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1. Kapitel.
Wieder daheim.

»Halt an!« sagte ich.

»Brrr!« machte der Fuhrmann.

Der alte Gaul, dessen Geschirr rasselte und klapperte wie die Kette einer Marssegelschoot in einer Bö, blieb stehen und ich stieg auf meine Seekiste, um mir die Gegend mit Muße zu betrachten.

Es war im Monat August des Jahres 1850. Ein blauer, leicht bewölkter Himmel wölbte sich über den Hügeln und Fluren der reizvollen Landschaft. Auf der einen Seite ein breites Wiesenthal, auf dem hie und da zerstreut rotbunte Kühe und weiße Schafe grasten. Auf der anderen schlängelte sich eine staubige Landstraße an Baumgruppen und buschigen Gehölzen vorüber bis auf die Höhe eines grünen Hügels. In der Ferne glitzerte der Fluß wie Silber und auf den Gefilden standen die Heuschober wie riesige Pilze. Ein lauer Wind strich daher, würzig von dem Dufte unzähliger balsamischer Kräuter; nachdem ich jahrelang nur die salzige Seeluft geatmet hatte, war dieser weiche, liebliche Wohlgeruch ein entzückender Genuß für mich.

Wer erfahren will, wie über alle Beschreibung reizvoll die heimatlichen Fluren sind im Lichte eines milden Sommernachmittags, wenn die Schatten der losen Wölkchen drüber hinziehen, wenn der Wind in den Bäumen lispelt und die Bienen im Sonnenschein summen, der muß, wie ich, soeben von einer dreijährigen Seereise zurückgekehrt sein.

»Vorwärts!« rief ich und setzte mich wieder auf die Kiste nieder.

»Hüh!« sagte der Fuhrmann und versetzte dem Achterteil seines Gauls einen freundschaftlichen Hieb mit dem Knittel.

Die Räder kreischten und der Wagen rumpelte weiter den holprigen Fahrweg entlang, der endlich in das heimatliche Dorf einbog.

Mit dem größten Interesse betrachtete ich jedes einzelne der Häuser und Häuschen, jeden Zaun und jeden der alten, knorrigen Bäume, die die Straße beschatteten; war mir doch alles so wohlbekannt, so lieb und so vertraut.

Jetzt kam die Ecke, dann links die Kirche; noch eine kurze Strecke, und nun hielt der Wagen vor der kleinen Pforte in der hohen Hecke, die den Garten meines Elternhauses gegen die Straße abschloß.

Die Pforte öffnete sich, ich sprang vom Wagen und lag im nächsten Augenblick an der Brust meines Vaters. Dann bewillkommnete mich die Mutter. Sie faßte meine Hände, sie umarmte, herzte und küßte mich, trat zurück, um mich zu betrachten und schloß mich dann von neuem an ihr Herz.

Mein Vater war der Pfarrer von Blathford. Er zählte damals sechzig Jahre. Die Stelle war so wenig einträglich, daß ich mich seiner nur als eines armen Mannes erinnere, und dieser Mangel daheim muß auch als einer der Hauptgründe dafür angeführt werden, daß ich die Seefahrt zu meinem Lebensberuf erwählte.

Der Fuhrmann lud meine Seekiste ab und wir begaben uns ins Haus.

Als wir das Wohnzimmer betraten, wendete sich eine junge Dame, die am Fenster stand, nach uns herum.

»Da, schau her, Kate,« sagte meine Mutter, »das ist mein Sohn Charles, frisch von der See. Denke nur, er ist ganze drei Jahre und drei Monate fort gewesen!«

Dann stellte sie mir die junge Dame als Fräulein Kate Darnley vor. Ihr Vater war mir nicht unbekannt gewesen; er hatte, wie der meine, das Amt eines Landgeistlichen bekleidet, war jedoch vor kurzem gestorben, wie ich jetzt erfuhr.

Fräulein Darnley war ein schönes Mädchen mit großen, dunklen Augen, einer reichen Fülle schwarzen, schimmernden Haares und zarter, rosig angehauchter Gesichtsfarbe. Wir reichten einander zur Begrüßung die Hände und als ich sie dabei anschaute, sagte ich mir, daß ich sie wohl leiden mochte.

Ehe ich jedoch eine Unterhaltung mit ihr beginnen konnte, nahm die Mutter mich in Beschlag und führte mich hinauf in das Zimmer, das sie für mich hergerichtet hatte.

Zunächst umarmte und herzte sie mich hier noch einmal recht gründlich.

