Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Ausklingen und Ende

»So schließt Waltharis Lied.« – Er hat brav gesungen, unser Einsiedel Ekkehard, und sein Waltharilied ist ein ehrwürdig Denkmal deutschen Geistes, die erste große Dichtung aus dem Kreis heimischer Heldensage, die trotz verzehrendem Roste der Zeit unversehrt der Nachwelt erhalten ward. Freilich sind andere Töne darin angeschlagen, als in den goldverbrämten Büchlein, die der epigonische Poet ausheckt, – der Geist großer Heldenzeit weht drin, wild und fast schaurig, wie Rauschen des Sturmes im Eichwald, es klingt und sprüht von Schwerteshieb und zerspelltem Helm und Schildrand ein Erkleckliches, und ist von minniglichem Flötenton so wenig zu verspüren als von angegeistetem Schwatzen über Gott und die Welt und sonst noch einiges: riesenhafter Kampf und riesenhafter Spaß, altes Reckentum in seiner schlichtfürchterlichen Art, ehrliche fromme schweigende Liebe und echter dreinschlagender Haß, das waren Ekkehards Bausteine; aber darum ist sein Werk auch gesund und gewaltig worden und steht am Eingang der altdeutschen Dichtung, groß und ehrenfest wie einer jener erzgewappneten Riesen, die die bildende Kunst späterer Zeiten als Torhüter vor der Paläste Eingang zu stellen pflegt.

Und wen die Herbigkeit alter, oft schier heidnischer Anschauung unlieblich anmuten möchte, gleich einem rauhen Luftzug an den Dünen des Meers, draus der frackumhüllte Mensch Erkältung schöpft und ein Hüstlein, der möge bedenken, daß einer das Lied sang, der selber in der Hunnenschlacht gefochten, und daß er's sang, die Locken umsaust vom Winde, der über die Schneefelder des Säntis gestrichen, viel hundert Klafter über den Niederungen des Tales, die Wolfshaut zum Mantel, den Felsblock der Höhle zum Schreibtisch, die Bärin zum Zuhörer.

Es ist schade, daß die neckenden Geister und Kobolde schon lange ihr frohsames Handwerk eingestellt haben, sonst möcht' es manch einem Schreibersmann unserer Tage nicht ungedeihlich sein, wenn ihn plötzlich unsichtbare Hände vom Mahagonitisch hinwegtrügen auf die grünen Matten der Ebenalp; – dort droben, wo der alte Mann in seiner Berggewaltigkeit dem Poeten in das Konzept schaut, wo die Abgründe gähnen, der Donner zwölffältig durch die Schluchten rollt und der Lämmergeier in einsam stolzem Kreisen dem Regenbogen zufliegt, dort muß einer etwas Großes, Kerniges, Bärenmäßiges singen oder reuig in die Knie sinken wie der verlorene Sohn und vor der gewaltigen Natur bekennen, daß er gesündigt. – –

Unsere Erzählung neigt sich zum Ende.

Es wär' ihr vielleicht ein Gefallen geschehen, wenn Ekkehard jetzt nach Vollendung seines Sanges eines sänftlichen Todes verblichen wäre: das hätte einen gar rührenden Schluß gegeben, wie er oben vor seiner Höhle gesessen, den Blick nach dem Bodensee, die Harfe an den Fels gelehnt, die Pergamentrolle in der Rechten, und das Herz wär' ihm gebrochen, und es hätt' sich ein schön Gleichnis daran geknüpft, wie der Sänger vom Lodern des Geistes in ihm aufgezehrt ward und dahin starb, gleich der Kerze, die zur Asche sich verzehrt, eben da sie Licht gewährt, – aber den Gefallen erwies Ekkehard seinem Angedenken bei der Nachwelt nicht.

