Bengel, welcher die Carmagnole antat, die rote Mütze aufsetzte und im Flegeljahrehumor mit seinem gefährlichen Spielzeug, der Guillotine, seiner vielteuren Amme den Kopf abschlug.
Die wackeren Wolkenwandler und braven Schönschwätzer von Girondisten hatten die Republik salonfähig machen wollen, um sie mit Anstand ihrer Aspasia, Manon Roland, vorstellen zu können. Auch das girondistische Heidentum war ein auf die »gute Gesellschaft« berechnetes. Bei heiteren Symposien die Schläfen mit Violen und Rosen zu bekränzen und, befeuert von schöner Frauenaugen zärtlichen Blicken, den »Harmodios« zu singen, wie ihn vorzeiten im Perikleischen Athen griechische Philosophen, Poeten und Künstler angestimmt hatten, davon träumten die girondistischen Träumer noch zur Zeit, als längst nicht mehr der Salon, sondern die Straße den Ton angab – und was für einen Ton! – im Babel-Paris. » Ça ira!« Ach, das war kein »Harmodios«, wie ihn Perikles und seine erlauchten Freunde mitsammen gesungen. Das war der Chor der »Guillotinefurien«, allvormittäglich heiser gekreischt auf der Place de la Révolution, wenn das Fallbeil in schrecklicher Monotonie zwanzigmal, dreißigmal, fünfzigmal auf und nieder ging.
Aber die Straße will auch ihr Heidentum haben, da ja doch das Christentum mehr und mehr aus der Mode gekommen ist. Auch der Unglaube darf kein Privilegium der verdammten Aristokratie mehr sein! Darum, Kommune von Paris, tu deine Schuldigkeit und verheidenisiere hübsch unsere eine und unteilbare Republik. Liberté, égalité, fraternité ou la mort! … Solcher Père-Duchesne-Stil trug es über des armen genialen Vergniaud klassische Beredsamkeit davon, wie ja in neunundneunzig Fällen von hundert die Gemeinheit allzeit den Genius besiegt. Am jakobinisch-explosivischen 2. Juni 1793 wurde der Gironde zu Grabe geläutet. Sie hatten vom Rechte deklamiert, die liebenswürdigen Schwärmer, während ihre Gegner die Macht in die Hand genommen hatten. »Macht geht vor Recht!« Das war eine brutale Tatsache, lange bevor deutsche Dahl- und Duselinge im Jahre 1864 darob die Hände über den Strohköpfen zusammengeschlagen haben, als wäre nicht die ganze Geschichte ihres eigenen Vaterlands, als wäre nicht die ganze Weltgeschichte von Anfang an und bis zum heutigen Tag eine unaufhörliche und unwidersprechliche Variation jenes trostlosen Themas. Wozu also der Lärm?
Die Pariser Kommune beeilte sich, die Forderungen des Hébertismus, wie sie im »Père Duchesne« gepredigt wurden, zu erfüllen oder, was dasselbe war, das revolutionäre Heidentum aus dem Girondistisch-Vornehmen ins Sansculottisch-Populäre zu übersetzen. Die Jahrestagfeier des 10. August gab willkommene Gelegenheit, eine Generalprobe zu veranstalten, ob und wie denn eigentlich der guten Stadt Paris das Heidentum zu Gesicht stände. Der Großzeremonienmeister Ihrer Majestät der souveränen Canaille, Maler David mit seiner geschwollenen Backe, soll sich tummeln, daß die Probe gut ausfalle. Citoyen David tummelt sich wirklich und bringt mittels großen Aufwandes von Gips, Pumpwerken, Wasser, Baumzweigen, Blumen, Steifleinwand, Musik, Kanonendonner usw. eine leidliche Parodie, um nicht zu sagen Travestie jener »Pompa« zuwege, wie sie vorzeiten am achtundzwanzigsten Tage des Monats Hekatombäon mit ihren Kitharöden und Auleten, ihren Thallophoren und Kanephoren, in der Mitte das »heilige Schiff«, durch die Straßen von Athen und zur Akropolis empor sich bewegt hatte, um der Pallas Athene einen neugestickten »Peplos« zu überbringen.
