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Es war vor beinahe tausend Jahren. Die Welt wußte weder von Schießpulver noch von Buchdruckerkunst. Über dem Hegau lag ein trüber bleischwerer Himmel, doch war von der Finsternis, die bekanntlich über dem ganzen Mittelalter lastete, im einzelnen nichts wahrzunehmen. Vom Bodensee her wogten die Nebel übers Ries und verdeckten Land und Leute. Auch der Turm vom jungen Gotteshaus Radolfszelle war eingehüllt, aber das Frühglöcklein war lustig durch Dunst und Dampf erklungen, wie das Wort eines verständigen Mannes durch verfinsternden Nebel der Toren.
Es ist ein schönes Stück deutscher Erde, was dort zwischen Schwarzwald und schwäbischem Meer sich auftut. Wer's mit einem falschen Gleichnis nicht allzu genau nimmt, mag sich der Worte des Dichters erinnern:
Das Land der Alemannen mit seiner Berge Schnee, Mit seinem blauen Auge, dem klaren Bodensee, Mit seinen gelben Haaren, dem Ährenschmuck der Auen, Recht wie ein deutsches Antlitz ist solches Land zu schauen. |
– wiewohl die Fortführung dieses Bildes Veranlassung werden könnte, die Hegauer Berge als die Nasen in diesem Antlitz zu preisen.
Düster ragte die Kuppel des hohen Twiel mit ihren Klingsteinzacken in die Lüfte. Als Denkstein stürmischer Vorgeschichte unserer alten Mutter Erde stehen jene schroffen malerischen Bergkegel in der Niederung, die einst gleich dem jetzigen Becken des Sees von wogender Flut überströmt war. Für Fische und Wassermöwen mag's ein denkwürdiger Tag gewesen sein, da es in den Tiefen brauste und zischte und die basaltischen Massen glühend durch der Erdrinde Spalten sich ihren Weg über die Wasserspiegel bahnten. Aber das ist schon lange her. Es ist Gras gewachsen über die Leiden derer, die bei jener Umwälzung mitleidlos vernichtet wurden; nur die Berge stehen noch immer, ohne Zusammenhang mit ihren Nachbarn, einsam und trotzig wie alle, die mit feurigem Kern im Herzen die Schranken des Vorhandenen durchbrechen, und ihr Gestein klingt, als säße noch ein Gedächtnis an die fröhliche Jugendzeit drin, da sie zuerst der Pracht der Schöpfung entgegen gejubelt.
Zur Zeit, da unsere Geschichte anhebt, trug der hohe Twiel schon Turm und Mauern, eine feste Burg. Dort hatte Herr Burkhard gehaust, der Herzog in Schwaben. Er war ein fester Degen gewesen und hatte manchen Kriegszug getan; die Feinde des Kaisers waren auch die seinen, und dabei gab es immer Arbeit: wenn's in Welschland ruhig war, fingen oben die Normänner an, und wenn die geworfen waren, kam etwann der Ungar geritten, oder es war einmal ein Bischof übermütig oder ein Grafe widerspenstig, – so war Herr Burkhard zeitlebens mehr im Sattel als im Lehnstuhl gesessen. Demgemäß ist erklärlich, daß er sich keinen sanften Leumund geschaffen.
In Schwaben sprachen sie, er habe die Herrschaft geführt, so zu sagen als ein Zwingherr, und im fernen Sachsen schrieben die Mönche in ihre Chroniken, er sei ein kaum zu ertragender Kriegsmann gewesen... Purchardus autem, dux Suevorum, Sueviam quasi tyrannice regens. Ekkehardi IV. casus S. Galli cap. 3 bei Pertz Monumenta Germaniae historica II. 104. hic cum esset bellator intolerabilis. Witukind lib. I. c. 27.
Bevor Herr Burkhard zu seinen Vätern versammelt ward, hatte er sich noch ein Ehgemahl erlesen. Das war die junge Frau Hadwig, Tochter des Herzogs in Bayern. Aber in das Abendrot eines Lebens, das zur Neige geht, mag der Morgenstern nicht freudig scheinen. Das hat seinen natürlichen Grund... cum iam esset decrepitus. Ekkeh. casus S. Galli cap. 10. Darum hatte Frau Hadwig den alten Herzog in Schwaben genommen ihrem Vater zu Gefallen, hatte ihn auch gehegt und gepflegt, wie es einem grauen Haupt zukam, aber wie der Alte zu sterben ging, hat ihr der Kummer das Herz nicht gebrochen.
