Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Man sollt' Euch den Hund erschlagen und neun Schuh hoch über Euer Tor hängen, bis er verfaulte und stückweis auf Euch herunterfiele,Diese Worte Ekkehards enthalten einen Anklang an das den Sanktgaller Mönchen wohlbekannte alemannische Landrecht, scheinen jedoch auf einer gewissen Verwechslung zu beruhen. In tit. 99 n° 22 (ed. Lindenbrog) findet sich nämlich folgende Bestimmung:

»Wenn ein fremder Hund einen Mann getötet hat, soll dessen Eigentümer den Hinterbliebenen das halbe Wehrgeld auszahlen. Verlangt die Familie des Getöteten das ganze Wehrgeld, so muß ihr dies zwar gewährt werden, aber nur unter der Bedingung, daß alle Zugänge des Hauses bis auf einen abgeschlossen werden, daß sie allezeit durch dies eine Tor ein- und ausgehen, und daß über diese Schwelle der fremde Hund in einer Höhe von neun Fuß aufgehängt werde und aufgehängt bleibe, bis daß er ganz verfault und seine Knochen stückweis herabfallen. Würden die Bewohner des Hauses den toten Hund wegzuschaffen oder durch eine andere Türe einzugehen versuchen, so sollen sie auch des bereits empfangenen halben Wehrgelds verlustig gehen und jeden weiteren Anspruch verlieren.«

sprach Ekkehard zürnend, schier hat er mich ins Wasser gestürzt. Er sah sich um, in senkrechter Tiefe rauschte der See zu seinen Füßen.

In den Heidenhöhlen gilt kein Landrecht! gab der Graue trotzig zurück. Bei uns heißt's: Zwei Mannslängen vom Leib, oder wir schlagen Euch den Schädel ein.

Ekkehard wollte vorwärts gehen.

Halt an! fuhr der Mann unterm Eingang fort und hielt den Spieß vor, so schnell geht's nicht. Wohin des Wegs?

Zum Alten in der Heidenhöhle, sprach Ekkehard.

Zum Alten in der Heidenhöhle? schalt der andere, habt Ihr kein ehrerbietiger Wort für ihren Inwohner, gelbschnäbliger Kuttenträger?

Ich weiß nicht anders, sagte Ekkehard betroffen. Mein Gruß heißt neque enim!

Das lautet besser, sprach der Graue treuherzig und reichte ihm die Hand. Woher des Wegs?

Vom hohen Twiel. Ich soll Euch...

Halt an, ich bin nicht, den Ihr suchet, bin nur sein Dienstmann Rauching. Ich werd' Euch anmelden.

Angesichts der starren Felswände und des schwarzen Hundes war diese Förmlichkeit befremdend. Ekkehard stand harrend, es dauerte eine gute Weile, schier als wenn Vorbereitungen zum Empfang getroffen würden. Dann erschien Rauching wieder: Wollet eintreten. Sie gingen den dunkeln Gang entlang, dann weitete sich der Höhlenraum, ein Gemach war von Menschenhänden in den Fels gehauen, hoch, stattlich, in spitzbogiger Wölbung; ein rohes Gesimse zog sich um die Wände, die Fensteröffnungen weit und luftig; wie von einer Rahme umfaßt glänzte ein Stück blauer See und gegenüberliegendes Waldgebirge herein, eine flimmernde Schicht Sonnenlicht drang durch sie in des Gemaches Dunkel. Spuren von Steinbänken waren da und dort sichtbar, nah beim Fenster stund ein hoher steinerner Lehnstuhl, ähnlich dem eines Bischofs in alten Kirchen, eine Gestalt saß drin. Es war ein fremdartig Menschenbild, mächtigen Umfangs, schwer saß das schwere Haupt zwischen den Schultern, Runzeln durchfurchten Stirn und Wangen, spärlich weißes Haupthaar lockte sich um den Scheitel, schier zahnlos der Mund: der Mann mußte steinalt sein. Ein Mantel von unkenntlicher Farbe hing um des Greisen Schulter, die Rückseite, die des Stuhles Lehne verdeckte, mochte stark Fadenschein tragen, in Saum und Faltenwurf saßen Spuren vergangener Flickung. Seine Füße waren mit rauhem Stiefelwerk bekleidet, ein alter Hut, mit verstäubtem Fuchspelz verbrämt, lag zur Seite. Eine Nische der Felsvertiefung trug ein Schachzabelbrett mit elfenbeingeschnittenen Figuren, es war eine Partie zu Ende gespielt worden, noch stand der König matt gesetzt durch einen Turm und zwei Läufer...

