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Das Jahr, in dessen letzter Nacht ich von meinem siebenten und letzten Sohne genas, begann und verlief sich für mich voll Angst und immer erneutem Schreck.
Mein Bruder, der Aelteste von uns Geschwistern, und meine jüngste Schwester waren ein Herz und ein Sinn; dagegen ich mich mit ihm in einem Zustande der Spannung, ja der Abneigung befand, welcher ich vielleicht mein Leben verdanke. Er brachte die Zeit der Jagd auf ihrem Landsitze zu, und sie begleitete ihn oft als rüstige Amazone. Eines Morgens war sie in Verfolgung des Wildes auf eine sogenannte Fenne oder Schaukelwiese gerathen, in deren aus Pflanzenwurzeln geflochtene, mit Gras und Blumen bewachsene Fläche ihr Pferd einbrach, durch die Anstrengung, sich herauszuarbeiten, nur immer tiefer sich hineinwühlte, und drunten in dem Moor und Wasser stöhnend zuletzt erstickte. Sie selbst, in den zerwühlten Sumpf bis unter die Arme versunken, erhielt sich nur dadurch, daß sie auf des Pferdes Rücken aufrecht stand, und zuletzt auf seinem umgelegten Kopfe Grund faßte, wie sie fühlte. Sie war die Erste hinter der Meute von Hunden gewesen, die alle über das übertünchte Grab leicht hinweggestoben. Der Bruder war der nächste auf der Fährte. Er hörte ihren Ruf um Hülfe, er sah sie nur kaum noch die Arme aus dem Boden erheben. Er gewahrte die Spur des Pferdes bis zu ihr, aber das edle Thier war verschwunden – und auf der ganzen freien Gegend nirgend zu sehen. Er errieth, was ihr begegnet, und gab seinen Rappen dem nächsten Jäger zu halten, und nahte sich der halbbegrabenen Schwester. Aber er fand den Grasteppich um sie her breit zerwühlt, und in der Nähe war kein Baum, kein Ast, keine Stange! In der Noth reichte er ihr also sein Gewehr, um sie daran herauszuziehen, und hielt dasselbe, um sie nicht zu gefährden, vorsichtig mit der Mündung des Laufes auf sich zugekehrt. Sie jedoch, unvermögend den Kolben bequem zu umspannen, oder in der Angst, sich zu retten und sicherer anzuhalten, griff mit beiden Händen in den Bügel am Kolbenhalse der Büchse. Der angestrengte Zug, den er that, sie herauszureißen, gelang vollständig, aber streckte ihn zugleich zu Boden, da sie mit der Kraft des Anhaltens den Hahn des Gewehres gewaltsam losgedrückt. Die Kugel war ihm, die Lippen und die in der Anstrengung zusammengebissenen Zähne einschmetternd, durch den Hinterkopf wieder hinausgegangen. – Das Gefolge fand sie ohnmächtig über den durch sie getödteten Bruder hingeworfen, und brachte den Unglücklichen mit der noch Unglücklicheren nach dem Landsitze, wo er nach wenigen Tagen begraben ward.
Sein längst fertiges Testament wurde geöffnet, in welchem meine untröstliche Schwester, als seine geliebteste Anverwandte, obenan stand; und so wie die Uebrigen in seiner Gunst geringer gestanden, so nahm auch die Größe der Vermächtnisse ab – ich war ganz leer ausgegangen.
Nun ist es schon bitter, Jemand von der Erde friedlich scheiden zu sehen – aber ihn, wenn auch unschuldig, aus der schönen Welt gewaltsam hinausstoßen, das ist wohl etwas, das jeden Menschen, so stark er sei, überwältigen kann, geschweige eine zärtlich liebende Schwester, ein junges Mädchen! So war es wohl kein Wunder, wenn sie einige Wochen nach ihm starb, die jeder nur bedauerte, ohne ihr das Leben zu wünschen. Daß unsere alte betagte Mutter darauf nachstarb, schien ohnehin ganz im Laufe der Natur, wenn sie auch nicht zwei Kinder so schnell verloren. Aber einige Zeit nachher starb auch ein Knabe, der einzige Sohn meiner ältern Schwester, ohne daß ein Arzt nur seine Krankheit hätte entdecken können. Sein Tod selbst verwunderte noch Niemand so sehr, als das Wort, das er beständig auf die Frage: was ihm fehle, wiederholte: »die Erde will mich haben!« Und er hatte recht gesagt; die Erde empfing ihn. Als aber auch seine Mutter krank ward, zum Tode krank, vielleicht vor Gram über den Verlust ihres geliebten Kindes, immer in Phantasieen von ihm sprach, und sein ruhig ergebenes Wort wiederholte: »die Erde will mich haben,« als auch sie starb, da ergriff alle ein Schreck und Schauder, besonders aber uns, die noch übrigen wirklichen Blutsverwandten unseres Hauses, und das war nur noch mein Bruder und ich. In der ganzen Gegend ward über dieß Aussterben viel und mancherlei gesprochen, manche alte Geschichte wieder erzählt.