Da begrub sie ihn in der Gruft seiner Väter und ließ ihm von grauem Sandstein ein Grabmal setzen und stiftete eine ewige Lampe über das Grab, kam auch noch etliche Male zum Beten herunter, aber nicht allzu oft.
Dann saß Frau Hadwig allein auf der Burg Hohentwiel; es waren ihr die Erbgüter des Hauses und mannigfalt Befugnis, im Land zu schalten und zu walten, verblieben, sowie die Schutzvogtei über das Hochstift Konstanz und die Klöster um den See, und hatte ihr der Kaiser gebrieft und gesiegelt zugesagt, daß sie als Reichsverweserin in Schwaben gebieten solle, solange der Witwenstuhl unverrückt bleibe. Die junge Witib war von adeligern Gemüt und nicht gewöhnlicher Schönheit. Aber die Nase brach unvermerkt kurz und stumpflich im Antlitz ab, und der holdselige Mund war ein wenig aufgeworfen, und das Kinn sprang mit kühner Form vor, also, daß das anmutige Grüblein, so den Frauen so innig ansteht, bei ihr nicht zu finden war. Und wessen Antlitz also geschaffen, der trägt bei scharfem Geist ein rauhes Herz im Busen und sein Wesen neigt zur Strenge. Darum flößte auch die Herzogin manchem ihres Landes trotz der lichten Röte ihrer Wangen einen sonderbaren Schreck ein.Hadawiga, Henrici ducis filia, Suevorum post Purchardum virum dux vidua, cum Duellio habitaret, femina admodum quidem pulchra, nimiae severitatis cum esset suis, longe lateque terris erat terribilis. Ekkeh. casus S. Galli cap. 10 bei Pertz II. 122.
An jenem nebligen Tag stand Frau Hadwig im Kabinett ihrer Burg und schaute in die Ferne hinaus. Sie trug ein stahlgrau Unterkleid, das in leichten Wellen über die gestickten Sandalen wallte, darüber schmiegte sich eine bis zum Knie reichende schwarze Tunika; im Gürtel, der die Hüften umschloß, glänzte ein kostbarer Beryll. Ein goldfadengesticktes Netz hielt das kastanienbraune Haar umfangen, doch unverwehrt umspielten sorgsam gewundene Locken die lichte Stirn.
Auf dem Marmortischlein am Fenster stand ein phantastisch geformtes dunkelgrün gebeiztes Metallgefäß, drin brannte ein fremdländisch Räucherwerk und wirbelte seine duftig weißen Wölklein zur Decke des Gemachs. Die Wände waren mit buntfarbigen gewirkten Teppichen umhangen.
Es gibt Tage, wo der Mensch mit jeglichem unzufrieden ist, und wenn er in den Mittelpunkt des Paradiesgartens gesetzt würde, es wär' ihm auch nicht recht. Da fliegen die Gedanken mißmutig von dem zu jenem und wissen nicht, wo sie anhalten sollen – aus jedem Winkel grinst ein Fratzengesicht herfür, und wenn einer ein fein Gehör hat, so mag er auch der Kobolde Gelächter vernehmen. Man sagt dortlands, der schiefe Verlauf solcher Tage rühre gewöhnlich davon her, daß man frühmorgens mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett gesprungen sei, was bestimmtem Naturgesetz zuwider.
Die Herzogin hatte heute ihren Tag. Sie wollte zum Fenster hinausschauen, da blies ihr ein feiner Luftzug den Nebel ins Angesicht; das war ihr nicht recht. Sie hub einen zürnenden Husten an. Wenn Sonnenschein weit übers Land geglänzt hätte, sie würde auch an ihm etwas ausgesetzt haben.
Der Kämmerer Spazzo war eingetreten und stand ehrerbietig am Eingang. Er warf einen wohlgefälligen Blick auf seine Gewandung, als wär' er sicher, seiner Gebieterin Augen heut auf sich zu lenken, denn er hatte ein gestickt Hemde von Glanzleinwand angelegt und ein saphirfarbiges Oberkleid mit purpurnen Säumen, alles nach neuestem Schnitt; erst gestern war des Bischofs Schneider von Konstanz damit herübergekommen.camisias cliuzana. pallium canum vel saphirinum. Das Kostüm der Vornehmen war mannigfacher Veränderung durch die Mode unterworfen. Zu Karls des Großen Zeiten trug man an den Füßen Schuhe, um die Beine hohe, kamaschenartig zugeschnürte Binden, ein hemdartig linnenes Unterkleid und ein wollenes Oberkleid oder einen langen von den Schultern bis zu den Absätzen reichenden Mantel, der durch Ausschnitt an den Seiten den Armen freie Bewegung ließ. Der lange Mantel wurde aber bald gegen einen kürzeren vertauscht, der sich indes auch nicht als zweckmäßig bewährte. Vergl. des monachus San Gallensis gesta Karoli M. lib. I. c. 34 bei Pertz Mon. II. 747. Den Miniaturbildern sanktgallischer Handschriften, z. B. des psalterium aureum, ist mannigfacher Aufschluß über gleichzeitige Trachten zu entnehmen.
