Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Blumenerleuchtung.

Noch ein früherer Grund aber, warum Richard zu Hause geblieben, war eine Erleuchtung aller Blumen des eben im üppigsten Flor stehenden Gartens. Er hatte sich vor einiger Zeit schon Gärtner dazu aus dem Serai zu verschaffen gewußt, und ihnen gesagt, daß er bei diesem, leider nur Türken eigenen, so nachahmenswerthen Feste selbst dem Sultan nicht nachstehen wolle! Sie sparten also weder Kosten noch Mühe, und hatten alles zu diesem kindlichsten aller Schauspiele zubereitet. Jetzt so weit gediehen, hatte er keinen äußeren Vorwand, es gerade zu dem Geburtsfest seiner wiedergewonnenen Olivia abzusagen; ihr sollte es ein Friedensfest, seiner Seele eine stille Todtenfeier sein.

Es war Nacht; kein Lüftchen regte sich, oder versäuselte gleich wieder im Blüthengesträuch. Der Aether war noch voll elektrischen Feuers, und entband ganze Ströme Wohlgeruches aus den duftigen schlummernden Blumenhäuptern. Die unzähligen sanften buntfarbigen, aber verborgenen Lichter schienen die Blumen aufgeweckt zu haben, und sie wankten, als könnten sie sich noch nicht aus dem Schlafe finden, wie Kinder. Die Morgenröthe, ja der blendende Tag schien diesmal aus der dunklen Erde heraufquellen zu wollen. Alle Lilien, Anemonen, Nelken, Ranunkeln und Rosen brannten wie von Naphtha getränkt, in gelben, rothen, blauen und weißen Flammen, die aus dem Boden als liebliche zarte Gebilde heraufleuchteten; die Blumen, Blätter und Blüthengebüsche brannten fort und verbrannten doch nicht! Die Amaranten aber, mit ihren purpurrothen hohen Stengeln und niederhängenden Blüthengeflechten, schienen kleine Springquellen der Erde, die rosenlichtes Blut herauftrieb, wie aus leichtgeritzten Adern. Das prachtvolle Tulpenfeld wurde nur von dem noch leuchtendern Blumen-Mohngefilde übertroffen. Ueber alles aber ragten die glühenden Cypressen bis hoch hinauf in den gestirnten Himmel, und die Sterne erschienen nur wie abgewehte Feuerblüthen und goldene Samenkörner von diesen gewaltigen Himmelsbäumen. Der Garten war ein stilles Blumenparadies, wie das reizende Gefild' am See von Baku das Rosenparadies heißt und ist. Und ohne ein Gheber zu sein, konnte man diesen Feuerort, wie er sein Ateschiah, für heilig halten. Selbst jener Gegend glich er ganz, wo nach warmen Regen an lauen Abenden Feuer aufleuchten, die weder zünden noch wärmen; denn das rosige Wetterleuchten, das unaufhörlich sanft und oft wiederholt aus den wie Gebirge um die Prinzeninsel gelagerten Wolken niederfloß, bildete täuschend den Feuerstrom, der in breiten Massen wie Flammenkatarakten vom Scheitel der kräuterbewachsenen Berge schnell, unerschöpflich, unhörbarleise herabstürzt, in die blumigen Wiesen sich zu ergießen scheint, aber hinwegzuckt, anstatt sie zu überschwemmen.

Richard freute sich innig voraus an Olivia's Freude; an der Wirkung, welche der Anblick in ihr hervorbringen werde. Denn er bedachte, daß alle Feste etwas Symbolisches haben. Die Gestalten, Klänge, gebildeten und ungebildeten Stoffe der Natur, ja Erde, Wolken und Sonne werden dadurch vermenschlicht, indem sie ein Menschliches jetzt bedeuten; und das innere Wesen des Menschen: Liebe, Dankbarkeit und Verehrung, werden hinwiederum gleichsam sichtbar und hörbar durch die äußere Natur, und durch sie vergöttlicht und geheimnißvoll über alles Irdische und Vergängliche hinaufgehoben, verklärt; und das Herz des Gefeierten faßt diesen unergründlichen Zauber nicht, sein Auge weint, aber seine Thränen verdienen dann einen andern himmlischen Namen.

