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Die Sonne stand nicht mehr hoch; Richard war noch nicht zurück, und ihn erwartend saßen Walter, Saliane und Petronella mit ihrem Etty und Olivia's Kinde, dessen sie sich angenommen, in der Rosenlaube am Meer, und tranken Serbet. Amok hatte es, weil er es am besten verstand, und gewohnt war, es für Salianen zu kochen, auch jetzt bereitet, und reichte es in den chinesischen Schälchen mit ihrem aus Golddrath geflochtenen Netz umher. Sie tranken; Petronella bot auch ihrem Etty; aber er war kränklich und mochte nicht. So reichte sie die Schale Olivia's kleiner Tochter, die das liebliche Getränk, blinkend und duftig wie zerflossene Rosen, gern genoß. Darüber ward sie von der Mutter abgerufen, und setzte ihren Knaben auf Salianens Schoß.
Das Geschäft bei Lady Esther verweilte sie länger im Zimmer derselben, aber ungern und ungeduldig, denn ihr war, als riefe sie immer etwas leise in den Garten zurück und zöge sie nach dem Kinde! Als sie daher, nach einiger Zeit erst, schnell dahin zurückgekehrt war, fand sie Walter und Saliane in tiefen Schlaf versunken. Ihr Etty schrie auf dem Schoße derselben vor Angst der Einsamkeit und Verlassenheit. Olivia's Kind aber, das Walter in leichter Umarmung hielt, war blaß, still, und athmete nicht; es fühlte sich kalt an, es war todt. Die Abendsonne lag auf den ruhigen Gesichtern der Schlafenden, und belebte die todtenhafte Gruppe. Sie rüttelte an Walter, sie rief Salianen in's Ohr; umsonst! – und mit Entsetzen riß sie ihr Kind von ihr weg. Sie stand und zitterte und wand rathlos die Hände. Der Zwerg saß ruhig auf der Erde, ohne Laut, ohne Bewegung. Sie riß ihn auf. Er schien sich nicht einmal zu verwundern. Er gab ihr mit Zeichen zu verstehen, still zu sein und sie schlafen zu lassen. Aber ihr verdachtvoller durchbohrender Blick forschte in seinen Augen, die zwar dreist in die ihren sahen, aber starr und gezwungen. Sie blickte umher und gewahrte zur Seite am Boden ausgegossenes Serbet; der weiße Sand war davon geröthet. Sie hob die Kanne – sie war voll und noch ganz heiß. Im Nachsinnen ging ihr schnell der Gedanke auf. Wahrscheinlich hatte der tückische Zwerg gerade heut', wo man in der Angst es sich am wenigsten vermuthet, die That vollbracht, seine Rache an Walter und Saliane zu kühlen. Aber das Kind, das zarte, liebliche Kind Olivia's, hatte auch getrunken, und war schon todt; und Jene schienen dem Tode entgegen zu schlafen, indem sie von dem verfälschten Serbet getrunken. Den Rest hatte der Zwerg weggeschüttet, und gewiß anderen, unverfälschten bereitet, um vielleicht bei entstandenem Verdacht, zum Beweise seiner Unschuld, selbst davon zu trinken, aber sich eben dadurch verrathen.
Petronella schauderte. Auch ihr und ihrem kleinen Etty hatte der Tod bevorgestanden, wenn auch nicht gegolten, so wie dem armen Kinde nicht; und nur ein glückliches Ohngefähr hatte sie errettet, um dem heillosen Gespenst sein Geschick zu bereiten.
Ihre Gedanken suchten nach Rath um Hülfe; sie hatte nicht Muth genug, sich an dem Zwerg zu vergreifen, und wußte auch nicht zu verhindern, daß er entkomme, da ihm unheimlich zu werden anfing.
Eben wollte sie jedoch forteilen, die Mutter und Leute zu rufen, als Richard aus der Felucke stieg. Er hatte rudern helfen, um schneller nach Hause zu sein, und hielt das Ruder noch in der Hand. Petronella ergriff ihn hastig stumm, und zog ihn nach der kaum zehn Schritt weit entfernten Laube, zu sehen, was dort ihn erwarte.
