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11. Kapitel.
Eine unerwartete Begegnung.

Eine muntere Brise blies von steuerbord her, ein wenig achterlich, in die geschwellten Segel. Die westliche Hälfte des Firmaments, von der Kimmung bis zum Zenith, brannte in glühendem Abendrot, und unter dem feurigen Sonnenball, der kaum noch einen Grad über dem Horizonte schwebte, wogte die See wie ein Meer von Blut.

Das Schiff hatte alle Segel stehen und lief eine gute Fahrt. Große Massen orangefarbenen Schaumes wurden an seinem Wetterbuge aufgeworfen, und nach Lee zu ließ es ein weites, wirbelndes Schneefeld hinter sich zurück, das in Meilenferne in der tiefblauen Dämmerung verschwand, die sich dort bereits über dem Ozean zu sammeln begann.

Ich stand einige Minuten neben der Kajütskappe und musterte Deck und Takelung. Der ›Earl of Leicester‹ war ein feines, schmuckes Schiffchen. Seine Decksplanken schimmerten weiß wie Dünensand, seine Schanzkleidung, sein Glas- und Messingwerk war sauber und glänzend, und jegliches Gerät erschien mir so auserlesen und vollendet – zum Beispiel die Gräting am Ruder, das Rad selbst, das Kompaßhäuschen, die Bootfittings und so weiter – wie man es in solcher Präzision sonst nur an Bord von Luxusyachten zu finden gewohnt ist. Das erhöhte Achterdeck war nach vorn durch ein Messinggeländer abgeschlossen und eine Treppe führte in der Mitte zu ihm empor.

Zwei Matrosen gingen auf der Luvseite des Achterdecks hin und her; der eine war der Große mit dem roten Gesicht, der wie ein Fischer aussah, der andere ein Mann von Brigstocks Zuschnitt, mit einem sauren Ausdruck im Gesicht und großen, runden, grauen Augen. Der letztere schien in Brigstocks Abwesenheit das Schiff beaufsichtigt zu haben. Als sie mich gewahrten, blieben sie stehen.

»Unser neuer Kapitän, Joe!« rief Brigstock ihnen zu; »Bill, der neue Keppen!« worauf beide Männer grüßend an ihre Stirnhaare griffen.

Ich streifte sie mit einem kurzen Blick, sagte jedoch nichts. Vorn, an der Thür der Kombüse, lungerten vier andere Matrosen, rauchend und uns auf dem Achterdeck beobachtend. Das Hauptdeck war nicht mehr so belebt wie vorhin. Die Hälfte der Frauenzimmer hatte sich ins Zwischendeck verfügt, immerhin aber erschien mir die Menge der Zurückgebliebenen noch zahlreich genug, als sie allenthalben in Gruppen umherstanden oder ruhelos hin und her wandelten.

Die meisten von ihnen schienen im Alter von ungefähr achtzehn bis dreißig Jahren zu stehen. Ihrem Aussehen und Wesen nach mochten sie daheim teils Dienstbotenstellungen bekleidet haben, teils auch als Näherinnen, Verkäuferinnen, einige auch als Fabrikarbeiterinnen beschäftigt gewesen sein. Hier und da bemerkte ich ein recht feines Gesicht. Alle schienen sich in bester Gesundheit zu befinden, als seien sie besonders auserlesen und seither auch hier an Bord gut verpflegt worden.

Die Großluk war geöffnet, nur eine Gräting lag darüber. Einige Mädchen saßen auf dem Rande der Luke; als sie mich gewahrten, standen sie auf, und nun wurde mit einem Schlage meine Gegenwart allen Anwesenden bekannt und im Nu waren aller Augen auf mich gerichtet. Ein bleiches Mädchen mit dunklen Augen, in Hut und gutsitzendem Jakett, kam achteraus – ich stand am Geländer des Halbdecks – blickte zu mir empor und rief mit lauter, hysterischer Stimme:

»Wenn Sie der Kapitän sind, mein Herr, wollen Sie uns dann gefälligst sagen, was aus uns werden soll?«

»Fräulein,« nahm Brigstock an meiner Stelle das Wort, indem er sich über das Geländer lehnte und so ernsthaft redete, wie ein Pastor von der Kanzel, »was unser neuer Kapitän ist, der kann Sie beim besten Willen Ihre Frage nicht beantworten, denn warum? Weil er selber nicht die geringste Ahnung hat von das, was wir im Sinn haben thun.«

