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Die Mutter und Richard wurden bei alle dem durch Robert's Ausbleiben von Tage zu Tage mehr um ihn bekümmert. Walter äußerte sich unwillig darüber, denn er kannte seine leichtsinnige Lebensart. Ich bin kein Thor, mich zu scheuen, der Jüngste zu werden, aber ich wünsche, daß er werde, wie der Aelteste! – sprach er zu Richard – und pries ihn, trotz seines jetzigen Mißverhältnisses, glücklich, welches ja vorüber gehen müsse. Richard lächelte und trug jetzt seinen alten überstandenen Kummer um sich selbst, erweckend und erweckt, auf seinen geliebten Bruder über. Denn er sahe Robert auf dem Wege in dasselbe Verderben, aus dem er sich nur allmälig mit der ernstesten Aufbietung aller seiner edelsten Kräfte herausgearbeitet. Walter sprach: ich hoffe, daß wenn du ihn bei dir hättest, der du solchen Treibens und solcher Wünsche kundig bist, des Hineinweges, und des Herausweges, du ihn wenigstens zum Einhalten bringen, und dann vielleicht seine brausenden Kräfte unter die von ihm noch nicht anerkannte Herrschaft der Vernunft stellen würdest, ihm Willen geben. Ich habe so meine Allerweltsgedanken gerade über die besten Propheten und Lehrer, die so gar kundig und eindringlich reden, daß sie Einen ordentlich fassen und bannen mit Kenntniß und Erfahrungen nur ihres eigenen Lebens und Herzens, die allen Sündern nicht abzusehen und von Niemandem zu träumen sind. Denn wer kann nachfühlen wie einer Schlange zu Muthe ist, einem Tiger; einem menschlichen Ehebrecher, dessen Gedanken schon die Ehe brechen. Moses hatte getödtet – und wie feurig gab er das fünfte Gebot. Und o der Blindheit! Ein Gebesserter sein ist erst die höchste Ehre, das Zeugniß der göttlichsten Macht. Demüthigung, Unmöglichkeit, Schande – das Alles ist bei ihm den Gutwillignahenden abgeschnitten, die Pflicht doppelt; der Weg ehrlich gemacht. Und gestandener Maßen ist Niemand gut als Gott, auch nicht Einer, Keiner. Also ist nun der Beste der, »über den sich alle Engel im Himmel freuen« – der Gebesserte; also ein vorher, wenn nicht auswendig in Thaten, doch inwendig, wenn auch in besiegten Gedanken, nicht Guter, aber sich Bessernder, Feststellender. Und so verzeihe Du mir meine Bitte nun gerade an Dich! Denn Du bist voll inwendiger und auswendiger Erfahrung. Du mir, mein Herr Bruder, daß ich hier vor Dir, ja zu Dir sage: Niemand vermag der Menschen Herzen mehr zu rühren und zu bessern, als ein Gebesserter; denn dieser war ihnen einst gleich an Fehlern, und ist ihnen nun voraus an Tugenden. Er hat Eifer. Sie haben Zutrauen. Sie betrachten ihn als einen Genossen, und doch wiederum auch als ein Muster; ein erlangliches, das vor ihnen steht. Und ein leises, fast unangenehmes Vorgefühl sagt ihnen, was sie leider nicht hören, nicht wissen mögen, daß ihr Weg sie endlich doch auch dahin führen müsse, wo sie nun jenen, wie verblendet, erblicken. Deswegen fliehen die vom jungen Most des Lebens Berauschten so sehr die Besonnenen, wie Nachtvögel die Sonne.
Eines Nachmittags erhielt Walter ein Billet durch einen seiner Leute aus seinem Hause in der Stadt. Er las es und gab es dann Richard hin. Dieser überblickt' es mit Verwunderung, denn es flammte gleichsam von der leidenschaftlichsten in ihren Gegenstand ganz versunkenen Liebe. Noch mehr aber erstaunte er über den Namen, der darunter stand. Es war von Petronella. Sie schrieb:
»Schaffen Sie mir Ihren Bruder wieder, oder ich stürze mich
»mit meinem Knaben in's Meer.
