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25. Kapitel.
Bulls Eiland.

Während der ganzen folgenden Nacht verließ ich das Deck nicht, in der Erwartung, daß Land in Sicht kommen würde. Kurz vor Sonnenaufgang suchte ich meine Koje auf, um noch eine Viertelstunde Schlaf zu ergattern.

Nach zwanzig Minuten weckte man mich.«

»Was ist's?«

»Wir haben Land gerade voraus,« sagte Brigstock, zur Thür hereinschauend.

»Ha!«

Ich sprang auf, erwischte das Teleskop, und war im Nu an Deck. Ueber dem Backbordbuge, zwei Strich in Lee, zeigte sich ein schattenhaftes Gebilde über der Kimmung. Land!

»Lassen Sie alle Segel setzen, Herr Brigstock.«

Unter Royals, Bram- und Leesegeln glitt das Schiff mit einer Fahrt von sechs Knoten über die ruhige blaue See.

»Noch eine Stunde,« sagte ich, »dann wird Bull uns sagen können, ob das sein Eiland ist, oder nicht.«

Kaum war die Kunde ins Zwischendeck gelangt, als die Mädchen in Hast ihre Kojen verließen, sich eiligst ankleideten und an Deck stürzten. War's doch das erste Land, das sie nach zwei langen Monaten sehen sollten.

Gegen zehn Uhr rief ich Thomas Bull achteraus.

»Nehmen Sie das Glas hier und sagen Sie mir, ob Sie in jenem Lande Ihr Eiland wiedererkennen.«

Er kniete nieder und legte den Tubus auf die Reeling. Die Erwartung stieg auf den höchsten Grad. Die Augen aller an Deck waren gespannt auf das Achterdeck gerichtet – auf mich, auf Brigstock und Harding und auf den knieenden Bull, der das Land lange und unbeweglich fixierte.

»Kannst du denn nichts erkennen, Tom?« fragte Brigstock endlich voll Ungeduld.

Da nahm Bull das Auge vom Glase, schaute Brigstock an und nickte.

»Unser Eiland?« rief Harding.

»Ja,« antwortete Bull, »unser Eiland, bis auf den kleinsten Grashalm.«

Er stand auf und gab mir das Glas zurück.

Brigstock aber nahm seine Kappe ab und sah mich mit seinen schwarzen Augen voll Bewunderung und Hochachtung an.

»Keppen Morgan,« rief er pathetisch, »wir haben unser Vertrauen auf Ihnen gesetzt und Sie haben sich glänzend bewährt! Keppen Morgan, ich danke Ihnen im Namen von alle Mann, und wenn uns das Eiland da drüben auch nicht passen thun sollte, so wird vorn und achtern doch keiner anders sagen, als daß Sie ein sehr schönes Stück Navigation geleistet haben!«

Ich dankte ihm und erwiderte lächelnd, daß es für einen Seefahrer kein Kunststück sei, ein Land zu finden, dessen Lage ihm bekannt gegeben ist. Im Herzen aber hielt ich es für eine nicht zu verachtende Leistung, ein auf der Karte nicht verzeichnetes Eiland in unbekannten Gewässern recht unter des Schiffes Bug zu bringen; freilich, Glück war auch dabei, denn hätte Bull sich um zwanzig Meilen geirrt, so hätte ich lange suchen müssen.

»Bulls Eiland!« rief Harding den auf der Back auf Nachricht lauernden Matrosen zu.

Ein stürmisches Hurra war die Antwort.

Das Mittagessen für die Emigrantinnen war heute nur mangelhaft, da der Koch Wambold in der Aufregung vergessen hatte, die Suppe und den Pudding für das Zwischendeck herzurichten, und so gab es nichts als Schweinefleisch, wovon er zum Glück die richtige Ration in einem nüchternen Moment in den Kessel geworfen hatte.