»Wir aber haben Ahnung davon!« rief das Mädchen zurück, sich zugleich umschauend, als wolle sie noch soviel als möglich von den andern herbeiziehen, »und gerade genug Ahnung. Die Rede geht, daß Sie sich unter uns welche zu Frauen auswählen und sich dann mit ihnen auf einer Insel niederlassen wollen. Und zur Schande gewisser Personen soll es hier gesagt sein, sie haben auch welche gefunden, die schlecht und ehrlos genug sind, die Anträge der Matrosen anzunehmen. O mein Herr,« hier erhob sie ihre Stimme zu einem mißtönenden Klagegeschrei, »wenn Sie ein Gentleman sind, und das sind Sie, das sieht man Ihnen an, dann bringen Sie uns nach Australien, wie man uns versprochen hat, als wir hier an Bord gingen! Denn es sind noch viele von uns, die mit den Matrosen und mit dem albernen Plan von der Insel nichts zu schaffen haben wollen!«

»Herr Brigstock,« versetzte ich, »hat Ihnen, was mich anlangt, die Wahrheit gesagt. Die Absichten der Besatzung dieses Schiffes sind mir unbekannt. Sie wissen wohl, glaube ich, auf welche Weise ich hier an Bord kam. Ich hoffe aber und, ich darf wohl sagen, ich bin dessen gewiß, daß, welchen Plan die Seeleute auch verfolgen mögen, Ihnen nichts Unrechtes zugemutet werden wird, nichts Schlimmeres, meine ich, als etwa eine Verzögerung der Reise. Habe ich recht?« wendete ich mich an Brigstock.

»Die Damens wissen,« sagte er, indem er seine plumpen Hände wie segnend über die auf dem Hauptdeck unter ihm Stehenden erhob, »alle die Damens wissen, daß ihnen nichts Böses geschehen kann und wird. Sie sollen sogleich alles erfahren, Herr Morgan; ich wollte nur, daß Sie sich vorher das Schiff betrachteten.«

In diesem Augenblick wurde ich mir bewußt, daß eine mittschiffs an der Reeling stehende junge Dame mich unausgesetzt und scharf betrachtete und schon eine ganze Weile so betrachtet habe. Es war seltsam, und ich wunderte mich darüber, daß unter all den vielen Mädchen, die mich musterten und beobachteten, gerade diese eine meinen Blick auf sich ziehen und fesseln mußte. Meine Verwunderung wuchs. Wo hatte ich diese junge Dame doch schon gesehen? Sie trug einen schwarz-weißen Strohhut mit schwarzem Band, und von derselben düsteren Farbe war auch ihre Kleidung. Noch war es hell genug, um alles deutlich erkennen zu können. Ich that einen Schritt seitwärts und reckte den Hals, da neigte sie lächelnd den Kopf und kam errötend näher. Ich erkannte sie jedoch erst, als sie am Fuße der Treppe stand.

Die junge Dame war Kate Darnley.

Im Nu war ich die Stufen hinunter, hatte ihre Hand ergriffen und sie aufs Achterdeck geleitet.

»Fräulein Darnley!« rief ich ganz außer mir vor Erstaunen. »Wie in aller Welt kommen Sie hier an Bord?«

»Das ist in der That eine höchst unerwartete Begegnung,« antwortete sie mit noch immer glühenden Wangen. »Wie ich hier an Bord kam? Nun, als Auswandrerin. Daß ich aber auch Sie hier finden mußte!«

Ich sah mich nach Brigstock um, der auf die Seite getreten war und uns mit befriedigter Miene betrachtete. Ich sah ihm an, was er dachte. Diese Erkennungsszene freute ihn; aller Wahrscheinlichkeit nach würde ich mich nun leichter mit meinem Geschick aussöhnen – so rechnete er.

»Welch ein Zusammentreffen!« rief ich, von neuem des Fräuleins Hand drückend. »Aber jetzt erinnere ich mich, daß Sie damals mit mir vom Auswandern redeten – auf jener Partie nach der Küste, wissen Sie noch?«

»Ich weiß,« nickte sie. »Ich hatte keine Existenz, verhungern aber mochte ich nicht. Was blieb mir da übrig? Und nun führt der Zufall unsere Wege hier auf dem Ozean wieder zusammen!«

Ich geleitete sie weiter nach hinten. Als der Matrose Joe mich auf der Luvseite herankommen sah, ging er nach Lee hinüber, denn die Luvseite ist das Gebiet des Kapitäns, wenn er an Deck ist, und jedem andern, Passagiere ausgenommen, verboten, nach uraltem Seegebrauch.