Petronella.«
Ich habe dich jetzt nicht gern auch noch mit der Nachricht beunruhigen mögen, erklärte ihm Walter, daß das sehnsüchtige Mädchen zwei Jahre später aus Rom ihm nachgefolgt, wie sie sagte: bloß aus Freude, ihm sein schönes blondlockiges Kind zu bringen. Sie hatte es nicht länger ertragen, allein mit ihm zu sein, und ihm immer nur fremde Gesichter in den Wagen zu zeigen, so oft Maulthiere zum Corso hereinschelleten, oder umsonst es allen die Tiber heraufschwimmenden Schiffen entgegen zu schwingen. Sie wohnte seitdem drüben in Pera mit uns in demselben Hause. Ich mußte es dulden, und bedauerte nur, daß Robert ihrer überdrüssig war, wie du aus dem Schlusse seiner Erzählung bei dem Gesandten hättest merken müssen, wenn du die Verhältnisse gewußt; und ich verschwieg es dir auch, um ihn dir erst lieb zu machen durch die Macht des ersten Eindrucks, durch das viele Gute und Herrliche, was er hat. Denn erfahren wir von einem Menschen das Gute zuerst, nachher das Böse, so dünkt er uns ein gutes Buch mit angehängtem Druckfehlerverzeichniß; im Gegentheil ein Druckfehlerverzeichniß – nebst den Verbesserungen.
Sie machten sich auf und fuhren hinüber, einverstanden, Petronella und das Kind mit herüber zu nehmen, um sie von allen Thorheiten abzuhalten, die Liebe und Einsamkeit ihr eingeben möchten. Für wen sie aber das Mädchen ausgeben sollten, darüber wollten sie noch sprechen, auch sie selbst noch hören.
Petronella, die flüchtig und halb zu spät durch das Gitter des Fensters Jemanden vor Waltern in das Haus treten gesehen, kam ihnen im Laufe schon bis an die Treppe entgegen. Als sie aber ihren Robert nicht sah, und beinahe Richard umarmt hätte, kehrte sie stumm und finster ihnen voraus in das Zimmer zurück, ohne einmal die Thür offen zu lassen.
Waltern verdroß ihr Benehmen; er blieb vor Aerger stehen und zürnte: Das soll man nun auch Treue nennen! Da möchte man stolz werden: welche Bezauberung ein schöner Mann für die Weiber hat, sei er auch übrigens gern der verrufenste Mensch von der Welt. Daß er schon neunzehn unglücklich gemacht und verlassen, wird ihm bei der Zwanzigsten zur Empfehlung. Das ist ein Beweis mehr, daß die Augen nicht sehen! und sieht ihr Verstand auch Untreue, Schande und Unglück vor Augen, sie ergiebt sich ihm doch, und das um so eher, wenn sie nur weiß, er habe schon Viele gereizt. Sie hat ihn gefangen, und das soll eine Ehre sein; als wenn der Beifall vieler Bethörten einen Nichtswürdigen würdig machte! Er ist mein Bruder, und desto mehr kränkt es mich. – Entrüstet und hitzig ging er hinein.
Richard dagegen gelassen, fand wider Vermuthen ein inniges, ja liebliches Wesen an Petronella. Sie sah ihn aus ihren dunkeln melancholischen Augen mit so ängstlichen Blicken an, wie ihm sonst so sehr geschmeichelt, als sie noch ihm gegolten. Mit Rührung erkannt' er des Bruders Züge im Angesicht des Kindes, das betreten seufzend im Winkel stand. Er hätte lieber geweint. Er empfand die Worte: »Wer viel gesündigt, der muß viel vergeben!« Der Reine nur kann und wird vergeben, weil er rein ist. Er beschäftigte sich nun liebreich mit dem Kinde, und flößte dadurch auch der Mutter Zutrauen zu sich ein, dessen die Verlaßne bedurfte, besonders in ihrer Verlegenheit vor ihm.
Walter, heut' sehr kurz gefaßt, ließ Petronella kaum so viel Zeit, ihre Sachen gehörig einzupacken und zu verschließen, damit sie ihr nachgebracht würden. Er schrieb indeß mehrere Billets an bekannte Häuser, wo Robert sonst aus- und einging, besorgte sie, und befahl seinen Leuten dann, hier zu warten, wenn Sir Robert etwa erschiene, und ihm zu sagen, wo er Signora Petronella fände. Dann gingen sie, von Richards Janitscharen aus dem Gesandtschaftshotel begleitet.
