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7. Kapitel.
Das Barillaboot und die »Karolina«.

Von Durst gepeinigt, machte ich mich endlich auf und suchte nach einer Quelle. Lange irrte ich vergeblich umher, und schon fürchtete ich, nach all dem Ueberstandenen doch noch auf diesem öden Eiland verschmachten zu müssen, als ich am Nordost-Ende der Insel angelangt, unter einem Felsen ein leises, melodisches Geriesel vernahm; ich eilte herzu und sah in einem engen, von Barilla umwucherten Gerinne eine klare Quelle plätschernd dem sandigen Gestade zufließen. Ich legte mich nieder und trank in vollen Zügen und dann badete ich Hände, Gesicht und Kopf in dem erfrischenden, eiskalten Wasser.

Den Hunger, der sich nun auch fühlbar machte, stillte ich mit dem Fleisch einiger Muscheln, die ich am Strande aufsammelte und die beinahe wie Austern schmeckten. Dann setzte ich mich bei der Quelle in den Schatten eines Felsens, um zu ruhen.

Da stieg es vor mir auf, wie eine Vision. Ich sah den Pfarrgarten daheim in Blathford; regungslos standen die Obstbäume und warfen lange Schatten über die duftenden Beete, denn es war Abend und die Sonne ging eben unter. An einem der Blumenbeete stand Kate Darnley, sie beugte sich nieder, einen Strauß zu pflücken. Hinter dem von der Abendglut rot angestrahlten Fenster der Wohnstube sah ich des Vaters Antlitz und dann hörte ich die Stimme meiner Mutter, die nach mir rief. War ich eingeschlafen und hatte ich dies geträumt?

Ich sprang auf. Der Gedanke an die Heimat rief mir meine gegenwärtige schlimme Lage lebhaft ins Bewußtsein. Die Salvage-Inseln waren von gefährlichen Klippen umgeben. Wohl mochten vorübersegelnde Schiffe aus der Ferne mein Eiland erblicken, es war aber kaum anzunehmen, daß sich eins so weit nähern würde, daß es etwa ein Signal von mir zu erkennen vermöchte. So konnte ich Wochen und Monate, vielleicht Jahre hier zubringen, um schließlich gefunden zu werden, ein vertrocknetes Skelett, wie weiland Peter Serrano, von dem eine alte Seegeschichte berichtet.

Den ganzen Tag wanderte ich umher, angstvoll und sehnsüchtig in die blaue Ferne spähend; die Nacht brachte ich in einer kleinen Höhle zu, deren trockener Sandboden mir ein gutes Lager gewährte.

Eine singende Menschenstimme weckte mich am nächsten Morgen aus dem Schlaf. Schnell raffte ich mich auf und lies ins Freie. Am Strande schlenderte langsam ein Mann dahin, dem nordöstlichen Ende der Insel zu. Es war heller Tag; die Sonne stand noch hinter dem Eiland, und eine frische Brise kräuselte die blaue Oberfläche der See zu lauter kleinen, schaumgekrönten Wellen.

Ich rief den Mann an; er sang aber so laut und außerdem machte die Brandung ein solches Getöse, daß er mich nicht sogleich hörte. Ich rief noch einmal; da drehte er sich schnell und augenscheinlich auf das höchste überrascht um und stand dann bei meinem Anblick wie angewurzelt.

Er trug eine blaue Kappe, ein rotes Tuch um den Hals, ein ehemals weiß gewesenes Hemd und darüber eine Jacke mit mehreren dichten Reihen großer Perlmutterknöpfe; enge, blaue Hosen reichten ihm bis zur halben Wade, von da abwärts waren die Beine mit Lederstreifen umwickelt und die Füße steckten in gelben Schuhen. In seinem Leibgurt trug er auf der einen Seite ein kleines Beil, auf der anderen ein großes dolchartiges Messer in einer Scheide. Sein gelbes Gesicht war von einem schwarzen Barte umrahmt.

Nachdem er mich lange genug betrachtet hatte, kam er langsam auf mich zu.

»Sprecht Ihr englisch?« rief ich ihm entgegen.

