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15. Kapitel.
Kapitän Morgan.

Um halb zwölf Uhr wußte ich, welche Vorräte wir an Bord hatten. Ich verstand mich auf die Stauerei und auf das Herausbrechen von Kisten und Fässern. Ich durchkroch den ganzen Raum mit einer Laterne und einem Blatt Papier, das bald mit Zahlen dicht bekritzelt war.

Eine halbe Stunde später stand ich mit dem Sextanten auf dem Achterdeck und ›nahm die Sonne‹. Der Eifer, mit dem die Mädchen mich dabei beobachteten, machte mich lächeln. Sie drängten sich bis auf die obersten Stufen der Treppe; die Reeling wimmelte von ihnen und selbst von der Back her starrte eine Schar mit ausgereckten Hälsen achteraus.

»Acht Glasen!« rief ich, als die Sonne in der Mittagshöhe stand.

Sogleich ließ ein zu diesem Zweck bereitstehender Matrose die hinter dem Großmast angebrachte Schiffsglocke in vier Doppelschlägen ertönen. Ein allgemeines Händeklatschen knatterte das Deck entlang, begleitet von einem schrillen Hurrageschrei. Waren diese acht Glasen (zwölf Uhr mittags) doch seit langen Tagen wieder die erste richtige Zeitbestimmung an Bord.

Ich hieß Brigstock die Uhr über dem Kajütseingang stellen und suchte dann meine Kammer auf, um das Besteck auszurechnen und sodann nach den im Raum notierten Zahlen einen Ueberschlag zu machen. Das nahm mich bis gegen ein Uhr in Anspruch. Der Vorrat an Trinkwasser erwies sich als größer, als ich gedacht hatte. Daraus ging hervor, daß Kapitän Halcrow nicht die Absicht gehabt hatte, in Kapstadt Station zu machen.

Nachdem ich den Ort des Schiffes auf der Karte vermerkt hatte, ging ich an Deck, um vor dem Mittagessen noch einmal nach dem Wetter zu schauen.

In der Kajüte war Gouger, der jetzt Stewardsdienst that, mit dem Decken des Tisches beschäftigt. Die Schiffsausrüstung war höchst anständig und fein, es fehlte an nichts. Die Tafel mit der schneeigen Damastdecke, dem guten Porzellan und Glas und dem glänzenden Silber sah einladend und vornehm aus.

Der Entschluß, Kate Darnley aus dem dumpfen Zwielicht und der schwatzenden und plappernden Dienstbotengesellschaft des Zwischendecks hierher in die Kajüte zu bringen, befestigte sich immer mehr in mir. Hier sollte sie sich wieder in der Sphäre bewegen, die ihr zustand. An dieser Tafel, unter diesem hellen und luftigen Oberlicht sollte sie sitzen und alles genießen, was das Schiff an auserwählten Speisen und Getränken an Bord hatte. Denn ich war jetzt der Kapitän, der alleinige Befehlshaber. Mein Wille war hier auf und unter dem Achterdeck Gesetz; Kate Darnley aber war meine Freundin – wer wollte mich hindern, aus ihr eine Reisende erster Klasse zu machen?

Auf dem weiten Rund des Ozeans herrschte jetzt Windstille. Die Segel hingen schlaff von den Raaen und schlugen nur ab und zu, wenn die Dünung unter dem Schiff wegrollte, krachend gegen die Stengen.

Die Emigrantinnen befanden sich unter Deck beim Mittagessen; aus der Großluk war Geschirrklappern und Stimmengewirr vernehmbar. An der Thür der Kombüse standen zwei Mädchen; sie hielten Eßnäpfe in den Händen und plauderten mit zweien der Matrosen.

Ich trat an die Galerie des Achterdecks und musterte die Gruppe mit scharfem Blick, so daß die Matrosen in einige Verlegenheit gerieten und die Pfeifen aus dem Munde nahmen. Die Mädchen aber ließen sich nicht im geringsten stören.

Ich rief Brigstock herbei.

»Wer sind die Frauensleute?« fragte ich.