Die Stelle der attischen Jungfrauen nehmen in der Festprozession vom 10. August 1793 nicht gerade allzu jungfräuliche Poissarden ein, welche, Eichenzweige in den derben Händen haltend, auf Kanonen reiten. Das heilige Schiff aber wird ersetzt durch einen Pflug, auf welchem, gezogen von ihren Kindern, Philemon und Baucis hocken. Die Statue der Pallas sodann muß eine ungeheure, aus Gips modellierte und da, wo vordem die Bastille gestanden, aufgerichtete »Natur« versehen, welche Wasser aus ihren Brüsten sprudelt. Der schöne Hérault de Séchelles ist als Präsident des Konvents an diesem Tage der Führer des Festzugs. Er fängt in einer eisernen Schale das aus den Brüsten der Natur quellende Wasser auf, bringt in aller Form eine »Libation« und hält an die Gipserne eine Rede, welche mit den Worten anhebt: » Souveraine du sauvage et des nations éclairées, ô Nature!«
Warum auch sollte man nicht ungeniert heidnisch sich gebaren, nachdem Citoyen Jakob Dupont im Schoße des Konvents die Zeitgemäßheit des Atheismus proklamiert hatte? Es war dem Biedermann damit voller Ernst, was unwiderleglich dadurch bewiesen wird, daß er später als notorischer Narr gestorben ist. »Was«, hatte er ausgerufen, »die Throne sind umgestürzt und die Altäre stehen noch! Glaubt ihr denn, die französische Republik sei zu begründen und zu befestigen mittels anderer Altäre als mittels des Altars des Vaterlandes und mittels anderer religiöser Symbole als mittels der Freiheitsbäume? Die Natur und die Vernunft, da habt ihr meine Gottheiten! Ja, ich sage es dem Konvent ohne Umschweife: ich bin Atheist.«
Dieses Kredo oder Nichtkredo war ein vorzeitiges, um etliche Wochen oder sogar Monate verfrühtes. Der Narr war aus dem armen Jakob Dupont zu voreilig hervorgesprungen. Zwar der Janhagel auf den Galerien klatschte Beifall, allein da und dort auf den Bänken der Deputierten ward Gemurr laut und wurde die Bemerkung gehört: »Dem Kerl rappelt es!« Bald sollte dieses Rappeln zu einem grassierenden werden, wie das allzeit so geschieht in der Welt, wenn die Narrheit einmal recht närrisch ist. Und, in Wahrheit, sie war es dazumal. Wie, das veranschaulichen insbesondere auch die amtlichen Berichte der in die Provinzen gesandten Konventskommissare, – Berichte, aus denen man neben dem Blutgeriesel auch das Geklingel der Schellenkappe deutlich heraushört. So z. B. meldeten Lequinio und Laignelot aus Rochelle: »Alles geht hier wie geschmiert. Das Volk wendet sich aus freien Stücken der Fackel der Vernunft zu, die wir ihm mit Sanftmut und Brüderlichkeit zeigen. Das Revolutionstribunal, das wir eingesetzt haben, räumt unter den Aristokraten auf, und die Guillotine schlägt Köpfe ab. Der Bürger Ance hat sich freiwillig erboten, das Amt des Guillotineurs zu übernehmen. Wir haben es ihm übertragen und ihn eingeladen, mit uns zu speisen, wobei wir zu Ehren der Republik verschiedene Libationen darbrachten«.
Aber auch die Narrheit verlangt Form und Norm, und der Wahnsinn gestaltet sich gern methodisch. Der schmierige Zynismus des Père-Duchesne-Hébert reichte nicht aus, den »Vernunftkult« zu etwas zu machen, was sich vor den Parisern sehen lassen konnte. Da nahm sich Citoyen Chaumette, Generalprokurator der Kommune, der Sache an und brachte als eifriger und geschickter Regisseur die Posse in Gang. Chaumette ist, das steht fest, ein aufrichtiger Enthusiast, ein ehrlicher Narr gewesen und hat mit völlig uneigennütziger Begeisterung sozusagen den Pontifex Maximus des Vernunftgottesdienstes gemacht. Die Vermutung jedoch ist statthaft, daß sein Eifer beträchtlich geschürt worden sein dürfte durch das von seinen Feinden ausgesprengte Gerücht, er sei früher Mönch gewesen. Diese damals gefährliche Zulage ließ man nicht gern auf sich sitzen, und Chaumette tat alles Menschenmögliche, die grundlose Beschuldigung zurückzuweisen, welche dadurch entstanden sein mochte, daß seiner Rednerei eine gewisse priesterliche Salbung eigen war. Es ist dies ja, wie jedermann weiß, bei den Auslassungen negativer Pfaffen überhaupt nicht selten der Fall. Fanatismus bleibt Fanatismus, schwarz oder rot angestrichen.
