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Zeig uns die Schatzkammer! sprachen sie zu Heribald. Der tat's gern, er wußte, daß das Kostbarste geflüchtet war. Nur versilberte Leuchter und der große Smaragd von Glasfluß waren noch vorhanden. Schlecht Kloster! rief einer, Bettelvolk! und trat mit gewappnetem Fuß auf den unechten Edelstein, daß ein mächtiger Sprung hineinklirrte. Den Heribald lohnten sie mit Faustschlägen, daß er betrübt hinweg schlich.
Im Kreuzgang kam ihm der Hunne Snewelin entgegen. Landsmann, rief er, ich bin ein alter Weinfuhrmann, sagt an, wo ist euer Keller? Heribald führte ihn hinab, vergnüglich lachte er, da er den Haupteingang vermauert sah, und nickte dem frisch aufgetragenen Kalk vertraulich zu, als wisse er sein Geheimnis. Der Mann von Ellwangen prüfte nicht lang, er schnitt die Siegel von dem einen Faß, stach den Hahnen drein und schöpfte seinen Helm voll. Es war ein langer, langer Zug, den er tat. O Hahnekamm und Heidenheim! sprach er, sich schüttelnd wie ein Fieberkranker, von wegen dem Getränk hätt' ich nicht unter die Hunnen zu gehen brauchen! – Er hieß die Gefährten die Fässer hinaufschleppen, aber besorgt trat Heribald vor und zupfte einen der Plünderer am Gewand. Erlaube, guter Mann, sprach er mit wehmütigem Ausdruck, was soll ich denn trinken, wenn ihr wieder abgezogen seid?!.. nam cum quidam illorum ascia vibrata unum retinaculorum succideret, Heribaldus inter eos jam domestice versatus: »Sine, inquit, vir bone, quid vis vero, ut nos, postquam abieritis, bibamus?« Ekkeh. I. c.
Lachend erklärte Snewelin des Mönchs Besorgnis den andern. Der Narr muß auch was haben! sprachen sie und legten ihm das kleinste von den drei Fässern unangetastet zurück; er aber ward gerührt ob solcher Rücksicht und schüttelte ihnen die Hände.
Droben im Hof hub sich ein wilder Lärm; etliche hatten die Kirche durchsucht, auch eine Grabplatte aufgehoben, da schaute ein verwitterter Schädel aus dunkler Kutte zu ihnen empor. Das schreckte selbst die Hunnen zurück. Zwei von den Gesellen stiegen auf den Kirchturm, dessen Spitze nach herkömmlichem Brauch ein vergoldeter Wetterhahn zierte. Mochten sie ihn für den Schutzgott des Klosters oder für echtes Gold halten, sie kletterten auf das Turmdach, verwegen saßen die zwei Gestalten oben und stachen mit ihren Lanzen nach dem Hahn... da faßte sie plötzlicher Schwindel, den gehobenen Arm ließ einer sinken – ein Schwanken – ein Schrei, er stürzte herab, der andere ihm nach, gebrochenen Genicks lagen sie im Klosterhof.Siehe Ekkehards Erzählung bei Pertz, Mon. II. 104.
Schlimm Vorzeichen! sprach Ellak für sich. Die Hunnen schrien auf; doch nach wenigen Augenblicken war der Unfall wieder vergessen, das Schwert hatte schon so manchen von seiner Genossen Seite gerafft, was war an zwei mehr oder weniger gelegen?
Sie trugen die Leichname in den Klostergarten. Aus den Holzstämmen, die Heribald in der Frühe umgeworfen, ward ein Scheiterhaufe geschichtet; aus des Klosters Bücherei waren die übrig gebliebenen Codices in Hof heruntergeworfen worden, die brachten sie als nützlichen Brandstoff herbei und füllten damit die Lücken am Holzstoße.
Ellak und Hornebog schritten durch die Reihen. Eingeklemmt zwischen den Scheitern, schaute eine sauber geschriebene Handschrift betrüblich herfür, die goldenen Initialen glänzten an den umgeknickten Blättern. Da zog Hornebog sein krummes Schwert und stach das Pergament heraus; auf der Spitze der Klinge hielt er's seinen Gefährten entgegen.
Zu was die Haken und Hühnerfüße, Herr Bruder? sprach er.