»Die Große, mit die vorstehenden Zähne, die heißt Emma Grub; sie ist Isaak Coffin seine Partnerin. Die andere, mit die dicken, roten Arme, ist Kate Davis, Jupe Jackson seine Auserwählte.«

»Coffin ist der Mann mit dem Schnurrbart, nicht?«

»Ganz recht.«

»Und Jackson ist der Dicke mit den kleinen Augen?«

»Jawohl, Keppen Morgan.«

Ich hatte nichts mehr einzuwenden. Die Mädchen redeten mit ihren Partnern, mit ihren zukünftigen Ehemännern. Das mußte ich gestatten, wenn ich nicht auf Schwierigkeiten, vielleicht auf offenen Widerstand, stoßen wollte.

»Wäre es Ihnen vielleicht nicht zuwider, Keppen Morgan, uns wissen zu lassen, wo das Schiff sich jetzt befindet?« fragte Brigstock bescheiden und höflich.

Ich gab ihm die Ortsbestimmung.

»Und was ist der Kurs nach dem Kap Horn?«

»Derselbe, den das Schiff jetzt anliegt.«

Er neigte dankend den Kopf, trat zurück und ließ seine dunklen Augen rings über die Kimmung schweifen. Noch war es totenstill, Backbord voraus aber hingen einige bläulich-rötliche Wolken am Firmament, und jetzt gewahrte ich unterhalb derselben einen leichten, blauen Schatten am fernen Seerand. Von dort kam Wind, der Passatwind. Die Wolken, erst streifig, ballten sich nun zusammen und sahen aus, wie Pulverdampf, soeben dem Geschützrohr entquollen. Sie stiegen herauf, die echten, rechten Passatwolken. Das Wasser wurde dunkler, es rippelte und kräuselte sich; die Wellen erhoben sich und wiesen ihre Schaumkämme. Das blaue Firmament wurde von fliegendem Nebel verdeckt, der unsere Mastspitzen schon erreicht hatte, ehe wir noch Wind spürten.

Dann aber war er da, der Passatwind. Er fand uns vorbereitet, mit angebraßten Raaen und auf das beste getrimmten Segeln.

Die Mädchen strömten aus dem Zwischendeck herauf, als sie die Matrosen bei den Fallen und Brassen jauchzen und aussingen hörten, und im Nu war es allenthalben bunt und lebendig von flatternden Tüchern und Kleidern, von wehenden Bändern und Hutfedern.

Es war der Südostpassat, frisch in seiner jungen Kraft, und schnell steifer werdend, so daß gegen halb zwei Uhr die drei Royals festgemacht werden mußten. Bald darauf ließ ich auch den Außenklüver und das Großsegel wegnehmen.

Als alles in Ordnung war, begab ich mich zu Tisch. Man hatte ein Huhn für mich geschlachtet, als Auszeichnung für die Kapitänstafel. Brigstock folgte mir in die Kajüte, blieb aber am Fuße der Treppe stehen, während ich Platz nahm.

»Wenn es Ihnen nicht mehr belieben thun sollte,« sagte er in seiner langsamen Weise, »daß ich jetzt noch hier achtern mit Sie speise, Keppen Morgan, dann brauchen Sie das bloß zu sagen. Ich bin nur ein gemeiner Matrose und kein Offizier. Sie aber sind ein Gentleman und möchten vielleicht mit meinesgleichen nicht mehr zu thun haben, als nötig ist.«

Statt aller Antwort deutete ich auf einen Stuhl und legte ihm von dem Huhn und dem Salzfleisch auf den Teller. Er setzte sich.

»Ich kann Sie auch mitteilen,« nahm er wieder das Wort, indem er auf seinen Teller blickte, »daß die Janmaaten nichts dawider haben, wenn ich hier achtern mitesse. Bei ihnen gelte ich als Steuermann, und ein Steuermann hat das Recht, in der Kajüte zu wohnen. Da ich aber doch bloß einer von vor dem Mast bin, so hätte ich nur ungern die bessere Kost hier achtern genossen, wenn meine Maaten das nicht für richtig gehalten hätten.«

»Ich achte Ihre kameradschaftlichen Ansichten,« versetzte ich, »aber Sie werden zugeben, daß alle Mann unmöglich hier hinten essen können.«

