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Ein Kapitänsposten fand sich nicht für mich und so mußte ich schließlich froh sein, wieder als Steuermann in See gehen zu können. Und das kam so.
Eines Tages besuchte ich Kapitän Bradford in Bristol, den alten Schiffer, mit dessen Hilfe ich mich zur Kapitänsprüfung vorbereitet hatte. Wir saßen gerade beim Frühstück, als noch ein zweiter Besucher sich einfand, ein Seefahrer, der von meinem alten Bekannten als Kapitän Cadman angeredet wurde.
Der Mann war lang und dürr, rothaarig und rotbärtig, hatte ein Fuchsgesicht und ein Paar Augen, deren Ausdruck mir gar nicht gefiel. Er war gekommen, um Kapitän Bradfords Ansicht über eine Rechnung über Schiffsreparaturen zu hören, die sein Reeder, ein Herr Fletcher bezahlen sollte, die er, Kapitän Cadman, aber unverschämt hoch fand.
Während Bradford die Rechnung Posten für Posten durchging, musterte Cadman mich verstohlen von der Seite; endlich redete er mich an.
»Auch ein Seemann, wenn ich fragen darf?« begann er.
»Wohl noch nicht lange an Land?«
»Seit August.«
»O, das ist ja allerdings lange,« rief er, mich wieder von oben bis unten betrachtend. »Vielleicht krank gewesen?«
»Nein.«
»In Bristol zu Hause?«
»Nein.«
»Welches war Ihr letztes Schiff?«
»Der ›Wanderer‹.«
»O, die Bark des alten John Back?«
Ich nickte.
»Wie sich das trifft! Ich bin Kapitän der Brigg ›Hebe‹, die auch eins von Backs Schiffen gewesen ist.«
»Ich kenne die Brigg sehr gut,« sagte ich. »Sie muß schon ziemlich stark bei Jahren sein.«
»Mein lieber Herr,« rief er mit einem trockenen, unangenehmen Lachen, »bei Schiffen, wie bei Weibern, erwähnt man das Alter nicht. Aufputz und Farbe erhält beide jung. Sie waren noch auf See, als Back starb. Seine Fahrzeuge wurden ausgeboten und Herr Fletcher kaufte die ›Hebe‹.«
»Wieviel hat er dafür gezahlt?«
»Unter uns und im Vertrauen – soviel als sie wert war. Hernach wurde sie gedockt – ach du mein Gottchen!« Er verdrehte die Augen und kratzte sich hinterm Ohr. »Das da« – er deutete auf die Rechnung, die Kapitän Bradford noch immer studierte – »das da ist bloß eine kleine Probe von der ganzen Bescherung – neue Kupferung, neuer Achtersteven, neues Rad, zwanzig Fuß langes neues Stück Kiel mittschiffs, neue Großmarsstenge –«
»Cadman,« unterbrach ihn Bradford, die Rechnung auf den Tisch legend, »ich kann hier nichts Ungehöriges finden. Die Brigg hat ganz neue Fockwanten gekriegt und noch eine Unmenge andern Kram; nein, die Summe von hundertachtzig Pfund ist meines Erachtens nicht zu hoch.«
Kapitän Cadman schüttelte langsam den Kopf.
»Wenn dreißig Prozent davon abgezogen werden, dann bleibt's immer noch ein Gaunerpreis.«
Bradford widersprach und es erfolgte ein Hin- und Herreden, aus dem ich entnahm, daß Cadman im Grunde von der Gerechtigkeit der Forderung ebenso überzeugt war, wie sein Freund Bradford, daß er diesen aber zu bewegen suchte, den Aussteller der Rechnung, mit dem derselbe bekannt war, zu einem Nachlaß zu bestimmen, damit Herrn Fletcher ein Gefallen geschähe.
Schließlich steckte Cadman die Rechnung in die Tasche, Bradford holte eine Flasche Whisky nebst drei Gläsern aus dem Schrank und wir tranken einander zu.
»Wann gehen Sie unter Segel, Cadman?« fragte Bradford, seine Pfeife stopfend und uns dann den Steintopf mit Tabak über den Tisch zuschiebend.