Ellak nahm das gespießte Buch und blätterte drin, er war auch des Lateinischen kundig.
Abendländische Weisheit! sprach er. Einer namens Boëthius hat's geschrieben; es stehen schöne Sachen drin vom Trost der Philosophie.
Philo-sophie, Herr Bruder, sprach Hornebog, was ist das für ein Trost?
Ein schönes Weib ist's nicht, auch kein gebranntes Wasser, war Ellaks Antwort. Es ist auf hunnisch schwer zu beschreiben... wenn einer nicht weiß, warum er auf der Welt ist, und sich auf den Kopf stellt, um's zu erfahren, das ist ungefähr, was die im Abendland Philosophie heißen. Den, der sich damit getröstet in seinem Wasserturm zu Pavia, haben sie deswegen doch dereinst mit Keulen tot geschlagen...
Mög's ihm wohl bekommen, sprach Hornebog. Wer den Säbel in der Faust und das Roß zwischen den Schenkeln hat, weiß auch, warum er auf der Welt ist. Und wenn wir's nicht besser wüßten, wie diejenigen, die solche Haken auf Eselshaut klexen, so wären sie an der Donau uns auf den Fersen und wir tränkten unsere Rosse nicht aus dem schwäbischen Meer.
Wißt Ihr auch, daß es ein Glück ist, daß solches Zeug angefertigt wird? fuhr Ellak fort und warf den Boëthius auf den Scheiterhaufen zurück.
Warum? fragte Hornebog.
Weil die Hand, die die Rohrfeder führt, nimmer taugt, einen Schwerthieb zu tun, der ins Fleisch geht, und ist der Unsinn, den der einzelne Kopf ausheckt, einmal gebucht, so verbrennen sich noch hundert andere das Hirn dran. Hundert Strohköpfe mehr, macht hundert Reiter weniger, das ist dann unser Vorteil, wenn wir über die Grenze brechen. Solang sie im Abendland Bücher schreiben und Synoden halten, mögen meine Kinder ruhig ihr Zeltlager vorwärts rücken! so hat's schon der große Etzel seinen Enkeln hinterlassen.
Gelobt sei der große Etzel! sprach Hornebog ehrerbietig.
Da rief eine Stimme: Lasset die Toten ruhen! Tändelnden Schrittes kam Erica zu den beiden. Sie hatte die Klosterbeute gemustert, eine Altardecke aus rotem Seidenzeug fand Gnade vor ihren Augen, sie trug sie wie einen Mantel umgeschlagen, die Enden leicht über die Schultern geworfen.
Wie gefall' ich euch? sprach sie und wandte ihr Haupt selbstgefällig.
Die Heideblume braucht keinen Schmuck schwäbischer Götzendiener, um zu gefallen, sprach Ellak finster. Da sprang sie an ihm hinauf, streichelte sein straffes schwarzes Haar und rief: Vorwärts, das Mahl ist gerichtet!
Sie schritten zum Hofe. Den ganzen Heuvorrat des Klosters hatten die Hunnen umhergestreut und lagerten drauf, des Mahles gewärtig. Mit gekreuzten Armen stand Heribald und schaute zu ihnen nieder. Die Teufelsbrut kann nicht einmal sitzen, wie's einem Christenmenschen ziemt, wenn er sein täglich Brot verzehrt, – so dachte er, doch sprach er's nicht aus. Erfahrung häufiger Schläge lehrt Schweigsamkeit.
Leg dich nieder, Schwarzrock, du darfst mitessen, rief Erica und machte ihm ein Zeichen, daß er der andern Beispiel folge. Er schaute nach dem Mann von Ellwangen, der lag mit verschränkten Beinen, als hätt' er's nie anders gelernt – da machte Heribald einen Versuch, aber bald stund er wieder auf, das Liegen deuchte ihm allzu unwürdig. Er holte sich im Kloster einen Stuhl und setzte sich zu ihnen.