Eines Abends, lange nach Sonnenuntergang, als schon die Sterne am Himmel hervorgetreten waren, mit goldenen Blicken uns unaufhörlich anfunkelten, und die Milchstraße sich wie ein Bogen aus weißem Nachtgewölk über uns aufgebaut, gingen wir von dem Hügel hinab in unsern Park. Mein Mann, als Testaments-Vollstrecker, hatte so eben zu meinem Bruder bemerkt, daß die so auffällig nacheinander Dahingeschiedenen gerade in der Reihe sich gefolgt waren, oder nachgeholt worden, in welcher sie mit immer kleineren Vermächtnissen im Testament aufgeführt standen, mithin also deutlich nach dem Grade seiner Liebe zu uns.
Das Gartenthor war hinter uns schon wieder geschlossen, als man heftig daran klopfte; es ward geöffnet. Da trat uns eine alte Frau an, die uns erwartet zu haben und zu kennen schien. Sie sah aus, wie eben aus dem Schlafe aufgefahren, gähnte, that sehr geheimnißvoll, und wußte nicht, wie ihre Worte anzufangen. Endlich brach sie in Thränen aus, und sprach, meinen Bruder am Rocke haltend: Lieber Herr! Ihr thut mir herzlich leid, Ihr sollt nun sterben! und Ihr werdet, Ihr müßt. Es ist schon andern mehr so geschehen. Doch Gott weiß, wem es eingekommen, das Mittel dagegen zu entdecken; aber es hilft gewiß!
Da wir überrascht inne gehalten, fuhr sie unheimlicher fort: Laßt den Ersten, der aus Eurem Blute jetzt von den allen gestorben ist, wieder ausgraben, das wird's thun, er saugt! und so lange er das thut, so lange sterben seine Blutsverwandten, bis die Erde das ganze Geschlecht hat. Aber wird ihm das Tuch, oder was es ist, vom Munde gethan, dann bleiben sie leben! Darum muß man den Todten hübsch einen grünen Rasen unter das Kinn legen! Das ist ein uralter Gebrauch, und hat seine weisen Ursachen! Ich darf nichts nehmen für meinen Rath, denn wer helfen kann, muß helfen, und das kann ich! das thu' ich!
Mein Bruder, verdrossen über die Todesbedrohung, und in der That nicht an Ursachen glaubend, deren Wirkung in gar keinem menschenbegreiflichen Zusammenhange steht, hieß störrisch die Alte sich um ihr eigenes Grab bekümmern, ja er hob den Stock gegen sie auf, und ich glaube, er ließ ihn auch fallen!
Und wer nicht hören will, muß fühlen! schloß sie ihre Worte. Und indeß gerade ein Stern fiel, und blendend seitwärts verschwand, war auch die Alte verschwunden, denn wir hatten nach dem Meteor gesehen. Mein Bruder aber ließ sich auf dem ganzen Wege keine Sylbe mehr verlauten, und murmelte zu Hause nur manchmal für sich: »eine Kesselhexe! eine Erdblase! – Erdblasen!« –
Er reisete nach der Stadt, um sich zu zerstreuen und auf die sogenannte große Reise vorzubereiten. Indeß hatte er »die allergrößte Reise durch alle Welt« angetreten; denn man brachte ihn in weniger als Monatsfrist auf einem Trauerwagen nach unserem Landsitz zur Beerdigung. Er war im Zweikampf erstochen worden, der von einem Streit über die Verbindung der Todten mit den Lebendigen hergekommen war, und in welchem er zuletzt unter verletzenden Ausdrücken behauptet hatte: »die Gottheit würde einem Todten keine Macht über Lebendige lassen, noch ihm sogar ein unvernünftiges Hausen in seiner Welt gestatten, da nicht ein Sperling ohne seinen Willen vom Dache falle.«
