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Marcelina ist eine waschechte Paraguayerin. Auf einer Jagd in den östlichen Ausläufern des Chaco, während einer Rast, hat mir ein befreundeter deutscher Arzt, der Marcelina schon lange kennt, viel von ihr erzählt; auch die Geschichte von ihrem Papagei, der sehr alt war, vielleicht älter als sie; und sie zählte immerhin schon über achtzig Jahre.
Pedrito, der Papagei, gehörte zu jener gewöhnlichen, rötlichgrünen Abart, die hier zu Tausenden vorkommt und morgens, wenn der Jäger durch das Holz birscht, ihm nur Ärger bereitet. Große Scharen dieser Papageienrasse vergnügen sich in dem Geäst der Baumriesen und erfüllen den sonst so stillen Wald mit ihrem schrecklichen Gekrächz.
Aber gezähmt ergötzen sie jung und alt und sind in vielen Ranchos anzutreffen. Dort ist ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort ein schwebender, an dem Vordach befestigter Ring. Hie und da unternimmt der Hauspapagei einen Ausflug zu seinen Stammesgenossen in den benachbarten Busch, doch kehrt er immer bald wieder in die menschliche Gesellschaft zurück.
Marcelina liebte ihren Pedrito und deshalb gefiel es ihr, ihn zu necken. Sie war, wie alle Paraguayerinnen, eine leidenschaftliche Matetrinkerin und Zigarrenraucherin. Wenn sie in besonders guter Laune war, blies sie, in ihrer Hängematte schaukelnd, dem Liebling – nicht boshaft, sondern aus Zärtlichkeit – dicke Rauchwolken ins grimmige Angesicht.
Um den Liebkosungen der Alten zu entgehen, versetzte der Vogel seinen Ring in Schwingungen; aber der Ring pendelte schneller als die Hängematte; und so kamen die beiden einander immer wieder nahe. Der alte Papagei überschüttete die alte Frau mit bösen Schmähungen. Aber sie kümmerte sich nicht darum. Nachher fraß er ihr doch wieder aus der Hand. Er liebte sie wohl auch; und ein verliebter Papageiengreis ist nicht anders oder klüger als der Mensch.
So verlebten die zwei Alten viele Jahre miteinander und sie sahen Kinder und Enkel und schließlich auch die Enkelskinder heranwachsen; denn die Fruchtbarkeit ist groß in diesem gesegneten Land. Aber sie blieben immer in ihrem winzigen Rancho und die anderen zogen fort und bauten neue Ranchos und schließlich bevölkerte Marcelinas Geschlecht die ganze Umgebung.
Die Alte kannte die zahllosen unehelichen Sprößlinge ihrer Nachkommen ebenso genau wie die zahlreichen ehelichen. Sie war die lebende Familienchronik und sie freute sich über jeden neuen Zuwachs.
Aber Pedrito freute sich nicht; denn bei solchen frohen Ereignissen kam die Frau immer die seltsame Lust an, ihn mit dem Rauch ihrer Zigarre zu quälen.
Der Papagei rächte sich für die ihm liebevoll bereiteten Qualen stets an irgendwelchen unschuldigen Objekten. Entweder stieß er den frisch aufgefüllten Matebecher um, sodaß sich der grünliche Brei über den lehmigen Fußboden ergoß, oder er zwickte den nächsten besten in den Arm, ohne dem Betroffenen jemals vorher feindselig gesinnt gewesen zu sein. Das war auch wieder eine durchaus menschliche Eigenschaft des alten Knaben, der sich durch das lange Zusammenleben mit Marcelina in papageienhaftem Nachäffungstrieb die Psyche der Menschen völlig einverleibt hatte.
Eines Tages, als die alte Frau matetrinkend und zigarrenrauchend in ihrer Hängematte lag und schmunzelnd dem Treiben des prächtigen Perlhahnes zusah, der einen schwächlichen Rivalen von den Hühnern abdrängte, kam ein mittelgroßer, kräftiger Mann auf den Rancho zu. Er trug nur Hemd und Hose, aber rechts steckte zwischen Gürtel und Brust das riesige Messer in lederner Scheide und links hing die gewaltige Pistole. Ein großer Hut, aus Binsen geflochten, bedeckte einen markanten, struppigen Schädel.
Der Mann setzte sich ohne Gruß auf einen Baumstumpf und suchte in seinen Taschen, bis er eine Zigarre fand, die er an einem glimmenden Span aus dem nie völlig erlöschenden offenen Feuer entzündete.
Marcelina hatte den Besucher längst bemerkt, aber sie wendete sich ihm erst jetzt zu und sagte, mit ihren Gedanken noch bei den Hühnern, in der Sprache ihres Volkes, dem Guarani: »Wenn ich das nächste Mal auf den Markt fahre, nehme ich den Kleinen mit; sonst hackt ihn der Große noch tot.«
Und sie lachte fröhlich, tat einen tiefen Zug aus ihrer Zigarre und blies, schaukelnd, dem Hausfreunde den Rauch mitten ins überraschte Papageiengesicht.