Einige der Mädchen waren damit unzufrieden und murrten. Emma Marks brachte ihr Stück Schweinefleisch auf dem Blechteller an Deck.

»Da, Keppen,« rief sie zu mir hinauf. »Weiter kriege ich nichts, und Brigstock weiß doch, daß unsereiner Schweinefleisch verboten ist! Soll ich hier verhungern, bloß weil andere Leute sich hier in der Wildnis verheiraten wollen und wir darum nicht nach Orstralien kommen können? Sehen Sie her, Keppen!« kreischte die widerwärtige, schwarze Kreatur, »so esse ich heute zu Mittag!«

Damit warf sie das Fleisch über Bord.

Ich befahl Gouger, dem Frauenzimmer etwas aus der Pantry zu essen zu geben, und zog mich nach hinten zurück.

Um halb zwei Uhr waren wir der Insel bis auf eine Seemeile nahe gekommen, ohne daß das Lot bisher den Grund erreicht hatte.

Die Insel zeigte zunächst ein weit vorgeschobenes Flachland von herrlichstem Grün, etwa drei englische Meilen lang und mehrere Meilen breit. Hinter diesem ziemlich ebenen Plan erhoben sich üppige Waldungen, auf welligen Hügeln ansteigend bis zu einer Höhe von ungefähr dreihundert Fuß. Hier und dort ergossen sich Wasserfälle wie Silberstreifen über steile Hänge hinab. An einigen Stellen in der Entfernung reichte der Wald bis unmittelbar an den weiß umbrandeten Strand.

Die Lagune befand sich, nach Bulls Aussage, auf der Nordseite der Insel. Da mir ein Ankern innerhalb derselben aber zu gewagt erschien, ließ ich das Schiff zunächst beidrehen.

Die Mädchen schauten zu der grünen, sonnigen Pracht hinüber wie gebannt. Der tropische Wald mit seinen wehenden Palmkronen erschien ihnen wie eine Offenbarung, und manch eine mochte nun in ihrem Herzen wohl denken, daß die Partnerinnen der Seeleute doch nicht die thörichten Närrinnen waren, für die so viele sie bisher gehalten.

Brigstock kam und bat um die Erlaubnis, eine Landungspartie ins Werk setzen zu dürfen.

»Ganz wie Sie wollen,« antwortete ich. »Ich will nur hoffen, daß die Insel Ihren Erwartungen entspricht.«

»Ich denke, sie wird's,« sagte er.

Während ein Teil der Mannschaft eines der Quarterboote zu Wasser brachte, schafften die andern Waffen herbei – drei Musketen, vier Pistolen und vier Säbel, wohl der ganze Vorrat, den das Schiff an Bord hatte. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, daß die Waffenkiste sich in Brigstocks Kammer befand. Die Schießwerkzeuge wurden aus einer großen Pulverflasche geladen und dann machte Brigstock sich mit sechs Matrosen auf die Fahrt, geleitet von dem Hurra der zurückbleibenden Leute und der Partnerinnen.

»Such' uns einen guten Platz aus, Isaak'« rief Emma Grubb.

»Für uns einen am Wasser, Bill!« schrie Sall Simmonds. »Ein Häuschen am Strande, das ist doch zu schön!«

»Vergiß deine Susie nicht, Thomas!« trompetete Bulls Partnerin.

Die Leute im Boot lachten und waren bald aus Hörweite.

Auf meinen Befehl pfiff Alice jetzt ›alle Mann‹ und bald darauf tummelte sich meine Kompagnie im ›Dienstanzuge‹ an Deck. Ich wollte sie bei der Hand haben, wenn aus irgend einem Grunde ein Segelmanöver nötig werden sollte.

