Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Vierzehntes Kapitel

Die Hunnenschlacht

Karfreitagmorgen war angebrochen. Des Erlösers Todestag ward heute auf dem hohen Twiel nicht in der stillen Weise begangen, wie es der Kirche Vorschrift heischte. Des alten Moengal Ankunft hatte allen Zweifel gelöst, ob der Feind herannahe; noch in später Nacht hatten sie Kriegsrat gehalten und waren eins geworden, den Hunnen entgegen zu rücken und sie in offenem Feldstreit zu bestehen.

Trüb ging die Sonne auf, bald war sie wieder verhüllt. Sturmwind zog übers Land und jagte das Gewölk, daß es sich über den fernen Bodensee niedersenkte, als wenn Wasser und Luft eins werden wollten. Dann und wann schlug ein Sonnenstrahl durch; es war des Frühlings noch unentschiedener Kampf mit des Winters Gewalten. Die Männer hatten sich vom Lager erhoben und rüsteten zu des ernsten Tages Arbeit.

In seiner Turmstube ging Ekkehard schweigsam auf und nieder, die Hände zum Gebet gefaltet. Ein ehrenvoller Auftrag war ihm geworden. Er sollte zum versammelten Kriegsvolke die Predigt halten, bevor man auszöge zum Streit; da betete er um Stärke und mutigen Flug der Gedanken, daß sein Wort werde zum glühenden Funken, der in aller Herz die Flamme der Streitlust entfache.

Plötzlich tat sich die Türe seines Gemaches auf. Herein trat die Herzogin ohne Praxedis' Begleitung; einen faltigen Mantel hatte sie über das Morgengewand umgeworfen als Schutz gegen die Kühle der Frühstunde, vielleicht auch, daß sie den fremden Gästen unerkannt sein wollte, wie sie zum Turme schritt. Ein leicht Erröten überflog sie, wie sie allein ihrem jungen Lehrer gegenüber stand.

Ihr zieht heute mit in den Kampf? fragte sie.

Ich ziehe mit, sprach Ekkehard.

Ich würd' Euch verachten, müßt' ich eine andere Antwort hören, sprach die hohe Frau, – und ihr habt wohl vorausgesehen, daß es nicht notwendig, Urlaub von mir zu solchem Gang zu erbitten. Auch ans Abschiednehmen denkt Ihr nicht? fuhr sie mit leis vorwurfsvollem Ton fort.

Ekkehard stand verlegen. Es ziehen fürnehmere und bessere Männer heute aus Eurer Burg, sagte er; die Äbte und die Edeln werden um Euch sein, wie konnt' ich an besondern Abschied denken, auch wenn es... seine Stimme stockte.

Die Herzogin schaute ihn an. Beide schwiegen.

Ich bring' Euch etwas, das Euch im Kampfe dienlich sein soll, sprach sie nach einer Weile. Sie trug unter ihrem Mantel ein kostbar Schwert in reichem Wehrgehäng, ein milchweißer Achatstein erglänzte am Griff. Es ist das Schwert Herrn Burkhards, meines seligen Gemahls. Von allen Waffenstücken hielt er das am höchsten. Mit der Klinge lassen sich Felsen spalten, sie splittert nicht, hat er oft gesagt. Ihr sollt ihm Ehre machen!

Sie reichte ihm die Waffe dar. Ekkehard nahm sie schweigend hin. Schon trug er den Harnisch unter der Kutte, itzt schnallte er das Wehrgehäng um und fuhr mit der Rechten nach dem Schwertgriff, als stünd ihm bereits der Feind gegenüber.

Und noch etwas, sprach Frau Hadwig.

An seidener Schnur trug sie ein goldgefaßt Kleinod um den Hals, das zog sie aus ihrem Busen; es war ein Kristall, der einen unscheinbaren Splitter barg. Wenn mein Gebet nicht ausreicht, so mög' Euch die Reliquie Schutz verleihen. Es ist ein Splitter vom Heiligen Kreuz, das die Kaiserin Helena einst aufgefunden. Wo auch immer dies Heiligtum sein wird, da wird Friede sich einstellen und Mehrung des Anwesens und Gesundheit der Luft,.. ubicunque autem hae reliquiae fuerint, illic pax et augmentum et lenitas aëris semper erit. Annales San Gallens. major. bei Pertz, Mon. I. 71. so stand im Schreiben, mit dem der griechische Patriarch die Echtheit beglaubigte. Mög' es auch im Krieg Segen spenden!

