Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Noch war's nicht Abend worden, da stund alles zum Abzug bereit. Der Abt hieß die Brüder im Hofe zusammentreten, sämtliche erschienen bis auf einen. Wo ist Heribald? frug er.
Heribald war ein frommer Bruder, dessen Wesen schon manchem den Ernst auf der Stirn in Heiterkeit verwandelte.Erat tunc inter nostrates frater quidam simplicissimus et fatuus, cujus dicta et facta saepe ridebantur, nomine Heribaldus... Ekkeh. casus S. Galli cap. 3. In jungen Tagen hatte ihn die Amme einmal aufs Steinpflaster fallen lassen, davon war ihm ein gelinder Blödsinn zurückgeblieben, eine »Kopfsinnierung«, aber er war guten Herzens und hatte an Gottes schöner Welt seine Freud, so gut wie ein Geistesgewaltiger.
Da gingen sie, den Heribald zu suchen.
Er war auf seiner Zelle. Die gelbbraune Klosterkatze schien ihm ein Leides zugefügt zu haben, er hatte ihr den Strick, der sein Gewand zusammenhalten sollte, um den Leib geschnürt und sie an einen Nagel an seines Gemaches Decke aufgehängt; in die leere Luft herab hing das alte Tier, das schrie und miaute betrüblich, er aber schaukelte es sänftlich hin und her und sprach lateinisch mit ihm.
Vorwärts, Heribald! riefen die Genossen, wir müssen die Insel verlassen.
Fliehe, wer will! sprach der Blödsinnige, Heribald flieht nicht mit.
Sei brav, Heribald, und folg uns! der Abt hat's anbefohlen.
Da zog Heribald seinen Schuh aus und hielt ihn den Brüdern entgegen. Der Schuh ist schon im vorigen Jahr zerrissen, sprach er, da ist Heribald zum Camerarius gegangen; gib mir mein jährlich Leder, hat Heribald gesagt, daß ich mir ein neu Paar Schuhe anfertige, da hat der Camerarius gesagt: Tritt du deine Schuhe nicht krumm, so werden sie nicht reißen – und hat das Leder geweigert, und wie Heribald den Camerarius beim Abt verklagt, hat ihm der gesagt: Ein Narr, wie du, kann barfuß laufen! Jetzt hat Heribald kein ordentlich Fußwerk und mit zerrissenem geht er nicht unter fremde Leute..... »enimvero, ait ille, fugiat, qui velit; ego quidem, quia corium meum ad calceos camerarius hoc anno non dedit, nusquam fugiam!« Ekkeh. 1. c.
Solchen Gründen war keine stichhaltige Widerlegung entgegenzusetzen. Da umschlangen ihn die Brüder mit starkem Arm, ihn hinabzutragen; im Gang aber riß er sich los und floh mit Windeseile hinab in die Kirche und die Treppen hinauf, die auf den Kirchturm führten. Zu oberst setzte er sich fest und zog das hölzerne Stieglein empor; es war ihm nimmer beizukommen.
Sie erstatteten dem Abte Bericht. Lasset ihn zurück, sprach der Abt, über Kinder und Toren wacht ein besonderer Schutzengel.
Zwei große Lädinen lagen am Ufer, die Abziehenden aufzunehmen: wohlgerüstete Schiffe mit Ruder und Segelbaum. In kleinen Kähnen hatten sich des Klosters dienende Leute und was sonst auf der Reichenau hauste, mit Hab und Gut eingeschifft; es war ein wirres Durcheinander.
Ein Nachen voll von Mägden und befehligt von Kerhildis, der Obermagd, war bereits abgefahren; sie wußten selber nicht wohin, – aber die Furcht war diesmal größer als die Neugier, die Schnurrbärte fremder Reitersmänner zu sehen.
Jetzt zogen die Klosterbrüder heran; es war ein seltsamer Anblick: die meisten in Wehr und Waffen, Litanei betend andere, den Sarg des heiligen Marcus tragend, der Abt mit Ekkehard und den Zöglingen der Klosterschule – betrübt schauten sie noch einmal nach der langjährigen Heimat, dann stiegen sie zu Schiffe.
Wie sie aber in den See ausfuhren, huben alle Glocken an zu tönen, der blödsinnige Heribald läutete ihnen den Abschiedsgruß; dann erschien er auf den Zinnen des Münsterturmes. Dominus vobiscum! rief er mit starker Stimme herab und in gewohnter Weise antwortete da und dort einer: Et cum spiritu tuo!
Ein scharfer Luftzug kräuselte die Wellen des Sees. Erst vor kurzem war er aufgefroren, noch schwammen viel schwere Eisblöcke drin herum und die Schiffe hatten große Mühe, sich durchzuarbeiten.