Richard, noch ohnehin ganz entrüstet über den Frevel an seiner Olivia, und jetzt über die vergebliche Fahrt, nun gar sein Kind todt erblickend, und auf die unerwecklichen Schläfer starrend, fragte: »Wer hat mir das gethan?« –
Petronella gab ihm zu verstehen, was sie entdeckt und was sie vermuthe. Richard sahe empört auf den Boden, dann wüthend umher, und griff nach dem Zwerge. Er hielt ihn frei vor sich hin in die Luft, und schüttelte ihn, daß der Turban von seinem nackten Kopfe fiel, und er mit dem bartbestoppelten Kinne wackelnd die Zähne zusammen klappte. Und doch that er ihm leid in der erbarmungswürdigen Gestalt. –
Jammerbild! rief Richard, gestehe! Jammerkind, in Sünden erzeugt, nun eine lebendige Sünde, gesteh'!
Aber Amok blieb stumm und furchtbar-gelassen. Nur einmal preßte er die Augen zusammen, wie ein Alter, der nicht mehr weinen kann. War Etwas in seinen eisernen Zügen zu lesen, so war es ein herzdurchdringendes Lächeln.
Richard drohte mit Macht in ihn ein, und hielt ihn über das Meer hinaus. Da stieß er in einzelnen Worten aus: »Petronella hat dem Kinde zu trinken gegeben.« –
Petronella, so schwer verklagt, faltete die Hände, und ihre Augen riefen den Himmel zum Zeugen an.
Du hast ihm doch zu trinken gegeben! wiederholte der Zwerg.
Petronella aber sagte: Ja, aber nur dein Getränk! Sie brach in Thränen aus. Richard ließ ihn los; aber das gleiche, unbewegte Gesicht, welches, nicht einmal erzwungen, den verstockten Verbrecher verrieth, ganz ohne die Angst, die auch den Falschbeschuldigten überkommt, und jetzt noch die freche Anklage, empörten ihn aufs Höchste. Er schlug mit dem Ruder im heftigsten Zorn nach dem Zwerge; und dieser, im Begriff sich nach vorwärts platt auf die Erde zu werfen, empfing den Schlag im Genick, und lag, davon erschüttert, todt auf dem Boden, ohne einen Laut mehr von sich zu geben.
Fahre zu deinem Vater, dem Teufel! verwünschte ihn Richard, als er noch den Mund öffnete, wie die Seele auszuhauchen, welche Richard betäubt erwartete, wie auf alten Gemälden des Pinturichio aus des linken Schächers Munde, als winzigen geflügelten Drachen hervorschwirren zu sehen; aber es quoll nur Blut aus des Sterbenden Munde. Und ein unbegreifliches Etwas zwang Richard wie gebannt anzusehen, wie die Augen ihm brachen, und, dadurch nach oben gewandt, ihn anstarrten, und fest auf ihm haftend in ihrem weißen Scheine verloschen.
Richard warf sein Tuch ihm über das Gesicht, mit dem er sich den Angstschweiß abgetrocknet. Dann nahm er bewegt sein todtes Kind auf die Arme, wiegte es gleichsam wie im Schlafe, und sprach nach langer Abwesenheit der Gedanken: Jetzt ist Olivia's Unglück schon ein Glück für sie! und ein Glück für mich ihr Raub! O daß sie bliebe, wo sie ist! immer bliebe, wie sie ist, dies herbe Leid nicht anzuschauen wie fremdes – mir bräche das Herz! Wer darf noch klagen, und beten um Hülfe aus irgend einer Noth, der nicht ein Seher ist, und weiß, was er über sein Haupt erbittet! »Nun erhöre mich nicht!« rief Richard in den blauen, voll Gold- und Purpurwolken schwimmenden Himmel über sie hinan – »erhöre mich nicht!«