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9. Kapitel.
In der Falle.

In der unter dem erhöhten Achterdeck befindlichen Kajüte herrschte eine unbestimmte Dämmerung, hervorgerufen durch die unterhalb des Oberlichtfensters zugezogenen Gardinen. Da jedoch in der vorderen, nach dem Hauptdeck zu belegenen Wand kleine Fenster angebracht waren, so war es immerhin hell genug, um alles erkennen zu können.

Ich sah mich fünf Matrosen gegenüber, der Zimmermann war der sechste. Einer der Männer schob sich schnell zwischen mich und die Kampanjetreppe.

»Wir haben Ihnen gefangen, wie Sie sehen,« nahm der Zimmermann das Wort. »Das thut mich recht leid, aber wir konnten uns nicht anders helfen. Wir brauchen nämlich einen Mann, der Navigation versteht, und dazu auch einen Kapitän, und ich denke, wir haben beides in Sie gefunden. So wahr ich hier stehen thue, und so wahr mir Gott helfe, wir meinen's ehrlich. Wir sind rechtschaffene Seeleute, und das einzige, was an die ganze Sache nicht in der Ordnung sein thut, das ist der Betrug, den wir Sie gespielt haben. Es war aber nicht anders zu machen, und was sein muß, das muß eben sein. Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, Sie werden bald einsehen, daß wir nichts Unrechtes vorhaben. Das hier ist Ihr Quartier; wir bitten Sie, es sich hier bequem zu machen, bis wir Ihnen das Kommando übertragen werden.«

Damit öffnete er eine Thür und lud mich durch eine Gebärde ein, eine geräumige Kammer zu betreten, die von einem runden Fenster erhellt wurde.

Pochenden Herzens und ohne Zweifel auch kreidebleich hatte ich ihn bisher angestarrt; kaum war ich im stande, diese so urplötzliche, so überraschende, so gänzlich unvorhergesehene Wendung der Dinge zu fassen. Endlich, als er seine Gebärde wiederholte, fand ich Worte.

»Sie dürfen mich hier nicht festhalten!« stieß ich hervor. »Ich bin der Steuermann der Bark dort drüben und kann nicht entbehrt werden. Ich will und werde unter keiner Bedingung hier bleiben!«

»Hilft alles nichts,« sagte einer der Matrosen, ein großer, starkknochiger Mensch mit rotem Gesicht, der wie ein Fischer aussah. »Machen Sie keine Umstände. Wir brauchen einen Schiffer, und da wir Sie nun einmal haben, lassen wir Sie nicht wieder los.«

Das klang weder brutal, noch unverschämt, wohl aber fest und entschlossen.

»Aber Leute!« rief ich in höchster Erregung. »Dies ist doch ein englisches Schiff! Ihr dürft doch nicht einen Menschen wider seinen Willen mit euch schleppen! Das ist ein Verbrechen, das die Gesetze schwer bestrafen! Ihr begegnet noch Schiffen genug, die euch gern zu einem Navigator verhelfen werden! Laßt mich gehen, ich beschwöre euch, sonst denkt mein Kapitän, ich sei ihm böswillig entlaufen.«

»Herr Brigstock,« sagte ein kurzer, dicker Mensch mit kleinen Augen und selten Backen, »da wir jetzt so weit sind, denke ich, wir setzen die Segel.«

»Ja,« stimmte der Große mit dem roten Gesicht bei, »und es ist auch verdammt warm hier unten.«

»Mächtig warm!« brummten die andern.

»So spring' auf den Tisch und mach' das Oberlichtfenster auf, Bill,« sagte der als Herr Brigstock angeredete Zimmermann, der augenscheinlich die Autoritätsperson an Bord war. Darauf wendete er sich wieder zu mir.

»Sie müssen sich schon zufrieden geben, Herr,« sagte er. »Zu Schaden sollen Sie dabei nicht kommen. Ihr Eigentum, das Sie auf der Bark zurücklassen müssen, wird Sie fünffältig ersetzt werden. Wir haben hier Vorräte aller Art an Bord. Das sage ich Ihnen, ich, Thomas Brigstock, und mein Wort ist so gut, wie ein Eidschwur. Und nun – wenn ich bitten darf!«

Und wieder deutete er aus die offene Kammerthür. Sein Blick war dabei nicht nur fest, sondern auch beinahe drohend.