Ein Ochse war am Spieß gebraten. Was sonst der Klosterküche Vorrat bot, ward gereicht; sie fielen hungrig drüber her. Mit kurzem Säbel war das Fleisch herunter gehauen, die Finger der Hand vertraten bei den Schmausenden die Stelle von Messer und Gabel. Aufrecht stund das große Weinfaß im Hofe, ein jeder schöpfte draus, soviel ihm beliebte, da und dort kam ein kunstgeformter Kelch als Trinkgefäß zum Vorschein. Auch dem Heribald brachten sie Weines die Hülle und Fülle, wie er aber stillvergnügt dran nippte, flog ihm ein halb genagter Knochen an den Kopf – er schaute schmerzlich auf, aber er schaute, daß noch manchen der Schmausenden ein gleiches Schicksal ereilte; sich mit den Knochen zu werfen, war hunnischer Brauch anstatt des Nachtisches.
Weinwarm begannen sie drauf ein ungefüges Singen.Postquam vero mero incaluerant, horridissime diis suis omnes vociferabant... I. c. Das Lied mag sich auf Attilas Abenteuer mit der Prinzessin Honoria, Schwester des Kaisers Valentinian, beziehen, die aus Rache dafür, daß sie wegen unstandesgemäßer Neigung zu ihrem Kämmerer Eugenius ins Kloster gesteckt worden, den Barbarenmonarchen durch Übersendung eines Rings anflehte, sie als seine Verlobte und Gattin heimzuführen. Siehe Gibbon, Geschichte des röm. Weltreichs cap. 35. Zwei der jüngern Reitersmänner trugen ein altes Lied zum Preis des Königs Etzel vor; es hieß drin, daß er nicht nur mit dem Schwerte, sondern auch durch Liebreiz ein Sieger gewesen allenthalb, und kam eine höhnische Strophe über eines römischen Kaisers Schwester, die ihm Hand und Herz aus verliebter Ferne entgegentrug, ohne daß er's annahm.
Wie Eulenschrei und Unkenruf klang der Chorus; dann traten etliche auf Heribald zu und machten ihm deutlich, daß auch von ihm ein Gesang verlangt werde. Er wollte sich weigern, es half nichts. Da stimmte er ernst und mit schier weinender Stimme den Antiphon zu Ehren des heiligen Kreuzes an, der da beginnt: Sanctifica nos! Staunend horchten die Trunkenen der langen ganzen Töne des alten Kirchengesangs, wie eine Stimme aus der Wüste klang die fremde Weise. Zürnend hörte es auch die Waldfrau beim kupfernen Kessel, mit ihrem Messer schlich sie herüber, faßte Heribalds Haupthaar und wollte ihm das Gelock verschneiden – der höchste Schimpf, der eines Geistlichen durch die Tonsur geweihtem Haupte widerfahren konnte.
Aber Heribald stieß sie zurück und sang unverdrossen weiter. Das gefiel den Versammelten, sie jauchzten auf, Zimbal und Geige fielen ein, itzt kam Erica auf den Mönch zu, der einförmige Gesang war ihr langweilig geworden, mit schalkhaftem Mitleid faßte sie ihn. Nach Sang kommt Tanz, rief sie und riß ihn in den Wirbel betäubenden Reigentanzes.et effusa laetitia saltant coram principibus. Ekkeh. IV. I. cit. Heribald wußte nicht, wie ihm geschah. Der Heideblume Busen wogte ihm entgegen. »Ob Heribald tanzt oder nicht, es ist nur ein kleiner Ring in der großen Kette des Greuels« – da schwang er seine sandalenschweren Füße wacker mit, die Kutte wirbelte um ihn her, fest und fester preßte er die hunnische Maid, wer weiß, was noch geschehen wäre... mit geröteten Wangen hielt sie endlich an, gab dem Blödsinnigen einen leichten Schlag ins Antlitz und sprang zu den Heerführern, die ernst in den tobenden Schwarm schauten.
Der Jubel war zu Ende, der Wein war verraucht, da gebot Ellak, die Toten zu verbrennen. In eines Augenblicks Schnelle saß der Schwarm zu Rosse, in Reih und Glied ritten sie zum Scheiterhaufen. Vom Ältesten der Hunnen wurden der Toten Pferde erstochen und zu ihrer Herren Leichen gelegt; einen schauerlichen Weihespruch rief der greise Hunn' über die Versammelten, dann schwang er den Feuerbrand und entzündete den Holzstoß – Boëthius Trost der Philosophie, Tannenscheiter, Handschriften und Leichname wetteiferten in prasselndem Aufflammen, eine mächtige Rauchsäule stieg gen Himmel.