Er schüttelte den Kopf, blieb vor mir stehen und musterte mich von oben bis unten. Seine Gesichtszüge waren grob und häßlich, ihr Ausdruck aber war unverkennbar freundlich, gutmütig und mitleidig. Freilich, wie ich so vor ihm stand, mochte ich ihm auch bejammernswert genug erschienen sein. Ich hatte mir den Kopf mit einem abgerissenen Hemdärmel verbunden, mein Gesicht war ganz zerschunden, ebenso die Hände und der Oberkörper, den nur noch einige Zeugfetzen notdürftig bedeckten, und meine Beinkleider starrten von Blut.

Darauf redete er mich in einer Sprache an, die ich nicht verstand. Als er dies merkte, deutete er auf seinen Mund und dann auf die Magengegend und machte die Gebärde des Trinkens. Als ich zustimmend nickte, denn ich fühlte sowohl Durst als auch Hunger, winkte er mir, ihm zu folgen.

Er führte mich eine kleine Anhöhe hinauf und dann jenseits derselben wieder hinab. Vor uns breitete sich die Bucht aus, in der wir mit der Jolle der ›Hebe‹ gelandet waren; am Strande lag ein großes, zweimastiges Fahrzeug von etwa vierzehn Tonnen Raumgehalt, der Bug scharf wie ein Messer und die Beplankung außen weiß gestrichen. Es hatte kein Deck; vor einem mittschiffs stehenden kleinen eisernen Kochofen lag ein Knabe auf den Knieen, handhabte einen Blasebalg und pfiff dabei vergnügt vor sich hin.

Der Bug des Fahrzeuges stand auf dem Sande, überdies wurde es durch einen kleinen Anker, der in einem Felsspalt gehakt war, festgehalten. Mein Herz pochte vor Freude bei diesem Anblick. Der Schlot des Ofens rauchte verheißungsvoll; der gelbe Knabe aber wendete sich um und als er uns erblickte, entsank ihm der Blasebalg. Das Wasser in der Bucht war glatt und still, draußen aber fluteten die glänzenden, silberglitzernden Wellen unabsehbar dahin; auf dem Hinteren Maste des Fahrzeuges war ein kleiner, vergoldeter Hahn angebracht, ein langer, roter Wimpel, an seinem Schweif befestigt, wehte lustig in der Luft. Was mir aber am meisten gefiel, das war der leckere Geruch, der vom Ofen her in meine Nase zog.

Auf ein Zeichen des Mannes, ihm in das Boot zu folgen, kletterte ich an Bord. Das Fahrzeug machte einen reinlichen, seemännischen und tüchtigen Eindruck. Es hatte vorn eine kurze Back, die weißen Segel lagen, nett und sauber an ihren Raaen aufgerollt, zu beiden Seiten auf den Duchten. Der Knabe, fast ebenso gekleidet wie der Mann, machte das Zeichen des Kreuzes, als ich über die Reeling kam und richtete dann eine Menge hastiger Fragen an meinen Führer. Dabei sorgte er ängstlich dafür, daß sich stets der Ofen zwischen ihm und mir befand. Endlich sah er mich forschend an und fragte: »Englisch?«

Ich nickte und fragte nun meinerseits, ob er englisch verstünde.

»Ja, o ja, ich englisch sprechen,« antwortete er eifrig. Wer Ihr? Wie herkommen?«

Ich berichtete nun, ich wäre von einem Schiffe hier gelandet und von der Felswand herabgestürzt. Ausführlicheres zu erzählen, wäre vergebene Mühe gewesen, da meine Freunde mir doch nicht zu folgen vermocht hätten, wie ich mich sehr bald überzeugte. Daher drückte ich mich größtenteils auch nur durch Gebärden aus und schloß meine Darstellung, indem ich noch andeutete, daß meine Schiffsgenossen mich für tot hielten und davon gesegelt seien.

Die beiden hatten mich verstanden, wie sie mir durch wiederholtes Kopfnicken zu erkennen gaben. Hierauf kroch der Mann unter die Back, holte einen großen Steinkrug hervor und schenkte mir ein kleines Blechmaß voll Wein ein, das ich dankbar leerte.

»Von Madeira?« fragte ich sodann, den Blick erst auf den Knaben und dann auf das Boot richtend.

Er nickte.

»Barilla?« fragte ich weiter, nach der Höhe des Eilandes deutend.

Jetzt grunzte der Mann eine bejahende Antwort.

»Portugiesen?«

Beide nickten sehr energisch. Darauf stieß der Junge den Blasebalg mit seinem nackten Fuß zur Seite, trat zum Ofen, begann wieder laut und durchdringend zu pfeifen und legte einen großen Breitfisch in die auf dem Feuer befindliche Bratpfanne.