»Gewiß. Aber ich sage mir, es ist doch nicht in der Ordnung, daß ich vor die andern etwas voraus habe. Hier an Bord ist das ja nicht zu verhindern. Das einzige, was ich thun kann –« hier gabelte er den Hühnerschenkel auf, den ich ihm vorgelegt hatte – »das einzige, was ich thun kann, ist, mir an die Kost zu halten, die es auch im Logis giebt. Das Stück Salzfleisch behalte ich, das Hühnerbein aber gebe ich, mit Ihrer Erlaubnis, wieder zurück.«

»Wie Sie wollen,« sagte ich, den Mann innerlich bewundernd. »In Ihrer neuen Kolonie werden alle gleich beköstigt werden, nicht wahr?«

»Nein, Herr. Jeder nährt sich je nachdem, was sein Land hervorbringen thut. Wir werden aber alle gleich sein. Denn sehen Sie, sind wir tot und nichts mehr nütze, dann sind wir alle gleich, ich bin aber dafür, daß wir schon gleich sein sollen, wenn wir noch am Leben und was nütze sind.«

»Sie werden aber finden, daß die kleinen Kartoffeln auch bei Ihnen zu unterst zu liegen kommen,« warf ich ein.

»Ganz recht, aber es sind trotzdem Kartoffeln. Joe oder Jum ist darum kein geringerer Mann, weil er nicht Jacks Klugheit oder Jupes Gerissenheit besitzen thut. Man kann keine Familie von lauter ältesten Söhnen haben. In unserer Kolonie wird ein Mann ungefähr so geschätzt werden, wie man eine Uhr schätzen thut – nach seinem Innern. Geht er richtig? Dabei kommt es gar nicht darauf an, ob er eine Schwarzwälder-Uhr für drei Schilling ist, oder ein Chronometer für sechzig Pfund Sterling. Geht er richtig? Das allein ist die Frage.«

Ich merkte, daß der brave Brigstock im besten Zuge war, mir einen Vortrag über Politik, Religion und Sozialökonomie zu halten, und beeilte mich, ihn von diesem Vortrag abzubringen.

»Wissen Sie,« sagte ich, »daß ich die Absicht hege, Fräulein Kate Darnley eine Kammer hier achtern anzubieten?«

»Ja, wäre das aber auch ratsam?« entgegnete er.

»Warum nicht?« rief ich schnell.

»Die andern würden mißgünstig werden,« sagte er, langsam auf seinem Fleisch kauend. »Fräulein Cobbs zum Beispiel. Wenn die sieht, daß Ihre Partnerin hier achtern wohnen thut, dann wird sie sich sagen: warum wohne ich nicht auch da? Das gäbe dann Zank zwischen ihr und mir. Und die Matrosen – nicht daß sie selber dann achteraus verlangten, aber sie könnten sagen: unsere Partnerinnen sind Auswanderer so gut wie Fräulein Darnley, nicht schlechter und nicht besser, und wenn Fräulein Darnley in der Kajüte wohnt, dann sollen sie auch da wohnen. Ich meine, so könnten die Matrosen dann denken; ob sie wirklich so denken würden, das kann ich freilich nicht wissen.«

Ich überlegte eine Weile.

»Sie mögen recht haben,« sagte ich dann. »Allein die Dienste, die ich Ihnen und Ihren Genossen leiste, berechtigen mich zu gewissen Ansprüchen. Wünschte ich nun, daß Fräulein Darnley nach achtern übersiedelte, so wäre es doch nur billig, daß man sich damit einverstanden erklärte.«

»Keppen Morgan,« erwiderte er, indem er sich ein Glas Wasser einschenkte, »ich bitte Ihnen, bestehen Sie nicht darauf. Sehen Sie, jetzt geht alles glatt, und hoffentlich bleibt's dabei. Ich bin dafür: ist 'ne Sache gut, nicht rühr' an! Und denken Sie doch – wäre es wirklich schicklich und passend für die junge Dame, hier ganz allein mit Ihnen zu wohnen?«

Ich schwieg; der Mann hatte wieder recht.

