Joseph Victor von Scheffel
Ekkehard
Joseph Victor von Scheffel

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Elftes Kapitel

Der Alte in der Heidenhöhle

Der Rest des Winters ging auf dem hohen Twiel einförmig, darum schnell vorüber. Sie beteten und arbeiteten, lasen Virgil und studierten Grammatik, wie es die Zeit brachte. Frau Hadwig stellte keine verfänglichen Fragen mehr.

In der Faschingszeit kamen die benachbarten Großen, der Herzogin ihren Besuch abzustatten, die von der Nellenburg und von Veringen, der alte Graf im Argengau mit seinen Töchtern, die sieben Welfen von Ravensburg überm See und manch anderer.Über die in jenem Zeitalter hervorragenden alemannischen Grafen und Herrengeschlechter siehe Stälin, Geschichte von Wirtemberg I. 544 u. ff. Da wurde viel geschmaust und noch mehr getrunken.

Dann ward's wieder einsam oben.

Der März kam heran, schwere Stürme sausten übers Land, in der ersten klaren Sternennacht stand ein Komet am Himmel,Nova stella apparuit insolitae magnitudinis, aspectu fulgurans et oculos verberans non sine terrore. Annales S. Gallenses majores bei Pertz, Mon. I. 8. und der Storch, der auf der Burg Dachfirst wohlgemut hauste, war acht Tage nach seiner Rückkunft wieder von dannen geflogen; die Leute schüttelten den Kopf. Dann trieb der Schäfer von Engen seine Herde am Berg vorüber; der erzählte, daß er dem HeerwurmS. Berthold, der Heerwurm, gebildet aus Larven der Thomas-Trauermücke, Göttingen 1854. begegnet: das bedeutet Krieg.

Unheimliche Stimmung lagerte sich über die Gemüter. Drohendes Erdbeben wird auch in weiter Entfernung vorausgespürt; hier Ausbleiben einer Quelle, dort scheuer Vogelflug: ebenso ahnt sich Gefahr des Krieges.

Herr Spazzo, der im Februar tapfer hinter den Weinkrügen turniert hatte, ging jetzo tiefsinnig umher. Ihr sollt mir einen Dienst erweisen, sprach er eines Abends zu Ekkehard. Ich hab, im Traum einen toten Fisch gesehen, der auf dem Rücken schwamm. Ich will mein Testament machen. Die Welt ist alt geworden und steht nur noch auf einem Bein, das wird nächstens auch zusammen knacken. Gute Nacht, Firnewein! Zum tausendjährigen Reich ist's ohnedem nicht mehr weit; es ist lustig gelebt worden, vielleicht werden die letzten Jahre doppelt gerechnet.

Weiter kann's die Menschheit auch nicht mehr bringen. Die Bildung ist so weit gediehen, daß auf dem einen Schloß Hohentwiel mehr als ein halb Dutzend Bücher aufgehäuft liegen, und wenn einer blutrünstig geschlagen wird, so läuft er zum Gaugericht und klagt's ein, statt seinem Schädiger Haus und Hof überm Kopf zusammen zu brennen. Da hört die Welt von selber auf.Der fromme Wahnglaube vom Hereinbrechen des jüngsten Tages und vom bevorstehenden Ende der Welt war in karolingischer und späterer Zeit ein sehr häufiger. Viele Vornehme und Geringere sahen sich dadurch behufs der Sicherung ihres Seelenheils zu Schenkungen an die Kirche veranlaßt. Mundi terminum appropinquantem ruinis crebrescentibus jam certa signa manifestant beginnt z. B. ein in Mones Anzeiger 1838 p. 438 mitgeteilter Schenkungsbrief.

Wer soll Euer Erbe sein, wenn alle zu Grunde gehn? hatte ihn Ekkehard gefragt.

Ein Mann von Augsburg kam nach der Reichenau, der brachte schlimme Kundschaft. Der Bischof Ulrich hatte dem Kloster ein kostbar Heiligtum zugesagt, den rechten Vorderarm des heiligen Theopontus, reich in Silber und Edelstein gefaßt. Das Land sei unsicher, ließ er vermelden, er traue sich nicht, das Geschenk zu senden.

Der Abt wies den Mann nach dem hohen Twiel, der Herzogin Bericht zu erstatten.

Was bringt Ihr Gutes? frug sie ihn.

Nicht viel, möchte lieber was mitnehmen: den schwäbischen Heerbann, Roß und Reiter, so viel ihrer Schild und Speer an der Wand hängen haben. Sie sind wieder auf dem Weg zwischen Donau und Rhein...

Wer?

Die alten Freunde von drüben herüber; die kleinen mit den tiefliegenden Augen und den stumpfen Nasen. Es wird wieder viel roh Fleisch unter dem Sattel mürb geritten werden dieses Jahr.

