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Der Punsch.

Die Mutter schwieg; sie senkte ihr blasses Gesicht; und die Augen leicht vor ihren Söhnen geschlossen, vergoß sie zwar stille, aber häufige Thränen. Sie schien überwältigt von den Bildern aus jenem tief verhüllten Reiche, die sie jetzt wieder hervorgerufen, ja von ihren eigenen Worten, und verließ leise das Zimmer. Behüte der Himmel doch jeden vor solchen Träumen, die eine ganze Familie beunruhigen können! sprach die Gesandtin, und folgte Lady Esther bekümmert.

Wenigstens so lange, fuhr ihr Gemahl fort, bis auch bei Weibern und Ammen ausgemacht ist, was jeder Mensch glauben und nicht aberglauben muß; bis der Phantasie ihr eigenes Reich angewiesen und scharf begrenzt ist, und Niemand Begebenheiten der wirklichen Welt, die wir selbst erst veranlassen, mit Träumen in Verbindung denkt, selbst wenn der Gang eines Traumes – deren es politische, ja religiöse giebt – mit der Welt zwei tausend Jahre lang zusammenträfe!

Das denkt unsere Mutter nicht, sprach Sir Richard. Andere, als wir Söhne, könnten sie erst dann des Aberglaubens beschuldigen, wenn ihr der Traum wichtiger schiene, als das wache Leben; wenn sie seit jener Nacht, wie man sagt, im Traume lebte, die Ereignisse aus ihm herleitete, und die wirklichen Dinge der Natur und uns, ihre Söhne, selbst zu Traumgebilden machte, ohne zu bedenken, daß alles ohne den Traum eben so geschehen sein würde, und daß ganz ohne ihn noch kommt, was etwa kommen soll. –

Ich, sprach der Gesandte, halte ihren Traum für ein bloßes Nachspiel jenes Nachholens in die Erde, für fata morgana von einer wirklichen oder für wahr angenommenen Begebenheit. Das gilt der Phantasie gleich. Denn das ist leider gewiß, daß der Wahn bis heut noch mächtiger ist als die Wahrheit. Aber nichts rächt sich schrecklicher selbst an uns, als der Aberglaube – das phantastische Verständniß der Welt – und das war doch wohl die eitle Todtenstörung.

Zugestanden, sprach Walter.

Mehr bedarf es also nicht! rief der Gesandte! –

Und doch, fuhr Walter fort, liegt die Zukunft erkennbar in der Gegenwart, wie die Psyche in der Chrysalide. Es kommt nur darauf an, ob der Geist Geist genug ist, hinter der Bühne des großen Schauspielhauses die schon fertig gemalten Decorationen zu dem neu aufzuführenden Stück zu beschleichen; dann ist es in die Scene gesetzt, dann wird es auch aufgeführt, wie andere Geschichten, die wir betrachten, verachten, oder bewundern, aber nicht hindern können, wie Sonnenaufgang, oder nur einen fallenden Regentropfen. –

Wenn wir nur nicht die extemporisirenden, improvisirenden Spieler wären! entgegnete der Gesandte; es kann nur geschehen, was wir thun. –

Das gewiß! aber es geschieht auch mehr: das alles, was alle thun, und wie sich das mischt! fuhr Walter fort. Unser Vater kann nicht ganz abergläubisch gewesen sein, da er, so viel wir wissen, doch nie den Einfall gehabt, zu forschen: ob keine menschliche Macht der Erfüllung des Traumes vorzubeugen im Stande sei!

Das fehlte noch! rief der Gesandte etwas beschämt. Ich aber hätte den Traum doch Niemandem offenbart; denn bei dem Dichtungsvermögen des Menschen ist auch kein Aberglauben so toll, daß man ihn nicht Kindern wenigstens einpredigen könnte, wie wir ja leider noch in der Welt erleben, mit ansehen und wirklich-schmählich für Vernunft und allgemeine ewige Wahrheit erdulden müssen. Und die armen, so gelehrten und so erzogenen Narren dulden selbst das Allerärgste damit, und entbehren das Allererfreulichste, Ewiggöttliche. Denn bei der Nothwendigkeit zu leben, wie sie glauben, glauben sie dann wie sie leben!

Der kredenzte Punsch, dessen Citronen seine Trinker die ganze Welt für ein heiteres Italien ansehen lassen, sein Zucker für ein warmes Jamaika, und sein Thee für ein in Gott schlafendes China, äußerte auch jetzt diese sonderbare Wirkung, und Sir Richard sprach fröhlichen Muthes: Ich für meinen Theil, so früh ich auch um den Traum wußte, habe mich seinethalben sehr wenig bekümmert, da gerade ich die wenigste Ursache dazu hatte, indem mir huldreichst und gnädigst erlaubt worden: so ziemlich das Leben eines Menschen auszuleben, wenn die Brüder nur in einigermaßen leidlichen Pausen von dem großen Zeigefinger weggewinkt würden. Ja, ohne den Traum hätte ich vielleicht viel weniger, und nur so viel Bürgschaft gehabt, den nächsten Tag zu erleben, wie alle andere Menschen, das heißt: gar keine! Ich aber kann nach der Vorschreitung ungefähr berechnen, wann ich mich vorzubereiten habe; und der Tod meines lieben Bruders Walter wird mich erst mahnen, mein Testament zu machen – aber er sieht mir noch gar zu wohl aus! Er drückte ihm hierbei weich und mit sonderbarem Blicke die Hand.