Der Sohn eines Schusters in Nevers, war Chaumette vorzeiten ein kleiner Tunichtgut gewesen. Sein Vater hatte ihm einige Gelegenheit zur Erwerbung von Kenntnissen verschafft – » lui fit faire quelques études«, wie unsere französische Quelle ziemlich obenhin sagt; aber der hoffnungsvolle Sohn war dieser Gelegenheit entlaufen und Schiffsjunge geworden, erst auf einer Loirebarke, dann auf einem Kriegsschiff. Da gefiel es ihm aber auch nicht lange; er empfand plötzlich Sehnsucht nach den weggeworfenen Büchern, und weil er einsah, er habe zu einem großen Admiral nicht das Zeug, beschloß er, ein berühmter Botaniker zu werden. Warum er auch dies nicht geworden, ist nicht recht klar, da er doch die »Pflanzen und Blumen so sehr liebte«. Genug, das Jahr 1789 fand den sechsundzwanzigjährigen Chaumette als Schreiber eines Advokaten in Paris. Die vorschreitende Revolution machte ihn zum Klubbruder bei den Cordeliers und zum beliebten Eckstein- und Kneipenredner. Eine hübsche Gestalt, eine Stimme voll Wohlklang, ein nicht gemeines Talent der Improvisation, – das waren Mittel, die damals ihren Besitzer zu etwas machen konnten, namentlich dann, wenn so ein Ecksteinprophet ehrlich und eifrig alles selber glaubte, was er seinem sansculottischen Publikum vororakelte. Nach der Explosion vom 10. August war Chaumette bereits eine Person von solcher Bedeutung, daß er zum Nachfolger Manuels in der Generalprokuratur der Kommune erkoren wurde, und in diesem Amte ging er alsbald dazu über, dem ganzen Zelotismus negativen Pfaffentums die Zügel schießen zu lassen.
In Wahrheit, der Mann betrieb den Krieg wider das Christentum und für den Atheismus mit ganz pfäffischer Glut und Wut; er war ihm Herzenssache. Daneben trat der wunderliche Pontifex auch als eifriger Sittenzensor auf. Er verfolgte die Prostitution bis in ihre heimlichsten Schlupfwinkel und verklagte sie als »eine politische Pest, welche zu existieren nirgends das Recht hat, ausgenommen Länder, welche unter dem Joche von Königen und ehelosen Priestern seufzen«. Er fuhr auch mit äußerster Strenge gegen den Verkauf schmutziger Bücher und unflätiger Bilder vor und las gelegentlich gewissen »Viragos«, welche in der Stadt herumliefen und die Pariserinnen halb bittweise, halb zwangsweise überreden wollten, statt der Haube die rote Mütze aufzusetzen, sehr energisch die Leviten. Summa: der Mann ist, wie schon gesagt worden, ein ehrlicher Narr gewesen. Er hat auch, als seine Stunde, weggewischt zu werden, gekommen war, das Schafott mit heiterer Fassung beschritten, nachdem er an den Schranken des Revolutionstribunals – Narren sprechen ja die Wahrheit – das wahre Wort gesprochen hatte: »Meine Zeit ist meine Rechtfertigung und meine Verurteilung ( ma justification et ma condamnation sont dans le temps).«
Ein weltgeschichtliches Narrenspiel wäre nicht ganz, wenn nicht auch ein Stück Deutschland mitspielte. Dies wurde in der Komödie des Chaumette-Hébertismus vertreten durch den Wirr- und Schwarbelkopf, welcher auf den Schultern unseres Landsmanns des Baron Klotz aus Kleve saß. Dieser reiche Edelmann ist, wie auch der Prinz Karl von Hessen-Rotenburg, bekanntlich eine Weile lustig mit dem Malstrom der Revolution geschwommen und dann plötzlich von ihm hinuntergeschlungen worden. Auch er war ein ehrlicher Narr im Superlativ. Nachdem er sich zum Anacharsis Cloots und zum französischen Citoyen umgewandelt hatte, ließ er sich selber zum » Orateur du genre humain« vorrücken und hat als solcher verschiedene Mummereien und Spektakel, die jedermann kennt, an den Schranken des Konvents und anderwärts agiert und tragiert, eine Art von tollgewordenem Marquis Posa. »Das Jahrhundert ist meinem Ideal nicht reif«, sagte Schillers Malteser, » J'ai le malheur de n'être pas de mon siècle«, sagte Citoyen Anacharsis. Der gute Schwarbeler war ein geschworener Weltbürger. Er haselierte von einem » Peuple Dieu«, wollte schlechterdings, daß » le genre humain ne formera plus qu'une nation«, und predigte leidenschaftlich seinen Traum von einer Universalrepublik. »Wohl«, witzelte eines Tages einer seiner Zuhörer den armen Schwarmgeist an, »Eure Universalrepublik ist ein schönes Ding. Wenn sie mal fertig ist, wird der Berg Athos die Rednerbühne und werden die Kordilleren die Bänke sein, worauf die Repräsentanten des Universums Platz nehmen.« Worauf Citoyen Anacharsis: » Je me moque des moqueurs«, und begann seine Predigt aufs neue. Denn mit Spott tötet man den Fanatismus gerade so, wie man mit Öl das Feuer löscht.