Echte Dichtung macht den Menschen frisch und gesund. Und Ekkehards Wangen hatten sich in währender Arbeit strahlend gerötet, und es war ihm so wohl geworden, daß er oftmals den Arm ausreckte, als woll' er einen Wolf oder Bären mit einem Schlag der Faust niederschmettern. Wie aber sein Walthari durch Not und Todeswunden glücklich zu Ende geführt war, da jubelte er, daß die Tropfsteine in seiner Höhle verwundert einander zublinzeln mochten, den Ziegen im Stall warf er eine doppelte Atzung an Futter zu, dem Handbuben aber übermachte er etliche Silberpfennige, daß er hinübersteige als Botenknabe nach Sennwald im Rheintal und einen Schlauch rötlichen Weines beschaffe. Es war damals wie jetzt: Ist das Buch zu End' gebracht, der Schreiber einen Freudsprung macht.Libro completo saltat scriptor pede laeto! Randbemerkung einer sanktgallischen Handschrift, mitgeteilt von I. v. Arx, Berichtigungen und Zusätze usw. p. 30.

Darum saß er abends auf der Ebenalp beim alten Senn und trank ihm tapfer zu und nahm ihm das Alphorn vom Nacken und trat auf ein Felsstück und blies nach dem fernduftigen Hegauer Berggipfel hinüber, frohgewaltig, als woll' er die Herzogin herausblasen auf den Söller, und Praxedis dazu, und wolle sie mit Lachen begrüßen.

Wenn ich wieder auf die Welt käme, sprach er zu seinem Freund, dem Alpmeister, und hätte vom Himmel herniederzufallen und die Wahl wohin, ich glaube, ich ließ mich zum Wildkirchlein fallen und nirgend anders hin.

Ihr seid nicht der erste, antwortete lachend der Alte, dem's bei uns wohl behagt hat. Wie der Bruder Gottschalk noch lebte, sind einmal fünf welsche Mönche heraufgekommen zum Besuch, die haben ein besseres Weinlein mitgebracht, als das von Sennwald ist, und sind drei Tage oben geblieben und haben Sprünge gemacht, daß ihnen die Kutten zu Häupten flogen; erst wie es wieder bergab ging, haben sie das Antlitz in die gehörigen Falten gelegt, und einer hat noch eine lange Rede an unsere Herden gehalten. Ihr guten Ziegen, seid verschwiegen, der Abt von Novalese braucht nichts von unserer Geister Entrückung zu wissen.

Aber stehet mir einmal Rede, Bergbruder, was habt Ihr in diesen letzten Tagen so geduckt in Eurer Höhle zu sitzen gehabt? Ich hab' Euch wohl gesehen, wie Ihr viel Hakenfüße und Runen auf Eselshaut gezeichnet, Ihr habt doch keinen bösen Zauber vor gegen unsere Herden und Berge? Sonst... er sah ihn drohend an.

Ich hab' ein Lied aufgeschrieben, sprach Ekkehard.

Der Senn schüttelte das Haupt.

Das Schreiben! das Schreiben! brummte er. Mich geht's nichts an, und der hohe Säntis wird, so Gott will, noch auf Enkel und Urenkel herabschauen, ohne daß sie wissen, wie man Griffel und Feder handhabt, aber das Schreiben kann unmöglich vom Guten sein. Der Mensch soll aufrecht einhergehen, wenn er ein Ebenbild Gottes sein will, wer aber schreibt, muß sitzen und den Rücken biegen, ist das nicht das Gegenteil von dem, was Gott angeordnet? Also muß es vom Teufel kommen. Seht Euch vor, Bergbruder! und wenn Ihr mir noch einmal geduckt in Eurer Höhle sitzen wollet wie ein Murmeltier und schreiben – beim Strahl! ich fahr' Euch als Alpmeister dazwischen und reiß Euch Eure Blätter in Fetzen, daß sie der Wind verweht in die Tannenwipfel. Ordnung muß sein hier oben und einfach Wesen, wir leiden nichts Ausgespitztes!

Ich will's nicht wieder tun, sagte Ekkehard lachend und reichte ihm die Hand.

Der brave Alpmeister war am Sennwalder Rotwein warm geworden.

Und bei Donner und Blitz, schalt er weiter, was soll das heißen, ein Lied aufschreiben? Narrenpossen! Schreibt's einmal auf, wenn Ihr könnt!

Er hub einen Jodelgesang an in so unmoduliert gröblichen Naturlauten, daß auch das geübteste Ohr einen mit Wort oder Schriftzug darzustellenden Ton vergeblich darin zu entdecken vermocht hätte.