Niemals hat mir ein Mahl köstlicher gemundet, als das, welches ich jetzt in der Gesellschaft dieser menschenfreundlichen und gastfreien Leute verzehrte. Außer dem Fisch teilten sie ihr Brot und ihren Wein und einen kleinen Vorrat von Trauben mit mir, und als ich des Mannes Hand ergriff und ihm durch Verneigungen und andere Gebärden meinen Dank auszudrücken mich bemühte, da wehrte er lächelnd ab und redete etwas auf Portugiesisch, was der Junge freundlichen Blickes bestätigte, indem er rief: »Essen! Englisch gut, alle gut!«

Noch lag das Boot im Schatten der Insel, denn die Sonne war noch nicht über die Hügel emporgestiegen. Während des Essens waren meine Gedanken unablässig in Thätigkeit. Ob dieser wackere portugiesische Schiffer mich nach Madeira zu bringen meinte? Das war anzunehmen, da er doch von dort herstammte. Was aber sollte ich dort beginnen? Fletchers und Cadmans verbrecherischer Anschlag hatte mich um alles gebracht; ich war ärmer als der Aermste und Elendeste der Bettler, die am Hafen von Funchal um Almosen winseln. In meiner Seekiste an Bord der ›Hebe‹ befand sich, außer einer Menge von Kleidungsstücken, außer meinen wertvollen nautischen Instrumenten, auch eine nicht unbedeutende Summe baren Geldes und allerlei liebe und unersetzliche Andenken aus dem Elternhause; das alles war für mich verloren, da es mit der Brigg zu Grunde gehen mußte. Denn jetzt zweifelte ich keinen Augenblick mehr daran, daß die Schurken das Fahrzeug am Kap wegsetzen würden.

Bitter bereute ich, daß ich dem Zimmermann nichts mitgeteilt hatte, denn nun konnte die Mannschaft nimmermehr ahnen, daß an mir ein Verbrechen verübt, und auch nicht, daß der Schiffbruch, wenn er sich ereignete, planmäßig herbeigeführt worden war, es sei denn, daß Cadman sich durch sein Benehmen und durch seine Manipulationen vorher noch verriet. Alles dies ging mir im Kopfe herum, während ich mit dem Portugiesen und seinem Knaben das Brot brach, von dem Fisch schmauste und die süßen Trauben kostete.

Ich versuchte ihnen einige meiner Gedanken verständlich zu machen, und das gelang mir auch notdürftig. Mit Hilfe von Gebärden und des geringen Vorrats englischer Brocken, über den der Knabe verfügte, erfuhr ich ferner, daß sie einige Tage auf dem Eiland zu bleiben gedachten, aber gern bereit waren, mich an Bord eines Schiffes zu bringen, falls ich dies wünschen und ein Segler in Sicht kommen sollte, ein Anerbieten, das ich mit wärmstem Dank annahm.

Nach beendetem Frühmahl drückte ich meinen Gastfreunden meine Bereitwilligkeit aus, ihnen bei dem Einsammeln der Barillapflanzen nach Kräften zur Hand zu gehen. Das war ihnen willkommen. Der Mann holte einige Säcke und noch ein Beil unter der Back hervor, reichte mir das letztere und einen Sack und sprang dann an Land, wohin ich ihm folgte; der Knabe blieb im Boote zurück.

Wir stiegen hügelan und auf der Höhe begann das Barillaschneiden. Ich hatte zuerst geglaubt, daß die Säcke sehr bald gefüllt sein würden, allein der Portugiese ging sehr wählerisch und bedachtsam zu Werke, so daß nach Verlauf von drei Stunden unsere Säcke zur Hälfte noch leer waren. Während dieser Arbeit erlegte mein Begleiter durch Steinwürfe zwei Kaninchen, die er den Abhang hinabwarf, damit der Knabe sie hole. Als wir um die Mittagszeit wieder an Bord kamen, brodelten dieselben bereits in einem großen Topfe und lieferten uns bald darauf ein höchst wohlschmeckendes Gericht, dem wiederum Fische, Brot, Wein und Trauben beigefügt wurden. Am Nachmittag wurde nochmals Barilla geschnitten, und nach dem Abendbrot rollte mir der Portugiese eine Papierzigarre, die ich dankbar und mit Genuß rauchte.