Im Spätherbst von 1793 feierte der Atheismus in Paris seine lärmenden Saturnalien. Da tummelte sich gar lustig der Antichrist, dessen alter Mythus jetzt für eine Weile zur Wirklichkeit geworden war. Eifrige Konventskommissare hatten in den Provinzen, wie schon erwähnt wurde, so tüchtig vorgearbeitet, daß man in der Hauptstadt dazu schreiten konnte, die Summe der widerchristlichen Rechnung zu ziehen und an die Stelle des katholischen Gottesdienstes, dessen Symbole und Apparate, zugleich mit denen des Königtums, mit fliegender Hast verfolgt und zerstört wurden, den »Vernunftkult« zu setzen.
Anfang Oktober beschloß der Konvent die Abschaffung des christlichen und die Einführung des »republikanischen« Kalenders, den Romme gemacht hatte, unter Beihilfe von Monge, Lagrange und Fabre d'Eglantine. Etliche Tage darauf wurden die Königsgräber zu Saint-Denis zerstört. Tag für Tag empfing der Konvent von nah und fern Zuschriften und Abordnungen, welche widerchristliche Bezeugungen verlautbarten. Unter diesen Deputationen machte sich auch eine gehörige Anzahl von Priestern bemerklich, die, um ihren vernunftgottesdienstlich-guten Willen durch die Tat zu beweisen, gleich die Exnonnen mitbrachten, die sie geheiratet hatten. An einem der ersten Tage im November ist an den Schranken des Konvents auch die Zuschrift eines Pfarrers gelesen worden, welche mit den Worten anhob: »Ich bin Priester, das will sagen Scharlatan« Vielleicht war das nur ein Widerhall des Berichts, den der Konventskommissar Dumont im Oktober aus Amiens eingesandt und worin er gemeldet hatte, er habe dem Volke auseinandergesetzt, die Priester seien »des arlequins ou des pierrots vêtus de noir, qui montraient des marionnettes, que tout ce qu'ils faisaient étaint des escroqueries pour gagner de l'argent«. Moniteur 1793, Nr. 279..
Bei sotanen Stimmungen und Taten schien einem Anacharsis Cloots und einem Anaxagoras Chaumette die Zeit gekommen zu sein, mittels Inthronisierung der »Göttin der Vernunft« förmlich und feierlich der Welt zu verkünden, daß des alten Vergilius sibyllinisches Prophetenwort:
»
Ultima Cumaei venit jam carminis aetas;
Magnus ab integro saeclorum nascitur ordo,
Jam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna« –
endlich zur Erfüllung gelangt sei. Aber freilich anders als der gute Kirchenvater Laktantius vorzeiten gemeint hatte. Der würde sich auch nicht übel vor der » Virgo« entsetzt haben, welche von Mademoiselle Maillard von der Oper oder von Mademoiselle Candeille vom Ballett »gemacht« wurde. Dann von noch weit notorischeren Unmademoiselles, so das Wort statthaft. Die schönste und anständigste aller » Déesses de la Raison« war aber die Citoyenne Momoro, der ihr fanatischer Mann, der Buchdrucker Momoro, die Göttinrolle aufzwingen mußte. Das Gebaren der armen Frau, die, abgerechnet ihre »etwas schadhaften« Zähne, eine vollkommene Schönheit gewesen, wird als ein sehr sittsames gerühmt. Leider ist kein Zeugnis auf uns gekommen, welche Gefühle durch ihre Brust, welche Gedanken durch ihr Gehirn gegangen, während sie auf dem Altar thronte …