Richard ging aus Ungeduld, ob Olivia käme, nach der andern Seite des Hauses an das Meer, ob es gleich noch nicht Mitternachtsstunde war, zu welcher er seinen Bruder bedeutet, sie zurückzubringen. Er horchte über die Fläche des Meerstromes hinaus in die Ferne, ob er noch keinen Ruderschlag vernehme? Es kam ihm vor, als ob er ein Kaïk erblicke; und wirklich war es so. Aber es entfernte sich wieder, anstatt zu kommen, und verschwand in dem dunklen Streifen des Schattens der Ufer. Er blieb. Die Milchstraße schlängelte sich wie ein golddurchwirktes breites weißes Band in die Tiefe unter den Wassern, so wie die Wellen ihr hineingesunkenes Bild bewegten und hie und da zerrissen; und oben darüber ruhte sie selbst zugleich fest und unbewegt am ewigen Himmel. Die unübersehliche Stadt mit ihren vergoldeten Thürmen, Kuppeln, Zinnen und schwarzen Cypressen lag vor ihm im Dämmerschein der zauberisch-heitern Sternennacht, nicht wie eine wirkliche Gegend der alten Erde, sondern nur wie ein Raphaelischer Josephstraum in einer großen umfassenden Seifenblase schimmernd, wie fata morgana aus einer andern Welt in diese herabgestrahlt. Die frommen Klänge der Ausrufer, die jetzt um Mitternacht zum Gebet ermunterten, gaben dem Gemälde ein schauerliches Dasein. Wie die Indier selbst Felsen und Mauern Geister nennen, so bedünkte ihn auch die wunderbare Stadt ein Geist, oder doch von Geistern aufgeführt, die wieder hinweggezogen, und sie nachgelassen zur Bestätigung ihrer Gegenwart. Oder wer konnt' es anders sagen? Sie waren ja einst nicht da, dann herabgestiegen; sie hatten hier gestritten wie Dämonen, zerstört und gewaltet, und waren ja nun wieder verschwunden, und ihre abgeworfenen Hüllen lagen dort drüben in der heiligen Nacht der Cypressen. Und auch Jene, die noch dort so eben hinknieten vor dem Geiste über der Milchstraße, schienen ihm Geister, die er gemach abruft, sich von der Erde abzulösen, und wieder zu verschwinden aus diesen Gefilden, in denen sie ausgetobt. Und doch glänzte und leuchtete noch ihr Zaubersitz so holdgegenwärtig, so unwidersprechlich da! Und die Wellen, die erst vorhin jene weißen Mauern bespült, schlichen nun still zu seinen Füßen vorüber!

Prospero, der seinen Herrn lauschen sah, boll aufmerksam in derselben Richtung, und lief am Ufer hinauf. Richard suchte umsonst ihn zu beruhigen. Auf einmal winselte er begierig, ging in's Wasser, schwamm darin eine Strecke hinaus, verweilte, schien etwas zu fassen, und schleifte es mühsam keuchend an's Land. Herausziehen aber konnt' er es nicht; er sprang nur an's Ufer, an seinem Herrn hinauf, legte ihm die Tatzen auf seine Schulter, winselte ihn an, und boll dann gewaltig umher. Wie aber Richard bei dem hellen Scheine der großen Fackelkörbe an den Stufen der Anfuhrt entdeckte, war das, was Prospero an den Strand geborgen, ein großer blumiger voller Teppich. Richard ergriff ihn, und zog die Last behutsam auf's Trockene. Dabei bedeuchte ihn, etwas gefaßt zu haben, wie einen Kopf.... zarten weiblichen Arm! Ein leises Aechzen – dann war es wieder still. Sein Eifer war rege. Er schnitt mit dem Messer die Schnur durch, und aus der Oeffnung rollte ihm reiches schönes blondes Haar entgegen. Und als er das über und über blendendweiße junge weibliche Wesen aus der Umhüllung gestreift, lag die Errettete bildschön wie eine Galatee, oder eine marmorne umgestürzte Anadyomene auf dem Rasen.

An ihrer Strafe sogleich ihr Vergehen erkennend, und das Recht des türkischen Mannes bedauernd, sprach er betroffen: ein Opfer der Liebe! – Arkot aber war neugierig in den Teppich gekrochen, und fuhr voll Furcht daraus zurück, entrann und rettete sich auf den nächsten Baum, von dem er herabsah. Das machte Richard aufmerksam, und er fand in dem Teppich noch Jemand, wie einen Mohrenknaben; als er die kleine Gestalt aber auch befreit, sah er einen Zwerg, der sich nicht rührte. Wie kommen diese Beiden doch zusammen? bedacht' er; sie scheinen erstickt, nicht ertrunken; in dem Teppich ist fast kein Wasser! Er begriff das nicht, und eilte zu helfen, wenn Hülfe noch möglich wäre.