Ich stand im Gespräch mit Kate, als mein Bootsmann, Alice Perry, herankam. Sie streifte den am Ruder stehenden Matrosen Sampson mit einem funkelnden Blick, dann fragte sie flüsternd:

»Warum steht das Schiff jetzt still, Keppen?«

»Weil wir auf die Rückkehr unserer Leute warten.«

»So, also darum. Wir brauchen die Kerls aber nicht mehr; laß sie sehen, wo sie bleiben, Keppen. Und hernach möchte ich die Cobbs und die anderen heulen und jammern hören!«

»Sie scherzen,« sagte ich. »Seien Sie vorsichtig mit Ihren Reden.«

»Ich scherze nicht,« entgegnete sie heftig, während ihre Augen Feuer sprühten. »Wir sind unserer dreißig und die andern Mädels helfen uns! Wir wollen die an Bord gebliebenen Matrosen und den Koch einsperren und davonsegeln!«

»Das werden wir nicht thun.«

»Sie sind immer gegen mich, Keppen.«

Ich ergriff ihren Arm.

»Seien Sie doch vernünftig, Alice!« redete ich ihr zu. »Wenn die Matrosen Sie hören, dann werfen sie Sie über Bord!«

Wir schauten einander in die Augen, dann lächelte sie wie eine Tigerin, machte kehrt und ging ab, eine Melodie pfeifend.

»In der steckt die Seele eines Piraten,« sagte ich, ihr nachblickend, zu Kate.

»Und wissen Sie noch etwas?« sagte diese. »Die ist rasend verliebt in Sie und würde Sie umbringen, wenn Sie ihre Eifersucht erregten.«

»Dann will ich nur mein Testament machen,« lachte ich und sah Kate in die Augen.

Die aber that, als verstehe sie mich nicht. –

Es war nach sieben Uhr, als das Boot mit den Ausflüglern zurückkehrte, von den Partnerinnen mit lautem Geschrei begrüßt.

Brigstock kam zuerst über die Reeling. Fräulein Cobbs schoß auf ihn zu, er faßte ihre beiden Hände und so standen sie eine Minute in eifrigem Gespräch. Ich erwartete ihn auf dem Achterdeck. Langsam stieg er die Treppe herauf.

»Nun?« sagte ich.

»Ein sehr schönes Eiland, Keppen Morgan.«

»Es gefällt Ihnen also?«

»Es gefällt uns. Morgen wollen wir unseren Kram an Land schaffen.«

Während der Nacht kreuzten wir in der Nähe der Insel auf und ab und drehten bei Sonnenaufgang wieder bei. Dann wurde das Großboot zu Wasser gebracht, desgleichen alle Quarterboote, und als dieselben am Fallreep lagen, ging es an das Ausbrechen der Ladung.

Das Schiff enthielt beinahe alles, was eine Schar Kolonisten zur Gründung einer Ansiedlung brauchte – jegliches Eisenwerk, bis zu Pflugscharen, Harken, Sensen, Spaten u. s. w., fertige Kleider für Männer und Weiber, grobe Wolldecken, Hausgerät, Küchenutensilien, Feldbetten, Schuhwerk und noch vieles andere.

Um die Mittagszeit waren alle vier Boote beladen, und nach hastig eingenommenem Mahl machte man sich auf die Fahrt nach dem Eiland. Das Großboot segelte und nahm die andern ins Schlepptau. Harding und zwei Mann blieben an Bord zurück.

Zur Mittagszeit des dritten Tages hatten die Kolonisten alles, worauf sie ihr Herz gesetzt, an Land geschafft, darunter auch ein Floß von Reservespieren und zwei Flaggen. Auch den Proviant hatten sie nicht vergessen; die Gig vermochte die Ladung von Fleischfässern kaum zu tragen.

Nach meiner Berechnung mußte Brigstock sich mindestens fünfzig Tonnen an Gütern aus der Schiffsladung angeeignet haben, einen beträchtlichen Teil mehr, als anfangs seine Absicht gewesen war.