Es war gegen sechs Uhr nachmittags. Die Bucht, in der das Fahrzeug lag, öffnete sich nach Süden und zwar so breit, daß auch noch in östlicher Richtung ein gutes Stück des Ozeans sichtbar war. Gegen Westen wurde die Aussicht von einem schmalen Vorland und dessen Fortsetzung, einer Reihe hoher Klippen, eingeschränkt.

Ich saß mit meinen Gefährten im Boot und hörte dem Knaben zu, der mir in seinem fast unverständlichen englischen Kauderwälsch mitteilte, daß das Eiland nur von Barillasammlern ausgesucht werde, die ab und zu, keineswegs häufig, von Madeira hierher kamen; es war also eine Fügung der Vorsehung gewesen, die diese Portugiesen wenige Stunden nach Fletchers Mordanschlag gegen mich hier landen ließ. Während des Gesprächs schweifte mein Blick instinktiv suchend über die See und plötzlich entdeckte ich an der südöstlichen Kimmung ein Segel, von der sinkenden Sonne gelb und leuchtend angestrahlt.

Ich sprang auf die Ducht. Die Portugiesen wurden aufmerksam und im nächsten Moment rief auch der Junge in hellem Eifer: »Ein Schiff! Ein Schiff!«

Die Brise war nur flau und lange vermochte ich nicht zu erkennen, welchen Kurs das Fahrzeug steuerte; näherte es sich der Insel, dann ließ der Barillasucher sich vielleicht bewegen, mich an Bord zu bringen. Nach der Nationalität des fremden Seglers fragte ich nicht. Ich hatte genug von dem öden Eiland, und die Aussicht, hier vielleicht noch eine Woche lang in dem glühenden Sonnenbrand Sodapflanzen schneiden zu müssen, dann in Lumpen nach Madeira gebracht und von dort als Bettler nach England gesendet zu werden, war für mich nichts weniger als verlockend.

Ich versuchte, dem Portugiesen klar zu machen, daß ich sehnlichst wünschte, auf jenes Schiff zu gelangen, wenn dessen Kurs nicht allzu weit aus dem Wege lag. Er antwortete mir durch seinen Sohn, daß er, wenn irgend möglich, gern meine Bitte erfüllen würde, worauf ich seine Hand ergriff und drückte, nach der Insel und dann auf meine Bekleidung deutete und schließlich die Hosentaschen nach außen kehrte, ihm zu zeigen, wie bitter ich die Jämmerlichkeit meiner gegenwärtigen Lage empfände. Er besprach sich längere Zeit mit dem Knaben, wobei beide mitleidige Blicke auf mich warfen.

Dann sprang der Knabe an Land, und eilte, behend wie eine Gebirgsziege, auf den Gipfel des Eilands; nachdem er hier eine Weile ausgelugt hatte, ließ er einen gellenden Ruf hören. Der Vater schlug sich mit der Faust auf die Brust, was ein Ausdruck seiner Befriedigung sein sollte, darauf sah er mich bedeutungsvoll an und beschrieb mit dem Daumen eine Linie vom Schiff zur Insel. Ich verstand ihn, der fremde Segler näherte sich. Wieder stieg ich auf die Ducht – ja, kein Zweifel! Das Schiff lag über Steuerbordbug, scharf an den Wind gebraßt, und steuerte gegenwärtig nördlich und westlich, jedenfalls um demnächst, wenn es auf der Höhe des Eilandes angelangt war, über Stag zu gehen.

Der Portugiese rief seinen Sohn und machte dann das Boot bereit. Der Knabe eilte den Berg herab, löste den Anker aus der Felsspalte und brachte ihn auf der Schulter an Bord. Wenige Minuten später trieb das Boot frei im Wasser und die langen, lateinischen Segel wurden gelöst und an den Masten emporgehißt.

Kaum begann die Leinwand den Wind zu spüren, als das scharf gebaute Fahrzeug auch schon mit außerordentlicher Schnelligkeit über die leicht bewegte Meerflut dahinschoß. In meinem ganzen Leben bin ich nicht wieder so wundervoll gesegelt, wie damals. Das schneeweiße Boot mit seinen wie lange, spitze Fittiche ausgespreizten schneeweißen Segeln muß den Leuten an Bord des Schiffes, dem wir zustrebten, wie ein graziöses, schaumgeborenes Flügelwesen erschienen sein.

