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An dem Rancho vorbei zieht träg der Fluß. Die Krokodile ruhen noch in dem sumpfigen Bett. Reiher und Enten schlummern im Schilf der Ufer.
Nur die zwei Pfefferfresser auf dem Baum über mir sind schon munter. Ihr schwarzes Gefieder glänzt wie Tau. Die mächtigen Schnäbel blinken grell in den ersten Strahlen der Sonne.
Hundert Schritt vom Rancho beginnt der Urwald.
Hundert Schritt – und die gewohnte Welt hört auf.
Ich breche in die Wand aus Gebüsch und Zweigen ein Tor – und trete ein.
Noch drang der neue Tag nicht in dieses dunkle Reich.
Mein Fuß streift an spitze Kakteen; Dornen ritzen die Hände; Lianen umschlingen den Leib.
Der Busch wehrt sich gegen meinen Besuch. Doch freventlich störe ich die heilige Ruhe und dringe auf einem Wildwechsel vor, der die Tiere zur Tränke führt.
Büchse und Pistole sind meine treuen Begleiter.
Ich kam nicht als Jäger, nahm Waffen nur zur Notwehr; denn Wildschweine hausen in diesen Wäldern, Jaguare, Affen und riesige Schlangen.
Das Leben wird wertvoll, wenn es Gefahren umlauern.
Aber seit ich im Wald bin, spüre ich das Jagdfieber im Blut und ich bin heftig erregt. Mich packt die Lust, meine Kräfte mit den Kreaturen der Welt zu messen, in die ich mich drängte.
Verächtlich blicke ich auf den stählernen Gewehrlauf, der im Düster silbrig schimmert – aber meine Fäuste umschließen den Kolben fester, klammern sich an ihn ...
Einer im Urwald allein, der sich der Überlegenheit menschlichen Verstandes bewußt ist, wird sich nicht fürchten, auch wenn er zittert; sein Zittern ist nur ein Ahnen jener Gefahren, die außerhalb der Reichweite seines Gewehres drohen; Furcht dagegen ist die feige Scheu vor dem erreichbaren Feind.
Ich fürchte mich nicht; aber ich zittere ...
Es ist etwas Wunderbares um solches Erbeben bei morgendlichem Pirschgang im Busch. –
Der Pfad wird breiter; der Wald heller ...
Ich stehe vor einem winzig kleinen See.
Aufgescheuchtes Wild flüchtet nach allen Seiten; der Kopf eines Alligators verschwindet geräuschlos; ein paar Wasservögel flattern schwerfällig auf nahe Äste – von dort blicken sie mich neugierig oder ängstlich an; ein Adler sitzt in vornehmer Ruhe auf seinem hohen Zweig und sieht stolz herab auf alles niedre Getier.
Unbekümmert spielen die Affen, knabbern die Papageien ...
Nah' an mir vorbei wechselt ein Reh.
Drei Aasgeier hocken dicht nebeneinander auf einem gestürzten Baum. Sie strecken ihre häßlichen, kahlen Hälse nach mir.
Totengräber ... Des verendeten Tieres ... des sterbenden Menschen Schicksal.
Und ihr eigenes.
Eine große Wasserschlange gleitet in Serpentinen über den See. Ihr schlanker Körper ist dunkel wie das Gewässer; nur die Zeichnung des Rückens und der züngelnde Kopf sind erkennbar.
Auf einem schwimmenden Blatt sitzt ein kleiner Vogel. Er hat gelbe Stelzen und ein schneeig weißes Gefieder. Er nippt von dem Wasser, hebt den Kopf und läßt den Tropfen durch die Kehle gleiten.
Das weiche Erdreich der Ufer ist mit Fährten übersät; denn zu diesem See kommt alles Getier, das den Busch bewohnt; und bisweilen wohl auch der benachbarte Mensch mit der Waffe.
Er ist nicht denkbar ohne sie; und das Paradies nicht ohne ihn.
Doch ich lehne mein Gewehr an einen mächtigen Stamm. Meine Kampflust ist geschwunden. Der Friede, der mich umfängt, ist auch in mir.
Die Sonne steht im Zenith.
Es ist heiß, die Moskitos umschwirren mich und die Zecken bohren sich in meine Schultern.
Ich verträume einen halben Tag an dem kleinen Waldsee.
Dann gehe ich zu dem Rancho zurück.
Ohne Beute.
Aber auch ohne jedes Verlangen nach ihr.