»Junge, wie groß du geworden bist!« rief sie in heller Freude.

Ich konnte das nicht in Abrede stellen.

»Weißt du, Mutter,« sagte ich, »Kate Darnley ist ein hübsches Mädchen.«

»Ach, das arme Kind!« versetzte sie. »Die ist wirklich recht zu bedauern. Da steht sie nun ganz allein und mittellos in der Welt, denn ihr Vater hinterließ ihr so wenig, daß es gar nicht zu rechnen ist. Sie hat eine Stellung als Gouvernante angenommen, das aber war mit solchen Scherereien und Schwierigkeiten verknüpft, daß sie schon ernstlich daran dachte, als Hausmädchen irgendwo in Dienst zu gehen. Denke doch, Fräulein Kate, eine so gebildete und fein erzogene junge Dame, als Hausmädchen!«

»Wo wohnt sie denn jetzt?«

»Ungefähr sechs Stunden von hier. Die Herrschaft hat ihr eine kurze Ferienzeit bewilligt und da haben wir sie gebeten, die paar Tage bei uns zuzubringen. Sie bleibt noch bis nächsten Montag. Wie sieht der Deckel deiner Seekiste aber zerhackt und zerschnitten aus!«

»Das kommt daher, weil ich immer meinen Plattentabak darauf geschnitten habe.«

»So. Brauchst du Geld, Charles?«

»Nein, Mütterchen; Geld habe ich im Ueberfluß.«

»Im Ueberfluß? Ei, laß doch sehen.«

Ich zog einen ledernen Beutel aus der Tasche und schüttelte seinen Inhalt, Goldstücke und Banknoten, auf dem Tische aus.

»Da,« sagte ich. »Mein Verdienst von drei Jahren und drei Monaten, die paar während der Reise ausgegebenen Pfund abgerechnet.«

»Und so hart und mühselig erworben, mein armer Junge!« Damit nahm Mütterchen meinen Kopf zwischen ihre Hände und küßte mich von neuem. »Wie oft habe ich nachts wach gelegen und für dich gebetet, wenn der Sturm draußen in den Bäumen brauste!«

»Vielleicht lagen wir dann gerade in Windstille und wünschten uns ein wenig von der Brise, die dich so besorgt machte. Wie geht's dem alten Perkins? Hat das kleine dicke Fräulein Smithers inzwischen einen Mann gekriegt? Und wie steht's mit der Gemeinde? Finden sich immer noch so viel Knöpfe in der Sammelbüchse?«

»Ach, Sohn, da läßt sich viel erzählen.«

So plauderten wir wohl eine halbe Stunde lang; dann verließ mich die Mutter und ich kleidete mich um.

In der Schrankthür befand sich ein großer Spiegel, der mein Bild zurückwarf. Das ist etwas Rares für einen Seefahrer. Janmaats Spiegel an Bord ist zumeist nur ein Scherben von wenigen Quadratzoll, mit dessen Hilfe rasiert er sich, was er aber sonst für eine Figur darstellt, das wird er erst gewahr, wenn er an Land kommt. Ich war bei meinen dreiundzwanzig Jahren ein großer, schwerer Kerl; nicht fett, o nein, dazu war die Kost an Bord – Salzfleisch, Erbsen, Bohnen und Hartbrot – nicht üppig genug. Aber wenn ich mich mit meinem Gewicht ans Marsfall oder an eine Brasse hing, dann blieb für die anderen nur noch wenig zu holen übrig. Und dabei war ich als vierzehnjähriger Schiffsjunge ein so kümmerlicher Wicht gewesen, daß der Kapitän mich mit Leichtigkeit in den Hals seiner Whiskyflasche hätte hineinstopfen können.

Mein Gesicht war von der Sonne schwarzbraun gebrannt, dazu hatte ich blaue Augen und dunkles Haar.

Ich trug noch immer das Zeug, in dem ich von Bord gegangen und dem man die dreijährige Seereise sehr deutlich ansehen konnte. In Bristol aber hatte ich mir einen neuen Anzug gekauft, den holte ich nun aus der Kiste und legte ihn an, und als ich mich hernach wieder im Spiegel betrachtete, da mußte ich selber gestehen, daß ich mich jetzt überall an Land dreist sehen lassen könnte.