»Wird die Mannschaft etwas einzuwenden haben,« begann ich nach einer langen Pause aufs neue, »wenn man mich mit Fräulein Darnley auf dem Achterdeck sieht?«

»Keineswegs. Sie ist Ihre Freundin; irgendwo müssen Sie mit ihr reden. Als Kapitän des Schiffes ist das Achterdeck Ihr Platz.«

Ich musterte Brigstocks Gesicht aufmerksam und mit Interesse. In diesem plumpen, klobigen, ungebildeten Seehund – sagte ich zu mir selber – wohnen Eigenschaften, durch die er, wenn ich mich nicht sehr zusammennehme, eines Tages über mich dominieren wird, wie er jetzt schon über die Mannschaft dominiert. Schade, daß er nichts von Navigation versteht – wer wäre geeigneter, ein Schiff zu kommandieren, als er?

»Herr Brigstock,« sagte ich, indem ich mich erhob, »haben Sie die Güte, nachher Fräulein Cobbs zu beauftragen, einige der Mädchen als Repräsentantinnen sämtlicher Passagiere auszuwählen und hierher in die Kajüte zu schicken.«

»Sehr wohl, Keppen,« antwortete er und ging sogleich an Deck.

Eine halbe Stunde später hörte ich von meiner Kammer aus, daß die Mädchen sich in der Kajüte eingefunden hatten. Als ich heraustrat, sah ich zwölf um den Tisch stehen. Kate Darnley erblickte ich zuerst, dann das hübsche, trotzige schwarze Mädchen, das sich so keck gegen die Aufseherin benommen; ihr Name war Alice Perry; sie schaute mich dreist mit ihren munteren Augen an und wies mir lächelnd die weißen Zähne. Eine dritte war Fräulein Cobbs selber; sie stand am unteren Ende der Tafel und begrüßte mich mit einem tiefen Knix.

Ich hielt eine gerollte Karte in der Hand; die Mädchen betrachteten sie, als wär's eine geladene Donnerbüchse. Ich reichte Kate die Hand und stellte mich neben sie. Durch das geöffnete Oberlichtfenster schaute Brigstock herab. Draußen das Deck wimmelte von Frauensleuten, die sich um Thür und Fenster drängten; ein Matrose stand Wache und hielt die Zudringlichsten zurück.

»Meine Damen,« begann ich, »ich habe Sie hierher bitten lassen, um Ihnen über die Bestimmung dieses Schiffes beruhigende Auskunft zu geben. Sein Ziel ist Australien. Ich habe das Kommando übernommen und hoffe Sie alle glücklich in Sydney an Land zu setzen, nachdem Herr Brigstock und seine Kolonisten ihr Eiland gefunden haben.«

»Wie lange wird die Fahrt noch dauern?« fragte eine der Anwesenden.

»Sie haben den Herrn Kapitän nicht zu unterbrechen, Fräulein Wright!« schalt die Aufseherin.

»Ach was!« rief Alice Perry, die alte Jungfer mit ihren lebhaften Augen anblitzend. »Sie sind schuld daran, daß die Anständigen unter uns schon nicht mehr wissen, was sie vor Unruhe und Ungewißheit und Furcht und Zweifel anfangen sollen! Wenn erst solche, wie Sie, noch ans Heiraten denken, dann hört der Spaß auf! Sie sollten doch lieber Ihre Rechnung mit dem Himmel machen – eine Person in Ihren Jahren.«

Sie schloß mit einem lauten Auflachen.

»Kapitän Morgan, ich muß Ihren Schutz gegen solche Unverschämtheiten anrufen!« erhob Fräulein Cobbs ihre schneidende Stimme. »Und wenn das Mädchen nicht aufhört, mich zu beleidigen, dann rufe ich Herrn Brigstock zu Hilfe!«

»Wie ist's, meine Damen,« sagte ich. »Kann ich fortfahren?«

»Die Perry ist ein übermütiges, heftiges Geschöpf, im Grunde aber ehrlich, brav und gutmütig,« flüsterte Kate mir zu.

Da stand Alice Perry auch schon dicht bei mir.

»Ich brauche die nur anzusehen,« sagte sie, auf Fräulein Cobbs deutend, »dann werde ich schon wild. Keine mag sie leiden, höchstens vielleicht die ›Partnerinnen‹. O, ich fürchte mich nicht vor ihnen, und vor ihrem alten Tommy Brigstock erst recht nicht!« rief sie laut. »Wenn ich's ehrlich meine, dann fliegt Pelz, wie die Katze sagt!«

Von der Thür und den Fenstern her wurde ein Gelächter vernehmbar. Der wachestehende Matrose verbarg den Mund hinter seinem Arm.

