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Frau Faber hatte eine Unterredung über Ejgil mit Professor Kramer, ihrem guten Freund und Berater. Er war es, der ihr seinerzeit zugeredet hatte, sich scheiden zu lassen.

»Es ist nicht nur Ihres Mannes und der Frau wegen, von der Sie und ich und sie – nur er selber nicht! – wissen, daß er sie liebt. Seine scheue, sentimentale Natur hat es nicht gewagt, diese Entdeckung zu machen – nur um Sie zu schonen! Er glaubt, er würde Sie verletzen, wenn er eine andere liebt. Da sehen Sie seine grenzenlose Selbstüberschätzung! Sie ist typisch für alle demütigen Naturen. – Und statt dessen macht er die andere Frau und sich selbst – nicht ohne ein gewisses Martyrium – unglücklich. – Und Sie selbst macht er langweilig!«

»Sie meinen wohl, Herr Professor, daß er meine Ehe langweilig macht?«

»Nein, Sie selbst, Ulla! Sie selbst sind langweiliger geworden, seit Sie mich vor zwei Jahren um Rat fragten bezüglich eines meiner Nervenpatienten, der Sie hinter meinem Rücken unter dem Vorwand vertrauter Freundschaft mit seiner prätenziösen Liebe behelligte. Sie waren es, die er erstrebte, und Sie hätten gleich seine Freundschaft abweisen und ihn mir, als Ihrem rechten Seelsorger, melden sollen. Aber der Dämon der Eitelkeit trieb Sie!«

»Sie wollen also meinen Mann glücklich machen? Und das junge Mädchen dazu? Ich weiß ja, wen Sie meinen. Ja, sie liebt meinen Mann, seit sie seine Sekretärin war, daß weiß ich sehr gut. Das stand mit großen hellblauen Buchstaben in ihren Augen geschrieben.«

»Aber Ihr Mann weiß es nicht. Wie alle technischen Genies versteht er sich nicht darauf, Brücken zwischen Seelen zu bauen. Das paßt nicht in sein Kantilever-System! Er ist naiv und eifrig und ein großes Schaf. Aber ihm will ich gar nicht so sehr helfen. Er weiß nicht einmal, daß er unglücklich ist und fühlt daher seine Stimmungen nicht als lokalen Schmerz. Auch das junge Mädchen interessiert mich nicht weiter. Das ist ein ganz gewöhnliches Osterlamm mit sehr schwachen Reaktionen. Und sie ist auch nicht meine Patientin. Das ist dagegen ihre Mutter, und da kommt des Pudels Kern.«

»Sie wollen der Mutter zu einem Versorger für die Tochter verhelfen? Das ist ja sehr edel – in Gestalt meines Mannes!«

»Durchaus nicht, Ulla. Das liegt gar nicht in meinem Plan. Aber das Unglück ist, daß die Mutter der jungen Dame einen Bureauchef – einen Beamten – hoch in den Vierzigern liebt und von ihm geliebt wird!«

»Wirklich?«

»Aber sie ist zu feinfühlend, um der Tochter, solange sie im Hause ist, einen Stiefvater zu geben. Sie hat ihre Liebe seit Monaten zurückdrängen müssen, und das hat ihre Nerven angegriffen. Ich bin ihr Arzt. Kurz – –«

»– und da wollen Sie der ganzen Reihe helfen –!«

»Sie sehen meinen kombinierten Plan.«

»– der ganzen Reihe. Außer mir?«

»Auch Ihnen, Frau Ulla. Ich will Ihnen das leichte Gewissen geben, das Sie mit Ihrer Schönheit, Ihrem Charme, Ihrer Jugend und Ihrer seltenen Gabe, die feinsten und besten von allen Männern zu gewinnen, verdienen.«

»Lieber Herr Professor! Ich habe Sie noch nicht als Patientin besucht.«

»Noch nicht, Ulla. Daher sind Sie die Medizin für die anderen. Sie sind ein Serum, das den Tod für alles Zweifelhafte und Entzündete in den Seelen anderer bedeutet. Was sagen Sie also zu meinem Arrangement? Daß ich ein bezaubernder Menschenkenner bin, und daß Sie mich anbeten und sehr hochachten. Nicht wahr?«

»Sie wissen, daß ich das tue, Professor, wie Sie mich Ihrerseits hochachten und lieben! Und was mehr ist – ich bewundere Sie.«

»Liebe Ulla, das tue ich selber, und mit weit größerer Kenntnis des Gegenstandes als Sie! Und versprechen Sie mir nun, daß Sie vier Menschen glücklich machen und sich selbst als stolze, unabhängige Seele wiedergewinnen wollen!«

Ulla hatte, nicht ganz ohne Ernst, gelächelt: »Ich werde über Ihren Vorschlag nachdenken, lieber Professor.« –

Jetzt, fünf Jahre nach der Scheidung, fragte sie ihn um Rat wegen Ejgil Sanders.