Später, bei Tische, führte ich fast ganz allein die Unterhaltung. Der Gesichtskreis der Dorfbewohner ist naturgemäß nur ein beschränkter; die Leute von Blathford machten keine Ausnahme. Ihr Horizont umfaßte kaum mehr, als das Haus, den Hof mit dem Vieh und den Hühnern, den Gottesacker und die Dorfpumpe. Ich erzählte von den Häfen, die ich besucht, schilderte den Sturm auf See, beschrieb die treibenden Eisberge, die Walfische, die unter dem Aequator in der blauen Flut spielen und ihre glitzernden Fontänen emporsprühen, und berichtete auch von den Albatrossen, die um Kap Horn die Schiffe Hunderte von Meilen weit begleiten.

Meine Mutter hörte so eifrig zu, daß sie darüber das Essen vergaß; Kate Darnley verwendete kein Auge von meinem Gesicht; mein Vater lächelte hin und wieder und gelegentlich zeigte sich ein Ausdruck der Ungläubigkeit auf seinem milden, freundlichen Antlitz.

»O, daß ich ein Mann wäre!« rief Kate endlich, Messer und Gabel hinlegend und die weißen Hände vor dem Gesicht faltend.

»Hört doch das Kind!« sagte meine Mutter. »Ein Mann will sie sein?«

»Wohl gar ein Seemann?« fragte ich lächelnd.

»Das nicht, Herr Morgan,« antwortete sie. »Aber reisen würde ich dann und die Welt kennen lernen und mich in dem besten Teil derselben niederlassen, der dann sicherlich nicht England sein wird.«

»Wie lange gedenkst du am Lande zu bleiben, Charles?« fragte mein Vater.

»Ja, habt ihr denn die Neuigkeit nicht gehört?« versetzte ich.

»Welche Neuigkeit?« rief die Mutter.

»Nun, daß der alte John Back gestorben ist und seine fünf Schiffe verkauft sind. Sein Sohn hat alles zu Gelde gemacht, alles, bis auf den wackligsten Kontorstuhl, und will nun als Müßiggänger und Rentner leben. Die Reederfirma ist eingegangen. Schade, denn ich hatte stark darauf gerechnet, daß der alte Back mir eine Kapitänsstelle anbieten würde.«

»Von des Reeders Krankheit hatte ich wohl vernommen,« sagte der Vater, »es kam mir aber nicht in den Sinn, daß sein Ende so nahe sein könnte. Es ist mir leid um ihn; er hatte uns so freundlich empfangen, als wir ihn in Bristol besuchten, um uns nach dir zu erkundigen. Unser Leben hier in Blathford gleicht dem der Austern. Von dem, was draußen in der Welt geschieht, dringt wenig oder nichts bis in unsere Abgeschlossenheit.«

»Dann bleibe daheim, so lange es angeht, lieber Sohn,« bat die Mutter. »Ich will dir das Leben hier recht angenehm und traulich machen.«

»Ich habe gedacht, an Land zu bleiben, bis ich mein Schifferpatent erworben habe,« antwortete ich, der lieben Mutter dankbar die Hand drückend. »Wenn irgend möglich, denke ich die nächste Reise als Kapitän zu machen. Inzwischen, meine ich, wird mir der Duft des Kuhstalles und der Milchkammer nicht schaden, nach solch einer langen Zeit des Herumschwalkens auf dem salzigen Wasser.«

Nach Tische ging ich an meine Seekiste und suchte die mitgebrachten Raritäten daraus hervor. Kate Darnley schenkte ich eine silberne Vorstecknadel aus China, und jetzt, als sie mir für das wertlose Ding dankte, sah ich eigentlich erst, wie schön sie war.

Am Spätnachmittag stellte sich der Vikar meines Vaters ein, um eine Rücksprache mit ihm zu nehmen. Während des Abendessens, zu dem man ihn eingeladen hatte, mußte ich wieder etwas aus meinen Erlebnissen zum besten geben, und dabei bemerkte ich, daß er die Gedanken und Einfälle, die ihm dabei kamen, ausschließlich gegen Kate aussprach, die jedoch ihre ganze Aufmerksamkeit mir zuwendete.

Noch lange saß ich an jenem Abend, als alles im Hause längst zur Ruhe gegangen war, auf der Bank vor der Thür und rauchte meine Pfeife. Ich mußte dabei immer an Kate Darnley denken, und wie hart und traurig es doch eigentlich war, daß ein so schönes und begabtes junges Mädchen so mutterseelenallein in der Welt stand, gezwungen, als Gouvernante ihr Leben zu fristen, und ohne eine andere Aussicht, als etwa eine Heirat.


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