Vor dem mit Cypressen bepflanzten kleinen Campo Santo wandten sie sich vom Staurodrom links hinunter, um näher zu gehen, in die von Türken bewohnten Straßen den Berghang hinab nach Tophana. Sie vernahmen schon von weitem ein aufsteigendes Gesumm; dann näher gekommen ein Lärmen und Tosen wie von einem Aufstande; aber frohlockende Stimmen, die sich darunter hören ließen, beruhigten sie, und machten sie selbst neugierig. Dabei verlor sich Petronella und Walter von Richard. Sie suchend, schlich dieser um die Menge, und kam auf eine Erhöhung zu stehen, wo er über die baumwollenen Köpfe [ * ]χεφἁλι ἁπὀ βαμβἁχι! Einer der Schimpfnamen, mit welchen die Griechen die Türken als hirnlose Turbans bezeichnen. hinweg, bequem nach einem Hause sehen konnte, wohin aller Augen gerichtet waren. Ueber der Thüre war ein Weib in jüdischer Tracht aufgehängt. Richard zog sein kleines Fernrohr hervor und sahe hin. Er wischte die Gläser ab, er sahe wieder, und wandte sein Gesicht erblaßt nach der Seite, und seine Hand hielt starr immer noch das Glas hin. Ohne ein Wort zu sprechen, drängt' er sich näher durch das Volk auf das Haus zu und stand und sahe wieder.
Indeß hatten seine Janitscharen, die ihn nicht aus den Augen verloren, sich von selbst erkundigt, was geschehen, und berichteten lachend Sir Richard: ein junger Franke sei, als Judenweib verkleidet, in den Harem des Ezeleddin, eines vornehmen Mauthaufsehers, geschlichen und verrathen worden. Der alte Ezeleddin habe ihn dem Volke ausliefern müssen, welches ihn vor seinem Hause aufgehängt, weil es ihm nicht zugestanden habe, die Schande sich abzukaufen. Denn die junge Frau sei entflohen, sage zwar Ezeleddin, aber weil sie sehr schön sein soll, habe sie der alte Bart wahrscheinlich selbst verborgen, und so bestehe das Volk darauf, sie auch zu richten, wegen des Beispiels.
Richard errieth mit unverberglicher Angst und verhaltener Wuth, wer das sei, der dort in Frauenkleidern schwebe. Noch ein scharfer verzweifelnder Blick, und er erkannte ihn selbst. – Robert! Robert! rief er unbedacht laut. Aber beide Janitscharen, jetzt die Gefahr für jeden anderen Franken kennend, zogen ihn heftig zurück, und bedrohten ihn selbst mit fürchterlichen Mienen und Geberden. Er stand voll Jammer und Mitleid, die Hände gefaltet, noch einige Zeit, und sank dann in die Kniee. Die Männer lehnten ihn an die Wand der Mauer an, als habe er sich selbst gesetzt, um zu ruhen oder zu warten. Aber sein Kopf war auf die Brust gesunken, die Augen geschlossen, und seine kraftlosen Arme hingen gefühllos ihm zur Seite hinab in die Disteln.
Die Männer sahen sich darüber gespannt, doch mitleidig an; der eine legte ihm sanft die Hände daraus in das Gras, und beide vertraten ihn dann beschützend, und ließen ihm ruhig Zeit zur Erholung.
Richard sprang plötzlich auf. Den Bruder mußt' er noch einmal sehen, sich überzeugen, daß er es sei. Sie suchten ihn abzuhalten, aber er ließ es sich nicht ausreden. Und wollten sie wohl oder übel, so mußten sie ihm nach in den Strom von Menschen, um von ihm unter Ezeleddin's Hause langsam mit vorüber gedrängt zu werden. Wie Richard näher und näher kam, ward ihm bänger, als würd' er unter ein Mühlrad getrieben, und sein Herz pochte wie ein Hammer mit starken Schlägen an seine Brust. Er sahe nicht, wo er ging, sondern hatte die Augen nur immer in die Höhe gerichtet. Ja, er mußte, jetzt mehr getragen wie gehend, mit seinem Kopfe an einen der schwarzsaffianen Frauenstiefel des unglücklichen Bruders stoßen. Denn es war Robert, wie er leibte und lebte, oder gelebt hatte. Aus dem Fenster über ihm lachte ein Zwerg herab.