Bald hatten wir die sechs oder sieben Seemeilen, die uns von dem Fremden trennten, durchlaufen. Das Schiff war eine schwarze Bark und gewährte mit seinen prallen Segeln, auf denen der letzte Widerschein der Abendröte schimmerte, einen prächtigen Anblick.

Auf dem östlichen Horizont lagen Gewitterwolken, in denen es fortwährend schwach wetterleuchtete und blitzte; im Westen zeichnete sich die Insel hart, scharf und finster gegen den Himmel ab. Ehe wir der Bark auf Rufweite nahe kamen, war es fast dunkel geworden und im Wasser zeigte sich das Meeresleuchten in wallenden, schwebenden, wolkenartigen Gebilden. Auf ein Wort des Vaters ließ der Knabe das Großsegel nieder und nun schaukelte sich der kleine, weiße Klipper fahrtlos direkt im Kurse des Schiffes.

»Bark ahoy!« rief ich mit aller Kraft meiner Lunge durch die an den Mund gehaltenen Hände.

»Halloh!« kam der Gegenruf.

»Bin ein englischer Seemann in größter Not; wollen Sie mich an Bord nehmen?«

»Vieren Sie Ihr Focksegel nieder; werden Ihnen eine Leine zuwerfen! Achtung!«

Ich warf das Fall des vorderen Segels los, die Raa glitt herunter und gleich darauf fiel eine von der Back der Bark geworfene Leine prasselnd ins Boot. Der Junge griff danach und legte sie um eine Klampe fest. Ich aber hielt mich nicht erst lange mit Parlamentieren auf, sondern sprang nach hinten, drückte dem Portugiesen in eiligem Abschied herzlich und dankbar die Hand, gab seinem Sohn einen freundschaftlichen Schlag auf den Rücken, schwang mich in die Rüsten der Bark und über die Reeling an Deck. Zurückblickend sah ich das Boot schon eine Strecke entfernt und den Portugiesen dabei, das Focksegel wieder aufzuhissen.

An Deck der Bark, zwischen den hohen Schanzkleidungen, war es schon Nacht. Nur achtern über dem Oberlicht der Kajüte und vorn bei der Thür der Kombüse war ein schwacher Lichtschimmer bemerkbar.

Als ich achteraus ging, kam mir ein Mann entgegen.

»Was wollen Sie hier an Bord,« herrschte er mich an. »Rufen Sie Ihr Boot und lassen Sie es langseit liegen, bis ich weiß, wer Sie sind.«

»Die Leute im Boot sind Portugiesen,« antwortete ich, »die würden uns nicht verstehen, wenn wir sie jetzt wieder anriefen. Ich wenigstens kann kein Wort ihrer Sprache reden.«

Wir standen in der Nähe des Oberlichts. Der Mann betrachtete mich forschend.

»Wer sind Sie?« fragte er.

»Stehe ich hier vor dem Kapitän dieser Bark?«

»Ja.«

»Ich war Steuermann der Brigg ›Hebe‹ von Bristol,« begann ich nunmehr. »Eines Tages wurde ich zufällig und ungesehen Zeuge einer Unterhaltung zwischen dem Kapitän und dem Eigentümer. Die beiden planten, das Fahrzeug wegzusetzen und zwar entweder auf jenen Klippen« – hier wies ich nach den Salvage-Inseln – »oder aber an der afrikanischen Küste zwischen Agulhas und dem Kap.« Ich erzählte alles, was der Leser bereits weiß. »Der Kapitän der ›Hebe‹ heißt Jonas Cadman und des Eigentümers Name ist Fletcher, von Bristol,« schloß ich.

Der Skipper der Bark hatte mir mit größter Aufmerksamkeit zugehört.

»Fletcher von Bristol,« wiederholte er jetzt. »Er besitzt außer der ›Hebe‹ noch andere kleine Fahrzeuge, ist's nicht so?«

»Möglich. Die sonstigen Verhältnisse des Schurken sind mir unbekannt.«

Dann betrachtete ich den Mann bei dem schmalen Lichtschein, der aus der Kajüte heraufkam, genauer. Ich mußte ihn kennen.

»Verzeihung,« sagte ich. »Ist Ihr Name Blades?«

»Ja,« antwortete er.

»William Blades, früher dritter Steuermann des ›Newcastle‹?«

»Ganz recht.«

»Mit dem ›Newcastle‹ habe ich meine zweite Seereise gemacht, als Leichtmatrose,« fuhr ich fort. »Entsinnen Sie sich meiner nicht mehr?«

»Was? Dann sind Sie der Charles Morgan, wie?« rief er.