– – Zur selben Stunde saß zu Passau an der Donau im reblaubumrankten Gartenstüblein der Bischofspfalz ein Mann in der Frische sprossenden Mannesalters vor einem steingehauenen Tisch. Ein unnennbar feiner Zug lag um den von braunem Bart überdeckten Mund, üppige Locken wallten unter dem samtnen Barett herfür, seine dunkeln Augen folgten dem Zuge der schreibenden Rechten. Zwei blonde Knaben stunden neugierig an der hölzernen Armlehne seines Stuhles und schauten ihm über die Schulter... es war schon manch ein Blatt beschrieben von Fahrten und Stürmen und Not und tapferer Helden Tod – er schrieb jetzo am letzten. Und dauerte nicht lang, so tat er die Feder weg und trank einen langen tiefen ernsten Schluck ungrischen Weines aus dem spitzen Pokal.

Ist's jetzt fertig? sprach der eine Knabe.

Es ist fertig! nickte der Schreibersmann, alles fertig wie es sich hub und wie es kam und wie es ein bitter Ende nahm.

Er reichte ihm die Blätter, und jubelnd sprangen die Knaben zu ihrem Ohm, dem Bischof Pilgerim, und wiesen ihm die Schrift. »Und du selber stehst auch drin, teurer Oheim». riefen sie, »der Bischof mit seiner Nichte ritt auf Passau an – zweimal stehst du drin und dreimal!«

Und Pilgerim, der Bischof, strich seinen weißen Bart und sprach: Ihr dürft euch freuen, liebe Neffen, daß euch der Konrad die Mär gebrieft, und wenn der Donaustrom drei Tage und drei Nächte mit Gold fließen wollte, ihr möchtet nichts Kostbareres drin fischen, denn diesen Sang; das ist die größeste Geschichte, die auf der Welt je geschah.

Der Schreibersmann aber stund mit verklärtem Antlitz unter dem Rebgerank und Geisblattgewinde des Gartens und schaute in die welken roten Blätter, die der Herbst von den Zweigen geschüttelt, und schaute hinab in die flutende Donau, und im rechten Ohr hub sich ihm ein helles Klingen, denn zu derselbigen Zeit hatte Ekkehard auf lustiger Alpenhöhe eine hölzerne Schale mit Wein gefüllt und zum alten Senn gesprochen: Ich hab' einst einen guten Gesellen gehabt, einen bessern findet man in keines Herren Land, der hieß Konrad; und mit Frauenlieb und Weltruhm ist's nichts, aber der alten Freundschaft bleib' ich zu Dank verpflicht't bis in den Tod, Ihr sollt mit mir sein Wohl trinken, das ist einer, der würde dem Säntis Freud' machen, wenn er hier wäre! Und der Senn hatte die Schale geleert und gesagt: Bergbruder, ich glaub's Euch. Er soll leben!

Darum erklang dem Mann in Passau sein Ohr; er aber wußte nicht warum. Und sein Ohr klang noch, da kam der Bischof Pilgerim einhergewandelt, und hinter ihm brachte der Stallmeister ein weiß Rößlein, das war altersschwach und schäbig, und wenn man ihm näher ins Gesicht schaute, war's auch am linken Aug' blind, und der Bischof nickte mit seiner spitzen Inful und sprach gnädiglich: Meister Konrad, was Ihr meinen Neffen zuliebe geschrieben, sollt Ihr nicht umsonst geschrieben haben, mein erprobtes Streitroß sei Euer!

Da zuckte der Meister Konrad wehmütig lächelnd die feinen Lippen und dachte: Es geschieht mir schon recht, warum bin ich ein Dichter worden! laut aber sprach er: Gott lohn's Euch, Herr Bischof, Ihr werdet mir wohl ein paar Tage Urlaub schenken zum Ausruhen von der Arbeit.

Und er streichelte das alte weiße Rößlein und schwang sich darauf, ohne eine Antwort abzuwarten, und saß stolz und anmutsvoll im Sattel und brachte sein demütig Tier noch zu einem leidlichen Trab und ritt von dannen.

Ich will meinen besten Stoßfalken gegen ein Paar Turteltauben verloren geben, sprach der ältere der Knaben, wenn er nicht wiederum nach Bechelaren reitet zur Markgrafsburg. Er hat immer gesagt: So gut ich meinen gnädigen Herrn, den Bischof, ins Lied hineinsetze, kann ich auch der Frau Markgräfin Gotelinde und ihrer schönen Tochter drin ein Denkmal aufrichten; die danken mir's doch am feinsten!