Geduckt saßen die Mönche, die den Sarg des heiligen Marcus hüteten, etlichemal schlug die Woge zu ihnen herein, aber aufgerichtet und keck stand Abt Wazmanns hohe Gestalt, die Kapuze flatterte im Winde.
Der Herr geht vor uns her, sprach er, wie er in der Feuersäule vor dem Volk Israels ging; er ist mit uns auf der Flucht. Er wird mit uns sein auf fröhlicher Rückkehr!...
In heller Mondnacht stieg der Reichenauer Mönche Schar den Berg Hohentwiel hinauf. Für Unterkunft war gesorgt. In der Burg Kirchlein stellten sie den Sarg ihres Heiligen ab; sechs der Brüder wurden zu Wacht und Gebet bei ihm befehligt.
Der Hofraum ward in den nächsten Tagen zum fröhlichen Heerlager. An aufgebotenen Dienstmannen lagen schon etliche hundert oben, der Reichenauer Zuzug brachte einen Zuwachs von neunzig streitbaren Männern. Emsig ward geschafft an allem, was des baldigen Kampfes Notdurft heischte. Schon eh' die Sonne aufstieg, weckte der Schmiede Gehämmer die Schläfer. Pfeile und Lanzenspitzen wurden gefertigt; beim Brunnen im Hofe stand der große Schleifstein, dran wetzten sie die rostigen Klingen. Der alte Korbmacher von Weiterdingen war auch heraufgeholt worden, der saß mit seinen Buben unter der Linde, die langen, zu Schilden zugeschnittenen Bretter übersponnen sie mit starkem Flechtwerk von Weidengezweig, dann ward ein gegerbtes Fell darüber genagelt: der Schild war fertig. Am lustigen Feuer saßen andere und gossen Blei in die Formen zu spitzem Wurfgeschoß für die Schleuder, – eschene Knittel und Keulen wurden in den Flammen gehärtet.Fabricantur spicula, piltris loricae fiunt, fundibula plectuntur, tabulis compactis et wannis scuta simulantur, sparrones et fustes acute focis praedurantur. Ekkeh. 1. c. Wenn der an eines Heiden Schädel anklopft, sprach Rudimann und schwang den Prügel, so wird ihm aufgetan!
Wer früher schon im Heerbann gedient, sammelte sich um Simon Bardo, den griechischen Feldhauptmann. Zu euch nach Deutschland muß einer gehen, wenn er seine greisen Tage in Ruhe verleben will, hatte er scherzend zur Herzogin gesagt. Der Waffenlärm aber stärkte sein Gemüt wie alter Rheinwein und richtete ihn auf; mit scharfer Sorge ließ er die Unerfahrenen sich in den Waffen üben, des Burghofs Pflaster widerhallte vom schweren Schritt der Mönche, die in geschlossenen Reihen des Speerangriffs unterwiesen wurden. Wände könnt' man mit euch einrennen, sprach der Alte Beifall nickend, wenn ihr einmal warm geworden seid.
Wer von den Jüngern eines sichern Auges und beweglicher Knochen sich erfreute, ward den Pfeilschützen zugeteilt. Fleißig übten sie sich. Heller Jubel klang einmal von des Hofes anderem Ende zu den Speerträgern herüber: das lose Volk hatte einen Strohmann angefertigt, eine Krone von Eulenfedern im Haupt, eine sechsfältige Peitsche in der Hand, einen roten Lappen in Herzform auf der Brust, war er ihre Zielscheibe.
Der Hunnen König Etzel, riefen die Schützen, wer trifft ihn ins Herz?
Spottet nur, sprach Frau Hadwig, die vom Balkon herab zuschaute; hat ihn auch in schlimmer Brautnacht der Schlag darnieder gestreckt, so geht sein Geist fort und fort mächtig durch die Welt; die nach uns kommen, werden auch an ihm zu beschwören haben.
Wenn sie nur auch so scharf auf ihn schießen, wie die da unten! sagte Praxedis – und Halloruf klang vom Hofe herauf, der Strohmann wankte und fiel, ein Pfeil hatte das Herz getroffen.
Ekkehard kam in den Saal herauf. Er war wacker mitmarschiert, sein Antlitz glühte, der ungewohnte Helm hatte einen roten Streif auf der Stirn zurückgelassen. In der Erregung des Tages vergaß er seine Lanze draußen abzustellen. Mit Wohlgefallen sah Frau Hadwig auf ihn; es war nicht mehr der zage Lehrer der Grammatik... Er neigte sich vor seiner Gebieterin. Die Reichenauer Mitbrüder im Herrn, sprach er, lassen melden, daß sich Durst in ihren Reihen eingestellt.
Frau Hadwig lachte. Laßt eine Tonne kühlen Bieres im Hof aufstellen; bis die Hunnen wieder heimgejagt sind, soll unser Kellermeister keine Klage über Verschwinden seiner Fässer führen.