An einem der ersten Novembertage von 1793 begab sich der »Redner des Menschengeschlechts« zu dem konstitutionellen Erzbischof von Paris, Gobel, der, ein einfältiger und schwacher Greis, ganz steuer- und richtungslos mit der Sintflutströmung der Zeit dahintrieb. Schon lange eine bloße Marionette am Drahte der tollsten Demagogen, ließ er sich jetzt durch Cloots unschwer bestimmen, die Hauptrolle in einer Posse zu übernehmen, welche die Chaumette, Hébert, Momoro, Pache und Lhuillier aufführen wollten. Diese ging dann am 7. November wirklich in Szene. Schauplatz war der Sitzungssaal des Konvents. Eine Abordnung, an deren Spitze die eben Genannten standen, führte den armen alten Erzbischof, welchen seine heutige Schmach doch nicht davor bewahrte, fünf Monate später guillotiniert zu werden, samt seinen Vikaren an die Schranke, Momoro erklärte als Wortführer der Deputation, daß der Klerus von Paris gekommen sei, des Charakters, den der Afterglaube ihm ausgeprägt habe, sich zu entäußern, da ja die französische Republik keinen andern Kult mehr haben sollte und dürfte als den der Freiheit, Gleichheit und Wahrheit. Darauf brachte Gobel, indem er Ring und Stab ablegte und sich die rote Mütze aufsetzen ließ, die Erklärung vor, daß er die Souveränität des Volkes allzeit als Richtschnur anerkannt habe und die Unterwerfung unter diese Souveränität als seine erste Pflicht. Weil nun das souveräne Volk keinen andern Gottesdienst mehr haben wolle als den der Freiheit und Gleichheit, so verfahre er nur folgerichtig, wenn er, wie er hiermit tue, auf seine priesterlichen Funktionen verzichte und seiner Priesterschaft selber entsage. »Es lebe die Republik!« Die Vikare taten, wie der Erzbischof getan. Der Präsident des Konvents, an diesem Tage Laloy, umarmte Gobel und beglückwünschte ihn. Chaumette rief aus: »Dieser Tag muß im Kalender als der Tag der Vernunft bezeichnet werden!« Priesterliche Mitglieder des Konvents, darunter auch ein protestantischer Pfarrer – Julien aus Toulouse – beeilten sich, von der Rednerbühne herab zu erklären, daß sie ihrem Priestertum ebenfalls entsagten. Mit besonderer Feierlichkeit brachte der sonst zu dieser Zeit nur noch durch seine Schweigsamkeit glänzende Abbé Sieyès, der Konstitutionenfabrikant, seine Absage vor. Anders der Bischof von Blois, der hochgesinnte und standhafte Republikaner Grégoire. Für den wurde dieser Tag des feigen Abfalls der Pfaffen ein wahrer Ehrentag. »Handelt es sich um das mit der Bischofswürde verbundene Einkommen? Ich gebe es ohne Bedauern auf. Handelt es sich um die Religion? Darüber steht euch keine Verfügung zu. Ich habe mich bemüht, in meiner Diözese Gutes zu stiften; ich bleibe Bischof, um es ferner zu tun, und berufe mich auf die Freiheit der Kulte.« Diese mannhafte Erklärung machte doch einigen Eindruck. »Man will niemand zwingen«, wurde von vielen Bänken gerufen.
Anacharsis Cloots eilte in seiner Herzensfreude, daß das Heidentum so hübsch in Gang gekommen, aus dem Konventssaal in die Kanzleien des Wohlfahrtsausschusses hinüber, wo er dem Robespierre triumphierend erzählte, was soeben drüben im Konvent geschehen sei. Aber da kam er übel an. Denn Robespierre, der bekanntlich wie sein Meister Rousseau ein entschiedener Deist und auch aus politischen Gründen dem Skandal des »Vernunftkultus« von Anfang entgegen war, ließ den närrischen Redner des Menschengeschlechts derb abfahren.
Der in Fluß und Schuß gekommene Unsinn wollte und mußte jedoch seinen Verlauf haben. Denn welcher Unsinn wollte und müßte das nicht? Laßt die erhabenste Idee, den edelsten Gedanken, den heilsamsten Ratschlag aufstehen, Millionen von Händen werden sofort eiligst dabei sein, Hindernisse entgegenzutürmen. Aber laßt die Unvernunft, laßt die Gewissenlosigkeit, laßt den Frevel einen kecken Trumpf ausspielen, und in neunundneunzig Spielen von hundert wird er die Stechkarte sein. So will es die ungeheure Mehrzahl der Menschen in ihrer Schlecht- und Knechtschaffenheit.
