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Eine schmucke deutsche Kleinstadt mit Kirche und Schule, mit Vergangenheit und Zukunft, Biederkeit und Klatsch – versetzt auf den Urwaldboden eines wundervollen Seeufers, in die Nähe von Paraguays Hauptstadt ...
Etwas Reizenderes, Lieblicheres als dies ferne deutsche Sprachinselchen San Bernardino ist nicht auszudenken.
Es liegt wie ein zartes Geheimnis über dem See, zwischen finsteren Wäldern.
Mein Wirt in Asunción kannte San Bernardino schon zu einer Zeit, da es sich die Bewohner nicht hätten träumen lassen, daß die Fremdlinge einst scharenweise in die Weltabgeschiedenheit ihres Dorfes dringen würden, um dort die Urlaubswochen zu verleben.
Vor ungefähr dreißig Jahren besuchte er seine Braut in dem entlegenen Nestchen.
Er hatte sie in der Hauptstadt kennengelernt, aber nicht mehr gesehen, seit sie im Elternhause mit unermüdlichem Eifer an ihrer Aussteuer nähte.
»Es war ein schöner, aber etwas heißer Tag,« erzählte der Wirt. »Ich trug den neuen hellgrauen Anzug, den Panamahut und herrliche Lackschuhe, die ich mir eigens für den Besuch hatte anfertigen lassen. Aber – die Schuhe drückten mich entsetzlich.«
»Die zwei Stunden Eisenbahnfahrt waren qualvoll. Ich fuhr I. Klasse – das war ich meiner Braut schuldig. Völlig unerträglich wurde der Stiefeldruck, als ich von der Endstation zur Barke ging, die mich über den See bringen sollte. – Es war gegen Mittag. Mit mir stiegen noch andere Passagiere aus, durchwegs San Bernardiner Bürger. Alle sahen mich forschend an und ich konnte die Gedanken jedes einzelnen unschwer erraten: »Das also ist der Bräutigam! – Wie alt ist er? – Was ist sein Beruf? – Aus welcher Familie stammt er? – Hat er Geld?« – Ich biß die Zähne zusammen. Meinen Schmerz durfte ich nicht verraten, denn mein Ruf stand auf dem Spiel!
»Die Barke hatte zwei Decks. Das obere war luftig und deshalb zog ich es dem anderen vor.
»Ich machte mir keine Gedanken darüber, daß ich mich nur in Gesellschaft Eingeborener befand, während die Deutschen merkwürdigerweise das dumpfige Unterdeck benutzten. Ich hatte auf einer Bank Platz genommen und litt unsäglich.«
»Warum zogen Sie die Schuhe nicht aus?«
»Barfüßigkeit in meiner barfüßigen Umgebung hätte Gleichstellung mit dieser bedeutet! – Aber mit einem Male trat eine unerwartete Wendung ein. Der Kassier begann, die Gebühr für die Überfahrt einzuheben. Jeder zahlte seinen Peso. Auch ich gab ihm die Münze. »Zwei Peso!« sagte er. »Alle zahlen einen – nur ich soll zwei zahlen?« rief ich empört, denn Sie müssen wissen, ich bin Preuße und lasse mir eine Übervorteilung nicht bieten! Heute so wenig wie damals!«
»Sie haben vollkommen recht.«
Aber er gab nicht nach. »Es steht Ihnen frei, nach unten zu gehen,« sagte er. »Dort ist mir die Luft zu schlecht – deshalb ziehe ich es vor, hier in der II. Klasse zu bleiben.« »Dagegen ist nichts einzuwenden – aber Sie müssen doch I. Klasse bezahlen!« »Warum?« fragte ich pikiert. – »Weil Sie Schuhe tragen, Herr! Wer Schuhe trägt, ist I. Klasse, auch wenn er II. fährt!« – »Wenn ich nun aber meine Schuhe ausziehe,« sagte ich und frohlockte eine Sekunde. »Auch der Besitz von Schuhen verpflichtet zur Zahlung der I. Klasse,« erwiderte der Beamte.«
»Zahlten Sie?«
»Ich?! – Ich wurde wütend, riß die Schuhe von den Füßen ... und warf sie in den See ...«
»Ausgezeichnet!« rief ich bewundernd und hob das Glas: »Eine wahrhaft preußische Tat!«