Auch der Gast lachte, als er den erschrockenen Vogel sah und ihn nun wütend schimpfen hörte. Er schnitt von dem Zuckerrohr, das an der aus Palmenstämmen lose gefügten Wand lehnte, einige Stücke ab, nachdem er das Rohr vorher durch sicher geführte Längsschnitte sorgfältig entschält hatte. Ein Stück nahm er selbst und sog daran. Ein zweites gab er Pedrito, der hastig danach griff und eifrig zu raspeln begann, aber dem Spender nur mit einem bösen Blick dankte. Es schien nicht leicht, ihn zu versöhnen.
Der schweigsame Besucher war einer der vielen Enkel Marcelinas. Sie hatte ihn wegen seiner besonders eifrigen Sorge um den Nachwuchs sehr in ihr Herz geschlossen. Und immer, wenn er vom anderen Ufer des Flusses, wo er eine Bananen- und Maniokpflanzung betrieb, herüber kam und die zwei Wegstunden nicht scheute, um die Alte zu besuchen, brachte er gute Nachrichten. Darum wußte sie, daß es heute ebenso sein würde, obgleich er bisher noch nicht gesprochen hatte.
Endlich meldete er die glückliche Niederkunft seiner Frau. Er konnte sich zwar nicht mit Zwillingen rühmen, wie im vorigen Jahr, aber der neue Ankömmling war immerhin der zehnte der ersten zehn.
Marcelina glänzte vor Freude. Sie erhob sich flink aus ihrer Hängematte, schöpfte aus einem verrußten Blechtopf, der über dem Feuer hing, heißes Wasser und goß es in das Trinkgefäß. In diesem befand sich genügend Yerba für das kräftige Getränk, das auch bei dem üblichen häufigen Nachgießen von Wasser nur wenig von seinem wunderbaren Aroma verliert.
Die alte Frau steckte ein Saugröhrchen aus vernickeltem Blech in den Mate, sog prüfend daran und reichte ihn dem rasch zugreifenden Gast.
Sie sprach kein Wort; sondern nahm eine neue Zigarre zwischen die blassen, schmalen Lippen, die sich von dem gelblichen Gesicht nicht merklich abhoben.
Und sie stand eine Weile rauchend und schweigend und wartete, bis sie den Mate wieder auffüllen durfte ... Plötzlich warf Pedrito, der eben mit seinem Zuckerrohr fertig geworden war, ihr die zerfetzten Reste ins Gesicht.
Sie lächelte und hüllte den Schelm in dichten Rauch.
Wild krächzte der Papagei. Er schlug heftig mit den Flügeln, hüpfte auf die Schulter des Mannes und hieb mit dem scharfkantigen Schnabel wütend auf dessen Arm los.
Übermütig lachte die Alte.
Der Überfallene versuchte, Pedrito abzuschütteln – vergeblich. Da packte ihn der Jähzorn, er griff nach dem Messer ...
Wenn der Paraguayer nach dem Messer greift, ist im gleichen Augenblick einer tot.
Die Alte wehklagte. Sie weinte und schrie. Ihr Papagei war gemordet!
Von allen Ranchos, die rundum lagen, kamen die Kinder und die Enkel und Enkelskinder. Und alle trauerten, weil Marcelina trauerte, und die Frauen weinten, weil Marcelina weinte; denn man hat hierzulande noch ein empfindsames Herz für alles Leid.
Das Weinen und die Trauer wollten einen ganzen Abend lang kein Ende nehmen.
Dem glücklichen Vater, der das Unglück ins Haus gebracht, zürnte Marcelina nicht. Und doch war er von Scham, Demut und Angst erfüllt, wie es sich für einen schuldbewußten Mörder geziemt. Er blieb über Nacht im Hause und er blieb auch noch an dem folgenden Tag.
Da war alles wieder gut.
Die Alte lag in ihrer Hängematte, rauchte ihre Zigarre und schlürfte Mate: Und sie freute sich, daß sie von dem schrecklichen Gekrächz des Papageien nicht gestört wurde.
Der reuige Enkel aber richtete das Mahl. Und weil das Vogelfleisch ein feiner Leckerbissen ist, briet er den Papagei.
Marcelina roch den verheißenden Duft und freute sich.
Sie nahm das feiste Schenkelstück, das so recht knusperig war, und biß hinein.
»Was für ein zartes Fleischchen er hat! Niemals hätte ich's von dem Alten geglaubt!« rief sie erstaunt.
Und dann verspeiste sie ihren geliebten Pedrito mit gutem Appetit.