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Dauer und Wechsel.


Sir Richard war in Bengalen ein Nabob an Reichthum geworden. Sein ungeheures Vermögen gewährte ihm alle Vortheile eines Fürsten, ja eines Königs, und zwar ohne ihre Sorge und Last. So konnte er sich im Besitz der behaglichsten Freiheit aller Güter der Erde freuen, wo es ihm gefiel; denn Gold gilt überall. Doch er sehnte sich nach Hause. Denn wer etwas geworden ist, oder erstrebt hat, der will es zuletzt doch am liebsten in seiner Heimath genießen und zeigen.

Deswegen auf der Rückkehr in sein Vaterland, England, den honigvollen, unermüdeten, schwärmereichen und unbezwingbar starken Bienenstock der Erde, war er nach einer langen, beschwerlichen und gefahrvollen Reise durch das verlorene Paradies Asien, das seligste und unseligste aller Lande, in Constantinopel angekommen. Er wohnte mit seiner Mutter, Lady Esther, seinem jungen Weibe, Olivia, und seinem einjährigen Kinde auf einer der Prinzeninseln, außerhalb und doch im Anglanz der ungeheuern Stadt, die drei Vorgebirge unabsehlich überdeckt. In seinem zwanzigsten Jahre hatte er auf der Hinreise nach Indien hier verweilt, und nach zwanzig Jahren kehrte er jetzt hier wieder ein.

Er saß mit seiner Gemahlin in einer blühenden Jasmin- und Rosenlaube, in dem Garten seines Hauses auf einem in das Meer hinaushangenden Felsenvorsprung, wo die lieblichste Kühlung wehte, die prachtvollste Aussicht entzückte. Sie spielte mit den Fingern in den Saiten einer indischen Mandoline, während Hunderte von Schiffen, welche von widrigen Winden drunten in den Häfen des Hellespontes und Tenedos zurückgehalten und gesammelt, nun in unabsehlichem bunten Gewimmel heranflogen. Er dagegen war in Gedanken und Bedenken des Alten versunken. Es hat etwas Wehmüthiges, sprach er endlich zu ihr, eine Stadt nach langen Jahren wiederzusehen, die wir einst mit ganz andern Gefühlen durchwandelt. All' jenes Hoffen und Streben, die Leidenschaft wie das Leiden, ja jenes Leben unserer Brust – alles ist hin, verweht, und daß ich es immer sage: Verloren! Wir finden uns als ganz Andere, im Inneren und am Aeußeren; und vor uns liegt doch der alte blaue Himmel mit seiner stillen warmen Sonne, wie dazumal! Es rauschen die Wasser des Meer's ihren ewigen Weg, wie einst! Die Berge ruhen umher und grünen so fort, wie sonst! Die Mauern glänzen, die Thürme prangen, die Cypressen schwanken von unsichtbarem Wehen, und eine unendliche Flut von Menschen wogt in denselben Straßen – als wenn keine Sonne untergegangen, keine Welle vorübergeronnen, kein Mensch gestorben, ja kein Blatt gefallen wäre! Das Gefühl vernichtet den Menschen; die Göttlichkeit der immergleichen, immer gedrängtvollen Natur schlägt ihn nieder, wird ihm Qual; er könnte sie froh schaun, wenn er sagen könnte: ich bin dein Geist, Natur! Ich überdaure dich zehnmal, tausendmal wie du da bist! – aber das Bewußtsein, er sei sterblich, läßt es ihn nicht sagen. –

Er deckte die aufgestemmte Hand über die Augen, und empfand noch ganz Anderes als er sprach.

Ich bin glücklicher daran, als du! entgegnete Olivia. Wohin ich komme, mir ist alles ein Erstes, fast Unbegreifliches. Auf der Reise verließen wir eine Landschaft mit Thal und Fluß, mit Hütten und guten Menschen – die Ferne hing ihren blauen Schleier dazwischen; ein Berg stellte sich uns in den Rücken; nun wandte ich mich – und wieder lag eine andere kleine Welt vor uns! und auch hier glänzte die Natur in aller ihrer Schönheit, ihrer Fülle des Lebens und der Liebe! und das immer wieder! immerfort und fort neuherrlicher! Ich wähnte oft mit feuchten Augen und schwerem Herzen, nie wieder so etwas zu finden, wie ich verlassen: glückliche Mütter, holde Kinder, ausruhende Greise – und schon nach wenigen Stunden war ich durch Rührenderes und Reizenderes bezaubert, wie nie zuvor! O, das engste Herz muß sich bei einer weiten Reise aufschließen; dem trübsten Haupt müssen die Augen aufgehen über die unendliche Welt; und kommt der Mensch nicht bis zur Liebe, zur Anbetung, so kommt er gewiß zur Bewunderung, zum Anstaunen! und im Staunen tritt alles Schöne in unserem Geiste hervor, gleich den Gestirnen am Abend, gleich den Blumen unter dem reinen Niederschau'n der Sonne. Ich bin viel stiller und weicher im Herzen, als eh' ich die Reise antrat. Und ich habe noch Alles, ich habe dich und mich! Alles je gekannte und geliebte trag' ich so klein, wie das Glas eines Fernrohrs, in meinem Auge, und doch auch wiederum so groß, so Vollmondklar, wie es kaum gegenwärtig um mich lag! Selbst das Grab meiner Mutter ruht, so bedünkt es mir, still und heilig in meiner Brust! Wie kann ich dir danken, o Richard, daß du mich zu Lande geführt, statt zur See!