Wer kommt zu den Vergessenen? fragte der Greis mit dünner Stimme. Da neigte sich Ekkehard vor ihm und nannte seinen Namen und wer ihn gesandt.

Ihr habt ein böses Losungswort mit Euch gebracht. Erzählen die Leute draußen noch vom Luitwart von Vercelli?

Dessen Seele Gott verdammen möge! fiel Rauching ergänzend ein.

Ich habe nichts von ihm gehört, sprach Ekkehard.

Sag's ihm, Rauching, wer der Luitward war, 's wär' schade, wenn sein Gedächtnis ausstürbe bei den Menschen.

Der größte Schurke, den je ein Sonnenstrahl beschienen, war Rauchings Antwort.

Sag ihm auch, was neque enim heißt.

Es gibt keinen Dank auf dieser Welt, und von eines Kaisers Freunden ist auch der beste ein Verräter!

Auch der beste ein Verräter, sprach der Alte in Gedanken. Sein Blick fiel auf das nahestehende Schachbrett. Ja wohl! murmelte er leise, matt gesetzt durch Läufer und Überläufer matt gesetzt... er ballte die Faust, als wolle er aufspringen, dann seufzte er laut und fuhr mit der welken Hand nach der Stirn und stützte sein schweres Haupt auf.

Das Kopfweh! sprach er... das verfluchte Kopfweh!

Mummolin! rief Rauching.

Mit großen Sätzen kam der schwarze Hund vom Eingang her gesprungen; wie er den Alten mit aufgestülptem Haupt gewahrte, trat er schmeichelnd heran und leckte ihm die Stirn. Es ist gut, sprach der Greis nach einer Weile und richtete sich wieder auf.

Seid Ihr krank? fragte Ekkehard teilnehmend.

Krank? sprach der Alte – 's mag eine Krankheit sein. Mich sucht's schon so lang heim, daß mir's wie ein alter Bekannter erscheint. Habt Ihr auch schon Kopfweh gehabt? Ich rate Euch, zieht niemals zu Felde, wenn Euch Kopfweh plagt, und schließt keinen Frieden, es kann ein Reich kosten, das Kopfweh...

Soll Euch kein Arzt... wollte Ekkehard fragen.

Der Ärzte Weisheit ist erschöpft. Sie haben's gut mit mir gemeint.

Er wies auf seine Stirn; zwei alte Narben kreuzten sich darauf. Schaut her! und wenn sie euch das verordnen wollen, müßt's nicht anwenden! An den Füßen bin ich aufgehangen worden in jungen Tagen, dann die Einschnitte in den Kopf – ein Stück Blut und ein Stück Verstand haben sie mir genommen: nichts geholfen!

In Cremona – Zedekias hat der hebräische Weise geheißen – haben sie die Sterne gefragt und mich in dämmernder Mitternacht unter einen Maulbeerbaum gestellt; 's war ein langer Spruch, mit dem die das Kopfweh in den Baum hinein verfluchten: nichts geholfen!