So trug er, nicht ohne zu seufzen, die kühle zarte Last nach dem nahen Hause in sein Zimmer. Prospero bedeutete er, indeß bei dem Zwerg zu bleiben. Die aus den Wellen Gerettete legt' er auf den Divan, dann holte er den Zwerg. Im Vorübergehen rief er Arkot vom Baume, der noch bebend gehorchte und hinter ihm drein kam. Aus reinem Sinn wählte Richard lieber, sich mit dem kleinen Manne zu beschäftigen, um ihn zu beleben, und bürstete ihm Fußsohlen, Arme und Rücken, und hieß den willig und hastig aufhorchenden Arkot ein Gleiches zu thun an dem wie schlafend vor ihm liegenden jungen Weibe. Er wollte aus manchem Grunde jetzt nicht fortgehen, um nach seinen Leuten zu rufen; auch waren sie theils hinten in dem weitläufigen Garten, theils mit seiner Gemahlin aus; und Petronella schlief mit ihrem Etty schon lange; denn der Schlaf ist die süßeste Zuflucht für den Leidenden. Arkot war unermüdet, sahe mit peinlichen Blicken nach seinem Herrn herüber, wie und wo Er den Zwerg mit Tüchern und Bürsten rieb, und so that er es eifrig nach. Richard fühlte auf der linken Brust des Zwerges, ob das Herz schlage – es schlug! Arkot that ein Gleiches an dem schönen Weibe; da er aber, auch wenn ihr Herz zu schlagen angefangen, Nichts angezeigt hätte, indem er nicht einsah, wozu er die Hand auf ihre Brust legte, so mußte es schon Richard thun. Ohne besondere Freude, mehr mit Rührung, welche das Lebendigwerden eines vermeintlich Todten immer einflößt, wie die winterliche Natur im Frühling, fühlte er leise Schläge ihres Herzens. Geschwind trug er den Zwerg nun in Walters Bett, hieß den Affen hineinspringen, denselben umarmen, um ihn mit seiner Wärme zu erwärmen, und deckte sie beide bis über die Ohren zu. Dann trug er sanft das junge Weib in sein eigenes Bett, bestrich ihre Schläfe und Stirn mit belebenden Wassern und erwartete, auf den Bettrand gesetzt, ihre Erholung.

Nach langer stiller Zeit erst schlug sie die Augen auf; sie blieben ihr starr stehen; langsam wandte sie dann sie umher, und einen fremden Ort gewahrend, und sich selbst wiederfindend mit ihrer Erinnerung und ihrem Schicksal, that sie einen heftigen Schrei, und verbarg mit beiden Händen ihr Antlitz vor Scham und Schreck. Richard empfand tiefes Mitleid mit ihr, seine Augen wurden feucht, und er lehnte sein Stirn neben ihrem Haupte auf das Pfühl.

Die Mutter, Walter und Olivia waren indeß nach Hause gekommen. Sie waren alle sogleich nach dem Garten geeilt, wohin sie die funkelnden hohen Cypressen zu der Blumenbeleuchtung schon von Weitem gelockt. Mutter und Sohn hatten bleiben wollen, um sich an dem mannigfaltigen gar so erquicklichen Zauber zu weiden. Aber für Olivia war diese liebliche Pracht ohne Richard Nichts. Ihr Herz schlug laut; sie weinte, sie empfand seine Liebe, seine stille Treue aus den stillen Blumen, sie eilte, ihn aufzusuchen, ihm zu danken. So, von den Andern gefolgt, trat sie heftig in Richards Zimmer, flog auf ihn zu, sahe aber ihren Richard neben dem Kopfe eines Weibes ruhen, das jetzt vor Schreck, als käme man, sie noch einmal zu strafen, so wie sie war, sich aufrichtete, jäh aus dem Bette sprang und sich unter dem Teppich des Zimmers verbarg. Olivia starrte hin, blieb sprachlos mit ausgebreiten Armen stehen, die allmälig sanken; ihr Gesicht, das Bild der höchsten Freude, ging schnell und gewaltsam, nicht in das Bild des Schmerzes, der zum Tode bangen Verzweiflung, sondern der seelenlosen Gefühllosigkeit über; und indem sich Richard, von den Tritten und dem nahen Geräusch ermuntert, ihr entgegenbewegte, sank sie, wie sie die Richtung nach vorwärts hatte, ihm ohne Laut in die Arme.

Ob die Unglückliche die reizende, ihr räthselhafte Petronella zu sehen geglaubt; ob die eigene blendende Schönheit einer Unbekannten sie mit blitzschnellen Gedanken zu dem Wahne verleitet: Richard habe sich ihrer Gesellschaft deßwegen heut nur entschlagen, um die Engelsmaske abzulegen, dies Alles stand nur zu vermuthen. Aber Eins davon, von dem Einmal getäuschten Weibe für gewiß angenommen, konnte nur ihre Vernichtung erklären.



 << zurück weiter >>