So war der Morgen gekommen, an dem die Kolonisation von Bulls Eiland beginnen sollte. Wir hatten die Nacht über vor der Insel gekreuzt, der wir jetzt wieder zusteuerten. Der Wind war nach Süden herumgegangen und wehte frisch und kühl; der Ozean glitzerte wie von tausend Diamanten, und leichte, weiße Wölkchen segelten unter dem blauen Firmament munter nach Norden.

Ich stand mit Brigstock am Geländer des Achterdecks; die Matrosen und ihre Partnerinnen hatten ihr bestes Zeug angelegt und lungerten gruppenweise an Deck herum. Meine Kompagnie versah den Schiffsdienst, nur am Ruder stand noch ein Matrose.

Brigstock sah so pastorenhaft als möglich aus. Er hatte sich einen weißen Shawl um den Hals gewickelt und einen, den Schiffsvorräten entnommenen schwarzen Schlapphut aufgesetzt.

»Keppen Morgan,« sagte er nach einer längeren Pause in unserer Unterhaltung, »die Zeit ist gekommen, wo ich Sie Lebewohl sagen muß.«

»Ja, Herr Brigstock,« sagte ich, »es ist wohl bald soweit.«

»Ich möchte Ihnen noch einmal bitten, uns das Unrecht zu vergeben, das wir Sie angethan haben.«

»Sie und Ihre Leute haben das längst voll gesühnt, Herr Brigstock; in der That, das musterhafte Benehmen der Matrosen wird mir unvergeßlich bleiben. Es stünde besser um die Seefahrt, wenn es mehr solcher Leute vor dem Maste gäbe.«

Er neigte ernst den Kopf als Zeichen des Dankes.

»Wie wir unsern Eidschwur gehalten haben, so werden Sie auch den Ihren halten, Keppen Morgan.«

»Ganz sicherlich.«

Wieder neigte er den Kopf.

»Unser Erstes soll sein, eine Spiere aufzurichten, die Flagge zu hissen und Besitz zu ergreifen. Jenseit des Berges da liegt ein schönes Thal, dort wollen wir uns anbauen.«

»Ihre erste amtliche Thätigkeit werden die Eheschließungen sein, nicht wahr?«

»Das wird sich finden,« antwortete er etwas steif und abweisend.

»Wer wird Sie denn mit Fräulein Cobbs vermählen?«

»Der, den ich dazu bestimmen thue, kraft meines Amtes als erwählter Präsident.«

Wir näherten uns schnell dem Eiland, das in seiner ganzen tropischen Pracht vor uns lag. Kate stand am Fallreep im Gespräch mit Fräulein Cobbs.

Jetzt waren wir nahe genug.

»Back die Großmarsraa!« rief ich. »Backbord-Großbrasse.«

Die Mädchen sprangen an die Brassen und rissen die Raaen herum.

»Sind wir alle klar?« schrie Brigstock.

»All' klar!« hieß es, und sämtliche Partner und Partnerinnen eilten zum Fallreep.

»Susanna Corbin, verfangen Sie das Ruder!« befahl ich.

Das Mädchen löste den Rudersmann ab. Dieser, der Matrose Jackson, kam lächelnd auf mich zu.

»Jetzt heißt's ja woll adjüs, Keppen?« sagte er.

»Ich denke,« versetzte ich.

»Dann leben Sie wohl und Gott der Herr segne Sie,« sagte er, mir die Hand reichend. »Ich wünsche Ihnen eine gute Reise nach Sydney.«

Ich schüttelte ihm die Rechte und ging die Treppe hinunter.

Sie hatten das Großboot langseit geholt, und das Quarterboot, das sie mitnehmen wollten, zu Wasser gebracht.

Brigstock trat neben mich.

»Können wir noch etwas für Ihnen thun, Keppen, ehe wir an Land gehen?« fragte er.