Ich, sprach Walter, bin allerdings übler daran, denn ich kann keinen leichtsinnigeren Bürgen des Lebens haben, als den theuren Bruder Robert! – Deine unbedachten, oft tollkühnen Streiche von je her will ich mir doch jetzt ganz ergebenst verbeten haben, besonders die Abenteuer, die hier nicht wohlfeiler, als mit dem Leben bezahlt werden! Du kannst es mir auch gar nicht verdenken, Robert, wenn ich dir, statt mir, einen besondern Leibarzt halte; denn der Fall ist wohl selten, daß Einer sein Leben erhält, wenn er den Andern kuriren läßt! Wenn das Veilchen verblüht ist, kommt der Tod an die Hyacinthe; wenn die Tulpen die Blätter verlieren, müssen sich Lilien zum Scheiden fertig machen. Und die Astern, die gar nicht aufhören wollen zu blühen, müssen doch auch ihre Augen schließen, wenn der Schneekönig seinen Mund aufthut. Die guten Kinder haben ohne Zweifel alle auch Bürgen des Lebens, Propheten des Todes; aber unwissend leben und sterben sie hold dahin, wie Blumen nur können! Aber wenn Einem der Bruder zum Messer an der Kehle wird, so weiß ich nicht, was man mehr sein soll! Kurzum, du bekommst einen massiven Schatten, einen Ombra, wie die neapolitanischen verliebten Weiber ihrem bedrohten Geliebten beigeben, der da jeden, wer ihn ermorden will, abwehrt, abfertigt, oder mit ihm handelt. Nicht meinetwegen, setzte er etwas ernster und um Manches wissend hinzu, sondern deinetwegen; denn du bist mir so lieb, wie irgend einem Weibe, und du bist an der Reihe!

Robert aber erschien heut gegen seine Gewohnheit recht gesetzt und verständig, oder doch in sich gekehrt. Ich bin dir sehr verbunden! bedankte er sich, auflachend; aber habe keine Sorgen um mich. Der Mensch ist frei, nicht vogelfrei; man kann von mir träumen, und von uns allen; wie man uns malen kann; aber kein Traum und kein Bild kann uns selbst ändern und bestimmen. Das Sicherste bleibt: ich genieße das Leben nun erst recht; immer wo ich bin, und das ist nun hier! Denn die Menschen, nichts von der Zukunft wissend, als was sie hoffen und fürchten, sind von der Sucht befallen, dem verschlossenen Buche ihrer Tage einen Titel und Inhalt zu geben. Sie machen Träume und Weißsagungen und das Geweißsagte nur erst wahr, wenn sie daran glauben, im Sinne derselben mit Bewußtsein leben, und in der Wahl ihrer Schritte von ihnen geheim gegängelt werden. Sind nicht zwei Brüder von uns bei ihrer Krankheit vielleicht gerade durch die vier Doktoren auf immer kurirt worden – und schon – »zwei Doktoren sind ein halber Tod!« sagt unser Sprichwort. – Wäre dagegen ich nicht beinahe durch Sicherheit umgekommen, weil ich eine zeitlang ein Thor war, und, von dem Aberglauben angesteckt, wähnte: mir könne nichts an das Leben, so lange mein Vormann Eduard lebe! Ja, ich weiß noch nicht, was mich abhielt, in den Krater des Aetna hinabzusteigen! Und was trieb mich hieher, als der aus meiner Gefahr auf dem Kreuze der Peterskirche in Rom mir übriggebliebene, unaustilgbare Abscheu vor allen Kreuzen auf Thürmen und Gräbern, auf Meßgewanden, Soldaten- und Ritterröcken! Gottlob! hier in der Türkei ist doch wenigstens kein sichtbares Kreuz! hier ist mir wohl; hier kann ich doch ohne Schwindel zum Himmel sehen!

Alle sahen ihn neugierig-fragend an, und forderten ihn auf, zu erzählen. Nun wohl, sprach Robert, wenn Sie und das Donnerwetter es erlauben, so führe ich vor Ihnen noch ein kleines Stück auf, das wenigstens den Vorzug der Einheit des Ortes, der Zeit, und, statt der Handlung, die Einheit der Person hat. –

Alle rückten wieder bequem zusammen, da sie gern sahen, daß ein verdrüßlich angeregtes Gespräch einen heitern Ausgang nahm. Und Robert begann.



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