Soll ich auch dies Wort sagen: Jetzt war die gefaselte, empörende und doch – eine Reihe angenommene – unheimlich überrieselnde Reihe, nachgeholt zu werden, an mir. Doch mein Gemahl, der mich herzlich liebte, und in der allgemeinen Ungewißheit aller Dinge sicher gehen wollte, hatte sich heimlich die Todtengräber kommen lassen, sie gewonnen und mit ihnen abgeredet, in nächster Nacht meinen erschossenen Bruder, als den vermeinten Urheber aller der Sterbefälle, auszugraben. So geschah's. Sie gingen um Mitternacht. Ich fürchtete mich zu Hause, schlich nach, und blieb von ferne stehen. Die Erde ward ausgeworfen, der Sarg heraufgehoben; und es soll selbst die Männer überrascht haben, als eine Schlange von dem Todten hinwegfuhr, und eine Schleife seines Halstuches von weißem Battist wirklich seinen Mund berührte. Mein Mann zog mich mit Gewalt hinzu, mich zu überzeugen. Sie alle staunten ihn an. Die Todtengräber hielten ihre Windlichter starr wie Candelaber, und schüttelten stumm die Köpfe. Aber einen zehnfachen Mörder hätte ich lieber gesehen, wie meinen unschuldigen edlen liebenden Bruder als solchen ruhigen Würger im heiligsten Schlaf! – war er es nun mit Willen, oder ohne Willen. Ich weinte unaussprechlich. Und eine Stimme, wie Macbeth's Geist, sein eigenes Wort verkehrend, sprach langsam hinter mir: »hier mordet der Schlaf, der heilige Schlaf!« Ich zitterte; es umarmte mich – es war mein Gemahl, der seiner Angst entladen, mich an das Herz drückte, froh, mich errettet zu haben. Aber er, nach dem Befund der Angabe, fortan auch seiner Sache gewiß und mächtig zu sein, halb übermüthig und halb verwegen für mich, legte dem Todten eine eiserne Maske an, die er wohl verschloß. Er schwieg, Alle schwiegen. Keiner betete selbst ein lautes Wort, als der Sarg wieder versenkt und mit Erde bedeckt ward. Der Mond war aufgegangen; mein Mann, von Eifer und Furcht vorausgetrieben, blieb auf einem Grabhügel stehen, mich zu erwarten. Seine Gestalt schien in der täuschenden Nacht bis in die Wolken hinaufzuragen, die Mondscheibe stand gerade hinter seinem Haupt, und in meiner Verwirrung hielt ich sein Gesicht für des Mondes Antlitz, oder den Mond für meines Mannes feuriges Haupt. – Ich verfiel darauf in eine schwere Krankheit voll irrer Reden; aber Niemand, am wenigsten mein Mann, zweifelte nun an meinem Aufkommen! Ich genas, und zugleich von meinem siebenten Sohne.
In der Nacht darauf träumte mir, aber vernünftig angesehen: Mir! Wie es mein Mann nachher mir erklärte. Und wer war ich? Eine in das stilleste süßeste Heiligthum der großen Mutter Natur getretene, von ihr geweihete heilige Frau, jetzt ihre eigene fungirende Priesterin – die so gemeinhin »Wöchnerin« heißt; eine Wöchnerin, ganz noch berauscht von den Wundern der geheimnißvollen Mutter, das ich, und die ich unfaßbarer Weise selbst gewesen war, das noch in mir fort scholl, die noch in mir webte und lebte. – Und wie war ich? Versunken in traurige wahrhaft erlebte Ereignisse, die meinen Lieben geschehen waren; und der Traum – meine eigene Seele, die wie der Wein im Faße bei Traubenblüthen draußen sich wiederum regte, rührte – spiegelte mir das erduldete Vergangene als erst von mir zu duldendes Zukünftige vor. Und so träumte denn mir: Wir waren hinausgegangen in das Gefild, um den Frühling zu sehen, und unsere Kinder spielten mit einander auf einer großen Wiese. An dem Rande derselben standen sehr hohe blühende Kastanienbäume umher, und ich glaubte, die Blüthen surrten, aber es waren Bienen; und ich glaubte, die Bäume redeten mit Menschenstimmen, aber es waren Vögel in ihrem Grün verborgen. Und der Eine sprach: »fürchte dich nicht!« – Ich sahe mich um, wovor ich mich zu fürchten hätte, und aus der Erde wuchs eine bleiche Riesenhand bis an das Gelenk heraus, und die Finger winkten und bewegten sich wie Polypen, eines meiner Kinder zu ergreifen. Der Vater aber, neugierig die Erscheinung zu untersuchen, näherte sich der krampfhaft sich öffnenden und schließenden Hand, doch ehe ich ihn zurückziehen konnte, hatte sie ihn ergriffen, und zog ihn hinab, und die Erde schloß sich, und an der Stelle wankten nur schwarze Blumen und silberfarbiges Gras im darüber säuselnden Winde. Und ein weißer Rabe sprach von einem andern Baume: »der Tod ist nur der Sünden Sold.