Widerstand wäre nutzlos gewesen. Ich gehorchte, halb betäubt und wie im Traume. Als ich mich in dem Gemach befand, nahm Brigstock den Hut ab und sagte mit ganz verändertem Gesichtsausdruck und sehr höflich:

»Es soll Sie an nichts fehlen. Sie werden hier nicht länger, als durchaus nötig, eingeschlossen bleiben.«

Damit ging er, zog die Thür zu und drehte den Schlüssel im Schloß um.

Ein schneller Rundblick sagte mir, daß dies die Kammer des Kapitäns gewesen sein mußte. Ich öffnete das Fenster, um frische Luft einzulassen und zugleich zu hören, was zu hören wäre. Da vernahm ich auch schon Brigstocks dröhnende Stimme.

»Boot ahoy!« rief er. »Ihr könnt wieder an Bord der Bark gehen; euer Steuermann bleibt bei uns!«

Die Antwort hörte ich nicht. Gleich darauf begann ein Getümmel an Deck; die Matrosen braßten die Raaen nach dem Winde und setzten Segel. Die Brise kam immer frischer durch.

Die Bark lag noch immer beigedreht. Blades stand achtern am Heck, dicht beim Ruder. Was würde er denken? Neben ihm stand der alte Brace. Plötzlich sah ich den braven Skipper mit schneller, leidenschaftlicher Bewegung in die Besanswanten springen und die Hand an den Mund legen. In diesem Augenblick kam auch das zurückkehrende Boot in mein Gesichtsfeld.

»Schiff ahoy!« schrie er in den Tönen eines Orkans. »Was habt ihr meinen Steuermann festzuhalten? Was soll der Betrug? Schickt mir auf der Stelle den Mann wieder! Habt ihr gehört? Meinen Mann will ich haben! Ich kenne euren Namen ...«

Das übrige vernahm ich nicht mehr; das Schiff hatte Fahrt genommen und die Bark verschwand meinen Blicken, da das enge Fenster mich nicht seitwärts sehen ließ.

Keuchend vor ohnmächtiger Wut trat ich zurück. Es wurde mir schwer, mich zu fassen. Nach der Sonne zu urteilen, mußte es beinahe ein Uhr sein. Unter der Decke der Kammer war ein Kompaß angebracht, ein sogenannter Spion, um den Mann am Ruder kontrollieren zu können. Das Schiff steuerte direkt nach Süden. Wie ging das zu? Hieß es nicht, das Schiff befände sich auf der Fahrt von Madras nach London? Sollte hier eine Meuterei vorliegen? Hundert Gedanken durchwirbelten mein Hirn.

Eine Stunde mochte verstrichen sein, da klopfte es an die Thür, der Schlüssel drehte sich und herein kam ein junger Matrose mit einem Tellerbrett, das er auf den Tisch setzte. Es enthielt eine einfache Schiffsmahlzeit – Salzfleisch, Hartbrot, ein Stück Käse und eine Flasche Porter. Der Mann ging und schloß hinter sich wieder zu. Ich hatte ihn nicht angeredet.

Ich aß und trank und dann sah ich mich genauer in der Kammer um, der Zerstreuung wegen. Auf dem Teleskop fand ich eine Inschrift, laut welcher ein gewisser Thomas Halcrow, Kapitän des ›Stern von Indien‹, im Jahre 1847 dieses Glas von seinen Passagieren als Ehrengabe erhalten hatte. Dem Namen Halcrow begegnete ich auch auf dem Sextanten, auf dem Chronometerkasten und in einigen nautischen Büchern auf dem Regal. Thomas Halcrow mußte also auch der Kapitän des ›Earl of Leicester‹ gewesen sein. Was war aus ihm geworden?