Sie neigte sich, dem Mönch das Kleinod umzuhängen. Er beugte sein Knie; längst hing's um seinen Hals, er kniete noch. Sie streifte leicht mit der Hand über sein lockig Haar, ein Zug von Milde und Wehmut lag über ihrem strengen Antlitz – Ekkehard hatte vor dem Namen des heiligen Kreuzes sein Knie gebeugt, itzt war's ihm, als müsse er sich ein zweitesmal niederwerfen, niederwerfen vor ihr, die so huldvoll seiner gedachte. Aufkeimende Neigung braucht Zeit, sich über sich selbst klar zu werden, und in Dingen der Liebe hatte er nicht rechnen und abzählen gelernt, wie in den Versmaßen des Virgilius, sonst hätte er sich sagen mögen, daß, wer ihn aus des Klosters Stille zu sich gezogen, wer an jenem Abend auf Hohenkrähen, wer am Morgen der Schlacht so vor ihm stand, wie Frau Hadwig, itzt wohl ein Wort aus der Tiefe des Herzens, vielleicht mehr als ein Wort von ihm erwarten mochte.

Seine Gedanken jagten sich, alle Pulse schlugen.

Wenn früher etwas wie Liebe sich in ihm geregt, so war die Ehrfurcht vor seiner Gebieterin herangetreten, es zurückjagend wie der Sturm, der dem scheu zum Dachfenster herausschauenden Kind den Laden vor der Nase zuwirft. An die Ehrfurcht dachte er jetzt nicht, eher daran, wie er die Herzogin einst mit keckem Arm durch den Klosterhof getragen. Auch an sein Mönchsgelübde dachte er nimmer, es regte sich in ihm, als sollt' er ihr in die Arme fliegen und sie jauchzend ans Herz pressen – Herrn Burkhards Schwert brannte ihm an der Seite. Wirf ab die Scheu, dem Kühnen gehört die Welt! War's nicht so in Frau Hadwigs Augen zu lesen?

Er stand auf, stark, groß, frei – so hatte sie ihn noch nie gesehen... Aber es war nur eine Sekunde, noch war kein Laut vom Sturm des Herzens über die Lippen geflohen, da fiel sein Blick auf das dunkle Kreuz von Ebenholz, das Vincentius einst in seiner Turmstube aufgehängt: »es ist der Tag des Herrn und du sollst heute reden vor dem Volk!« – die Erinnerung an seine Pflicht schlug alles nieder...

Es kam einmal ein Frost am Sommermorgen und Halm und Blatt und Blüten wurden schwarz, bevor die Sonne drüber aufging...

Zag wie ehedem, ergriff er Frau Hadwigs Hand.

Wie soll ich meiner Herrin danken? sprach er mit gebrochener Stimme.

Sie schaute ihn durchbohrend an. Der weiche Zug war vom Antlitz entflogen, die alte Strenge lagerte wieder auf der Stirn, als wolle sie antworten: wenn Ihr's nicht wißt, ich werd's Euch nicht verkünden – aber sie schwieg. Noch hielt Ekkehard ihre Rechte gefaßt. Sie zog sie zurück.

Seid fromm und tapfer! sprach sie, aus dem Gemache schreitend. Es klang wie Hohn...

Kaum länger als einer braucht, um das Vaterunser zu beten, war die Herzogin bei Ekkehard gewesen, aber es war mehr geschehen, als er ahnen mochte.

Er schritt wieder in der Turmstube auf und ab; »du sollst dich selbst verleugnen und dem Herrn nachfolgen,« so war's in Benedikts Regel in der Zahl der guten Werke mit aufgezählt – er wollte schier stolz sein auf den Sieg, den er über sich errungen, aber Frau Hadwig war gekränkt die Stufen der Wendeltreppe hinabgestiegen, und wo ein hochfahrend Gemüt sich verschmäht glaubt, da sind böse Tage im Anzug.

Es war die siebente Stunde des Morgens, da hielten sie im Hofe von Hohentwiel den Gottesdienst vor dem Auszug. Unter der Linde war der Altar aufgeschlagen, die geflüchteten Heiligtümer standen drauf zum Trost der Gläubigen. Der Hof erfüllte sich mit Gewaffneten, Mann an Mann standen die Rotten der Streiter, wie Simon Bardo sie abgeteilt. Wie dumpf Gewitterrollen tönte der Gesang der Mönche zum Eingang. Der Abt der Reichenau, das schwarze Pallium mit weißem Kreuz übergeworfen, celebrierte das Hochamt.

Hernach trat Ekkehard auf die Stufen des Altars; bewegt gleitete sein Auge über die Häupter der Versammelten, noch einmal zog's ihm durch die Erinnerung, wie er vor kurzer Frist im einsamen Gemach der Herzogin gegenüber gestanden – dann las er das Evangelium vom Leiden und Tod des Erlösers. Mählich ward seine Stimme klar und hell, er küßte das Buch und gab's dem Diakon, daß er's zurücklege auf das seidene Kissen; sein Blick flog gen Himmel – dann hub er die Predigt an.

Lautlos horchte die Menge.

Schier tausend Jahre sind vorüber, rief er, seit der Sohn Gottes sein Haupt am Kreuzesstamm neigte und sprach: Es ist vollbracht! Aber wir haben der Erlösung keine Stätte bereitet in unsern Gemütern, in Sünden sind wir gewandelt und die Ärgernisse, die wir gaben in unserer Herzenshärtigkeit, haben gen Himmel geschrien.