Der Professor kam in das grüne Eckzimmer, wo sie saß und in die Flamme unter dem kleinen silbernen Teekessel starrte.

»Sie sitzen hier wie eine von den vestalischen Jungfrauen«, sagte er, »und bewachen die ewige Lampe. Aber wie lange wollen Sie ihr treu bleiben?«

»Ja, wer weiß!« lachte sie verstohlen. »Aber erzählen Sie mir lieber von dem Patienten.«

»Ich bin nicht sicher, daß er Patient zu nennen ist. Wenn man auf einer Reise eine Zeitlang durch einen Tunnel fährt, kann man deshalb doch nicht blind genannt werden! Jedes Menschenleben passiert Kurven vom Licht zum Schatten. Und kann man eigentlich sagen, daß eine in der Dämmerung verbrachte Zeit mehr krankheitsbestimmt ist als die beleuchtete Periode? Der ganze Verlauf ist, wie ich sagte, eine Reise über Berge und durch tiefe Täler, oft durch den Berg hindurch, wo es sehr dunkel ist. So gleitet das Leben in sachtem Rhythmus für alle dahin. Nur die großen Schwingungen sind gefährlich, welche das Individuum, rein materiell, von außen treffen, wie die, welche es seelisch treffen und es vom Flug in die Hemmung, von der wilden Sorglosigkeit in die tiefe Depression stürzen. Sie sowohl wie ich fühlen uns sehr wohl bei unserem rhythmischen Wechsel von lichter und düsterer Laune; wir könnten diese Wellenkurve nicht entbehren, sie ist die Harmonie in unserem Leben, der Ton, der die Musik in unserem Gemüt schafft.«

Der Professor schwieg einen Augenblick. Ulla saß in die orientalischen Kissen zurückgelehnt da, in ihren Zügen zeigte sich ein Verweilen, als fühlte sie sich willenlos von dem wogenden Strom getragen.

»Ja,« sagte sie, »ich fühle es geradeso, wie Sie sagen. Und ich denke oft daran, ob es aus ist, wenn wir sterben. Der Tod ist wohl der heftigste Ausschlag in der Kurve, nicht wahr? Und ob es dann nicht entscheidend abbiegt, entweder hinauf ins Paradies oder hinunter in die Hölle? Und ob der Weg der Kurve, wenn man stirbt, nicht davon abhängt, wie harmonisch man gelebt hat?«

»Ich nehme nie einem meiner Patienten den Glauben, daß das Paradies einmal der Hölle auf Erden folgen wird, die die tiefe Melancholie sicher sein muß. Aber Ihr Leben ist immer schön und harmonisch gewesen, Ulla – nicht wahr?«

»Ja, wie können Sie das wissen?«

»Das weiß ich als Ihr Freund und Arzt.«

»Wirklich? Vielleicht werde ich auch einmal die große Schwingung erleben. Wenn meine Jugend ganz vorbei ist!«

»Abenddämmerung, Ulla! Und ich weiß, daß Sie sich wohl dabei fühlen werden. Sie werden sich stets in Harmonie mit Ihrem Alter befinden.«

»Ja, wer weiß! Aber wie steht es nun mit Ejgil Sanders?«

»Da bin ich weniger sicher. Doch glaube ich, daß der dunklere Ton, der sein Gemüt augenblicklich bestimmt, für seine Jahre nur normal ist. Er hat sehr spät den Kampf zwischen Knabenzeit und dem erwachsenen Alter erreicht. Die Pubertät, wissen Sie. Er sprach selbst aufrichtig und klug darüber. Seine Intelligenz und sein Wissen sind seiner physischen Entwicklung weit voraus. Er verstand genau, was jetzt in ihm vorging, und fragte mich um Rat. Er fühlte sein ganzes Wesen gehemmt, fühlte sein Willenleben in eine Art Traumzustand versetzt, den er selbst als Dämmerung bezeichnete, und dieser Zustand ist nur typisch für die jungen Jahre. Es ist das Halblicht, das gesundes und harmonisches Wachstum bedingt. Dämmerung bis zum Tage – da wir nun einmal festgesetzt haben, daß wir die Mannesjahre als die Mittagshöhe des Lebens und die Kinderzeit als sein Tagen ansehen!«

»Ich weiß,« sagte Ulla, »daß es frühreife Menschen gibt, die in ihrem Aufwachsen hohe Intelligenz, hervorragende Begabung zeigen und dann plötzlich zum Stillstand kommen, nie über die Krisenzeit der Pubertät hinausgelangen, sondern sinken, welken, in den ersten Jahren der Zwanziger in Schlaffheit zugrunde gehen. Die Irrenärzte haben, soviel ich weiß, einen Namen für diese Art Zusammenbruch.«