Er zog ein seltsam geformtes kleines Hufeisen mit hohem Absatz aus dem Gewand: Kennt Ihr das Wahrzeichen? »Kleiner Huf und kleines Roß, krummer Säbel, spitz Geschoß – blitzesschnell und sattelfest: schirm uns Herr vor dieser Pest!«

Die Hunnen?!Seit dem Ausgang des neunten Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des zehnten gehörten die Einfälle der Ungarn in den deutschen Gauen zu den gewöhnlichen Landplagen; Nord und Süd wurden von ihnen heimgesucht. Die gleichzeitigen Geschichtschreiber nennen sie bald Avaren oder Agarener, bald Ungarn (wobei der Name in abenteuerlicher Etymologie vom Hunger abgeleitet wird, der sie aus den Steppen Pannoniens vorwärts trieb ..  innumerabilis eorum crevit exercitus et a fame, quam patiebantur, Hungri vocati sunt. Epistola Remigii bei Martène collect. I. 234), noch öfter aber Hunnen, wiewohl die Abstammung derselben von dem Hunnen-König Attila keineswegs zu den erwiesenen Tatsachen gehört. Letztere altertümliche Bezeichnung ist in unserer Erzählung beibehalten. fragte die Herzogin betroffen.

So Ihr sie lieber die Ungerer heißen wollt oder die Hungerer, ist mir's auch recht, sprach der Bote. Der Bischof Pilgrim hat's von Passau nach Freising melden lassen, von dort kam uns die Mähr'. Über die Donau sind sie schon geschwommen, wie die Heuschrecken fallen sie aufs deutsche Land, geschwinde wie geflügelte Teufel sind sie auch, eher fängst du den Wind auf der Ebene und den Vogel in der Luft, heißt's bei uns von früher her. Daß Koller und Dampf ihre kleinen Rosse heimsuchte!... Mich dauert nur meiner Schwester Kind, die schöne Berta in Passau...

Es ist nicht möglich! sagte Frau Hadwig. Haben sie schon vergessen, wie ihnen die Kammerboten Erchanger und Berchtold den Bescheid gaben: Wir haben Eisen und Schwerter und fünf Finger in der Faust? In der Schlacht am Inn ward's ihnen deutlich auf die Köpfe geschrieben...

Eben darum, sprach der Mann. Wer tüchtig geschlagen worden, kommt gern wieder, um das zweitemal selber zu schlagen. Itzt sind andere Zeiten. Den Kammerboten hat man zum Dank für ihre Tapferkeit später das Haupt vor die Füße gelegt, wer wird sich noch voran stellen?

Auch wir wissen den Weg, auf dem unsere Vorgänger gegen den Feind geritten sind, sprach die Herzogin stolz.

Sie entließ den Mann von Augsburg mit einem Geschenk. Dann berief sie Ekkehard zu sich.

Virgilius wird eine Zeitlang in Ruhe kommen, sprach sie zu ihm und teilte ihm die Nachricht von der Hunnen Gefahr mit. Die Lage der Dinge war nicht erfreulich.

Die Großen des Reichs hatten in langen Fehden verlernt, zu gemeinsamem Handeln einzustehn; der Kaiser, aus sächsischem Stamm und den Schwaben nicht sonderlich hold, schlug sich fern von den deutschen Grenzen in Italien herum, die Straße nach dem Bodensee stund den fremden Gästen offen. An ihrem Namen haftete der Schreck. Seit Jahren schwärmten ihre Haufen wie Irrlichter durch das zerrüttete Reich, das Karl der Große unfähigen Nachfolgern hinterlassen; von den Ufern der Nordsee, wo die Trümmerstätte von Bremen Zeugnis ihres Einfalls gab, bis hinab an die Südspitze Kalabriens, wo der Landeingeborene ihnen Mann für Mann ein Lösegeld für seinen Kopf zahlen mußte, zeichnete Brand und Plünderung ihre Spur...

Wenn der fromme Bischof Ulrich keine Gespenster gesehen hat, sprach die Herzogin, so kommen sie auch zu uns, was ist zu tun? In Kampf ziehen? Auch Tapferkeit ist Torheit, wenn der Feind übermächtig. Durch Tribut und Goldzins Frieden kaufen und sie auf der Nachbarn Grenzen hetzen? Andere haben's getan; wir haben von Ehr und Unehr andere Meinung.

Uns auf dem Twiel verschanzen und das Land preisgeben? Es sind unsere Untertanen, denen wir herzoglichen Schutz gelobt. Ratet!

Mein Wissen ist auf solchen Fall nicht gerüstet, sprach Ekkehard betrübt.

Die Herzogin war aufgeregt. O Schulmeister, rief sie vorwurfsvoll, warum hat Euch der Himmel nicht zum Kriegsmann werden lassen? Es wäre vieles besser!

Da wollte Ekkehard verletzt von dannen gehen. Das Wort war ihm ins Herz gefahren, wie ein Pfeil, und setzte sich tief darin fest. Es lag ein Stück Wahrheit in dem Vorwurf, darum schmerzte er.

Ekkehard! rief ihm Frau Hadwig nach, Ihr sollt nicht gehen, Ihr sollt mit Eurem Wissen der Heimat dienen, und was Ihr noch nicht wißt, sollt Ihr lernen. Ich will Euch zu einem schicken, der weiß Bescheid in solchen Dingen, wenn er noch lebt. Wollt Ihr meinen Auftrag bestellen?

