Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Fünfzehntes Kapitel

Hadumoth

Die Nacht ging zu Ende. Lang und bang war sie für die gewesen, denen der Walstatt Hut anvertraut worden. Unheimlich Grauen lag über Erde und Menschen. Der Herr sei ihrer Seele gnädig! so tönte leiser Ruf des Wächters durch die Stille des Gefildes. Und erlöse sie von des Fegfeuers Pein, Amen! antwortete es vom Waldessaum, wo die Gefährten ums Wachfeuer kauerten. Schwere Schatten der Nacht deckten die Erschlagenen, als wolle der Himmel mitleidig verhüllen, was der Menschen Hände da unten geschafft. Dann jagten die Wolken von dannen, als wären sie selber von Grauen getrieben über den Anblick unter ihnen – andere folgten, auch sie zogen fort, Gestalt und Formen wechselnd, verlierend, in neue übergehend... Alles ist unstet, nur im Tod ewige eherne Ruhe. Die auf dem Blachfeld lagen still, Freund und Feind, wie das Wogen des Streits sie gebettet.

Eine Gestalt sah der Wächter über die Walstatt huschen, wie die eines Kindes. Sie beugte sich nieder und ging weiter und beugte sich abermals und wandelte auf und ab, aber es grauste ihm, sie anzurufen. Er stand wie gebannt. Es wird der Engel sein, der die Stirn der Toten zeichnet mit dem Buchstaben, auf daß man sie erkenne, wann der Geist dereinst ihr Gebein anbläst, daß sie wieder leben und auf den Füßen stehen und ein Heer sind wie ehedem; so dachte er nach dem Bild des Propheten, bekreuzte sich und schwieg. Die Gestalt verschwand aus seinen Augen.

Der Morgen graute, da kamen viele Männer vom Heerbann, die Mönche abzulösen. Die Herzogin sandte sie. Herr Simon Bardo war zwar nicht einverstanden. Sieg ist nur halber Sieg, so er nicht benutzt wird; wir müssen den Fliehenden nachrücken, bis der letzte von ihnen getilgt ist, hatte er gesagt. Aber die Mönche drangen auf Rückkehr, der Ostertage wegen, und die andern sprachen: Bis wir die mit ihren schnellen Rossen einholen, mögen wir weit ziehen, sie sind gekommen, wir haben sie gehauen, kommen sie wieder, sind neue Hiebe vorrätig – die Arbeit von gestern ist ihrer Ruhe wert. Da ward beschlossen, die Toten zu begraben vor Anbruch des Osterfestes.

Die Männer trugen Karst und Spaten und schaufelten zwei große Gräber. Es war eine verlassene Kiesgrube seitwärts im Feld, die weiteten sie aus zu geräumigem Ruheplatz. Dorthin trugen sie der Hunnen Leichname. Waffen und Rüstung wurden abgetan und gesammelt, viel Traglasten von Beutestücken. Und sie warfen die Toten in die Grube, sonder Rücksicht, wie sie gebracht wurden – es war ein wild verschlungener Knäuel von Gliedmaßen, Roß und Menschen durcheinander verstrickt, ein Gewühl wie beim Höllensturz der abtrünnigen Engel. Die Tiefe füllte sich. Einer der Schaufelnden kam und brachte ein einzeln Haupt; grimmig schaute es drein, mit zerspellter Stirn. Es wird auch zu den Heiden gehören und mag seinen Rumpf suchen! rief er und schleuderte es zu den Leichen.

Wie das ganze Feld abgesucht und kein hunnischer Mann mehr zu finden war, scharrten sie die Grube zu; es war ein Begräbnis ohne Sang und Klang – nur etliche Flüche tönten als Nachruf hinab und Raben und Raubvögel krächzten heiser drein; die in den Felsspalten des hohen Krähen nisteten, waren herübergeflogen, und die im Tannwald horsteten; auch Moengals Habicht war dabei, sie wollten Einsprache erheben, daß die Beerdigung sie verkürze. Dumpf dröhnten die Erdschollen und Kieselgesteine in das weite Grab. Dann kam der Diakon von Singen mit dem Kessel geweihten Wassers, den Geviertraum schritt er auf und nieder und besprengte ihn zur Bannung der Dämonen und Niederhaltung der fremden Toten in der fremden Erde.