»Noch kann ich's kaum glauben,« fuhr ich in meiner Freude fort. »Ihr Erscheinen zaubert mir Blathford vor die Augen, mir ist's, als umwehte mich der Blumenduft des alten, lieben Gartens, als lustwandelten wir wieder am Flusse auf den Wiesen, wo uns die weidenden Kühe und Schafe so verwundert betrachteten, während hier – doch Sie sehen sehr wohl aus. Welch' ein Wiederfinden! Wer hätte das geahnt!«

Nachdem die erste Erregung sich gelegt hatte, kamen wir in ruhigeres Fahrwasser und Fräulein Darnley verlangte zu hören, auf welche Weise ich mitten auf der See hier an Bord gekommen sei.

»Sind Sie schiffbrüchig gewesen und auf einem Floß in unsern Weg getrieben?« fragte sie.

»So ist Ihnen also unbekannt,« entgegnete ich, »daß heute früh eine Bark mit Namen ›Karoline‹ von diesem Schiffe angerufen und dann der Steuermann derselben durch Lug und Trug hier an Bord gelockt wurde?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nur,« sagte sie, »daß heute früh ein Fahrzeug in Sicht kam, daß uns bald darauf die Matrosen ins Zwischendeck schickten, wo wir bei verschlossenen Luken drei oder vier Stunden ausharren mußten, bis vor Hitze und schlechter Luft einige von uns ohnmächtig geworden waren. Der Steuermann jener Bark also sind Sie?«

Ich erzählte ihr nun, was ich seit meiner Ausreise von Bristol erlebt hatte. Sie lauschte mit gespanntem Interesse und allen Zeichen der Teilnahme. Mittlerweile war die Sonne untergegangen, die Nacht lag auf der Tiefe, am Himmel funkelten die Sterne und fern im Südosten zeigte sich ein rotes Stück des Mondes. Der Wind war stärker geworden und das Schiff rauschte tosend und donnernd durch die Finsternis, einen schwachen Zwielichtschimmer um sich verbreitend, der von den Schaummassen ausging, die es nach rechts und links von sich warf.

»Sollen wir Segel wegnehmen, Keppen Morgan?« rief mir Brigstock von dem Geländer des Achterdecks zu. »Vielleicht die Royals (Oberbramsegel) und das Kreuzbramsegel?«

»Ich bin euer Kapitän nicht!« rief ich schroff zurück. »Ehe ich den Posten übernehme, muß noch viel geredet und gehört werden.«

»Das kann jeden Augenblick geschehen, sobald es Sie beliebt, sich in der Kajüte zu begeben,« antwortete er ruhig und höflich. Dann sprach er einige Worte mit dem Matrosen Bill, der gleich darauf die genannten leichten Segel aufgeien und festmachen ließ.

»Hoffentlich übernehmen Sie das Kommando,« sagte Kate Darnley. »Ich wüßte sonst nicht, was aus uns werden sollte. Die Matrosen haben sich in den Kopf gesetzt, auf irgend einer Insel zu landen, dort eine Niederlassung zu gründen und sich Frauen vom Schiffe mitzunehmen.«

»Die Kerle werden die Geschichte von der Meuterei an Bord der ›Bounty‹ gehört oder gelesen haben,« versetzte ich. Die Sache erschien mir nicht sehr glaublich.

»Mag sein; immerhin haben sie Personen gefunden, die sie heiraten und mit ihnen ihr Glück auf der Insel versuchen wollen.«

»Der Plan kann doch erst ganz neuerdings ausgeheckt worden sein, nachdem der arme blinde Kapitän das Schiff verließ,« bemerkte ich.

»Ganz recht. Zu Doktor Rolts Lebzeiten durften die Leute mit den Mädchen kein Wort wechseln.«

»Also in knapp zehn Tagen haben die Janmaaten sich nicht nur jeder eine Frau ausgesucht, sondern auch zur Kolonisation entschlossen,« lachte ich. »Da muß ich doch hören, was Brigstock darüber zu berichten weiß. In welchem Teil des Schiffes wohnen Sie?«

»Im Zwischendeck, bei den andern.«

»Ich werde Ihnen eine Kammer in der Kajüte anweisen. Wenn ich nicht irre, haben Sie in Australien keinerlei Bekannte.«

»Nein. Trotzdem hoffe ich dort besser fortzukommen, als in England, Herr Morgan.«

»In Blathford nannten Sie mich Charlie.«

»Dann will ich Sie auch hier so nennen. Wir haben uns so lange Monate nicht gesehen, daß es mir ein wenig schwer fällt, indessen –«