Ekkehard hatte sich umgewandt. Ich war noch nie säumig, meiner Herrin zu dienen, sprach er.

Ihr dürft aber nicht erschrecken, wenn er Euch spröd und rauh anläßt, er hat viel Unbill erfahren von früheren Geschlechtern, die heutigen kennen ihn nicht mehr. Dürft auch nicht erschrecken, wenn er Euch gar alt und fett erscheint.

Er hatte aufmerksam zugehört: Ich verstehe Euch nicht ganz...

Tut nichts, sprach die Herzogin. Ihr sollt morgen nach dem Sipplinger Hof hinüber, drüben am Überlinger See, wo die Felswand sich steil in die Flut herabsenkt, ist aus alten Zeiten allerhand Gelaß zu menschlicher Wohnung in den Stein gehauen. Wenn Ihr den Rauch eines Herdfeuers aus dem Berg aufsteigen sehet, so geht hinauf. Dort findet Ihr, den ich meine, redet mit ihm von wegen der Hunnen...

Zu wem sendet mich meine Herrin? fragte Ekkehard gespannt.

Zum Alten in der Heidenhöhle, sagte Frau Hadwig. Man weiß hierlands keinen andern Namen von ihm. Aber halt! fuhr sie fort, ich muß Euch auch das Wort mitgeben für den Fall, daß er den Eintritt weigert.

Sie ging zu ihrem Schrank und stöberte unter Schmuck und Gerätschaften; dann brachte sie ein Schiefertäflein, drauf standen etliche Buchstaben gekritzelt: das sollt Ihr zu ihm sagen und einen Gruß von mir.

Ekkehard las. Es waren die zwei unverständlichen lateinischen Worte: neque enim! sonst nichts. Das hat keinen Sinn, sprach er.

Tut nichts, sagte Frau Hadwig, der Alte weiß, was es ihm bedeutet...

Bevor der Hahn den Morgen anrief, war Ekkehard schon durchs Tor von Hohentwiel ausgeritten. Kühle Frühluft wehte ihm ums Antlitz; er hüllte sich tief in die Kapuze. »Warum hat Euch der Himmel nicht zum Kriegsmann werden lassen? Es wäre vieles besser!« Das Wort der Herzogin ging mit ihm, wie sein Schatten. Es war ihm ein Sporn zu mutigen Entschlüssen. Wenn die Gefahr kommt, dachte er, soll sie den Schulmeister nicht hinter seinen Büchern sehen!

Sein Roß trabte gut. In wenigen Stunden ritt er über die waldigen Höhen, die den Untersee von dem See von Überlingen trennen. Am herzoglichen Meierhof Sernatingen grüßte ihn die blaue Flut des Sees, er ließ sein Roß dem Meier und schritt den Pfad voran, der hart am Ufer hinführt.

An einem Vorsprung hielt er eine Weile, gefesselt von der weiten Umschau. Der Blick flog unbegrenzt über die Wasserfläche bis zu den rhätischen Alpen, die, eine kristallklare Mauer, sich als Ende der Landschaft himmelan türmen.

Wo die Sandsteinfelsen senkrecht aus dem See emporstiegen, lenkte sich der Pfad aufwärts. Stufen im Fels erleichterten den Schritt, gehauene Fensteröffnungen, mit dunkeln Schatten in der Tiefe die Lichte der Felswand unterbrechend, wiesen ihm den Ort, dran einst in Zeiten römischer Herrschaft unbekannte Männer sich in Weise der Katakomben ein Höhlenasyl eingegraben.Siehe G. Schwab, der Bodensee nebst dem Rheintale. Teil II. p. 119.

Das Aufsteigen war beschwerlich. Jetzt trat er auf einen ebenen Geviertraum, wenig Schritte im Umfang, von jungem Gras bewachsen. Vor ihm öffnete sich ein mannshoher Eingang in den Felsen, aber ein riesiger schwarzer Hund sprang bellend hervor, zwei Schritte vor Ekkehard hielt er zu Sprung und Biß bereit, seine Augen starr auf den Mönch gerichtet; der durfte keinen Schritt vorwärts machen, so fuhr ihm der Hund an den Hals.

Die Stellung war nicht beneidenswert, Rückzug unmöglich, Waffen trug Ekkehard nicht. So blieb er seinem Gegner gegenüber eine Weile starr stehen; da schaute aus der Fensteröffnung zur Seite eines Mannes Angesicht: ein Graukopf war's mit stechenden Augen und rötlichem Bart.

Gebietet dem Tier Ruhe! rief Ekkehard.

Dauerte nicht lange, so erschien der Graukopf unter dem Eingang. Er war mit einem Spieß bewaffnet.

Rückwärts, Mummolin! rief er.

Ungern gehorchte das große Tier. Erst wie ihm der Graue den Spieß zeigte, zog sich's knurrend zurück.


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