Ein verwittert Felsstück war vor Zeiten vom Hohentwieler Berg abgelöst zu Tal gestürzt, das wälzten sie aufs Hunnengrab, dann wandten sie sich schauernd von der Stätte und richteten das zweite Grab. Das sollte die gebliebenen Söhne des Landes empfangen. Für die Erschlagenen geistlichen Standes war die Klosterkirche auf Reichenau zum Ruheplatz bestimmt.

Zur selben Stunde, in der gestrigen Tags der Kampf begonnen, stieg ein düsterer Zug vom hohen Twiel hernieder. Es waren die Männer, so die Schlacht geschlagen. In derselben Ordnung rückten sie an, aber ihr Schritt war langsam und ihr Banner trauerfarben. Auf den Zinnen der Burg war die schwarze Fahne aufgezogen. Auch die Herzogin ritt mit hernieder, streng und ernst kleidete sie der dunkle Mantel. Die toten Mönche trugen sie auf Bahren herzu und stellten sie zu Seiten des großen Grabes ab, auf daß auch sie teil nähmen an der letzten Ehre der Kampfgenossen. Wie die Litanei verklungen, trat der Abt Wazmann ans offene Grab, er rief den sechsundneunzig, die blaß und still drin geschichtet lagen, den letzten Gruß und Dank der Überlebenden hinab. Ihr Gedächtnis sei gesegnet und ihr Gebein grüne an seinem Ort! Ihr Name bleibe in Ewigkeit und die Ehre der heiligen Männer komme auf ihre Kinder! so sprach er mit den Worten des Predigers, dann tat er den ersten Erdwurf hinunter, die Herzogin nach ihm, dann die andern der Reihe nach. Drauf feierliche Stille. Vom Grab der Brüder hinweg wollten die, so gestern vereint gestritten, auseinander gehen; manch hartes Antlitz ward gerührt, Kuß und Handschlag gewechselt, dann zogen zuerst die von der reichen Au nach ihrem Kloster. Die Bahren ihrer Toten wurden mit ihnen getragen, Brüder mit brennenden Kerzen schritten psalmsingend zur Seite, auch des Alten aus der Heidenhöhle kampfmüden Leichnam führten sie mit sich, gesenkten Hauptes ging das Streitroß des ungekannten Kriegsmannes, mit schwarzem Tuch umhangen, im Zug – es war ein düstrer Anblick, wie das Totengeleite mählich ins Waldesdunkel einbog.

Dann nahmen die vom Heerbann Abschied von der Herzogin. Der dürre Fridinger, den Arm in der Binde, führte eine Schar landabwärts, nur der von Randegg mit etlichen Leuten sollte als Besatzung des hohen Twiel zurückbleiben.

Bewegt schaute Frau Hadwig den Abziehenden nach. Dann ritt sie langsam übers Schlachtfeld. Sie war gestern auf dem Turm der Burg gestanden und gespannten Auges dem Toben des Kampfes gefolgt. Itzt mußte ihr Herr Spazzo noch vieles erklären. Dem kam's auf etliche Übertreibungen nicht an, aber sie war's zufrieden. Mit Ekkehard sprach sie nicht.

... Wie auch sie heimgeritten, war's wieder still und öde auf dem Plan, als wär' nichts geschehen. Nur hufzerstampftes Gras, feucht rötliche Erde und die zwei großen Gräber gaben Zeugnis von der Ernte, die der Tod hier gehalten. Hat nicht lange gedauert, so ist das Blut aufgetrocknet und das Gras neu gewachsen, über die Hügel der Toten hat sich Moos gesponnen und Gestrüpp, Vögel und Wind haben Samenkorn hingetragen und Busch und Bäume sind üppig aufgesprießt – wo Tote liegen, gedeiht der Pflanzen Wuchs. – Aber unvermischt lebt die Kunde von der Hunnenschlacht in den nachgeborenen Geschlechtern,Siehe Bernhard Bader, Volkssagen aus dem Lande Baden p. 34. den »Heidenbuck« heißt der Mann im Hegau den Hügel, den der Felsblock als Grabplatte deckt, und in der Nacht vom Karfreitag geht keiner dort durchs Tal. Da gehört Erde und Luft den Toten; sie steigen aus dem alten Grab, hier schwärmen die kleinen Rosse wieder, dort rücken im Keil die Streiter zu Fuß an und der Harnisch blitzt unter verwittertem Mönchsgewand, Waffengelärm und wilder Kampfruf weht durch den Sturm, tosend schwingt sich die Geisterschlacht durch die Lüfte; da kommt plötzlich von der Insel im See einer drein gesaust im güldenen Harnisch auf schwarzem Roß, der jagt sie hinunter in kühle Ruhe – noch will sich der Hunnenführer gegen ihn wehren und schwingt zürnend sein krummes Schwert, da fährt ihm der Streithammer aufs Haupt, auch er muß hinab... und alles ist still wie zuvor, nur der Birke junges Laub zittert im Winde...