Anaxagoras Chaumette und Mitnarren führten nach dem gelungenen Vorspiel im Konvent die traurige Komödie lustig weiter. Die »Circenses«, welche der abgetane katholische Kult einer gaffgierigen Menge geboten hatte, mußten möglichst rasch durch andere ersetzt werden. Der Gemeinderat von Paris dekretierte, daß am 10. November in der Kathedrale von Notre-Dame der »Kultus der Vernunft« festlich eingesetzt werden sollte. Und richtig, so geschah es. Unter den gotischen Wölbungen des alten Doms, dessen Steine sich von Rechts wegen gegen das, was er heute erleben mußte, hätten empören sollen, war eine Art von Tempel aufgebaut mit der Inschrift: » A la philosophie« (Der Philosophie). Der Tempel spitzte sich zu einem Berge zu, auf dessen Höhe die »Fackel der Wahrheit« brannte. Diesen Berg umschritt in Prozession eine Schar von jungen Mädchen, weißgekleidet, mit Eichenlaub bekränzt, brennende Fackeln in den Händen. Als der Gemeinderat mit seinem Gefolge, »ganz in Carmagnole«, erschienen war, tat die Pforte des »Tempels der Philosophie« sich auf und heraus trat die »Göttin der Vernunft«, die schöne Demoiselle Maillard. Sie war angetan mit einer weißen ärmellosen Tunika, worüber ein himmelblauer Mantel hing. Auf ihrer prächtigen Lockenfülle trug sie die rote Mütze, und in ihrer Rechten hielt sie die Pike. So ließ sie sich auf einem tragbaren, mit Eichenlaub und Blumengirlanden umwundenen Throne nieder und empfing die Huldigungen der »Vernunftgläubigen«, welche mit gegen die Göttin erhobenen Armen eine von Marie Joseph Chénier gedichtete und von Gossek in Musik gesetzte Hymne absangen.
Nachdem diese Zeremonie mit geziemendem Ernst und ohne die geringste Anwandlung von Lachreiz – denn die menschliche Narrheit ist meistens eine sehr ernsthafte Bestie – vorübergegangen war, ordnete sich die Festprozession, um zum Sitzungssaal des Konvents in den Tuilerien zu ziehen. Musik voran, dann eine Abordnung der »Revolutionsarmee«, weiterhin eine solche von der »Sektion der Hosenlosen«, welche acht Priester mit sich führte, die darauf brannten, ihre Gaukeleien (» leurs jongleries«) abzuschwören. Hierauf eine Schar von Findelkindern, welche »der Hochmut und das Laster sonst Kinder der Barmherzigkeit genannt haben, die aber jetzt die wahren Kinder der Natur und des Vaterlandes sind«. Sodann die Göttin auf ihrem Thronpalankin, ihr Pontifex Chaumette und eine sattsame Anzahl von Narren und Närrinnen.
Als der Zug in den Saal des Konvents eingetreten und die Göttin auf ihrem Tragsessel vor der Plattform des Präsidentensitzes angelangt war, schwieg die Musik, und Pontifex Chaumette begann mit Salbung seinen Sermon: »Gesetzgeber! Der Fanatismus hat die Flucht ergriffen. Seine Schielaugen konnten die Helle des Lichtes nicht länger ertragen. Eine ungeheure Menschenmenge hat sich versammelt unter den gotischen Wölbungen von Notre-Dame, welche heute zum erstenmal ein Widerhall der Wahrheit gewesen sind. Dort haben wir den leblosen Idolen entsagt um der Vernunft willen, um dieses lebensvollen Idols willen, dem Meisterstück der Natur.« Er wies mit der Hand auf die Göttin, und aus den Reihen der Bürger Gesetzgeber kam ein beifälliges: »Sakristi, sie ist in Wahrheit jung und schön wie die Vernunft.« Chaumette fuhr in seiner Phrasenreiterei fort und schloß mit dem Wunsche, der Konvent möge beschließen, daß die Kathedrale von Notre-Dame zur bleibenden Stätte des Vernunftkultus erklärt sei. Der weiland Kapuziner Chabot verwandelte als Mitglied des Konvents diesen Wunsch sofort in einen dringlichen Antrag, und die Versammlung genehmigte ihn unter dem Rufe: » Vive la république! Vive la montagne!« auf der Stelle. Dafür mußte eine Göttin, welche wußte, was Lebensart wäre, doch wohl ihren Dank abstatten. Sie stieg demnach, auf ihres Pontifex Arm gestützt, von ihrem Thron herab und schritt auf den Präsidenten zu, den sie mit ihrer Umarmung begnadete. Als Äquivalent verabreichte ihr der Präsident den »Bruderkuß«, und die Bürger Sekretäre wurden so heftig vernunftgläubig »angefaßt«, daß sie die Gelegenheit, der schönen Göttin ebenfalls Brüderküsse zu geben, beim Schopfe faßten (» les secrétaires s'empressèrent aussi de lui donner le baiser fraternel«, heißt es im Sitzungsbericht). Thuriot beantragte dann, der gesamte Konvent sollte die Göttin in ihren Tempel zurückbegleiten, was auch beschlossen und ausgeführt wurde, inmitten der Ausbrüche einer allgemeinen Freude (» au milieu des transports d'une joie universelle«, sagt das Sitzungsprotokoll im Moniteur).