Jetzt ließ Brigstock sich hören.

»Wenn ich Sie raten soll, Mamsell,« rief er durch das Oberlichtfenster herunter, »dann bleiben Sie hübsch höflich, weiter sag' ich nichts. Wenn's darauf ankommt, meine Partnerin gegen solch ein Flittchen, wie Sie sind, in Schutz zu nehmen, denn so frage ich keinen Menschen auf der Welt erst lange um Erlaubnis dazu.«

»O! O! Ei! Ei! Wir sind gekommen, um zu erfahren, was der Herr Kapitän uns zu sagen hat!« rief ein sanftblickendes, in abgetragenes Schwarz gekleidetes Mädchen mit bittender Stimme.

Ich rollte die Karte auf und legte sie auf den Tisch.

»Das ist die Welt,« sagte ich. »Treten Sie dicht heran, meine Damen, damit Sie genau sehen können.«

Alle drängten sich herzu. Einige der Mädchen waren barhäuptig; hier und da glitzerte ein billiger Ring auf arbeitgeröteter Hand. Es war mir unklar, nach welchem System Fräulein Cobbs diese Repräsentantinnen ausgewählt hatte; vielleicht sollten alle vorhandenen Berufsklassen vertreten werden. Die sanftblickende junge Dame in Schwarz war eine Erzieherin, wie ich später erfuhr.

Ich wies mit einem Lineal auf die Karte und machte die Mädchen darauf aufmerksam, daß die Entfernung vom Kap Horn nach Sydney beinahe dieselbe sei, wie vom Kap der Guten Hoffnung nach jenem australischen Hafen.

»Die Schiffe segeln aber doch immer um das Kap der Guten Hoffnung,« meinte Alice Perry. »Weswegen?«

»Wegen der Winde,« antwortete ich.

Sie sah mich mißtrauisch an.

»Hundertmal habe ich den Damen bereits gesagt, daß der Unterschied in der Entfernung kaum der Rede wert ist,« bemerkte Fräulein Cobbs.

»Wir sollen doch aber auch noch nach einer Insel suchen,« sagte eine andere. »Wie ist denn das?«

»Das müssen wir allerdings,« versetzte ich, »dadurch wird jedoch die Reise höchstens um einige Wochen verlängert. Das mag ja unwillkommen sein; bedenken Sie doch aber, daß Sie ohne Navigator lange Monate im Ozean hätten herumtreiben können, um schließlich wahrscheinlich zu Grunde zu gehen.«

»Das ist wahr,« rief Kate, »und daran sollten wir immer denken, wenn sich Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen Verhältnissen in uns regen könnte.«

»Wir haben uns nach Australien einschreiben lassen, und nach Australien müssen wir gebracht werden!« sagte ein blasses, kümmerliches Geschöpf, das vor Erregung am ganzen Leibe zitterte. »Es heißt ja freilich, da draußen wären schlechte Aussichten, ich meine, was das Heiraten anlangt.«

»Tommy Brigstock hat uns so was Aehnliches vorgelesen,« warf Alice Perry ein. »Zeitungslügen, die die Dummen glauben, weil sie gedruckt sind. Hahaha!«

»Herr Brigstock muß nicht denken, daß er allein der Kluge ist,« hüstelte das blasse Mädchen. Damit holte sie eine Börse aus der Tasche, die sie mit bebenden Fingern öffnete. »Das hat mein Onkel aus einer Zeitung abgeschrieben,« sagte sie, einen Zettel entfaltend, und dann las sie in dünnen, hohen und nervösen Tönen das folgende:

»Wide Bai und Burnett Distrikt.

An den Redakteur des ›Sydney Morning Herald‹
Geehrter Herr!

Die Regierung thut so, als ob sie nicht weiß, was sie mit den Emigrantenmädchen anfangen soll; hat sie denn Wide Bai und den Burnett-Distrikt hier oben im Norden ganz vergessen? In den Bezirken der Burnett-, Severn-, Dawson- und Boyne-Flüsse sitzt eine ausschließlich männliche Bevölkerung. In jener ganzen Gegend giebt es nur sechs Frauen, die innerhalb der letzten sechs Monate dort eingetroffen sind. Sendete man sogleich ein Schiff mit zweihundert Mädchen nach Wide Bai ab, so kann mit Sicherheit behauptet werden, daß nach Ablauf von zwei Monaten keine einzige davon mehr unverheiratet sein würde.