Ostersonntag ging trüb und ernst vorbei. Des Abends saß Frau Hadwig im Saal mit Ekkehard, Herrn Spazzo, dem Kämmerer, und dem von Randegg. Es ist zu denken, was sie sprachen. Die große Geschichte der letzten Tage klang in aller Reden wider gleich dem Schall am Lurleifelsen; hat er an der einen Wand ausgehallt, so hebt sich ein dumpfes Rollen an der benachbarten, und in ferner Schlucht wiederholt sich's und will nirgend ein Ende nehmen.

Der Abt von Reichenau hatte einen Boten geschickt, zu vermelden, wie sie das Kloster in mäßiger Verwüstung, doch vom Feuer unzerstört, angetroffen, mit geweihtem Wasser und Umtragung der heiligen Gebeine die hunnischen Spuren getilgt, die Beisetzung ihrer Toten abgehalten.

Und der zurückgebliebene Bruder? fragte die Herzogin.

An dem hat Gott der Herr erwiesen, daß seine Allmacht inmitten von Krieg und Feindesschwert auch einfältiger Gemüter nicht vergißt. An der Schwelle stand er bei unserer Rückkunft, als wär' ihm nichts begegnet. Wie haben dir die Hunnen gefallen? rief ihm einer zu. Da sprach er mit dem wohlbekannten Lächeln: Eia, sehr gut haben sie mir gefallen. Niemals hab' ich vergnügtere Leute gesehen, und Speise und Trank messen sie ganz menschenfreundlich zu – der Pater Kellermeister hat zeitlebens meinen Durst Durst sein lassen, die gaben mir Wein die Hülle und Fülle – und wenn sie mich auch mit Faustschlag und Backenstreich geschädigt, so haben sie's mit dem Wein wieder gut gemacht – und das tät keiner von euch. Nur die Disziplin fehlt ihnen, und sich still verhalten in der Kirche haben sie auch nicht ganz gelernt... Er wisse noch manches zum Preis der fremden Gäste, hat Heribald weiter gesprochen, aber nur im Beichtstuhl werd' er's offenbaren...

Frau Hadwig war noch nicht zur Heiterkeit gestimmt. Gnädig entließ sie den Boten. Sie gab ihm das geringelte Panzerhemd und den Schild des erschlagenen Hunnenführers mit, auf daß es in der Klosterkirche aufgehängt werde als ewiges Wahrzeichen. Das Schiedsrichteramt bei Verteilung der Beute war ihr zugewiesen.

Herr Spazzo, dessen Zunge seither nicht müßig war, seine Kriegstaten zu rühmen – und die Zahl der von ihm Erschlagenen wuchs mit jeder neuen Erzählung gleich einer Lawine – sprach würdig: Ich habe auch noch ein Beutestück einzuliefern, es ist meiner gnädigen Herrin bestimmt.

Er schritt hinab zu den untern Kammern, dort lag Cappan, sein Gefangener, auf dem Stroh, seine Wunde war verbunden und nicht gefährlich. Steh auf, Sohn des Teufels! rief Herr Spazzo und gab ihm einen unsanften Stoß. Der Hunn erhob sich und schnitt ein zweifelhaft Gesicht, er schätzte seine Lebensdauer auf keine allzulange Zeit mehr; an einem Krückenstock hinkte er durch die Stube. Vorwärts! deutete ihm Herr Spazzo und führte ihn hinauf. Er marschierte in den Saal ein. Halt! rief Herr Spazzo. Da stand der Unglückliche still und ließ verwundert seine Augen Umschau halten.

Teilnehmend besah Frau Hadwig das fremde Menschenkind. Auch Praxedis war herbeigekommen. Schön ist Euer Beutestück nicht, hatte sie zu Herrn Spazzo gesagt, aber merkwürdig. Die Herzogin faltete ihre Hände, – und vor dieser Nation hat das deutsche Land gezittert! sprach sie.