Der Wolfshund dessen von Fridingen hatte zwei Lämmer der Burgherde zerrissen, da gedachte Herr Spazzo pünktlichen Vortrag zu erstatten und Frau Hadwigs fürstliches Gutachten einzuholen, ob er in friedlichem Austrag sich mit dem Herrn des Schädigers vergleichen oder am nächsten Gaugericht Wehrgeld und Buße einklagen solle.Wehrgeld – nach mittelalterlichem Strafrecht, wonach fast alle Vergehen und Verbrechen mit Geld zu sühnen waren, ist ein dem Verletzten zu persönlicher Genugtuung, Buße (Wette, fredum), ein zur Sühne des gestörten Friedens dem Volk, später dem Landesherrn zu entrichtendes Strafgeld. Die alten Volksrechte verzeichnen auch bei allen Gattungen von Tieren sorgfältig deren Wehrgeld, das im Fall von Tötung oder Beschädigung der Eigentümer zu erheben hatte. Wenn übrigens der Schaden mehr durch Zufall zugefügt wurde, lag kein Friedbruch vor, und es würde Herrn Spazzo sehr schwer gefallen sein, die Verurteilung des für seinen Wolfshund verantwortlichen Herrn von Fridigen zu einer Buße durchzusetzen. Er hub seinen Spruch an. Aber eh' und bevor er zu Ende gekommen, sah er, daß ihm die Fürstin ein Zeichen machte, dessen Bedeutung einem verständigen Mann nicht fremd bleiben konnte. Sie fuhr mit dem Zeigefinger der Rechten erst nach der Stirn, dann wies sie mit gleichem Finger nach der Tür. Da merkte der Kämmerer, daß es seinem eigenen Witz anheimgestellt sei, nicht nur den Bescheid wegen der Lämmer zu finden, sondern sich mit möglichstes Beschleunigung zu entfernen. Er verbeugte sich und ging.
Mit heller Stimme rief Frau Hadwig jetzt: Praxedis! – Und wie's nicht sogleich die Stufen zum Saal herauf huschte, rief sie noch einmal schärfer: Praxedis!
Es dauerte nicht lange, so schwebte die Gerufene ins Kabinett herein.
Praxedis war der Herzogin in Schwaben Kammerfrau, von griechischer Nation, ein lebend Angedenken, daß einst des Byzantiner Kaisers Basilius Sohn um Hadwigs Hand geworben.Brautbewerbungen zwischen dem byzantinischen Hofe und den deutschen Großen kamen in dieser Zeit wiederholt und wechselseitig vor. Oft wurden deutsche Bischöfe in solcher Mission nach Konstantinopel gesendet, z. B. Bernward von Würzburg für Kaiser Otto III., Werner von Straßburg für den Sohn Kaiser Konrads II. In einer Notiz des sanktgallischen liber benedictionum wird es sehr getadelt, daß die vornehme Männerwelt sich mit Hintansetzung der deutschen Töchter Frauen aus Italien und Griechenland holte. Die Vorliebe der deutschen Herren für byzantinische Damen begreift sich aber nach den Schilderungen derer, die Augenzeugen des neuen Tones und der liebenswürdigen Geselligkeit waren, welche durch Ottos II. griechische Gemahlin Theophano an dem deutschen Kaiserhof eingeführt wurden. Sogar der ernsthafte Scholastiker Gebert, nachmals Papst Sylvester II., sah sich veranlaßt, dem Zauber byzantinischer Frauensitte seine Anerkennung auszusprechen. »Da mir diese gemütlichen Gesichter,« sagte er, »diese sokratischen Unterhaltungen entgegen kamen, vergaß ich allen Kummer und mich schmerzte nicht mehr der Gedanke meiner Auswanderung.« Der hatte das des Gesangs und weiblicher Kunstfertigkeit erfahrene Kind samt vielen Kleinodien und Schätzen der deutschen Herzogstochter geschenkt und als Gegengabe einen Korb erbeutet. Man konnte damals Menschen verschenken, auch kaufen. Freiheit war nicht jedem zu eigen. Aber eine Unfreiheit, wie sie das Griechenkind auf der schwäbischen Herzogsburg zu tragen hatte, war nicht drückend.