»Am zehnten nächsten Monats.«
»Wohin?«
»Nach der Tafelbai. Fletcher geht mit uns.«
»Um euch auf die Finger zu sehen?« bemerkte Bradford lächelnd.
»Seiner Gesundheit wegen,« antwortete Cadman.
»Man wird ihn hier vermissen,« sagte Bradford mit ironischer Miene. »Es wird ein wenig mehr Hunger und Blöße in Bristol geben, bis er sein Licht wieder leuchten läßt. Auch wird Sonntags eine kräftige Stimme im Kirchengesang fehlen, dazu ein feiner schwarzer Anzug und ein blanker Cylinder auf dem Wege zum Gotteshause.«
Cadman richtete seine kleinen Augen auf mich, ohne den Kopf zu drehen.
»Besitzt Herr Fletcher außer der ›Hebe‹ noch mehr Schiffe?« fragte ich.
»Nein,« sagte Cadman.
»Wenn Sie das Fahrzeug nicht schon hätten,« warf Bradford ein, »dann würde ich James Fletcher zureden, es meinem jungen Freunde zu geben. Er wartet auf einen Posten und es wäre schade, wenn ein so tüchtiger Seemann, wie er, noch lange am Lande herumlungern müßte.«
Wieder heftete Cadman, ohne den Kopf zu bewegen, seine Blicke auf mich.
»Die Brigg braucht einen Steuermann,« sagte er; »einen Kapitän hat sie.«
»Soll das ein Anerbieten sein, Cadman?« rief der alte Bradford. »Hören Sie, Morgan, ich an Ihrer Stelle nähme es an, wenn's eins sein soll.«
»Ja,« sagte Cadman, mir langsam sein Fuchsgesicht zudrehend, »einen Steuermann brauche ich, davon giebt's aber heute im Ueberfluß, so daß man nicht nötig hat, auf den Knieen um einen zu bitten.«
»Nehmen Sie an, Morgan,« drängte Kapitän Bradford. »Die Reise ist kurz und angenehm, Bezahlung gut, Tafel vorzüglich, und wenn Fletcher mitgeht, dann garantiere ich dafür, daß es an Bord so anständig und dezent hergeht, wie in einer Singspielhalle, wenn sie einige besondere Reißer auf dem Programm haben.«
»Noch habe ich kein Anerbieten,« entgegnete ich lachend.
Cadman musterte mich unausgesetzt. Mir war, als sähe ich seine Gedanken hinter der Maske seines Gesichtes arbeiten. Ich hätte darauf schwören mögen, daß seine Erwägungen sich nicht nur um berufliche Punkte drehten.
»Wie alt sind Sie?« fragte er.
»Dreiundzwanzig.«
»Was sind Ihre Qualifikationen?«
»Er hat seine Kapitänsprüfung bestanden und ist jetzt sechs Monate zu Hause, nach einer dreijährigen Fahrt an Bord des ›Wanderer‹,« rief Kapitän Bradford. »Verlangen Sie noch mehr, Mann?«
»Ich werde mit Herrn Fletcher Rücksprache nehmen,« antwortete Cadman. »Sie sollen von mir hören. Wo wohnen Sie?«
Ich schrieb ihm meine Adresse auf.
»Und wie geht die Melodie von wegen der Bezahlung?« forschte Bradford.
»Vier Pfund zehn Schilling,« sagte Cadman kurz.
Das war die Monatsheuer.
»Die alte Geschichte,« brummte Bradford. »Die Heuern fallen und alles andere steigt. Die Kerle, die auf den Goldsäcken sitzen, kommen immer am besten dabei weg. Es ist eine Schande!«
»Das ist's auch,« pflichtete Cadman ihm bei. »Und eins von den Rätseln, die Herr Fletcher zu lösen sich vorgenommen hat.«
Bradford machte den Vorschlag, nach dem Dock zu gehen und die dort liegende ›Hebe‹ anzusehen. Wir begaben uns auf den Weg.