»Gut, und ich nenne Sie Kate, um der vergangenen Zeiten willen. Es ist besser so, denn wenn ich das Kommando übernehme – und das werde ich wohl müssen – dann kann ich ganz anders für Sie sorgen, wenn die Frauenzimmer wissen, daß wir alte Bekannte und intime Freunde sind.«

»Aber« – hier griff sie unwillkürlich nach meinem Arm, denn das Schiff holte unter einem heftigen Windstoß so gewaltsam nach Lee über, daß sie fast zu Fall gekommen wäre – »aber wie gedenken Sie sich dem Plan der Matrosen gegenüber zu stellen?«

»Das wird davon abhängen, wie die Leute selber mir die Sache vorstellen werden.«

Auf der Achterdecksleiter erschien eine in dem ungewissen Mondlicht nur undeutlich erkennbare Frauengestalt.

»Fräulein Darnley, sind Sie das da hinten?« rief dieselbe.

»Ja,« antwortete Kate.

»Es ist acht Uhr!«

»Ich komme!« entgegnete Kate. »Um acht Uhr müssen wir nämlich zu Bett gehen, so will es die Schiffsordnung,« wendete sie sich dann erklärend an mich.

Die Frauengestalt verschwand von der Treppe.

»Wer war das?« fragte ich.

»Fräulein Cobbs, die Aufseherin,« antwortete sie.

»Die alte Ordnung wird also noch immer beobachtet?« fragte ich weiter, sie langsam nach vorn begleitend.

»Ja. Wir essen zur festgesetzten Zeit und werden um acht Uhr abends ins Zwischendeck geschickt.«

»Das höre ich gern,« versetzte ich. »Es ist ein gutes Zeugnis für die Mannschaft. Die Leute haben kein Oberhaupt – denn Brigstock kann als solches doch nicht gelten – und dennoch werden die Vorschriften, die jedenfalls der Doktor Rolt noch erlassen hat, innegehalten. Alle Achtung!«

»Ja,« sagte sie leise, denn der Matrose Joe spazierte in der Nähe auf und ab, während wir einen Moment oben an der Treppe zögerten, »bis jetzt haben sich die Leute durchaus korrekt benommen; noch hat niemand geklagt. Und nun gute Nacht und auf Wiedersehen, morgen.«

Ich begleitete sie noch bis an die Großluk und sah zu, wie sie hinabstieg. Die ins Zwischendeck führende Treppe war breit und hatte nur auf einer Seite ein Geländer. Ein matter Lampenschein drang von innen her bis an die weite Luke, auf welcher jetzt zwei Grätings lagen, und in die ein stramm aufgeblähter Windschlauch hinabhing. Kate sah noch einmal lächelnd zu mir empor und entschwand dann meinen Blicken.

Nun ging ich achteraus und in die Kajüte hinunter. Hier zündete ich die Lampe an und suchte mir in der Pantry etwas zu essen. Die Leeklappe des Oberlichts war offen; während ich schmausend am Tische saß, steckte Brigstock seinen Kopf da oben herein und rief mir zu:

»So ist's recht, Herr Morgan, thun Sie, als wenn Sie zu Hause wären. Wir kriegen noch mehr Wind; ich will man bloß das Großsegel wegnehmen lassen, dann komme ich und leiste Sie ein bischen Gesellschaft.«

Ich nickte und aß weiter.

Und dabei dachte ich. Was ich dachte, kann ich hier nicht beschreiben. Von draußen drang das Rufen der Matrosen und das Tosen des Windes und der See an mein Ohr. Ich fing an, mich an meine neue Lage zu gewöhnen.

Ich befand mich in der Gewalt der Mannschaft, das durfte ich keinen Augenblick vergessen, und bei allem, was sich zwischen uns noch zutragen sollte, würden die Leute dies auch nicht vergessen, dessen konnte ich gewiß sein.

Nach und nach wurde es an Deck ruhiger; der Segeldruck war vermindert worden und das Schiff arbeitete nicht mehr so gewaltsam. Ab und zu zeigte sich ein Gesicht an den Fenstern der vorderen Kajütswand. Jetzt wurde oben die Kampanjethür geöffnet und Brigstock tappte die Stufen herab. Er schüttelte einen Tropfenschauer von seinem Rock, warf seinen Hut auf die Seite und sagte:

»Haben Sie alles gefunden, Herr Morgan?«

»Danke, ja. Wenn Sie mir nun noch etwas Tabak und eine Pfeife verschaffen könnten, wäre mir das lieb.«

Er zog ein Klappmesser und ein Stück Plattentabak aus der Tasche, dann ging er zur vorderen Kajütenthür und rief einen Matrosen, dem er etwas sagte. Gleich darauf kehrte er mit einer neuen Thonpfeife zurück. Während ich mir ein Quantum des schwarzen Tabaks in die hohle Hand schnitt, begann er wieder zu reden.