« – Erstaunt und bleich vor Entsetzen eilt' ich voll Angst, meine Kinder von der verderblichen Stelle zu reißen, zu der sie liefen, von schönen Kindern gelockt, die sich in ihre Spiele gemischt. Und wie ich ihnen nahte, fuhr die Riesenhand wieder empor, und griff nach meinem ältesten Sohne Richard. Aber wehrend und rettend warf ich mich selbst in die greifende Hand, und sie schloß sich zu, mich um den Leib umspannend, wie eine Puppe, und hielt mich schwebend. Und in der Erde sah ich, durchschimmernd, wie durch einen grünen Flor, einen ungeheuren Riesen liegen; sein Leib war geharnischt und verrostet, sein Haupt und Bart bemoost. Er starrte mich an aus hohlen Augen, wie Feuerhöhlen, und sprach: »Weib, was beginnst du?« Und ich faßte mich in der mütterlichen Angst, und flehte: verschone meine Kinder! Aber der Unhold lachte, und von dem Lachen schütterte die Erde über seinem Leibe, die Bäume schütteten ihre Blüthen ab, und die Vögel flogen davon. Vor Schreck drückt' ich meine Augen fest zu, und die Stimme sprach wieder: »Für den, der kommt, ist keine Schonung! – Eine Gunst sei dir gewährt: soll ich anfangen von den Ersten? oder den Letzten?« – Ich verstand den Sinn der Worte nicht und blieb stumm. Und er wiederholte: »von den Ersten oder Letzten?« und seine Faust drückte mich athembeklemmend, wie um mir eine Antwort auszupressen; und ohne recht zu wissen, was ich sagte, ächzt' ich: »von den Letzten!« – Da ließ mich die Hand los, und ich rannte taumelnd fort und sank hin, und alle Glieder an meinem Leibe thaten mir weh von dem gewaltsam drückenden Umspannen. Ich konnte nicht erwachen, so sehr ich darnach rang, und wimmerte im Schlafe.
Dann, träumte mir weiter, war es Nacht; ich stand in meinem Zimmer am Fenster, das vom Kaminfeuer erleuchtet war. In dem auf das Dunkel außerhalb des Fensters sich abspiegelnden Zimmer sah ich mein eigenes Bild. Ich war alt geworden, und hatte graue Haare. Ich besah meine Hände – sie waren welk und mager, und die darauf liegenden blauen Adern bestätigten mir mein Alter. Um das Bild los zu werden, machte ich das Fenster auf. Draußen schien es Frühling zu sein; die Bäume blühten, lieblicher Duft zog durch die Nacht, es rauschte um Wald und Fluß, und Nachtigallen schlugen. Ich blickte zum Himmel. Die Milchstraße schimmerte hell, aber bunt, wie ein großer Regenbogen von einer unsichtbaren Sonne. In der Mitte auf ihrer Wölbung stand aufgerichtet der Tod mit einer funkelnden Krone. Er goß aus einer Schale, die unerschöpflich floß, Gift in die Natur. Die vorüberziehenden Frühlingswolken netzten ihre Schwingen damit, wie Tauben am Wasserfall, und sie zogen umher und verthauten es über Berge und Thäler, Bäume und Blumen und Hütten der Menschen. Denn es verbreitete sich ein betäubender Duft über die Erde, und das Jahr ward vor meinen Augen allmälig alt; alles verwelkte und erstarb, die Gefilde wurden weiß, wie mit einem großen Leichentuche bedeckt, es ward starrer nackter Winter, die Sterne funkelten strahlend, und grimmige Kälte fiel mich an. Und eine Stimme hoch über dem Tode erscholl: »Kommt wieder Menschenkinder!« – Da ward es allmälig wieder Frühling, alle Knospen sprangen auf, und es duftete köstlicher als zuvor. Und die Rosen sangen: »wir waren Dornen, und sind Rosen!« und die Sommervögel schwirrten: »wir waren Chrysaliden, und sind Sommervögel!« und die Palmen flüsterten: »wir waren Rohr, und sind Palmen!« Und droben sang es: »wir sind Engel, und waren Menschen!« und die Sterne sangen: »wir waren Wassertropfen, und sind Sonnen!« Und der Tod sprach: »ich war der Tod, und bin der Tod!