Also ist am 10. November 1793 die »Religion der Vernunft« in Frankreich förmlich und feierlich ein- und aufgeführt worden. Ein orgiastisches Ding, welches wieder einmal gar deutlich in den ewigen Refrain auslief: »Nichts Neues unter der Sonne!« Denn das ganze Spektakel dieses Naturdienstes erinnert auffallend an Uraltes, an den Kult der »großen Mutter«, der syrisch-phrygischen Aschera-Kybele, welchen geräuschvollen Kult der alte Lukretius so schön beschrieben hat. Ja, wahrhaftig, man konnte sich in diesem Paris im Brumaire des Jahres II der Republik nach Vorderasien versetzt glauben und zurück in Zeiten, wo dort Prozessionen von Andächtigen unter der Pfeifen, Zimbeln, Tuben und Pauken betäubendem Schall durch die Städte und durch die Bergwälder zogen, zu üppigen Tänzen zusammentraten und ihre Begeisterung in wollüstigen Hymnen zum Preise der »Altmutter« ergossen. Sah man doch auf dem Grèveplatz um ungeheure Feuer her, welche mit kirchlichen Geräten und »Reliquien« von Heiligen genährt wurden, Konventsmitglieder mit Dirnen, welche Messegewänder anhatten, die Carmagnole tanzen. Und dabei blieb die Ähnlichkeit mit dem Aschera-Kybele-Kult nicht stehen. Der großen Göttin wohlgefälligstes Opfer war bekanntlich die Opferung der jungfräulichen Keuschheit gewesen, und demzufolge hatten ihr zu Ehren bei und in den Kybeletempeln die phyrgischen und lydischen Mädchen sich preisgegeben. Bei den Bacchanalien nun, wozu der »Vernunftkult« rasch ausartete, geschah in verschiedenen Kirchen, wo die verschiedenen »Göttinnen der Vernunft« auf den Tabernakeln der Hauptaltäre thronten, besonders in den beiden Kirchen Saint-Eustache und Saint-Gervais, Kybeleisches auch dieser Art, obzwar, wie mit Grund zu vermuten ist, bei diesen Orgien der wirklichen Jungfräulichkeitsopfer nicht viele oder gar keine gefallen sein mögen.
Selbstverständlich fand der in Paris tobende Fasching des Atheismus in den Provinzen Nachäffung, und die urteilslose und feige Menge ließ auch dort, gerade wie in der Hauptstadt, dem albernen und ärgerlichen Skandal seinen Lauf. Wann und wo wäre überhaupt das atomistische Ding, genannt Volk, aus eigenem Antrieb gegen Absurdes auf- und für Verständiges eingetreten? Nie und nirgends. Und nicht nur das! Der gedankenlose Stumpfsinn der Massen hat auch für erwähltere und mutigere Geister ein solches Auf- und Eintreten allzeit zu einem gefährlichen gemacht: – die alte und immer neue Geschichte vom Gekreuzigt- und Verbranntwerden der armen »Ideologen« –
»Die, töricht g'nug, ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten …«
Doppelt Ehre darum dem Maximilian Robespierre, daß er trotz alledem dem wüsten Ärgernis des Chaumette-Hébertismus mutvoll entgegentrat. Dem reinlichen »Unbestechlichen«, welcher in jenen Tagen darüber nachsann, wie alle Kraft der Revolution zu einem unwiderstehlichen Impuls zusammenzufassen sei, um das »gebenedeite« Contrat-Socialevangelium endlich zur Wirklichkeit zu machen, mußte das Vernunftkultspektakel widerwärtig störsam in seine stille Stube beim Schreiner Duplay in der Rue Saint-Honoré hineinschlagen. Vielleicht um so widerwärtiger, als die tiefe und keusche Neigung, welche er für seines Hauswirts älteste Tochter Leonore Duplay hegte, ihm die lärmende Abgötterei, welche mit den »Göttinnen der Vernunft« getrieben wurde, nur wie eine lästerliche Profanation des »Ewigweiblichen« vorkommen ließ.