Die Menge schuf den Schreck und ihr Zusammenhalten, sagte der von Randegg, sie werden nimmer wieder kommen.

Seid Ihr deß so gewiß? fragte sie spitzig.

Der Hunn' verstand nicht viel vom Gespräch. Sein wunder Fuß schmerzte, er wagte nicht, sich nieder zu lassen. Praxedis sprach ihn griechisch an, er schwieg scheu und schüttelte sein Haupt. Sie begann durch Zeichen und Winke ein Verständnis anzuknüpfen – er ließ sich nicht darauf ein. Erlaubt, sprach sie zur Herzogin, ich weiß doch ein Mittel, ihm ein Lebenszeichen abzugewinnen, in Konstantinopel hab' ich davon erzählen gehört. Sie huschte aus dem Saal und erschien wieder, einen Becher tragend, spöttisch kredenzte sie den dem stummen Gefangenen.

Es war ein stark Wasser, gebrannt aus Kirschen und Steinobst; der selige Burgkaplan Vincentius hatte manch solches Essenzlein bereitet. Da verklärte sich des Hunnen Antlitz, die stumpfe Nase sog den Duft ein, er leerte den Becher, als ob er's für einen Friedenstrunk ansehe; die Arme über die Brust gekreuzt warf er sich vor Praxedis nieder und küßte ihren Schuh.

Sie gab ihm ein Zeichen, daß die Huldigung der Herzogin gebühre, da wollte er auch dort seinen Dank wiederholen, Frau Hadwig aber wich zurück und winkte dem Kämmerer, daß er seinen Mann abführe.

Ihr habt närrische Einfälle, sprach sie zu Herrn Spazzo, wie er zurückkehrte, – doch war's artig, daß Ihr in währendem Streite meiner gedachtet.

Ekkehard saß währenddem stumm am Fenster und schaute ins Land hinaus. Herrn Spazzos Art verdroß ihn. Auch Praxedis hatte ihm weh getan. Uns zu demütigen, dachte er, hat der Herr die Kinder der Wüste herübergesandt, – eine Mahnung zu lernen und in sich zu gehen und auf den Trümmern des Vergänglichen dem sich zuzuwenden, was mit dem Hauch des Ewigen gefeit ist; – noch liegt die Erde frisch auf dem Grab der Gefallenen, und schon treibt das Völklein wieder seine Späße, als wär' alles nur Schaum und Traum gewesen...

Praxedis war zu ihm herangetreten. Warum habt Ihr uns nicht auch ein Andenken aus der Schlacht mitgebracht, Professor? sprach sie leicht. Es soll eine sonderbare hunnische Amazone drin herumgetobt haben, so Ihr die gefangen, hätten wir jetzt ein Pärlein.

Ekkehard hat an Höheres zu denken, als an hunnische Frauen, sprach die Herzogin in bitterem Ton, und er weiß zu schweigen wie einer, der ein Gelübde getan. Was brauchen wir zu erfahren, wie es ihm in der Schlacht erging?

Die schneidige Rede kränkte den Ernsten. – Scherz zu unrechter Zeit wirkt wie Essig auf Honigseim. Er ging schweigend hinaus, holte Herrn Burkhards Schwert, entblößte es seiner Scheide und warf's unwillig auf den Tisch vor Frau Hadwig. Frischrote Flecken glänzten feucht auf der braven Klinge und junge Scharten waren in den Rand gehauen. Ob der Schulmeister müßig ging, sprach er, mag der da bezeugen! ich hab' meine Zunge nicht zum Herold meiner Tat ernannt.

Die Herzogin war betroffen. Sie trug noch einen Mißmut auf dem Herzen, es zuckte und drängte, ihm zürnend Luft zu schaffen – aber das Schwert Herrn Burkhards weckte mannigfache Gedanken, sie hielt den Groll an sich und reichte Ekkehard die Hand.

Ich wollt' Euch nicht kränken, sprach sie.

Die Milde der Stimme klang ihm vorwurfsvoll, er zögerte, die dargebotene Rechte zu ergreifen. Schier hätt' er um Verzeihung gebeten für seine Rauheit, aber das Wort stockte ihm; – da ging die Türe des Saales auf, es ward ihm alles Weitere erspart.


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