Darum ist eine Zeit der Trübsal emporgewachsen, blanke Schwerter blitzen wider uns, heidnische Ungeheuer sind in christliches Land eingefallen.

Aber statt zürnend zu fragen: Wie groß ist des Herren Langmut, daß er solchen Scheusalen die liebreizende Heimaterde preisgibt? – klopfe ein jeglicher an die Brust und spreche: Um unserer Verderbnis willen sind sie gesendet. Und wollet ihr von ihnen erlöset sein, so gedenket an des Heilands tapferen Tod. Fasset den Griff eurer Schwerter, so wie er einst das Kreuz faßte und hinaustrug zur Schädelstätte, schauet auf und suchet auch ihr euer Golgatha!!...

Er deutete nach den Ufern des Sees hinüber. Dann strömte seine Rede in Worten des Trosts und der Verheißung, stark wie der Schrei des Löwen im Gebirge.

Die Zeiten erfüllen sich, von denen geschrieben steht: Und wenn die tausend Jahre zu Ende gehn, wird Satan aus seinem Kerker losgelassen werden und ausgehn, zu verführen die Völker in den äußersten Gegenden der Erde – den Gog und den Magog, und sie zum Streite versammeln. Ihre Zahl ist wie des Meeres Sand; sie ziehen über die weite Erde daher, umringen das Lager der Streiter Gottes und die geliebte Stadt. Aber Feuer fährt aus dem Himmel nieder und verzehrt sie, und der Teufel, ihr Verführer, wird in den Schwefelsee geworfen, wo auch das Tier und der Lügenprophet ist, und sie werden gequält werden Tag und Nacht bis in die ewige Ewigkeit.Offenbarung Johannis 20, 7. Allgemein hielt man den Gog und Magog der Schrift in den Ungarn verkörpert und sah in ihnen die Vorläufer des Weltendes; die Frage wurde ernsthafter theologischer Prüfung unterzogen. Siehe Gibbon, Geschichte des röm. Weltreichs cap. 55. II.

Und was der Seher auf Patmos ahnend geoffenbart, das ist uns Bürgschaft und Gewähr des Sieges, so wir sündegeläutert ausziehen zum Kampf. Lasset sie anstürmen auf ihren schnellen Rossen, was verficht's? Zu Söhnen der Hölle hat sie der Herr gestempelt, darum ist ihr Antlitz nur die Fratze von eines Menschen Antlitz, die Ernte unserer Felder können sie niedertreten und die Altäre unserer Kirchen schänden, aber den Arm gottesmutiger Männer können sie nicht bestehen.

Seid eingedenk also, daß wir Schwaben allezeit verfechten müssenDie Ehre des ersten Angriffs im deutschen Reichsheer galt für ein von alters her den Schwaben zustehendes Vorrecht. Nach dem Schwabenspiegel verleiht Karl der Große: swa man umbe des riches not striten solte, da sulen die swabe vor allen sprachen striten. Landrecht § 32. – Eine Reihe anderer Stellen aus Geschichtschreibern und Dichtern desselben Inhalts siehe bei Stälin, wirtemberg. Geschichte I. 393., wo um des Reiches Not gestritten wird; wenn es in andern Zeiten ein Greuel vor dem Herrn wäre, an seinem Feiertag den Harnisch umzuschnallen, – heute segnet er unsere Waffen und sendet seine Heiligen zum Beistand und streitet selber mit uns, er, der Herr der Heerscharen, der den Blitz vom Himmel schmetternd niederfahren heißt und die klaffenden Abgründe der Tiefe auftut, wenn die Stunde der Erfüllung gekommen.

Mit erlesenen Beispielen ruhmreicher Kämpfe feuerte dann Ekkehard seine Zuhörer an, und manche Faust preßte den Speer und mancher Fuß hob sich ungeduldig zum Abzug, wie er von Josuas Heerzug sprach, der unter des Herren Schirm einunddreißig Könige schlug in der Landmark jenseits des Jordan, – und von Gideon, der beim Schall der Posaunen ins Lager der Midianiter brach und sie jagte bis Bethseda und Tebbath – und vom Ausfall der Männer von Bethulia, die nach Judiths ruhmreicher Tat die Assyrer schlugen mit der Schärfe des Schwertes.

Zum Schluß aber rief er, was Judas, der Makkabäer zu seinem Volke gerufen, da sie bei Emmaus ihr Lager schlugen wieder des Antiochus Heer: Umgürtet euch drum und seid tapfere Männer und seid bereit, gegen den Morgen früh wider die Völker zu streiten, die heranziehen, unser Heiligtum auszutilgen, denn es ist uns besser, im Streit umzukommen, als das Elend sehen an unserm Heiligtum – Amen!


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