« – Und hoch, wie aus der äußersten Ferne des Himmels, erscholl nur noch, wie das letzte Echo sanft verschwebend: »Und Ich bin der Schöpfer!« – »Du bist der Schöpfer, und du, o Tod, bist des Schöpfers linke Hand!« sangen nun alle tausend zarte und volle Stimmen, und der Tod warf die Schale weg und die Krone, und ging auf der Milchstraße, wie auf einem sich neigenden Wege, hinab auf den Horizont der Erde. Dann längs dem Saume des Waldes näherte er sich unserm Schloß, schritt darauf los, und nur der Gedanke gab mir Sicherheit, daß die Mauern des verschlossenen Hofes zu hoch für ihn seien. Aber er dehnte sich aus, und schritt über die Mauer. Dann ward er wieder klein wie ein Mensch, nahte, und klopfte an das Thor des Schlosses drei scharfe Schläge, daß ich durch und durch erbebte. Ich hörte das Thor öffnen, und eilte die Thür zu verriegeln, als ich es die Treppe heraufkommen hörte mit leisen Tritten, aber blieb wie angewurzelt stehen, als es auch bei mir anklopfte. Der aber hereintrat war nicht der Tod – sondern ein Engel. Er stand; er lächelte. Seine rechte Hand winkte mir, und unwiderstehlich mußt' ich ihm folgen. Wir gingen nach dem marmornen Erbbegräbniß, das mein Gemahl groß und geräumig in Gestalt eines Tempels der Nacht hatte erbauen lassen. Er klopfte an das Flügelthor – mein Bruder in seiner Maske that von innen auf. Das Licht von oben lockte mich zuerst. Die Gestirne funkelten von dem schwarzen Gewölbe, und der volle Mond erleuchtete es sanft. Aber sein glänzendes Antlitz war das meines Mannes, der mild und verklärt auf mich herablächelte. Der Engel zupfte mich, und zeigte mir sieben Nischen, in welchen alle meine sieben Kinder auf marmornen Fußgestellen umherstanden, von einem goldenen Schein sanft erhellt. Meine Kinder waren todt, und standen ruhevoll und doch wie lebendig vor mir, als hätten sie nur vor dem zauberischen Glanze ihre Augen geschlossen. Aber ich sahe: sie waren in verschiedenen Stufen des Alters gestorben, und in der Reife, bis zu der sie gediehen, hatte der Tod ihre Gestalt unverwandelt festgehalten. Ich bemühte mich umsonst in der Angst um sie, die Jahre auszurechnen, in welchen Jeder dem zufolge dem Tode verfallen sei. Mir fiel die Stimme aus der Erde ein. Ich begriff nun deutlich den Sinn ihrer Worte; ich hatte »von den Letzten« gewählt, und so waren die Frühergebornen immer länger am Leben geblieben, und von den Spätergebornen war mir immer der Jüngste meiner Söhne in die Grotte des Todes getragen worden, ohne daß ich jedoch darum wußte. Ich wandte mich trostlos ab, und weinte wie eine Mutter über so viele theuere Kinder weinen muß, die sie alle auf einmal todt findet. Und ein Rabe sprach wieder: »weine nicht« und ein anderer sprach: »für den Himmel wird alles geboren!« Mein Bruder aber raunte mir heimlich in's Ohr: »die Liebe ist über alles mächtig! – Schaue hinauf!« Und ich erblickte das Siebengestirn am Firmament, dessen sieben Sterne meinen sieben Kindern wunderbar ähnlich sahen, ungefähr wie wann auf gelben glänzenden Tausendschönen große helle Thautropfen stehen, und wir selbst uns mit kleinem Gesicht in jedem derselben gespiegelt sehen.
Wie ich nachsann, ob das alles nur Schein oder Wahrheit sei, berührte mich der Engel wieder und sprach: »hast du gehört, was die Blumen sangen und die Engel? Gedenke mein!« – Mit diesen Worten verschwand er; es ward plötzlich finster, und ich eilte bestürzt aus dem schauerlichen Orte. Und wie ich aus dem Thore trat, fuhr die Hand aus der Erde, mich zu ergreifen. Darüber erwacht' ich, zitternd am ganzen Leibe; und müde und matt, mit der linken Hand das lautklopfende Herz haltend, weint' ich mich nun erst aus.