Mit Ringkampf, Waffenspiel und Wettrennen ward der Toten Gedächtnis gefeiert. Die Sonne neigte sich zum Untergehen. Die Hunnenschar verblieb die Nacht im Kloster. –
– Es war am Donnerstag vor Ostern, als dies auf der Insel Reichenau sich zutrug. Die Kunde vom Überfall kam schnell in die Fischerhütten um Radolfs Zelle. Wie Moengal, der Leutpriester, den Frühgottesdienst hielt, zählte er seiner andächtigen Zuhörer noch sechs in der Kirche, des Nachmittags waren's drei, ihn mit eingerechnet.
Zürnend saß er in der Wohnstube, drin er einst Ekkehard freundlich bewirtet. Da stieg die Rauchwolke vom hunnischen Totenbrand auf, er trat ans Fenster... Es qualmte, als wenn das ganze Kloster in Flammen stünde, brandiger Geruch kam über den See. Hihahoi!! rief Moengal, iam proximus ardet Ucalegon! schon brennt es beim Nachbar Ukalegon! So muß auch ich mein Haus bestellen. Heraus itzt, alte Cambutta!!Cambutta, scottica vox, baculum significans. Nach dem Tode des heiligen Columban wurde dem heiligen Gallus dessen Cambutta als Andenken überbracht. Siehe vita Sancti Galli bei Pertz, Mon. II. 14 und I. v. Arx Anmerkung. Man irrt wohl schwerlich, wenn man sich eine solche Cambutta weniger elegant denn keulenartig denkt, da schon vom gewöhnlichen Spazierstock der Zeitgenossen Karls des Großen eine wahrhaft schreckbare Beschreibung überliefert ist... baculus de arbore malo, nodis paribus admirabilis, rigidus et terribilis! Monachus San Gallensis I. 34 bei Pertz, Mon. II. 747.
Die Cambutta war keine dienende Magd, sondern ein nach irischer Weise zugeschnittener riesiger Keulenstock, Moengals liebstes Handgewaffen.
Er verpackte Meßkelch und Ciborium in die rehfellene Jagdtasche; weiter war an Gold und Geld nichts vorrätig. Dann versammelte er seine Jagdhunde, den zur Reiherbeize geübten Habicht und die zwei Falken; was seine Vorratkammer an Fleisch und Fisch bot, warf er ihnen vor. Freßt euch satt, Kinder! daß nichts für die gottverfluchten Landplagen übrig bleibt!
Das Faß im Keller schlug er entzwei, daß der funkelnde Wein herausströmte. Nicht einen Tropfen Seeweins sollen die Teufel in Moengals Pfarrhaus zu schlucken bekommen! Nur den Essig im Krug ließ er unversehrt stehen.
Über die kristallhelle Butter in der Holztonne schüttete er eine Schicht Asche. Angelhaken und Jagdgerät vergrub er, dann schlug er die Fenster ein und streute die spitzen Glasscherben sorglich durch die Gemächer, andere steckte er zwischen die Spalten der Dielen, – die Spitze nach oben – alles den Hunnen zu Ehren. Habicht und Falken ließ er hinausfliegen. Lebt wohl, rief er, und haltet euch gut in der Nähe, bald gibt's tote Heiden zu benagen!
So war das Haus bestellt. Die Tasche umgeworfen, eine lederne hibernische Feldflasche drüber, zwei Spieße in der Faust, die Keule Cambutta auf den Rücken geschnallt: so schritt Moengal, der Alte, aus seinem langjährigen Pfarrsitz, ein rechtschaffener Streiter des Herrn.
Ein Stück des Weges hatte er zurückgelegt; der Himmel war verdüstert von Brand und Rauch. Halt an! sprach er, ich hab' etwas vergessen!
Er ging wieder zurück. Einen Gruß zum Empfang ist das gelbgesichtige Gesindel doch wert! Ein Stück Rötel zog er aus seiner Tasche und schrieb damit in irischer Schrift ein paar Worte auf die graue Sandsteinplatte über dem Portal des Pfarrhofs. Gewitterregen hat sie später verwaschen und niemand hat sie entziffert, aber sicher war's ein inhaltschwerer Spruch, den Moengal, der Alte, in irischen Runen zurückließ.
Er schlug einen scharfen Schritt an und wandte sich dem hohen Twiel zu.