Ganz ergebenst
Ein Buschmann.«

Zitternd steckte sie die Börse wieder ein und dann hatte es den Anschein, als wolle sie in Ohnmacht sinken.

»Und ich wiederhole, davon glaube ich kein Wort!« rief Fräulein Cobbs, die Arme verschränkend, und dann schloß sie die Lippen so fest, daß ihr Mund nur noch wie ein dünner Strich erschien.

»Es sind doch aber auch nicht alle, die sich da draußen verheiraten müssen,« sagte ein Mädchen mit brandrotem Haar. »Ich wenigstens werde ganz zufrieden sein, wenn ich einen guten Dienst kriege.«

»Will Fräulein Cobbs uns vielleicht auch vorreden, daß es in Sydney keine Stellungen für uns giebt?« fragte Alice Perry herausfordernd.

»Fräulein Alice Perry mag sich merken, daß gut bezahlte Stellungen in Sydney und auch in Melbourne ebenso rar sind, wie daheim in England,« gab die Aufseherin zur Antwort.

»Eine Köchin kriegt in Australien zweiundzwanzig Pfund,« sagte die Rothaarige, »ein Hausmädchen fünfzehn und ein Mädchen für alles sechsundzwanzig Pfund jährlich. So hat man mir erzählt und deshalb bin ich ausgewandert. Mir scheint aber, wir sind auf dies Schiff gelockt, bloß um betrogen und ersäuft zu werden.«

Ich begann der Sache überdrüssig zu werden.

»Schauen Sie noch einmal her, meine Damen,« rief ich. »Hier befinden wir uns heute mit dem Schiffe. Da liegt Australien. Statt um dieses Kap, segeln wir um jenes. Die Fleckchen und Punkte hier bedeuten Inseln; eine davon ist das Eiland, das Herr Brigstock zu kolonisieren gedenkt. Wir werden es bald gefunden haben. Nehmen wir an, dies wäre es,« sagte ich, mit dem Lineal eine Insel bezeichnend. »Dann segeln wir in dieser geraden Linie von hier bis nach Sydney. Leuchtet Ihnen das ein? Die fehlende Mannschaft ersetzen wir durch Bewohner der Inseln und langen dann mit etwa einem Monat Verspätung in Sydney an.«

Damit rollte ich die Karte zusammen, zum Zeichen, daß ich nun nichts mehr zu sagen hätte. Die Mädchen aber dachten noch nicht daran, die Kajüte zu verlassen.

Sie verlangten zu wissen, ob ich der Kapitän sei. Ich sagte, der wäre ich.

Ob Schiffskapitäne denn nicht thun könnten, was sie wollten. Ich sagte nein, sie dürfen nur thun, was recht wäre.

Ob es nicht meine Pflicht wäre, das Schiff direkt nach Sydney zu führen und die Passagiere dort zu landen, ohne Rücksicht auf diejenigen der Mädchen, die mit den Matrosen eine Insel aufsuchen wollten. Ich antwortete, daß die Hauptbedingung meiner Kommandoübernahme die sei, Brigstock und seine Kolonisten zu einem ihnen zusagenden Eilande zu bringen. Weigerte ich mich dessen, dann würde es mit meiner Kapitänschaft zu Ende sein.

Darauf großer Lärm. Alle schwatzten und schrieen auf einmal. Es war mir nicht möglich, die mir entgegen gekreischten Fragen zu verstehen. Ich bemerkte, wie Alice Perry feindselige Blicke auf Fräulein Cobbs schoß. Das rothaarige Mädchen gestikulierte mit erhobenen Fäusten und ihre heftigen Reden klangen wie Hundegebell. Das Getümmel wurde noch gesteigert durch die Zurufe der Frauensleute vom Hauptdeck her.

Ich riet Kate, die Kampanjetreppe hinaufzugehen, und schlüpfte in meine Kammer, die Thür hinter mir zuwerfend.


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