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Das Meer liegt still wie sonst; fast spiegelglatte Fläche ... Plötzlich reitet Woge um Woge in die Bucht von Rio de Janeiro und pocht an den Granit der Molen.
Ohne merkbaren Übergang ist die Springflut da.
Die stürmenden Reiter stürzen sich auf den von Menschenhand gefügten Wall, sie prallen ab an dem felsigen Bau und fluten geschlagen zurück. Doch neue Schwadronen strömen heran, in unübersehbarer Menge: die erste netzt bloß die Mauer; die hundertste lockert den Stein; aber die tausendste reißt ihn, flüchtend, mit sich.
In die Scharte des Walles bricht nun das Meer; mit der Gewalt seiner Fläche hebt es mühelos Tonnengewichte und wirft sie auf die Straße, die den Strand entlang läuft, oder schluckt den behauenen Felsen mit Gier.
Bald klaffen breite Wunden in dem Geländer. Eiserne Laternen sind geknickt und Palmen zersplittern.
Und das Meer tobt und vervielfacht die Wucht. Aus seiner Tiefe springen die Fluten, sie fegen über die schartigen Molen hinweg und weit über die Straße.
Das Meer in Aufruhr! Springflut an der Avenida! In respektvoller Entfernung drängt sich das Volk um den Strand.
Das Schauspiel ist schaurig. Ungeheure Opfer fordert der launische Gott.
Der Andrang wächst von Stunde zu Stunde. Noch in später Nacht stehen die Massen in stummem Bewundern – und trauern.
Auch ich bleibe die halbe Nacht auf dem Kai und kann mich nicht sattsehen; stehe neben einer breitstämmigen Palme, hinter welcher ich Schutz vor dem Sprühregen finde, wenn er sich allzuweit vorwagt.
Eine riesige Wolke hängt schwarz, unheimlich schwarz, über der Bucht; wie auf durchsichtiges Pergament gemalt. Die leichte Brise nagt an den Umrissen des formlosen Ungeheuers.
Zwischen den Wolkenfetzen, die sich allmählich von dem gewaltigen Rumpf loslösen, schimmert rötlich der Mond. Und mit einem Male tritt er ganz hervor, groß und rund, lichtvoll – lächelnd.
Gespenstisch wächst aus den tiefschwarzen Wogen, von mystischem Licht übergossen, eine Felsenstadt mit Türmen und Kuppeln, mit Riesen und Zwergen. Seltsam umrauscht die Brandung eine phantastische Welt.
Zauberhaft ist diese Nacht in den Tropen.
Auch an dem folgenden Tage setzt das Meer sein Zerstörungswerk fort. Weite Strecken der Strandavenida sind verwüstet.
Aber der Mensch gewöhnt sich rasch an ein unabwendbares Unglück und nimmt es ohne Empörung hin.
So ist auch heute wieder Alltag und die treibenden Kräfte, die das Volk noch immer zu den Molen zwingen, sind nur mehr die Schaulust und Neugier.
Aber erst um die Mittagsstunde erreicht die Springflut ihren Höhepunkt. Mächtige Wogen setzen baumhoch über die Ruinen des Walles und stürzend zerschellen sie auf dem Asphalt. Die Straßen werden zu Flüssen; zu Inseln die Bäume.
Vom neuen bannt das entfesselte Meer die Seele der Massen, die das Ereignis schauen und in erneuter Erregung der kühnen Musik des wilden Wellenschlags lauschen. Fast regungslos steht Mensch neben Menschlein auf überhöhtem Terrain.
Auf einmal kommt Bewegung in die Menge. Was geschah? Schlug eine Welle auf die arbeitenden Soldaten nieder, die kostbares Material, das halb schon verloren, mühsam zu retten versuchen? Oder erstickte die Flut den Mann, der, selbstlos sich opfernd, eiserne Ketten um die Reste der Brüstung schlang?
Nein – nichts von all' dem. Nur einer Ratte, einer gewöhnlichen, armseligen Ratte gilt das Interesse der Menschheit, jener andächtigen, befangenen, wie sie die Kirche sonst füllt.
Die Ratte, auf der Flucht vor dem Meer, das sie bedrängt, wählt die Richtung der Menschen.
Schwimmend erreicht sie das überhöhte Terrain.
Einer springt vor. Mit dem Fuß schleudert er das Tier wie einen Ball in das Volk.
Das Spiel beginnt. Und wie jedes Spiel, wird es zum Kampf für die Masse.
Ein lebendes Tier als Fußball! Schon der Gedanke entzündet das Kollegiale im Menschen.
So entsteht nun ein wüstes Gedränge. Und bald übertönt ein Freudengeheul das wilde Rauschen des Meeres. – – –
Die Menschheit bleibt Sieger; im Kampf mit der Ratte.