Richard versetzte darauf: kein Kaufmann sendet ein unschätzbares Gut zur See; wie sollt' ich dich dem Meere vertrau'n! Olivia erröthete leicht, und fiel absichtslos aus ihrem Spiel in die Melodie eines Liedes, das die Gefühle unlängst vermählter Gatten aussprach. Du antwortest mir sehr zärtlich, liebe Olivia, wie eine Geisterstimme ohne Worte; sprach Richard. – Olivia hatte kaum bemerkt, daß sie das Lied spiele, als sie plötzlich mit der aufgelegten flachen Hand den Klang der Saiten dämpfte, die Augen niederschlug und noch höher erröthete. – Süßes Wesen, laß uns das Lied singen! Du begleitest es; forderte er sie auf, und legte den Finger sanft unter ihr Kinn, um ihr Köpfchen aufzurichten; den Kranz von blühender Fichte hab' ich vorhin dir schon in das Haar geflochten, du schmückst ihn noch. –

Olivia blickte Richard liebevoll an, er sie. Beide hatten sogar nun diesen reizenden Ort, den Frühling und die Sonne vergessen, als Zeichen, daß die allgegenwärtige Liebe keiner Zeit, keines Ortes, ja selbst des Paradieses nicht zur Seligkeit bedürfe. Dann begann sie leis den Wechselgesang:

                   

                    Sie.
          Aus deinem Blick
Trink' ich des Himmels Segen
          Wie Sonnenschein,
          Und all' sein Glück
Kommt mir in dir entgegen,
Du füllst es aus – dies Herz ist dein.

                   Er.
          Von dir, von dir
Sing' ich, wenn auf den Hügeln
          Der Schnee zerrinnt;
          Und noch von dir,
Wann laut mit schnellen Flügeln
Die Schwalbe flieht, gebeugt im Wind.

                  Beide.
          Ich bin dir treu,
Laß Herbst und Frühling fliehen:
          Ich bin noch dein!
          Und wann nun neu
Die Hyazinthen blühen,
Bist du noch mein, und immer mein!

                    Sie.
          Du weihest sie,
Wenn du von blüh'nder Fichte
          Mir Kränze flichst;
          Wie glänzen sie,
Wenn du mir reife Früchte
Voll Himmelsduft aus Zweigen brichst!

                       Er.
Nichts ist so schön!
Aus heitrer Nacht voll Sterne
Komm' ich zu dir;
Von Frühlingshöhn,
Aus Sommer-Weit' und Ferne
Komm ich zu dir, zurück zu dir!

                  Beide.
          O Glück, o Lust:
Mit dir zur Morgensonne
          Zu schaun in Pracht!
          An deiner Brust
Wie ruht sich's voller Wonne
Im stillen Glanz der Mondennacht!

Sie sang diesen letzten Vers nicht ganz mit ihm aus, sondern schlang die Arme um seinen Nacken, und schwieg in dem Gefühle reiner, bescheidener, aber voller und ungetheilter Liebe; er dagegen mit einem Herzen, das viel Liebe gegeben und empfangen, und jetzt in einem neuen, niegekannten Glück alle jene genossene Wonne fast verwünschte. Er hätte so gern einen undurchdringlichen Schleier über seine vergangenen Tage geworfen, deren Bewußtsein, seine jetzigen Nächte ihm trübend, theilend und verkümmernd, im reinsten, vollesten Glück ihn zu seufzen zwang: nicht, daß er das alte verloren, das ihm nur Qual war, nein, daß er dieß neue nicht so unbefangen, so mit ganzem Herzen empfinden konnte, wie Olivia es that und verdiente, daß er verdiente, nicht so rein war, wie sie ihn sah, ihn liebte. Aber seine Erinnerung, sein mehr wie halbes Leben, wohnte eben unter dem Schleier; und er erblickte dort sein vergangenes Wesen in kaum zählbaren Verwandlungen und bunten Hüllen; und mit diesen, wie mit abgeworfenen Larven, Schlangenhäuten und Schmetterlingspuppen, stand seine lebendig-bewußte Gestalt noch in enger, zauberhafter Verwandtschaft, ja in unauslöslicher Wechselwirkung! – Jenes Lied hatte er einst in ganz anderem Kreise gedichtet, da seine Olivia vielleicht noch nicht geboren war; und jetzt sang sie es aus voller Seele, wie eine junge Lerche ihren ersten Gesang, unwissend: daß er ein in jedem Frühling gehörter Gesang sei, der schon manche Brust gerührt! Seine Olivia jammerte, ja erbarmte ihn. Dann wühlten ihn die Schmerzen seiner selbst wegen durch. Er hatte sich für solche Stimmungen ein kleines Stoßgebet gedichtet, er wiederholte es jetzt im Innern, und es verfehlte auch dießmal seine Wirkung nicht.