»Nichts, ich danke Ihnen.«

»Die Anker hängen in die Krahnbalken und die Ketten sind klar. Wie aber ist's mit die Segel?« Er rollte seine Augen nach oben. »Sollen wir noch Leinwand bergen? Die Mädels können mit die Marssegel doch nicht fertig werden.«

Ich erwiderte, daß ich die gegenwärtig stehende Leinwand beibehalten wollte. Sollte es schwer Wetter geben, dann würde ich die Marsraaen heruntervieren und die Refftaljen ausholen lassen, das übrige aber Gott anheimstellen. Ich meinte jedoch, daß das Wetter wohl fein bleiben würde. Und brauchte ich Hilfe, dann hoffte ich sie in diesem Ozean der Inseln und Walfischfänger auch noch rechtzeitig zu finden.

Er schaute mich bewundernd an, dann sagte er, nach einem Blick über die Reeling:

»Keppen Morgan, wir sind soweit.« Und seinen Hut abnehmend und mir die Hand hinstreckend fuhr er fort: »Leben Sie wohl! Möge das Auge Gottes über Ihnen wachen und über allen den Mädchen, die außer dem Allmächtigen nur noch Ihnen haben, bei dem sie Schutz und Hilfe suchen können.«

Eine tiefe Bewegung erfaßte mich.

»Herr Brigstock,« antwortete ich, »aus dem Grunde meines Herzens wünsche ich Ihnen und Ihren Leuten alles Gute! Möge Ihre Ansiedelung gedeihen und wachsen und Ihr Name von denen, die nach Ihnen kommen, einst gesegnet werden.«

Dann tauschte ich Händedrücke mit Fräulein Cobbs und mit allen Partnerinnen und Partnern der Reihe nach. Auch eine Anzahl der Emigrantinnen kam herzu, um Scheidegrüße zu wechseln.

Nach fünf Minuten saßen alle in den Booten und der letzte Mann stieß ab; Brigstock steuerte das Großboot, Holding das Quarterboot.

Ich sprang zum Achterdeck empor und Kate folgte mir. Hier standen wir und blickten den Davonfahrenden nach. Als sie etwa eine Kabellänge entfernt waren, erhoben sich alle und riefen uns ein letztes langes Hurra zu. Ich schwenkte die Mütze und erwiderte den Ruf, Kate winkte mit dem Taschentuch und ein Gleiches thaten einige wenige der übrigen Mädchen, die große Mehrzahl aber blieb teilnahmlos und stumm.

»Ein verbissenes, bösartiges Geschlecht!« rief ich aufgebracht.

»Sie hassen die Cobbs,« sagte Kate.

Unmutig schritt ich auf und ab, dann schwang ich mich auf die Reeling. Ich konnte den Blick nicht von den Booten wenden, deren Insassen unausgesetzt zurückschauten, und als sie endlich hinter dem grünen Vorland einer Bucht verschwanden, da war es mir, als müsse ich aufschluchzen. Aber ich bekämpfte meine Empfindungen und besann mich auf die schwere Verantwortlichkeit, die ich nun auf mich nehmen mußte.

Ich sprang von der Reeling und schaute um mich.

»Jetzt, Mädels, Hurra für Sydney!« rief ich.

»Hurra für Sydney!« schrie Alice Perry, einen Luftsprung machend.

»Nun wollen wir zeigen, was wir können!« rief Emmy Read.

»Vollbrassen!« kommandierte ich.

Meine jetzt vollkommen einexerzierte Kompagnie führte das Manöver schnell und richtig aus. Als das Schiff auf seinem Kurse lag und das Deck aufgeklart worden war, ließ ich die Emigrantinnen achter dem Großmast antreten; meine Mannschaft befand sich bei mir auf dem Achterdeck. Susanna Corbin stand am Ruder und handhabte das Rad wie der erfahrenste Matrose.

Wir waren jetzt siebenundsiebzig Seelen an Bord, sechsundsiebzig Weibsleute und ich, der einzige Mann.