Sie deutete auf das stürmische Treiben im Burghof.
Das Leben bringt doch mannigfachere Bilder als alle Poeten, sprach sie zu Ekkehard; – auf solchen Wandel der Dinge wart Ihr nicht vorbereitet?
Aber Ekkehard ließ seinem teuren Virgilius nicht zu nahe treten.
Erlaubet, sprach er, auf seinen Speer gelehnt, es steht alles wortgetreu in der Aeneis vorgezeichnet, als wenn es nichts Neues unter der Sonne geben sollt! Würdet Ihr nicht glauben, Virgilius sei hier auf dem Söller gestanden und habe hinabgeschaut ins Getümmel, wie er vom Beginn des Krieges in Latium sang:
Das paßt freilich gut, sprach Frau Hadwig. Könnt Ihr auch den Gang des Streites aus Eurem Heldenbuche vorhersagen? wollte sie noch fragen, aber in Zeiten des Durcheinander ist nicht gut über Dichtungen sprechen. Der Schaffner war eingetreten. Das Fleisch sei aufgezehrt bis auf den letzten Bissen, lautete sein Bericht, ob er zwei Ochsen schlachten dürfe...
Nach wenig Tagen war Simon Bardos Mannschaft so geschult, daß er sie der Herzogin zur Musterung vorführen konnte. Es war auch Zeit, daß sie ihre Zeit nutzten; schon waren sie die verflossene Nacht aufgestört worden, eine helle Röte stand am Himmel fern überm See, wie eine feurige Wolke hielt sich das Brandzeichen etliche Stunden lang, es mochte weit in Helvetien drüben sein. Die Mönche stritten miteinand; es sei eine Erscheinung am Himmel, sagten die einen, ein feuriger Stern zur Warnung der Christenheit. Es brennt im Rheintal, sprachen andere; ein Bruder, der mit feinerer Nase begabt war, behauptete sogar, den Brandgeruch zu spüren. Erst lang nach Mitternacht erlosch die Röte.
Auf des Berges südlichem Abhang war eine mäßig weite Halde, die ersten Frühlingsblumen blühten drauf, in den Talmulden lag noch alter Schnee; das sollte der Platz der Musterung sein. Hoch zu Rosse saß Frau Hadwig, bei ihr hielten wohlgerüstet etliche Edelknechte, die zum Aufgebot gestoßen waren, der von Randegg, der vom Hoewen und der dürre Fridinger; der Reichenauer Abt saß stolz auf seinem Zelter, ein wohlberittener Mann Gottes;equitans vir dei. vita Liutger. bei Pertz, Mon. I. 412. Herr Spazzo, der Kämmerer, bemühte sich, es ihm an Haltung und Bewegung gleich zu tun, denn sein Gebaren war vornehm und ritterlich. Auch Ekkehard sollte die Herzogin begleiten, es war ihm ein Roß vorgeführt worden; allein er hatte es abgelehnt, daß kein Neid entstände unter den Mönchen.
Jetzt tat sich das äußere Burgtor knarrend auf, und die Scharen zogen herab. Voraus die Bogen- und Armbrustschützen, lustige Klänge erschallten, ernsten Antlitzes schritt Audifax als Sackpfeifer mit den Hornisten, in geschlossenem Zug ging's vorbei. Dann ließ Simon Bardo ein Signal blasen, da lösten sich ihre Glieder und schwärmten aus wie ein wilder Wespenschwarm und hielten Busch und Hecken besetzt.
Dann kam die Kohorte der Mönche, festen Schrittes, in Helm und Harnisch, die Kutte darüber, den Schild auf dem Rücken, den Spieß gefällt: eine sturmgewaltige Schar; hoch flatterte ihr Fähnlein: ein rotes Kreuz im weißen Feld. Pünktlich marschierten sie, als wär' es seit Jahren ihr Handwerk – bei starken Menschen ist auch die geistige Zucht gute Vorübung zum Kriegerstand. Nur einer am linken Flügel vermochte nicht Schritt zu halten, seine Lanze ragte uneben aus der geraden Reihe der andern. 's ist nicht seine Schuld, sprach Abt Wazmann zur Herzogin, er hat in Zeit von sechs Wochen ein ganz Meßbuch abgeschrieben, da flog ihm der Schreibkrampf in die Finger.
Ekkehard schritt auf dem rechten Flügel; wie sie an der Herzogin vorüber kamen, traf ihn ein Blick aus den leuchtenden Augen, der kaum der ganzen Schar gegolten.
In drei Haufen folgten die Dienstmannen und aufgebotenen Heerbannleute; mächtige Stierhörner wurden geblasen, seltsam Rüstzeug kam zum Vorschein, manch ein Waffenstück war schon in den Feldzügen des großen Kaisers Karl eingeweiht worden, mancher aber trug einen mächtigen Knittel und sonst nichts.