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Bei rothfunkelndem Tenedoswein blieben sie noch gegen drei Stunden beisammen. Die Damen fanden sich mit ihren Mänteln ein. Der Gesandte beschuldigte launig Robert und selbst Lady Esther, daß sie ihm Geschichten erzählt, die er buchstäblich schon lange gedruckt gelesen, ja er besitze selbst das Buch. Beide leugneten natürlich die Möglichkeit. Aber sie erstaunten nicht wenig, als er es wirklich brachte, und zum Beweise ganze Stellen daraus vorlas. Sie nahmen es selbst in die Hände und fanden alles so. Als aber Beide beinahe betreten darüber wurden, so erklärt' er ihnen endlich: daß sein Stenograph auf sein Geheiß, wie er sonst bei diplomatischen Gastmählern thun mußte, ungesehen die Erzählungen nachgeschrieben, sein Drucker sie schleunig gedruckt, die wenigen Bogen über Kohlen getrocknet und geheftet habe. Er schenkte das kleine Büchlein Lady Esther.
Alle lachten; und fast erheitert, wenigstens zerstreut brach die Gesellschaft auf. Das Gewitter war längst vorüber, der Himmel hell, und der Mond leuchtete herab mit unbeschreiblicher Klarheit. Sir Richard erbat sich von der Mutter, seine so unverhofft gefundenen Brüder mit sich zu nehmen, um sich zu genießen, und ihr vergangenes Leben gegeneinander auszutauschen. Sie schlug nur vor Robert die Augen nieder. Robert war nicht zu bewegen, mitzuschiffen, schützte unaufschiebliche Geschäfte vor, die ihn am nächsten Morgen erwarteten, versprach späterhin zu folgen, und ritt zurück nach der Stadt, sich in die Schatten verlierend. Dagegen versprach Walter, sogleich seine Wohnung bei dem geliebten Bruder aufzuschlagen, und folgte ihm, wie er ging und stand.
Nach einer reizenden Fahrt den Bosporus aus, bei welcher es ihnen vorkam, als ob sie nicht auf dem Wasser schifften, sondern nur auf der flachen goldenglitzernden Brücke, die der Mond erbaut, ganz ruhig säßen, indeß eine ferne unsichtbare Macht das Serai, Scutari und die schimmernden Küsten leise zurücktrüge, gelangten sie zu der Anfuhrt des Gartens auf der Insel. Prospero, der neufundländer Wasserhund, der nächtliche Wächter des Gehöftes, die Stimme seines Herrn erkennend, war ihm schon ein Stück in das Meer entgegen geschwommen, und schnaufte und grüßte fröhlich. Auch Arkot hatte sich ermuntert, trug ein Windlicht wie die andern Diener, und heulte vor Freuden.
Es war schon nach Mitternacht. Lady Esther, von Erinnerung alter Zeiten bewegt und von neuer Furcht bekümmert, zog sich auf ihr Zimmer zurück. Richard führte Walter nach dem seinen, und eilte, nach seiner Olivia zu sehen. Sie hatte noch Licht. Leise trat er zu ihr ein.
In weißem Kleide saß sie ausgestreckt auf einem Lehnstuhl, den Kopf zurückgebeugt, und ihre aufgelösten langen Haare hingen bis auf den Fußteppich hinab. Ihre Lippen waren geöffnet, ihre Wangen blaß, und die Spuren daran herabgeflossener und getrockneter Thränen darauf zu bemerken. Ihre Brust zwar hob sich nur sanft, von langem tiefen Athmen; aber das Blut zuckte ihr zuweilen in den Adern, daß ihre weißen Arme, selbst ihre im Schoße gefalteten Hände sich regten. Um Stirn und Schläfe wand sich ihr ein welker Blumenkranz von getrockneten Rosen, Veilchenbüschen, breitgedrückten Nelken und gelben Immortellen. Neben ihr schlief das Kind ruhig, und seine Wangen blühten im Schlaf.
Richard erstaunte; er wußte nicht, was er denken sollte. Jetzt überblickt' er den Tisch, der vor ihr stand. Das Blut schoß ihm in's Gesicht; er starrte hin, dann schloß er die Augen, hielt sich an den Stuhl und blieb kaum athmend in seiner Stellung, indeß schwere Ahnungen, bittres Leid und bange Furcht seine betäubte Seele durchkreuzten. Denn zwischen den tiefeingebrannten Wachskerzen stand am andern Ende des Tisches ein kleines Kästchen eröffnet, welches er gleich für das seine erkannte; auf dem Tische umher lagen mehrere in goldene Reifen gefaßte Bildnisse von schönen Mädchen und Frauen; und um die schwarzen, braunen und blonden Haarschleifen, die künstlich geschlungen verschiedene Buchstaben bildeten, funkelten die Brillanten in stiller Unschuld, wie Kinderthränen. Auch viele Briefe lagen aufgeschlagen umher, alle an ihn von Weiberhand gekritzelt. Mit tiefem Verdruß und Schreck, im Gefühl der herbsten Strafe, las er, sich hinabbeugend, den nächsten, worin ein Mädchen ihm den Tod ihres und seines Kindes klagte – und einen andern, worin ein liebeverblendeter Mann sein entführtes Weib ihm auf die Seele band! Und von solcher Art mehrere. Ja, in einem derselben lag noch die Rechnung für das Begräbniß einer Schauspielerin, die ihm gefolgt war, und, von ihrem Manne auf das Aeußerste getrieben, aus erwachtem Ehrgefühl in der Ferne sich in's Wasser gestürzt hatte. –
Er hatte genug; er konnte sie ja fast auswendig. – Alles war ihm nun deutlich. Er hatte das Kästchen in seiner Gemahlin Zimmer besser aufzuheben geglaubt, als in seinem; nur den Schlüssel dazu hatte er heute unbedachtsam darunter gelegt! Denn was ihn nicht mehr rührte, das dünkte ihm auch andere nicht zu reizen; und die mit Sinn gewählte Sarkophag-Gestalt des Kästchens bezeichnete hinlänglich, daß seinem Gemüthe Todtes darin bewahrt sei.