So weh und zornig Richard zu Muthe war, so konnt' er sich dennoch einer Art Ehrfurcht vor dem Volke nicht erwehren, so lange er im Gedränge war, unter den Bärten und funkelnden Augen und edeln Nasen. Ob die Furcht dazu beitrug, konnte er jetzt nicht unterscheiden. Er verwünschte die That, und er hatte Ursache dazu, denn der Bestrafte war sein Bruder! Aber er wünschte jedem Volke in diesem Punkte ein so sittliches Gefühl, eine solche Uebereinstimmung Aller in Bewahrung der Ehre des Einen. Denn die Völker wissen und bedenken noch lange nicht klar genug, daß Alles ihnen gemeinsam ist, daß, was irgend Jemandem im äußersten Winkel des Dorfes – der Stadt – des Landes – ja der Erde geschehen dürfe, auch ihnen geschehen kann, unter Umständen ihnen geschehen wird, ja Ihnen in Ihm wirklich geschieht, denn alle sind Menschen. Darum wer Andere beschützt, beschützt sich selbst. Und auf die Treue der Frau ist das Haus gegründet, beruht das Glück von Mann und Kind, ja vieler Geschlechter; und ein Staat ist nur ein Verein vieler Hauswesen; viele glückliche Familien machen einen glücklichen Staat. Darum geschieht Treulosen durch Nichts zu hart; und wem Untreue gleichgültig ist, er sei der Oberste oder Unterste, der hält die Welt für eine Seifenblase!
So dachte er, eingeklemmt zwischen die Unwillen äußernden Türkengesichter, die unglückliche Petronella und das arme nun verwaisete Kind vor Augen, und seine Olivia, welche nur der wiederkehrende Schatten seines Lebens noch geisterbleich gemacht. Als er aber aus dem schrecklichen Gedränge war, sich noch einmal umkehrte und sah, wie seinem Bruder ein Pfeil in die Brust flog, daß er von dem Anstoß hin und her schwankte, da ward ihm schwarz vor den Augen, und er richtete das Volk, das selber richtet.
»So konnte mein Loos sein!« seufzt' er aus tiefer Brust; »nun muß ich es erfüllt sehen an meinem Bruder. – Dem bist du entgangen! aber dennoch nicht ohne Folgen, ach, die nun neue Ursachen werden für dich zur Qual!« sprach gleichsam ein Geist aus ihm; denn er erschrak vor sich selbst, und das Gelächter des Zwergs scholl in seine Ohren. Er hielt sie sich zu, und faßte sich erst nach langer Zeit, während welcher er Alles bedachte. Daraus befahl er den Janitscharen, zu bleiben, gab ihnen Zechinen mit vollen Händen, um nach Verlauf der Menge diejenigen zu gewinnen, welche am Abend entweder bemerkten oder hindern wollten, daß sie Robert abnähmen, oder um jede Summe ihn denen abzukaufen, die ihn nach der Sitte in's Meer werfen sollten. Die Männer zogen die Augenbraunen in die Höhe mit zweifelnder, ja verneinender Miene. Er schenkte ihnen nun selbst Uhr und alle seine Ringe von den Fingern. Darauf nahmen sie das Geld düster, und verloren sich unter dem Volke.
Richard aber ging an das Ufer hinab zu seiner Felucke, in welcher er schon Petronella mit dem Knaben und Walter ihn erwartend fand. Er hörte, daß sie nichts Näheres gesehen hatten. Richard selbst war aber todtenblaß aus der Menge zurückgekommen, wie ein Schwimmer aus dem stürmischen Meere, woraus er sich kaum nur das Leben errettet. Petronella blickte ihn beständig an, ohne sich zu getrauen, ihn zu fragen. Walter aber, dem er erzählte, was er gesehen, nicht wen er gefunden, schrieb die Spuren seines Schreckens dem wilden Auftritt selbst zu, den Er gewohnt war. In allerhand Erzählungen von Waltern fuhren sie nach den Prinzeninseln.