»Der bin ich.«

»Das ist eine Neuigkeit!« sagte Kapitän Blades und schüttelte meine Hand.

Dann schaute er nach dem Barillaboot, das in der Dunkelheit nur noch einem unbestimmten, weißlichen Fleck glich.

»Ja, aber,« wendete er sich wieder zu mir, »wenn Sie hier an Bord bleiben, dann müssen Sie mit uns ums Kap Horn gehen, denn wir sind nach Callao bestimmt. Madeira ist nicht weit, und jenes Boot könnte Sie dort landen.«

Ich antwortete, daß ich von Herzen gern bei ihm bleiben und mich an Bord nützlich machen würde, gleichviel, ob als Matrose vor dem Mast, oder als Offizier. Ich hätte alles verloren und wollte nicht eher wieder nach England zurück, bis ich von neuem etwas vor mich gebracht hätte.

»Beim großen Anker!« rief Blades jetzt erfreut, »dann kommen Sie uns ja eigentlich wie gerufen! Sie bleiben an Bord, versteht sich! Jetzt aber entschuldigen Sie einen Augenblick, nachher reden wir weiter. Bootsmann!« rief er nach vorn gewendet, »klar zum Wenden!«

»Klar zum Wenden,« echote eine Gestalt, die mittschiffs beim Fallreep stand, und die Töne einer Bootsmannspfeife schrillten über das Deck. Mit innigem Vergnügen vernahm ich diese Pfeifenlaute an Bord einer Bark von höchstens vierhundert Tonnen; damals hielt man noch mit Zähigkeit an den Traktionen der See fest; heute, im Zeitalter des Eisens und des Dampfes, weiß man nur noch herzlich wenig davon.

Im Nu wurde es an Deck lebendig; die schattenhaften Gestalten der Matrosen, in der Dunkelheit kaum erkennbar, eilten auf ihre Posten.

»Ruder nieder!« gröhlte der Schiffer.

»Ruder nieder!« klang es von der Back her zurück, während der Mann am Ruder sein Rad soweit niederdrehte, bis es nicht weiter ging.

Dann kamen die Befehle: ›Los Halsen und Schoten!‹ – ›Herum mit der Großraa!‹ u. s. w. Das Schiff drehte sich, so daß der schwarze Klumpen der Salvage-Insel schließlich auf unserer Backbordseite erschien. Die Bark lag jetzt über dem Backbordbuge und schob sich wieder sacht durchs Wasser. Der Kapitän wechselte noch einige Worte mit dem Bootsmann und nahm mich dann mit sich hinunter in die Kajüte.

Hier angelangt, rief er sogleich den Steward.

»Jackson,« redete er den aus seiner Speisekammer Herbeikommenden an, »besorge für diesen Herrn so bald als möglich etwas zu essen und richte die Kammer des ersten Steuermanns für ihn her. – Ihren Reisekoffer haben Sie ja wohl auf der Salvage-Insel gelassen?« wendete er sich grinsend an mich. »Wenn die Kammer in Ordnung ist, Jackson, dann bringe etwas aus dem Vorrat der Zeugkiste her.«

Der Steward riß die Augen weit auf, als Blades mich einen Herrn nannte.

»Seit Herr Fletcher von Bristol sich von mir verabschiedete habe ich keinen Blick in einen Spiegel geworfen,« sagte ich zu dem Skipper. »Ich möchte wohl wissen, wie ich aussehe.«

Blades gebot dem Steward, einen Spiegel zu holen. Ich stellte mich damit unter die Lampe. Das Bild, das mich aus dem Glase anstarrte, erschreckte mich. Ich glich auf ein Haar einem Matrosen, der wegen Trunkenheit und Rauferei acht Tage Gefängnis abgebrummt hat und in demselben Zustand, wie man ihn einlieferte, wieder entlassen wurde.

»Sie können mich unmöglich wieder erkannt haben, Kapitän,« rief ich lachend, den Spiegel dem Steward wieder einhändigend.