»Unselige Neugier der Weiber!« sprach er vor sich, und wand die Hände über seinem Weibe; welchen Himmel hast du dir muthwillig zerstört, du treue, liebende Seele! Wer kann dir deinen Gram abnehmen, der nicht die Vergangenheit auslöschen kann aus deinem Gehirn; dir, die du wähntest: diese Bilder stehen noch lebendig in meinem Herzen; diese Blumen blühen noch; daß du, wie in den Tod sinkend, dich damit bekränzetest: denn diese deine Stirn bedrückt schon Ruhe der Abgeschiedenen; diese Thränen sind Tropfen aus Lethe, darin du meiner Liebe vergaßest, und deine blassen Wangen bescheinen schon die weißen Rosen der Todten!
Er ergriff die Leuchter und beleuchtete lange Mutter und Kind; und voll überwältigenden Jammers trat er dann in das Fenster, und sein Blick hing an den Sternen. Vor einer Stunde so selig, im vollsten Glücke des Menschen! seufzt' er, und nun auf einmal mein Leben und ihr Leben verwandelt, wie die Erde durch eine schnelle Beleuchtung, wie die Baumblüth im Thal durch einen kurzen Gewitterschauer! Da liegen alle meine Blüthen. Und du bist es noch wie vor, o Himmel, o Erde! nicht verändert hat sich das Lorbeergebüsch, und hat kein Blatt verloren, keine Rose hat sich verwandelt – aber ich! O Glück des Menschen, was bist du? eine Schneeflocke im Mai! Und wer ist der Ruhe gewiß, wenn auch der Unschuldige um den Schuldigen, ja den einst nur Schuldigen, so gestraft wird, wie diese in Leid Versunkene hier. O schlafe fort! schlaf immer so fort, durch alle deines Lebens Tage und Nächte! und wenn du schlafend gealtert, und schlafend gestorben, dann will ich dich sanft in die Erde betten, und dich selig preisen, unglückliches Weib!
Die Kerzen waren eingebrannt, ergriffen die grünseidenen Blätter und flackerten hell auf. Das Kind fing im Schlaf an zu weinen, und dadurch sich selbst erweckend nach der Mutter zu schreien. Olivia erwachte. Sie blieb noch lange unbewegt sitzen, dann richtete sie sich langsam auf, und mit noch fernen Gedanken des Schlafs auf den Tisch vor sich niederblickend, besann sie sich plötzlich und fuhr mit der Hand nach dem Herzen. Das Kind weinte fort; sie schien es nicht zu hören. Endlich horchte sie, und wandte sich hastig um nach der zarten kläglichen Stimme. Ihr aufgelöstes Haar fing Feuer im Licht. Richard sprang aus der dunklen Fensterbrüstung hinzu, in der er, ihr still zuschauend gestanden, und drückte die Flammen mit eifrigen Händen aus. Erschrocken wendete sie sich um, und wie versteinert und still wie ein Bild, sahe sie ihn lange an, als habe sie ihn nie gekannt. –
Du bist es! sprach sie endlich mit einem schweren Seufzer; Du bist mir nicht mehr Du! Laß mich nur, lasse nur! Lasse mich ewig! flüsterte sie mit niedergeschlagenen Augen und brechender Stimme ihm zu, wankte, beugte sich über ihr Kind und brach in erschütternde Thränen aus.
Erst nach einer langen Weile kniete er zu ihr hin. Er weinte; sie weinte; er lehnte seine Wange an ihre heiße Wange; sie verbarg sie. Liebst du mich nicht mehr, Olivia! fragt' er; er fragte umsonst, sie schwieg. Er wiederholte es dringender, und noch einmal. – »Nein!« sprach sie gelassen. – Wirst du mich nicht wieder lieben, Olivia? ich bin ja dein! mit dir, durch dich eben hab' ich ja ein neues Leben angefangen! und werde immer dein sein. Sei nur mein! wirst du mir dein Herz nicht wieder schenken? fragte er weich. –
Da hast du auch deine Blumen! sprach sie als Antwort; nimm Alles! behalte es dir, behalte dich – ich behalte mich, mein Kind und meine Liebe! Mit diesem Kusse nehm' ich sie wieder, mit diesem Kusse geb' ich dir die deine wieder!
Sie küßte ihn zweimal ernst auf die Lippen, und war dann ruhig. Er hielt ihre Hand an seine Augen, an seine Lippen. Sie blieben lange so. Die Lichter flackerten noch einmal auf und verloschen nacheinander. Es ward finster im Zimmer. Gönne mir Ruhe, flehte sie ihn: Ruhe, Ruhe! ich bedarf ihrer sehr, und habe sie schwer verdient. – Er blieb. Sie kniete vor ihm nieder, und der Glanz des zum Untergange gesunkenen Mondes fiel schillernd ihr auf Brust und Antlitz, und der Schatten der wehenden Cypressen vor dem Fenster wankten über ihre wankende weiße Gestalt. Gönne mir Ruhe! betete sie halb zu dem Himmel, halb zu ihm; ihre Augen glänzten im Mondlicht, und ihre Hände drückten die seinen mit fortdrängender Bewegung. Er drückte sie gegen sein Herz und schwankte aus dem Zimmer.