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Der Feigenbaum.

Wie Richard in dem türkischen Hause die Treppe hinaufstieg, die Kniee ihm zitterten, als ihn das begegnende Mohrenmädchen – gewöhnlich im Dienst der Küche – jetzt an der Hand ergriff, daß er nicht falle, und die Stufen hinauf nach seinem Zimmer leitete, drang sich ihm die Erinnerung eines ähnlichen nächtlichen Ganges auf, der zitternden Kniee, eines Mohrenmädchens, eines Zimmers mit einer vor Glanz des Geschmeides blendenden schönen Gestalt, in welchem ihn damals ganz etwas anderes erwartete als Einsamkeit, Leid und Thränen.

»Diese Zeit lag also hinter jener Zeit! Sie war die Sat, das ist die Frucht;« sprach er betrachtend bei sich. Er warf sich aufs Bett, und derselbe Mond legte sich zu ihm wie ein Geist, der ihn einst als Kind begrüßt, ihm als Knaben Ahnungen zugeraunet, und als Jünglinge und reifendem Manne so manche Thräne gelöst. Er sahe zu, wie er jetzt unterging, zuckende Strahlen versendend, und zitternd sich selbst sein Grab wühlte, eine dunkle Purpurdecke darüber zog und still sich selbst begrub.

Also wäre es doch vergebens, redete er mit sich selbst, vergebens: zurückzukehren auf den rechten Weg, wenn mir das heiligste Streben so mißlang, wenn ich so versinke! Kann man nicht ohne Blüthen im Frühling stehen, und dennoch Früchte tragen? Hat nicht die Natur – die für jeden menschlichen Gedanken ein Vorbild hegt – den Feigenbaum, der nie blüht, und doch so süße Früchte bringt? Und ist nicht die innen verborgene heimliche Blüthe zuletzt die Frucht! Oder ist der gute Geist im Menschen wie ein Meilenzeiger, der nur mit dem Arme deutet: »den Weg gehe!« der aber selbst nicht mitkommt, den Weg nicht geht, und hinter jedem Wanderer fest gebannt und träg, wie ein seiner Lehre spottender Prediger, zurückbleibt! – Er mußte sich selbst widersprechen, denn er fühlte den guten Geist eben in sich; er war mit ihm gekommen durch das Labyrinth der Jugend, und weinete jetzt in ihm. – Was hab' ich denn jetzt gethan? fragt' er sich weiter. Gethan, ist abgethan! Das Leben bleibt ein Bruchstück immerfort, und einzeln steht jedwede That im Innern, die gute wie die böse, streng geschieden, und ohne Wirkung auf einander, noch auf ihres Gleichen, noch auf die Seele selbst. Gethanes Gute hindert nicht den neuen freien Schritt zum Bösen, und vergangenes Böse kann das gegenwärtige Gute nicht vernichten; zum wenigsten in mir! Was ist mir also denn geschehen, wenn ich jetzt nichts gethan? wollt' er sich beschwichtigen. – Mir? – nichts! aber Ihr – oh! und so ist mir viel geschehen, Alles, was mir geschehen kann! und bist du nur einen Seufzer werth, eine Thräne, wie sie gewiß tausend weint, und noch weinen wird um dich – wie du gethan!

Er faßte sich selbst an der Brust wie einen Fremden, kehrte sich dann gegen die Wand, und bereute, alle jene aus Eitelkeit aufbewahrte Reliquien nicht längst vertilgt zu haben, damit Olivia glücklich geblieben, und er selbst besser gewesen! Denn, empfand er, auch die Erinnerung an ein Tadelnswerthes soll der Mensch unterdrücken. Und auch jetzt hatte er jenen Schmuck der mänadischen Liebe nicht einmal von ihr mitgenommen, der sie nun morgen wieder quälte! Denn der Gedanke tröstete ihn wenig, daß er im Grunde doch nichts an Ihr verbrochen, daß sie ihn verkenne, ja wie bezaubert ihn nur erkenne, so wie er war, nicht wie er sei. Aber ach, seufzt' er, ich war doch nicht rein wie sie, ich habe ihr ein Herz aus Asche geboten; ich bin und bleibe schuldig. Sie hätte mich nicht geliebt, wenn sie wußte .... sie kann mich nicht mehr lieben, nun .... sie ist elend durch mich. Ist das nicht Verbrechen genug? – Genug – genug – wiederholt' er leiser und leiser, indem er einschlief.



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