»Habe ich auch nicht,« antwortete Blades. »Nur Ihren Namen kannte ich. Ich denke aber, wenn Sie sich gewaschen und anständig angezogen haben, dann wird's in mir wohl dämmern. Jetzt aber erzählen Sie.«

Wir setzten uns und ich erzählte alles von Anfang an. Als ich zu Ende war, brachte der Steward das Essen, ein großes Stück Salzfleisch, dazu Hartbrot und andere Schiffsdelikatessen, von derselben Art, wie man sie an Bord der ›Hebe‹ geführt hatte, aber viel besser und reichlicher. Ich langte herzhaft zu und der Kapitän leistete mir dabei Gesellschaft.

Er war ein großer, breitschulteriger, schöner Mann mit seeblauen, humorvollen Augen, gelbem Flachshaar und rotem Bart, der rechte Typus eines Orkney-Insulaners, denn jene sturmgepeitschten Inseln waren seine Heimat. Sein Anblick rief mir eine Fülle von Erinnerungen an die Reise zurück, während der wir Schiffsgenossen gewesen. Auch er betrachtete mich immer von neuem und, wie es schien, recht nachdenklich.

Als wir gegessen hatten, sprang er auf, schaute auf seine Uhr und sagte:

»Jetzt können Sie sich waschen und umkleiden; ich komme bald wieder und habe dann etwas mit Ihnen zu besprechen.«

Damit ging er hinauf an Deck.

Jackson hatte in der für mich bestimmten Kammer Licht angezündet und hierher begab ich mich nunmehr, um einen neuen Menschen aus mir zu machen.

Angethan mit einem farbigen Wollhemd, einer blauen Hose aus Dungareestoff und einem zottigen Peajakett erschien ich nach einer halben Stunde wieder in der Kajüte, wo Blades mich bereits erwartete. Er legte eine Handvoll Manilla-Zigarren auf den Tisch, stellte eine Flasche Genever und zwei Gläser daneben und begann nun seinerseits zu erzählen.

Seine Bark hieß ›Karoline‹, war in Sunderland zu Hause und gegenwärtig mit Stückgut beladen, auf der Reise nach Callao in Peru. Einige hundert Seemeilen nördlich von Madeira war sein Steuermann so schwer erkrankt, daß er ihn in Funchal hatte ins Krankenhaus schaffen müssen. Da er an jenem Orte keinen Ersatz gefunden, war ihm nichts übrig geblieben, als wieder in See zu gehen und sich fortan mit dem Bootsmann in die Wache zu teilen.

»So stehen die Sachen jetzt,« schloß er. »Ich bin kein Rechtsgelehrter und weiß nicht, ob ich gesetzlich handelte, als ich mich ohne Steuermann wieder auf die Fahrt machte. Was meinen Sie dazu?«

»Ich meine,« versetzte ich, »daß nach dem Seerecht ein Schiff den Hafen ohne Steuermann nicht verlassen darf. Wenn aber der Steuermann wegen Krankheit an Land gebracht werden muß, und ein anderer nicht zu erlangen ist – ja, was dann?«

»Will ich Ihnen sagen,« rief er lachend, »dann steuert man nach den Salvage-Inseln, wo man sicher sein kann, in neun unter zehn Fällen einen vom Schicksal verschlagenen Herrn zu finden, der gerade auf eine solche Anstellung wartet. Kurz und gut, ich brauche einen Steuermann, und siehe da, bei Nacht und Nebel kommt mir einer aus der Großrüst an Bord gekrochen. Und nun frage ich Sie, Freund Morgan, wollen Sie als erster Offizier auf diesem braven Seeboot anmustern?«

»Das will ich,« rief ich, »und mit herzlichstem Dank!«

»Die Heuer ist sechs Pfund monatlich für die Reise nach Callao und von dort wieder nach Sunderland.«

Ich neigte mich in schweigender, hoch erfreuter Zustimmung.

»Na, dann ist uns beiden geholfen,« sagte Blades, mir die Hand reichend. »Sie sind, wie ich weiß, ein tüchtiger Seemann, das heißt, wenn Sie sich seither nicht gewaltig geändert haben.«

Ich drückte ihm schweigend die Rechte.

»Nach dem Salvage-Spaß sollen Sie diese ganze erste Nacht zur Koje haben,« schloß er die Abmachung. »Träumen Sie sich die Erinnerung an Herrn Fletcher von Bristol bis morgen früh acht Uhr aus dem Kopf hinaus und beginnen Sie dann mit leichtem und frohem Herzen Ihren Dienst. Und nun gute Nacht, Steuermann!«

Eine Stunde später lag ich in tiefem Schlaf.


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