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Schwarze Liebe.

Wer den Fahrstuhl benützt, gelangt in ein paar Minuten aus der Unterstadt Bahias auf den hochgelegenen, terrassenartigen Platz mit den stolzen Regierungsgebäuden. Von dem Geländer aus massigem Granit bietet sich dem Besucher ein prachtvoller Fernblick über die weite Bucht und den von großen und kleinen Dampfern und vielen Segelbooten belebten Hafen.

Ich biege von der Hauptstraße, die den großen, sauberen Platz überquert, in eine der zahlreichen Seitengassen ein, die ausschließlich von Negern bewohnt sind; denn Bahia, die brasilianische Tropenstadt, ist fast ganz »schwarz«.

Die Laden der glaslosen Fenster und auch die Türen der zweistöckigen, schmutzigen Häuser stehen offen. Ein übler Fäulnisgeruch verpestet die Luft in den Gassen. Auf den schmalen, löchrigen Gehsteigen sitzen alte Negerweiber und bieten Zuckerrohr, Bananen, Backwerk und selbstgefertigte Zigarren feil. Magere Kinder spielen nackt oder nur mit ein paar Fetzen bekleidet, im Straßenstaub. Die schwarzen Handwerker – Schuster, Schneider, Faßbinder, Korbflechter, Erzeuger von Hängematten – arbeiten im Freien vor ihren Werkstätten, denn Dunst lagert über der Stadt und in den Wohnungen ist die Luft unerträglich schwül.

Die wenigen fleißigen Leute und die vielen herumlungernden sehen auf: Dort geht ein Fremder! Was will er hier? Es ist die unausgesprochene Frage, die aus allen schwarzen Gesichtern, in die ich sehe, deutlich zu lesen ist.

Nun bin ich im Viertel der Ärmsten. Aussätzige hocken und liegen herum. Ihre eiternden Wunden sind mit schmutzigen Tuchstreifen verbunden. Aber Nahrungssorgen gibt es selbst hier nicht, denn die bescheidenen Bedürfnisse werden von den überreichen Tropen freigebig erfüllt.

Kleine Münze ist hier Vermögen. Das Tabakblatt ein Geschenk. Ein Stückchen Zuckerrohr Luxus.

Ich trete in ein kleines Kaffeehaus. Ein paar Tische stehen darin und an jedem zwei wacklige Sessel. Ein ältlicher Neger sitzt auf der Schwelle des schmutzstarrenden Lokals. Es ist der Wirt.

Er erhebt sich, weil ich eintreten will. Doch grüßt er nicht. Auch fragt er nicht nach meinem Begehren.

Ich lasse mich an dem ersten Tisch nieder und überlege, was ich bestellen soll. Kaffee? ... Unmöglich. Die Tassen stehen ungewaschen auf einem schmierigen Brettergestell. Mineralwasser? ... und aus der Flasche trinken wie schon einmal in einer ähnlichen Spelunke im Negerviertel von Neuyork?

Da entdecke ich einen Haufen Kokosnüsse in der hintersten Ecke.

Natürlich bestelle ich »coco«.

Der Wirt nimmt meine Bestellung entgegen, ohne sich nach mir umzudrehen. Gemächlich holt er eine Nuß, von deren Umhüllung die Fasern bereits entfernt worden sind, köpft die große, unreife, noch fleischlose Frucht mit dem Messer, wirft ein Stück Eis in die Kokosmilch und steckt einen Strohhalm hinein. Auf dem Teller, den er mit dem Rockärmel flüchtig reinigte, serviert er die Landesfrucht, nachdem er die Tischplatte mit dem anderen Ärmel zartfühlend abgewischt hat.

Das war nötig; denn nebst zahllosen kleinen Ameisen, bevölkerten den Tisch eine große, bunte Raupe und zwei Käfer; dazu gab es noch etliche Fliegenleichen.

Nun kann ich meine zoologischen Studien unterbrechen und, während ich das erfrischende Getränk durch den Halm schlürfe, ungestört die Straße betrachten.

Da gibt es vor allem etwas, das mich an jene glücklichen Kindertage gemahnt, als ich zum erstenmal vor dem Affenkäfig im Schönbrunner Tiergarten stand und zusah, wie eine Affenmutter ihr Junges lauste. Hier sind es zwar keine Affen, die sich ihrer unliebsamen Zaungäste erwehren, und es ist auch nicht die Negermutter, die den kleinen Negerjungen laust, sondern das zärtliche Schwesterlein, ein schwarzes, nein, ein kohlrabenschwarzes, nein – ein Mädchen so schwarz, als hätte sie ihr junges Leben lang alltäglich in schwarzer Tusche gebadet.

Sie ist nicht älter als dreizehn und blitzsauber. Warum soll ein schwarzes Mädchen nicht auch blitzsauber sein können? Solange ihre Haut in reinem Schwarz erglänzt, ist sie ebenso sauber wie das weiße Mädchen, wenn deren Haut weiß ist. Und nirgends, aber auch nirgends bemerke ich bei dem niedlichen Negermädchen einen weißen Schmutzfleck. Nur ihre Zähne sind schneeweiß und dies ist auch bei einem Negermädchen ebenso in der Ordnung wie bei allen blitzsauberen Mädels in der ganzen Welt.

Es ist ein durchaus ästhetischer Anblick, wie sie auf der Schwelle ihres elterlichen Hauses neben ihrem Brüderlein sitzt, das den Kopf in der Schwester Schoß versenkt hat, und wie sie nun in rührender Zärtlichkeit ein Tierchen nach dem anderen aus dem verfilzten Schopf des Bengels herausholt.

Aber ich bemerke auch, daß der Bruder gelegentlich mißmutig mit dem Kopf schüttelt, als wäre er mit der Leistung der Schwester recht unzufrieden. Er ist undankbar wie alle Brüder, muß ich denken. Doch bald entdecke ich, daß der Junge nicht ganz unrecht hat.

Kokettiert das hübsche Schwesterlein nicht mit dem großen, häßlichen Schuster vor dem Nachbarhause?

Der Schuster ist ein eckiger, starker Negerbursche, mit breiter, kurzer Afrikanernase. Aber er ist – schmutzig. Garstige, lichte Flecken prangen auf seiner Brust, die aus dem noch niemals gewaschenen, offenen Hemd hervorlugt. Die Arme sind geradezu scheckig. Und auf der linken Backe gibt es etwas Unerhörtes: eine weiße Stelle, die entweder von Brotteig oder Mehl herrührt.

Dieser schmutzige Kerl und das blitzsaubere Mädchen ... es ist nicht auszudenken! Aber meine Beobachtung dürfte doch richtig sein, denn das immer heftiger protestierende Brüderlein verrät, daß nicht bloß die Gedanken der Schwester längst von den ihm lästigen Läusen abgelenkt worden sind, sondern auch die Blicke, die, statt in dem Urwald seines krausen Köpfchens das räubernde Wild zu suchen, immer länger und zärtlicher bei dem großen, starkknochigen Schuster verweilen.

Dreizehn sie, vielleicht siebzehn er! Der haarige Urwald auf des geplagten Brüderleins Haupt ist dicht und das Wild zahllos. Was will sie von dem Schuster?

Die große bunte Raupe hat meinen Tisch wieder erklommen und beansprucht meine Aufmerksamkeit. Nicht lange: aber, wie ich aufsehe ... ist das Mädchen verschwunden. Und der Schuster? Wo steckt der Schuster?

Sein Schemel steht leer.

Der kleine Negerjunge heult. Und er schlägt wild um sich, als wollte er die Ungetreue prügeln.


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