»Herr Morgan,« sagte er, »möchten Sie uns nicht einen richtigen Kurs angeben? Unser jetziges Segeln ist doch bloß so ein Umhertappen«

»Ja, wohin wollen Sie denn?« versetzte ich, mir die Pfeife anzündend.

»Nach die Südsee,« antwortete er, nicht ohne eine gewisse Verlegenheit, wie ich wahrzunehmen glaubte.

»Hm, also nach der Südsee. Aber die Südsee ist groß.«

»Das ist sie ja wohl. Es braucht auch nicht gerade die Südsee zu sein, denn wenn sich das so macht, und wir finden was Passendes nördlich von der Linie, denn so gehen wir dahin. Vorläufig wollen wir um das Kap Horn rum gehen und möchten Sie daher bitten, uns den richtigen Kurs dahin anzugeben, wenn Sie so freundlich sein wollen.«

Ohne ein Wort zu sagen, stand ich auf und ging in die Kammer des Kapitäns. Hier nahm ich den Kartenbeutel und suchte und fand eine Fahrkartenstraße der Welt. Dies genügte mir. Das gestern an Bord der ›Karoline‹ ausgerechnete Besteck war mir noch im Gedächtnis, ich vermochte daher den gegenwärtigen Ort des ›Earl of Leicester‹ ziemlich genau zu bestimmen, ohne mich erst mit den Sternen abzumühen.

Als ich mit der Karte und einem Zirkel in die Kajüte zurückkam, fand ich hier außer Brigstock noch drei Matrosen. Die Leute waren barhäuptig und grüßten mich respektvoll.

»Herr Morgan,« nahm Brigstock das Wort, »diese Leute haben nicht um Erlaubnis gefragt, ob sie hereinkommen durften; ist erst wieder Ordnung an Bord und liegt das Schiff erst auf richtigem Kurs, dann wird niemand sich erlauben, Sie hier achtern ungerufen zu belästigen. Sie müssen wissen, wir bilden hier eine freie Republik, wo ein Mann so viel gelten thut, als der andere; natürlich, Ordnung und Anstand muß sein, denn wo bliebe sonst das allgemeine Wohl? Im übrigen aber sind wir Menschen, und mehr als ein Mensch braucht man auf Erden nicht zu sein. Der hier,« er wies auf den kleinen Matrosen mit dem großen Schnurrbart, der am Ruder gestanden hatte, als ich an Bord kam, »ist Isaak Coffin; der da,« er faßte den Aermel eines untersetzten, fetten Gesellen mit kleinen Augen und hängenden Backen, »ist Jupe Jackson, und der Mann,« er deutete auf den dunkelhaarigen, blühenden Matrosen, der wie ein Fischer aussah, »heißt Bill Prentice. Alle von der Steuerbordwache. Sie sind hier als Vertreter der Mannschaft. Sie, Herr Morgan, sollen hören, was wir vorhaben, und wir wollen Ihnen bitten, uns beizustehen.«

Er zog eine dicke silberne Taschenuhr aus seinem Hosenbund und blickte lange und bedächtig darauf nieder.

»Es ist jetzt ein paar Minuten nach ein Glas,« sagte er (halb neun Uhr abends). »Wollen Sie so gut sein, Herr Morgan, und uns den Kurs nach Kap Horn angeben?«

»Halten Sie die Karte hier offen,« versetzte ich.

Ich machte meine Berechnung und normierte den Kurs auf Südwest zu Süd; das reichte hin, bis ich den wahren Ort des Schiffes gefunden hatte.

Brigstock stampfte langsam die Kampanjetreppe hinan; in der Kajütskappe blieb er stehen.

»Was liegt an?« rief er dem Mann am Ruder zu.

Die Antwort war mir unverständlich; es stellte sich jedoch heraus, daß der Kurs, den das Schiff gegenwärtig lief, bis auf einen Viertelstrich mit dem von mir gegebenen übereinstimmte. Die Brassen brauchten daher nicht angerührt zu werden. Brigstock kam wieder herunter.

»Wenn Sie nun so gut sein und Platz nehmen wollen, Herr Morgan,« sagte er, »dann will ich Ihnen wissen lassen, was wir, meine Schiffsmaaten und ich, also eigentlich vorhaben.«


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