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In einer stillen, milden Mondnacht saßen wir auf dem Oberdeck und blickten träumerisch auf das golden schimmernde Meer ...
Ich hatte sie erst vor Tagen kennen gelernt, an der Reling, damals, als plötzlich eine Fontäne und gleichzeitig die Rückenflosse eines mächtigen Wales sichtbar wurden. Da waren wir miteinander bekannt geworden. Vorher hatten wir uns nicht bemerkt, denn wir saßen im Speisesaal an verschiedenen Tischen und unsere Kabinen befanden sich nicht auf dem gleichen Deck.
Sie machte fast keine Bewegung und mied die Sonne, die den Teint verdirbt, so ängstlich wie den Tabakrauch, der den hellen Klang der Stimme verdunkelt.
Aber nun kannten wir uns schon seit einigen Tagen, ich wußte aus der Passagierliste, wie sie hieß, daß sie nach Rio de Janeiro wollte, und ich wußte auch, daß sie jung war und schön ... Sie verstand nur portugiesisch – und ich hatte eben erst begonnen, diese Sprache zu erlernen.
Darum waren wir so schweigsam. Nur hie und da sagte ich ein passendes Wort. Und dann lächelte sie, wohl über meine harte Aussprache, und wenn sie lächelte, dann zeigte sie ihre beiden Reihen prachtvoller Zähne. Ich suchte krampfhaft nach Worten, die in die Situation paßten, denn ohne Worte, das empfand ich deutlich, können sich nur Menschen verstehen, die die gleiche Sprache sprechen ...
Seltsam war das Lächeln der fremden Frau in jener Nacht. Es lag etwas Schwermütiges in ihrem Ausdruck, aber merkwürdigerweise nur, wenn sie lächelte. Sonst verliehen der gelangweilte Zug um die Mundwinkel und eine gewisse Starrheit, die von Puder und Schminke noch gefördert wurde, ihrem Gesicht das Aussehen eines Öldruckes, wie er, in vielen Exemplaren hergestellt, die Zimmer der Bürger schmückt. Aber in ihrem Lächeln, das von Starrheit und Zwang ganz frei war, das so gar nicht an den stereotypen Ausdruck der Nordamerikanerinnen gemahnte, lag etwas bezwingend Verheißendes und doch unnahbar Fremdes, lag Ermunterung und Abweisung zugleich. Solange sie nicht lächelte, war sie die gewöhnliche Öldruckmadonna, die nichts Aufregendes an sich hat, aber eben darum die Verlockung schürt, das ewig glimmende Lämpchen zur verzehrenden Flamme zu entfachen.
Ich konnte mir den schwermütigen Ausdruck, der in dem Lächeln der Brasilianerin lag, nicht erklären.
Sie wird sehnsüchtig sein, etwa wie ein Vogel, der seine Heimat im Herbst verlassen hat und nun wieder heimwärts fliegt, sagte ich mir. Alle Äußerungen eines scheinbar so primitiven, aber eben deshalb rätselhaften weiblichen Wesens versuchte ich aus dem Triebleben abzuleiten und zu erklären. Aber was wußte ich von dem Triebleben einer Brasilianerin? Und was weiß ein Mann überhaupt von einer Frau?
Warum steht er ratlos – und doch überlegen der Frau gegenüber?
O – meine Überlegenheit, damals, sie bestand nur darin, daß es in meiner Macht lag, das rätselvolle, schwermütige Lächeln auf das Gesicht der fremden Frau und damit alle Illusionen, zu denen solche Nachbarschaft berechtigt, hervorzuzaubern. Und schließlich, als wir die halbe Nacht hindurch nebeneinander gesessen, sagte ich mir, es sei dieses schweigsame Beisammensein vielleicht schöner gewesen, als wenn uns die Sprache als einfaches Verständigungsmittel zur Verfügung gestanden wäre, als wenn wir über nichtige Dinge, wie Kleider, Essen und Fragen der Gesellschaft, gesprochen hätten oder vielleicht über uns selbst ...
Am nächsten Vormittag begegnete ich ihr auf dem Promenadedeck. Sie flirtete eben mit einem jungen Portugiesen, ich mit einer Berlinerin und wir lächelten einander freundlich zu. Nun, bei Tageslicht, war in ihrem Lächeln weder Versuchung, noch Verheißung oder Schwermut; aber ein feiner, deutlich fühlbarer Spott.