                   

Sonst war sonst! und heut ist heut;
Alt fühlt, wer nur stets bereut;
Jung ist jeder gute Sinn,
Und das gelt' ich, was ich bin!

Und er war gut, und galt vor Unzähligen seines Geschlechtes als ein Mann, als ein wahrer Mensch.

Indessen war der Gesandte, sein naher Anverwandter und mit ihm in einer Anstalt erzogen, an dem schönen Vormittag auf die lieblichste der Prinzeninseln gekommen, wo Richard wohnte, um seiner Gemahlin und ihm einen Gegenbesuch abzustatten, um seine mitgebrachten Merkwürdigkeiten zu sehen, und um ihn und die Seinen auf Morgen zu sich nach Bujukdéré einzuladen. Da er ihn nicht im Hause gefunden, so führte ihn jetzt Richards Mutter, Lady Esther, durch den großen mit Blumen übersäeten Garten nach der Laube am Meere, wohin die Klänge sie bedeutet hatten. Der menschenähnliche Arkot, der Affe, ließ sich's nicht nehmen, das Kind zu tragen, und folgte damit behutsam und drollig nach.

Die Freunde begrüßten sich. Olivia schlug jedoch die Einladung höflich aus, weil sie das Kind nicht mitnehmen und auch so lange nicht allein lassen könne. Dagegen mußte die Mutter versprechen, desto gewisser zu kommen; es schien dem Gesandten besonders an ihr gelegen, und auch in seinem Blicke auf Richard lag eine gewisse gutherzige Schalkheit, die er nicht ganz verbergen konnte oder wollte.

Arkot, der gesehen, daß die Menschen Rosen abgebrochen und sich geschenkt hatten, klaubte mit seinen Fingern mit Vorsicht auch eine Rose aus dem Gesträuch, zupfte die Dornen vom Stiel, und gab sie dem Kinde zu riechen. Der Gesandte lachte; und Richard lud ihn ein, hier im voraus eine der Sonderlichkeiten, die er mitgebracht, anzusehen, indem er ihm den Arkot vorstellte und sprach: »ein heiliger Affe aus den Hainen der Stadt Windrawana in Hindostan!« Der Gesandte, der auf den ersten Blick nur einen Mohrenknaben von zwölf bis dreizehn Jahren in dem Affen gesehen, betrachtete ihn jetzt näher. Arkot reichte ihm die Hand. Sein Turban umhüllte den Kopf so tief, daß man die menschliche Stirn nicht vermißte; seine blaue Nase war, wie die rothe Nase eines eitlen Weintrinkers, mit einer gefärbten Hautpommade bestrichen, die Richards Kammerdiener, ein geborner Pariser, eigens für ihn erfunden; seine übrige Tracht war die eines türkischen Stutzers: weite lange gelbe Hosen, ein grüner Bund und ein rosenfarbiger Kaftan. Nur an Pantoffeln war er nicht zu gewöhnen gewesen; und so erschien er im großen Kostüm barfuß, mit seiner daumähnlichen großen Zehe.

Die drollige kluge Person gefiel dem Gesandten überaus wohl, daß er wünschte, den Arkot zu kaufen. Denn der Reiche scheut sich nicht, selbst den Reichen, geschweige den Armen, nach dem Preise jedes noch so geliebten Gegenstandes zu fragen, weil er nichts hat, wenn nicht Alles käuflich ist. Olivia aber antwortete: Arkot ist Alles, was ich von meinem Vater geerbt habe, und so lassen Sie mir ihn wohl? Um ihn jedoch durch eins und das andere Geschenk von dem Mitgebrachten den heiligen Affen vergessen zu machen, führte sie ihn in das Haus. Arkot hatte das Kind der Mutter gegeben, und ließ sich nicht mehr sehen.



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