Zu Hause erwartete Richard, nachdem es schon lange finster geworden, unruhig seinen todten Bruder Robert, denn er fürchtete, ihn vielleicht hierher gebracht zu sehen. Er hatte vergessen, zu sagen, daß er nach Walters Hause getragen, oder lieber sonst wo gleich begraben werde. Er zitterte für die Mutter, wenn sie ihn erblicke, für Petronella und selbst für Walter, welchen Allen er den Gram ersparen, und, so schwer er ihn drückte, allein tragen wollte. Aber seine Furcht war leer. Die Männer kamen erst spät in der Nacht, brachten das Geld wieder, das sie gleich nach Empfang an einem sichern Ort gezählt hatten, zählten es wieder auf und berichteten: der Todte sei in's Meer geworfen worden.
Petronella aber hatte voll Argwohn, wie sie jetzt war, auf die Männer gewartet, und vor Richard mit ihnen gesprochen, die aber darüber geschwiegen. So stürzte sie hastig in Richards Zimmer. Er hielt einen traurigen Sturm von Fragen, Thränen und Beschwörungen männlich aus; aber auch nicht weniger brüderlich, daß nicht seine Blicke, seine ausgepreßten Worte, ja selbst sein Schweigen, sie nicht hätten errathen lassen, daß ihrem Robert ein Unglück zugestoßen sei. Sie fiel ihm zu Füßen, blieb so, und bat mit jammervollen Blicken und gewundenen Händen flehentlich nur um das armselige Wort: »er ist todt!« wie eine Wahnsinnige um den Dolch bittet, sich ihn in die Brust zu stoßen. Ist er todt, dann will ich ruhig sein; versprach sie. So hielt er es denn, erweicht endlich selbst, für das Beste, ihr, wie er sagte, zu gestehen, daß Robert schon vor länger als acht Tagen bei einer Fahrt nach der alten Troas im Hellespont umgekommen sei. Deswegen hab' er sie abgeholt. Er zeigte ihr sogar irgend einen Brief, den sie, wie er richtig vorausgesetzt hatte, gar nicht las. Aller Trost war umsonst. Sie lag auf seinem Divan wie todt. Und so mußte er wider Willen bei ihr wachen, und munter bleiben, bis die zum Nachtschein gewordene Abendröthe des vorigen Tages nun als Morgenroth wie ein Crocusgefild aus der braunen Erde heraufblühte, und Richards Gestalt an der Wand einen indigoblauen Schatten warf, in dessen Anschauen er sich verlor. Der Rosenschimmer des Himmels, der in das Zimmer floß, überwob auch Petronella, die von den jungen Lebensfarben immer frischer und erquickter, ja schöner und blühender als ein irdisches Mädchen erschien. Und wirklich, als sie sich losrang aus ihrem wie in die Tiefen des Schlafes abgeworfenen Schmerz, war sie ruhig, und reichte ihm die Hand. Er behielt sie in seiner und nahm ihr das Wort ab, daß sie sein Geständniß nicht der Mutter und Walter verrathen wolle, noch errathen lasse, wenn sie und ihr Kind seines Schutzes und lebenslänglichen Beistandes gewiß sein wolle. Sie versprach es »des Kindes wegen,« und hatte kaum das Wort »Kind« ausgesprochen, als sie rief: mein Kind! ich habe sein Kind noch, und hinaus eilte; indem ihr gewiß einfiel, daß sie es so lange auf ihrem Zimmer, obgleich schlafend, allein gelassen.
Richard aber bedauerte seinen Robert redlich, besonders wegen der Ursache seines Schicksals. Die meisten Menschen, dachte er, kommen nicht zum Besitz ihres eigenen Selbst, des größten Schatzes, den es doch für sie geben kann, denn es liegt eine selige Welt in ihm, Ihre Seele gehört vorüberziehenden Wolkengestalten, reizenden Gesichtern, allerhand Tande, selbst Pferden und Hunden. Ja sie gehört oft nicht einmal wirklichen Wesen, sondern nur den Einbildungen, den Schatten davon, indem sie dieselben bloß wünschen, oder nicht vergessen. Was ist so ein Mensch doch in der schönen, schönen Welt? Ein in zerrissenen Gliedern umherhangender Clown, der Narr in der englischen Pantomime, der hoch an die Wand geheftet mit dem abgetrennten Haupte seufzt und Hülfe ruft, indeß die gesonderten Theile seines Leibes sich abquälen, zusammen zu fahren. Aber der Zauberer bleibt aus, der ihn wieder fröhlich als ganzen Menschen, von den Wänden umher, auf die Erde springen heißt.