Trotz sorgfältigen Suchens fand ich von den Schiffspapieren und dem Logbuch keine Spur, wohl aber eine Anzahl Briefe von Damenhand, die alle mit ›Lieber Tom‹ begannen und sicherlich von der Frau des Kapitän Halcrow herrührten.

Während ich hier herumstöberte, glaubte ich mehrmals Frauen- oder Mädchenstimmen zu hören, teils lachend und lustig plaudernd, teils in ruhigem Gespräch. Ich hielt das jedoch für Einbildung und Sinnestäuschung, verursacht durch das Geräusch des Windes in der Takelung und das melodische Rippeln und Plätschern des Wassers an den Schiffsseiten.

Gegen sechs Uhr wurde wieder an die Thür gepocht und Brigstock trat ein. Er hielt seinen Strohhut in der Hand und seine Haltung war bescheiden und respektvoll. Sein auf einer Seite gescheiteltes Haar lag glatt und wie angeklebt auf dem Schädel; er sah beinahe geistlich aus und erinnerte mich unwillkürlich an Herrn Fletcher von Bristol.

Die Erregung kochte aufs neue in mir empor; ich beherrschte mich aber, verschränkte die Arme über der Brust und erwartete des Mannes Anrede.

»Man hat Ihnen hoffentlich nicht vernachlässigt,« begann er, das Tellerbrett mit einem Blick streifend. »Ich habe an Deck zu thun gehabt; wir mußten uns sputen, Ihrer Bark aus Sicht zu kommen.«

»Und ist sie jetzt aus Sicht?« fragte ich.

»O ja, schon lange. Solch ein alter Kasten kann gegen einen Klipper, wie unser Schiff ist, nimmermehr aufkommen. Darf ich um Ihren Namen bitten?«

»Ich heiße Charles Morgan.«

»Und ich Thomas Brigstock.«

»Herr Brigstock, wie kommen Sie dazu, mich auf solche Weise zu entführen?«

»Noch ein klein wenig Geduld, Herr Morgan. Es muß ein schweres Stück für Ihnen sein, ich kann mich das wohl denken, aber es kommt alles wieder in die Reihe. Wenn Sie unsern Plan schließlich nicht doch noch für richtig halten thun, dann will ich nicht Brigstock heißen. Wir haben hier eine Auswahl – doch da muß ich erst fragen: Sind Sie verheiratet?«

»Ich verstehe Sie nicht. Ich will wissen, weshalb Sie mich in die Falle lockten. Wohin segelt dies Schiff? Zu welchem Zweck die Lüge von der Pest und dem Fieber?«

»Wir konnten uns nun mal nicht anders helfen,« antwortete Brigstock ruhig. »Es thut verschiedene Lügen geben, auch Notlügen; die aber werden den Menschen nicht allzu schwer angerechnet.«

»Was ist aus Ihrem Kapitän geworden?«

»Sollen Sie zur rechten Zeit erfahren, Herr Morgan.«

»Und aus Ihrem Steuermann?«

»Sollen Sie auch erfahren.«

»Wieviel Steuerleute hatte dies Schiff?«

»Ein klein wenig Geduld, Herr Morgan,« sagte er abwehrend. »Da Sie das Kommando dieses Fahrzeuges haben sollen, vorausgesetzt, daß Sie Navigation verstehen, woran ich nicht zweifeln thue, so dürfen wir Ihnen nun nicht länger eingeschlossen halten. Das wäre Meuterei.«

Damit stieß er die Thür auf und trat zur Seite, um den Weg frei zu machen.

Ich ging aus der Kammer in die Kajüte. Die Wände derselben waren in Weiß und Gold gemalt, ein großer Tisch aus edlem Holz, schön poliert und eingelegt, nahm die Mitte des Raumes ein; an seinen beiden Langseiten standen gepolsterte Lehnsessel, auf den Dielen festgeschraubt. Den Fußboden bedeckte ein dicker Teppich.

Das alles übersah ich mit einem schnellen Blick. Jetzt schaute ich, am Tische stehend, nach vorn, und was ich da gewahrte, setzte mich dermaßen in Erstaunen, daß ich im ersten Moment glaubte, meinen Augen nicht trauen zu dürfen.


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