»Eine Rede will ich Ihnen nicht halten,« sagte ich, an das Geländer des Achterdecks tretend. »Wir sind jetzt endlich auf dem geraden Wege nach Sydney und ich weiß, nicht eine ist unter Ihnen, die mir nicht in ihrer Art zu helfen bereit wäre, dorthin zu gelangen. Es gilt jetzt, die Schiffsdisziplin festzusetzen. Ich bin, selbstverständlich, der Kapitän; mein Obersteuermann ist Alice Perry, mit der zugleich Fräulein Darnley Dienst thun wird. Mein zweiter Steuermann ist Emmy Read, mit ihr wird Charlotte Brown den gleichen Dienst versehen. Meine Mannschaft weiß, was sie zu thun hat: sie wird sich in zwei Wachen zu je fünfzehn Mann teilen und im Matrosenlogis Wohnung nehmen. Sind Sie mit diesen Anordnungen einverstanden?«

Meine Freiwilligen ließen zustimmende Aeußerungen hören, die Emigrantinnen schwiegen, wahrscheinlich, weil dieser Teil der Disziplin sie nichts anging.

»Ferner brauche ich einen Koch und einen Kochsmaaten,« fuhr ich fort, mich an die unten Stehenden wendend, »oder richtiger, zwei Köchinnen. Gewiß sind viele unter Ihnen, die sich trefflich zu diesem Posten eignen. Die beiden Damen würden außer ihren Küchenpflichten weiter nichts zu thun haben. Wer meldet sich?«

Viele Hände und Stimmen erhoben sich zugleich.

»Nur zwei brauche ich.«

»Zu solchem Schmierkram wird man sich nicht drängen,« rief Emma Marks. »Was giebt's da groß zu kochen?«

»Es ist wahrhaftig Zeit, daß man mal was Ordentliches zu essen kriegt!« schrie eine andere.

»Wer kann gut Fleischpasteten machen und Rosinenkuchen backen?« krähte eine dritte. »Speck und Salzfleisch hat's nun lange genug gegeben!«

Nach langem Hin und Her wurden zwei der Mädchen zu Köchinnen erwählt, die auch sogleich lachend in die Kombüse eilten.

»Jetzt fehlt mir noch ein Steward,« rief ich. »Wer will die Aufwartung bei mir übernehmen?«

Ein allgemeines Geschrei erhob sich; der Andrang zu diesem Posten war außerordentlich groß.

»Das kann Fräulein Darnley ja thun,« rief Emma Marks, die Jüdin, hämisch.

Um dem Streit ein Ende zu machen, heftete ich den Blick auf Sare Harvey, das bucklige Mädchen mit dem fuchsroten Haar und den schielenden Augen.

»Fräulein Harvey,« rief ich, »wären Sie geneigt, die Stellung zu übernehmen?«

Die arme Verwachsene mochte diese Aufforderung für einen Scherz halten, zweifelnd und erschrocken blickte sie zu mir auf, während einige der Ordinärsten ein gellendes Gelächter hören ließen. Ich nahm eine strenge Miene an.

»Harvey, wollen Sie mein Steward sein, oder nicht?«

»Wenn es Ihr Ernst ist, Herr Kapitän, recht gern,« antwortete sie, tief errötend.

»Gut, Sie sind's also. Ich werde Sie demnächst mit Ihren Obliegenheiten bekannt machen.«

Die anderen schwiegen eingeschüchtert.

Jetzt fehlte noch eine ›Matrone‹, die an Fräulein Cobbs Stelle die Aufsicht übernahm. Nach längerer Beratung fiel die Wahl auf Kate Darnley, die sich zwar anfänglich weigerte, schließlich aber auf meinen besonderen Wunsch einwilligte.

Inzwischen hatten wir uns soweit von der Insel entfernt, daß dieselbe nur noch wie eine auf der Kimmung liegende blaue Wolke erschien.

Ob die Kolonisten dort wohl noch nach unserm Schiffe ausblickten?

Ob einigen von ihnen wohl schon die Reue gekommen war?


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