Die Docks von Bristol sind in ihrer Art Kuriositäten; sie liegen so vollständig von Stadtteilen umschlossen, daß der Mastenwald der Schiffe aus den Dächern emporzuwachsen scheint. Man kann beobachten, wie unmittelbar neben einer Kirchturmspitze ein Mann ein Segel festmacht, und man sieht an der Seite eines Schornsteins langsam eine Bramstenge niedergehen, ohne die Kommandos zu vernehmen, die dies Manöver begleiten.
Die ›Hebe‹ war eine Brigg von zweihundertundneunzig Tonnen, ein altmodischer Kasten, der bereits seine dreißig Jahre auf dem Rücken haben mochte. Das war zu erkennen an ihrer Breite, ihren tonnenähnlichen Seiten, ihrem mächtigen, vierkantigen Heck und ihrem apfelförmigen Buge, nicht zum mindesten auch an ihrem Gallionsbild, das eine Frauenbüste darstellte, die mit roten Wangen und grellen, stieren Augen geradeaus schaute. Ein schönes Schiff war diese ›Hebe‹ nicht.
Nach einer kurzen Besichtigung der Kajüte und der anderen Räumlichkeiten verließen wir Schiff und Dock; Cadman begleitete uns.
Auf dem Rückwege begegnete uns ein großer, beleibter Herr, den Bradford schon von weitem durch Schwenken der Hand begrüßte.
»Ah, sieh da, Fletcher! Wie geht's?« rief er. »Wir kommen soeben von der ›Hebe‹. Sie haben den alten Kasten ganz nett aufgefrischt.«
Fletcher nickte freundlich; Cadman trat an ihn heran und da sie augenscheinlich privatim zu reden hatten, hielten wir uns abseits.
Nach des alten Schiffers ironischen Bemerkungen hatte ich mir Fletcher anders vorgestellt – lang und gelb, mit öligen Locken und langschößigem, schwarzem Rock. Statt dessen war er ein stattlicher, dicker Herr, mit starkem Backenbart, einer kleinen, birnenförmigen Nase und einem Doppelkinn, das zwischen hohen Vatermördern steckte. Er trug einen niedrigen Hut und einen grauen Anzug. Während er mit Cadman redete, blickte er wiederholt zu mir herüber.
»Das also ist Herr Fletcher,« sagte ich. »Ihre Beschreibung scheint gar nicht auf ihn zu passen.«
»Sie paßt, mein Junge, sie paßt,« versetzte Bradford. »Er ist der lauteste Sänger in der Kirche und steht im Rufe der Wohlthätigkeit, aber kein Polizeiauge ist scharf genug, ihm in die Seele zu sehen. Er hat zweimal Bankerott gemacht, einmal in Sheffield und das andere Mal hier, und doch ist er ein Mann, der seine Familie glänzend erhält und ein feines Haus sein eigen nennt. Jetzt ist er auch noch Schiffsreeder geworden.«
»Kapitän, Sie kennen die Leute. Soll ich annehmen, wenn man mir die Steuermannsstelle anbietet?«
»Hm,« machte der alle Schiffer. »Die Bezahlung ist so lumpig, daß ein Dienstbote sich ihrer schämen würde, auch schwimmen bessere Schiffe auf See herum. Allein, Morgan, Sie sind gerade lange genug an Land, und wenn Sie wiederkommen, dann findet sich wohl ein Kapitänsposten für Sie. Eine Reise nach dem Kap und zurück dauert keine sechs Monate, und Sie bleiben in der Uebung, was auch wichtig ist. Was kann ein Seemann an Land anderes thun, als sein Geld durchbringen und Tabak rauchen?«
Fletcher und Cadman trennten sich jetzt; der erstere winkte Bradford ein gravitätisches Lebewohl, der letztere gesellte sich wieder zu uns. Er sagte kein Wort von dem Steuermannsposten, aber während er neben uns herschritt, starrte er mich einigemal so scharf an, als suche er mehr an und in mir zu erspähen, als mein Aeußeres gewahr werden ließ. Nach einer kurzen Wegstrecke verabschiedete er sich, indem er wiederholte, daß ich von ihm hören solle.
Vor Bradfords Haus drückte ich dem alten Schiffer die Hand, dankte ihm für seine Empfehlung und dann machte ich mich auf den Heimweg.