Gerade, als der Wahnwitz seinen Siedepunkt erreicht hatte, tat Robespierre von seinem Prätorium, vom Jakobinerklub aus am 21. November den ersten offenen und wuchtigen Angriff, welcher für den Hébertismus, der mittels sinnloser Übertreibungen Republik und Demokratie in der Meinung aller Denkenden und Redlichen ruinieren wolle, zu einem zermalmenden wurde. Der Jünger von Jean-Jacques proklamierte feierlich seinen Glauben an ein »Höchstes Wesen«, verklagte den Atheismus als aristokratisch (» l'athéisme est aristocratique«) und zitierte Voltaires Satz: »Wenn Gott nicht wäre, müßte man ihn erfinden.« Auch für den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele trat er ein, als für eine Vorstellung voll Trost (» idée consolatrice«), und so enthielt Robespierres Angriffsrede vom 21. November 1793 schon alle die Gedanken, welche er in seinem Kampfe gegen die atheistisch-anarchische Faktion weiter entwickelte und welche dann durch das Fest des » Être suprême« vom 8. Juni 1794 ihren tatsächlichen Abschluß fanden. Der Unbestechliche fühlte ganz richtig, daß das Volk seine idealischen Instinkte und Bedürfnisse nur in der Form der Religion zu befriedigen vermochte, und er hatte insofern ganz recht, den Gottesglauben als demokratisch und den Atheismus als aristokratisch zu bezeichnen.
Auch Danton trat bekanntlich gegen die Hébertisten in die Kampfschranken, indem er sich am 26. November 1793 im Konvent sehr entschieden gegen die »antireligiösen Maskeraden« aussprach, die »Pfaffen des Unglaubens« nicht weniger verwarf als die »Pfaffen des Afterglaubens« und schließlich ausrief: »Wir wollten die Herrschaft des Fanatismus nicht zerstören, um dafür die Herrschaft des Atheismus aufzurichten.«
Die Erklärung Robespierres bei den Jakobinern und die Rede Dantons im Konvent enthielten schon das Todesurteil für den Chaumette-Hébertismus. Robespierre wollte unerbittlich die Wegwischung desselben. Das übrige besorgte Fouquier-Tinville. Am 24. März 1794 fielen die Köpfe von Hébert, Cloots, Momoro und sechzehn ihrer »Mitschuldigen«, am 13. April die von Chaumette, Gobel und sechzehn anderen. Zwischen hinein hatte eine der erschütterndsten Szenen der ungeheuren Revolutionstragödie gespielt: die Todesfahrt von Danton, Desmoulins und ihren Freunden am 5. April. Jetzt erst ward der »Schrecken« so recht schrecklich zur Tagesordnung und wurde Guillotins Tochter rasend vor Begierde. Am 28. Juli riß sie auch den »Unbestechlichen« in ihre tödliche Umarmung. Hätte er seine Ideen zu verwirklichen, seinen Plan durchzuführen vermocht, so stände er zur Stunde als ein »großer Mann« in der Weltgeschichte da. Jetzt aber heißt er ein »Ungeheuer«. Denn »Lob oder Tadel richtet sich schlechterdings nur nach dem Erfolge; die Sieger werden gepriesen und die Mittel des Sieges nicht untersucht«, sagt trostlos wahr der alte Prokopius von Cäsarea in seinem Buch vom Gothenkrieg (III, 3). Und wie sprach Spinoza in seinem politischen Traktat? »Jeder hat gerade so viel Recht, als er Macht hat« ( unusquisque tantum juris habet, quantum potentia valet; l. c. II, 8).