Derweil war der Meister Konrad schon dem Tore der Bischofspfalz entritten; er schaute sehnsüchtig donauabwärts und hub an mit heller Stimme zu singen:

Da sprach unverhohlen derselbe Fiedelmann:
O Markgraf, reicher Markgraf, Gott hat an Euch getan
Nach allen seinen Gnaden, hat er Euch doch gegeben
Ein Weib, ein so recht schönes, dazu ein wonniglich Leben.
Und wär' ich nun ein König, fing er wieder an,
Und sollte Kronen tragen, zum Weibe nähm' ich dann
Eure schöne Tochter, die wünschte sich mein Mut,
Sie ist so süß zu schauen, so minniglich...

aber bei diesen Worten wirbelte ihm eine Staubwolke entgegen, daß seine Augen unfreiwillig in Tränen standen und sein Gesang verstummte.

Die Strophen waren aus dem Werke, wofür ihn der Bischof soeben gelohnt; das war ein Heldenbuch in deutscher Sprache und hieß: der Nibelungen Lied!...Es steht zu hoffen, daß die Hirngespinste einer zerstörungsfrohen Kritik, die sich wie am Homer so an den Nibelungen nicht eher erfreuen konnte, als bis sie in eine Anzahl von verschiedenen Sängern an verschiedenen Orten verfaßter Volkslieder auseinander genagt waren, seit Holtzmanns Untersuchungen über das Nibelungenlied (Stuttgart 1854) als beseitigt angesehen werden dürfen. Der Streit, der noch immer wider den guten Meister Konrad geführt wird, beweist, daß auf diesem wie auf andern Gebieten das Einfachste am schwersten Eingang findet.

– Mählich ging's in den Herbst hinein. Und wenn der auch abendlich ein glühender Rot an die Himmelswölbung malt als andere Jahreszeit, so kommen doch kühle Lüfte in seinem Gefolg, daß, wer festgesiedelt auf den Alpen, sich anschickt, zu Tal zu fahren, und kein Wolfspelz vor fröstelndem Klappern der Zähne schützt.

Frischer Schnee glänzte auf allen Kuppen und gedachte für dieses Jahr nimmer zu zergehen. Ekkehard hielt den Sennen die letzte Bergpredigt. Hernach streifte Benedicta an ihm vorbei. Jetzt ist's aus mit unserer Herrlichkeit da oben, sprach sie, morgen zieht Mensch und Tier ins Winterfutter. Wo geht Ihr hin, Bergbruder?

Die Frage fiel ihm schwer aufs Herz.

Ich bliebe am liebsten hier, sprach er. Benedicta lachte hell auf. Man merkt, sagte sie, daß Ihr noch keinen Winter oben versessen habt, sonst würd' es Euch nach keinem zweiten gelüsten. Ich möcht' Euch wohl sehen, eingeschneit im Bruderhäuslein, und die Kälte schleicht durch alle Ritzen, daß Ihr zittert wie ein Espenlaub, die Lawinen krachen rings umher und die Eiszapfen wachsen Euch in den Mund herein... Und wenn Ihr einmal zu Tal wollet und etwas zu essen holen, da liegt der Schnee haushoch auf dem Pfad, ein Schritt – und Ihr sinkt bis ans Knie ein, ein zweiter – traladibidibidib, so ragt nur noch die Kapuze hervor und man sieht von der schwarzen Kutte nicht mehr als von einer Fliege, die in die Milchsuppe gefallen ist... Und dieses Jahr hat's gar so viel Spiegelmeisen gehabt, das gibt einen strengen Winter! Hu, wie freu ich mich auf die langen Abende, da sitzen wir beim Kienspanlicht um den warmen Ofen und spinnen Flachs, das Rädlein knurrt, das Feuer brummt, und wir erzählen die schönsten Geschichten, und wer ein braver Bub ist, darf zuhören. Es ist schad, daß Ihr kein Senn geworden seid, Bergbruder, ich würde Euch auch mitnehmen zur Stubeten.

Es ist schade, sprach Ekkehard.


 << zurück weiter >>