»Ich glaube, ich kann Sie beruhigen. Nichts deutet in die Richtung, die Sie meinen.«

»Er kam völlig zerrüttet zu mir«, sagte Ulla und sah vor sich hin. Sie erlebte wiederum Ejgil Sanders' Kommen an jenem Abend, als er in Verzweiflung und Ekel aus dem Theater gestürzt war und sie in ihrem Heim aufgesucht hatte. Sie hatte ihn, so ganz unerwartet, in der Stube stehen sehen, hatte den wichtigen begonnenen Brief liegenlassen; es war ein Brief, der entscheidend für ihr zukünftiges Leben und das eines Mannes war. Er war oft begonnen, aber nie vollendet worden. Und auch an jenem Abend wurde er nicht abgeschickt.

Ihr war gleich klar gewesen, daß irgend etwas, das im Theater geschehen war, Ejgils Zusammenbruch verursacht hatte. Sie hatte ihm soviel Freundlichkeit erwiesen, wie sie konnte, hatte sogar seine Hände in die ihren genommen, ihn mit sich zum Sofa geführt und versucht, ihn zum Erzählen zu bringen. Etwas bekam sie denn auch zu wissen, aber meistens war er stumm, biß die Zähne zusammen, um nicht zu weinen. Sie hatte ihm behutsam übers Haar gestrichen, es war stark und seidenweich zugleich, wogte unter ihrer Hand, sie spürte das wilde Zittern seiner Nerven mit einer seltsamen, unbekannten Zärtlichkeit. In einem unvergeßlichen Nu hatte sie seinen Kopf in ihre Hände genommen, ihn heiß und eng an ihre Brust gepreßt, ihn in ihren Armen gefühlt, diesen bebenden Jüngling, dem sie so unendlich viel geben konnte. Sie zitterte, selbst berauscht von der Zärtlichkeit, die es hieß, diese Jugend, die verzweifelt Vergessen nach Glück suchte, hier dicht an ihrer Brust zu spüren. Und wie im Traume wiegte sie seinen Kopf ganz still, bis sie merkte, daß er jetzt ruhig wurde. Und auf einmal fühlte sie, halb aufgebracht, halb schamhaft und zuletzt in wehmütiger Freude, daß es nur ein Kind war, das sie hier in ihren Armen hielt, und dem sie behutsam übers Haar strich, bis es Frieden hatte und einschlief. –

Der Professor hatte still das wechselnde Licht in ihren Augen verfolgt.

»Ich glaube, Sie haben richtig gehandelt«, sagte er und nickte. Und Ulla verstand, daß er alles, was sie jetzt in Gedanken wieder durchlebt hatte, genau wußte: das zitternde Nu – das voll bewußte Verlangen, dann die Resignation und den wundervollen Frieden.

Sie lächelte. Sie fand keinen Grund, sich vor diesem guten, verstehenden Freunde zu verstecken.

»Ja«, sie begegnete seinen Augen frei. »Es ist, als hätte ich plötzlich einen großen, halberwachsenen Sohn bekommen!«

»Sie müssen ihn in Ihrem Hause behalten«, erklärte der Arzt. »Vom Theater muß er fort. Sie und ich können derartige Eindrücke vertragen, wir sind es gewöhnt, vom festen Boden auf schaukelnden Grund zu treten, ohne schwindlig zu werden. Ich gehe selbst häufig ins Theater. Das ist für mich keine Gaukelei, weil ich dort nicht die Werte zu finden erwarte, die ich im reellen Leben fordere. Ich genieße die Grimassen des Komikers und die Schminke der Primadonna mit gutem Appetit, wie ich ein feines Diner genieße – ich gucke nicht in die Küche, um zu sehen, ob die Köche reine Nägel haben. Es gilt, alles hier im Leben ins Gleichgewicht zu bringen und namentlich sich selbst nicht erschüttern zu lassen. Darum dürfen auch Sie, Ulla, Ihre Absicht nicht verunreinigen lassen, wenn Ihnen auch zweifellos ein Teil Ihres Kreises in dem Augenblick, wenn Sie diesen jungen Mann in Ihr Haus nehmen, das zutraut, was man für unreine Gedanken ansieht.«

Es kam wie ein Regenbogenspiel in Ullas Augen: »Meinen Sie, daß Sie sich nicht auf mich verlassen – oder daß ich mich selbst nicht auf mich verlassen kann?«

»Von letzterem weiß ich nichts. Ersteres hingegen: Ich verlasse mich auf Sie, Ulla, ich weiß, daß Sie die schönste Form für Liebe finden werden: Güte! Ich gebe ihn in Ihre Hände. Seien Sie sein Schutz während seiner Dämmerung.«

 

* * *


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