In deutschen Landen gepulverte Krebsaugen verordnet, gemischt mit etlichem Staub von des heiligen Markus Grab und einen Trunk Seewein drauf:Die Heilkunde unserer Tage wendet diese und ähnliche Mittel nicht mehr an. Sie beruhten zum Teil auf der Ansicht, daß die Krankheiten dem Einfluß der Dämonen zuzuschreiben. Vieles übrigens, was in jener Zeit offiziell verordnet wurde, findet sich im Kreis der s.g. sympathetischen Mittel noch vor, die in ununterbrochener Überlieferung von den Bauersmännern, Schäfern und Schmieden, die heutzutag noch trotzig daran glauben, bis in fernes Heidentum hinauf reichen. Daß eine ähnliche Kur, wie die zuletzt erwähnte, von gutem Erfolg begleitet war, meldet der fränkische Geschichtsschreiber Gregor von Tours in seiner Schrift über die Wunder des heiligen Martinus aus eigener Erfahrung. »Im zweiten Monat nach seiner Ordination als Bischof erkrankte er an der Ruhr so heftig, daß man an seinem Leben verzweifelte. Da alle Arzneien fruchtlos geblieben waren, ließ er sich Staub vom Grab des Heiligen bringen, nahm ihn in einem Tranke um die dritte Tagesstunde und wurde davon auf der Stelle so geheilt, daß er um die sechste zur Mahlzeit ging.« Löbell, Gregor von Tours und seine Zeit p. 277. auch nichts. Jetzt bin ich's gewöhnt. Das ärgste leckt des Mummolin rauhe Zunge hinweg. Komm her, braver Mummolin, der mich noch nicht verraten hat...

Er schwieg atemschöpfend und streichelte den Hund.

Meine Botschaft... hub Ekkehard an.

Der Greis aber winkte ihm: Geduldet Euch, nüchtern ist nicht gut reden. Ihr werdet hungrig sein. Nichts ist niederträchtiger und heiliger als der Hunger!.. nihil fame improbrius et sacrius! hat jener Dekan gesagt, da sein Gastfreund von sechs Forellen fünf aß und ihm die kleinste zurückließ. Wer mit der Welt draußen zu tun gehabt, vergißt den Spruch nicht. Rauching, richt unser Mahl!

Der ging hinüber in ein anstoßend Felsengemach, das war zur Küche hergerichtet; in etlichen Nischen stunden seine Vorräte; bald wirbelte aus dem Höhlenschornstein eine weiße Rauchwolke dem blauen Himmel entgegen, und das Werk des Kochens war beendet. Eine Steinplatte mußte als Tisch gelten. Als des Mahles Krone prangte ein Hecht, aber der Hecht war alt und trug Moos auf dem Haupt, sein Fleisch schmeckte zäh wie Leder. Auch einen Krug rötlichen Weines brachte Rauching herbei, aber der wuchs auf den Sipplinger Hügeln, und die erfreuen sich noch heute des Leumunds, daß ihr Wein der sauern sauerster am ganzen See.Wenigstens zählt noch G. Schwab in seinem Werk über den Bodensee unter den »Merkwürdigkeiten von Sipplingen« sub Nr. 3 auf: »der Sipplinger Wein als der schlechteste am Bodensee«. Neuerdings soll der dortige Rebensaft um ein bedeutendes besser geworden sein als sein Ruf. Rauching wartete auf und saß nicht zu ihnen nieder.

Was bringt Ihr mir? frug der Alte, wie die schmale Mahlzeit beendet.

Schlimme Botschaft; die Hunnen sind ins Land gebrochen, bald treten ihre Hufe die schwäbische Erde.

Recht! sprach der Greis, das gehört euch. Sind die Nordmänner auch wieder auf der Fahrt?

Ihr sprechet sonderbar, sagt Ekkehard.

Des Alten Aug' ward glänzender. Und wenn euch die Feinde wie Schwämme aus der Erde wachsen, ihr habt's verdient, ihr und eure Herren. Rauching, füll dein Glas, die Hunnen kommen... neque enim! Nun soll euch die Suppe schmecken, die eure Herren gesalzen haben. Ein großes stolzes Reich ist aufgerichtet gestanden, vom Ebro bis an die Raab und bis hinauf an die dänische Mark, keine Rattmaus hätt' einschleichen dürfen, ohne daß treue Wächter sie gefangen, so hat's der große Kaiser Karl...

Den Gott segnen möge! fiel Rauching ein.

... gefestigt hingestellt; die Stämme, die dem Römer einst zusammen den Garaus gemacht, ein Ganzes, wie sich's gehört, damals hat der Hunn scheu hinter seinem Landhag an der Donau gelauert, 's war kein Wetter für ihn, und wie sie sich rühren wollten, ist von ihrer hölzernen Lagerstatt tief in Pannonien drin kein Span mehr übrig geblieben, so hat die fränkische Landwehr drein gewettert...Siehe Einhardi vita Karoli Magni c. 13 bei Pertz, Mon. II. p. 449. aber die Großen in der Heimat hat's gedrückt, daß nicht ein jeder der Herr der Welt sein kann; da hat's innerhalb des eigenen Zauns probiert sein müssen – Aufruhr, Empörung und Reichsverrat, das schmeckt besser, den letzten von Karls Stamme, der des Weltreichs Zügel führte, haben sie abgesetzt – das Symbolum der Reichseinheit ist ein Bettelmann worden und muß ungeschmälzte Wassersuppen essen – nun, und eure Herren, denen der Bastard Arnulf und ihr eigener Übermut lieber war, haben die Hunnen auf dem Nacken, und die alten Zeiten kommen wieder, wie sie schon der König Etzel malen ließ. Kennt Ihr das Bild im Mailänder Palast?

Dort war der römische Kaiser gemalt, wie er auf seinem Thron saß und die skythischen Fürsten ihm zu Füßen lagen; da kam der König Etzel des Wegs geritten und sah die Malerei lang an und lachte und sprach: Ganz recht; nur eine kleine Änderung! Und er ließ dem Mann auf dem Thron sein eigen Antlitz geben, und die vor ihm knieten und die Säcke voll Zinsgold vor seinem Thron ausleerten, waren die römischen Cäsaren...Siehe Gibbon, Geschichte des römischen Weltreichs c. 35.

Das Bild ist heut noch zu schauen...

Ihr denkt an alte Geschichten, sprach Ekkehard.

Alte Geschichten! rief der Greis: Für mich hat's seit vierzig Jahren nichts Neues gegeben als Not und Elend. Alte Geschichten! 's ist gut, wer sie noch weiß, daß er sehen kann, wie der Väter Sünden gerächt werden an Kind und Kindeskind. Wißt Ihr, warum der große Karl das einemal in seinem Leben geweint hat? Solange ich lebe, sind's Narrenpossen, sprach er, da sie ihm der nordmännischen Seeräuber Ankunft meldeten, aber mich dauern meine Enkel!»Scitis« inquit, »o fideles mei, quid tantopere ploraverim?« »Non hoc,« ait, »timeo, quod isti nugae et nihili mihi aliquid nocere praevaleant: sed nimirum contristor, quod me vivente ausi sunt litus istud attingere, et maximo dolore torqueor, quia praevideo, quanta mala posteris meis et eorum sunt facturi subjectis.« Monachi S. Gallens. gesta Karoli II. 22 bei Pertz, Mon. II. 757.

Noch haben wir einen Kaiser und ein Reich, warf Ekkehard ein.

Habt ihr noch einen? sprach der Greis und trank seinen Schluck sauern Sipplinger und schüttelte sich: Ich wünsch' ihm Glück. Die Ecksteine sind gesplittert, das Gebäu ist morsch. Mit übermütigen Herren kann kein Reich bestehen; die gehorchen sollen, herrschen, und der herrschen soll, muß schmeicheln statt gebieten. Ich hab' von einem gehört, dem haben seine getreuen Untertanen den Tribut in Kieselsteinen statt in Silber geschickt, und der Kopf des Grafen, der ihn heischen sollte, lag dabei im Sack. Wer hat's gerächt?


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