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Das römische Weltreich. – Ökonomische und soziale Verfassung. – Sittenbilder. – Die Römerin. – Sklaven und Sklavenbehandlung. – Römischer Prunk und Prasserei. – Die Prostitution. – Auf der via sacra. – Theater, Zirkus, Possenreisser, Tänzerinnen. – Fäulniszeichen. – Die Cäsaren: Julius, Octavianus, Tiberius, Caligula, die Messalina, Nero, Commodus, Heliogabal. – Soziale Verzweiflung. – Alte und neue Weltanschauung.
Von blutigen Söldnerfäusten war das römische Weltreich errichtet worden. Es widerfuhr ihm das Geschick, das in der Geschichte der Menschheit alle solche Schöpfungen erlitten haben. Jede einseitige, nicht durch Vertiefung der geistigen Kultur ausgeglichene Steigerung der äußeren Macht, brachte bei ihnen eine Steigerung der inneren Roheit und Brutalität, die schließlich zu moralischem Zusammenbruche führte und in Selbstzerstörung endete.
In diesem Zustande befand sich Rom, als sich von Palästina aus die Lehren Jesu von Nazareth durch das Weltreich verbreiteten. Das Christentum, damals eine Bewegung der Enterbten und Unterdrückten, trug einen glänzenden Sieg über die römische Staats- und Gesellschaftsordnung davon. Er erscheint erst dann verständlich und natürlich, wenn man die sozialen Zustände des verfallenden Römerreiches kennen lernt, wie sie die römischen Sittenschilderer mit ätzendem Griffel in die Tafeln der Weltgeschichte eingetragen haben.
In pesthauchende Fäulnis war die römische Gesellschaft versunken. »Die antike Gesellschaft, wie des Tacitus Lapidarstil sie geschildert, wie Juvenals satirischer Pinsel mit zornglühenden Farben sie gemalt hat, kannte und wollte in orgienhafter Trunkenheit nur noch den Wechsel von Wollust und Grausamkeit und wankte in bacchantischem Taumel einer Katastrophe entgegen, welche mit eiserner Faust die alte Welt in Trümmer schlug, um diese Trümmer zum Fundament einer neuen zu machen.«
Der innere Niedergang des römischen Reiches hatte bereits einen erschreckenden Grad erreicht und auch an der Grenze seiner äußeren Macht war es längst angelangt, als sich die Ideen des Christentums auszubreiten begannen. Die Scheußlichkeiten des Cäsarismus waren nur der Ausdruck dieses schrecklichen politischen und sozialen Verfalles. Das römische Weltreich war ein Gemenge von Staaten, um das Mittelmeer gruppiert und von Rom aus mit brutalem Egoismus geplündert. Die herrschende Klasse Roms unterjochte die Völker durch ihre bäuerlichen Milizheere. Der Reichtum der Unterjochten strömte in Rom zusammen; Rom wurde der Mittelpunkt einer rohen Kultur aber zugleich auch ein riesenhafter und stinkender Sumpf sozialer Verkommenheit. Rom glich einem stupiden Halbtier, welches mit den massenhaft und rasch heranströmenden Werten nichts besseres zu beginnen wußte, als sie zu verschlemmen und zu verprassen. »Hier, auf diesem Markte, wohin alle Länder die Produkte ihres Bodens und ihrer Industrie sandten, in diesem Bazar, wo alle Schätze des Erdballs zur Schau gestellt waren, in diesem Millionendurcheinander, welches aus den Gestalten, Farben, Trachten, Kulten und Lastern aller Völker zusammengesetzt war, in diesem Prachtwald von Tempeln und Palästen, Plätzen (Foren), Theatern und Bädern (Thermen), Säulenhallen (Portiken) Triumphbogen und Statuen, verbrachte das Römervolk, auf Kosten einer unterjochten und ausgesogenen Welt gemästet, sein Dasein wie ein unendlich tobendes Bacchanal, wie eine aus der Wollust in die Grausamkeit und aus dieser in jene hinüberspringende Riesenorgie, deren gigantische, mit ungeheuerlicher Verschwendung sowohl von Menschen- wie Tierleben, in Szene gesetzte Prunkakte die Spiele des tosenden Zirkus und der blutdampfenden Arena gewesen sind.« (Scherr.)
In den unaufhörlichen Kriegen war die Wirtschaft der Bauern verkommen. Die Bauern sanken ins Lumpenproletariat soweit sie nicht im Verbande der Miliz- und Söldnerheere über bluttriefende Schlachtfelder zogen. Denn eine Lohnarbeit, der sie sich hätten zuwenden können, bestand nicht. Während sie in den Gassen oder auf den öffentlichen Plätzen der Großstädte herumlungerten, wuchs der Großgrundbesitz rasch zu gewaltiger Ausdehnung heran. Die kleinen Höfe der Bauern wurden zu großen Güterkomplexen, Latifundien, zusammengelegt, in welchen durch enorm reiche Eigentümer Ackerbau oder Forstwirtschaft, Obst-, Wild- oder Geflügelzucht, Ziegeleien, Töpfereien und andere Gewerbe betrieben wurden.
Das Arbeitsmaterial dieses Großbetriebes waren die Sklaven, welche sich aus den Kriegsgefangenen unterjochter Länder rekrutierten oder durch die Sklavenhändler aus fremden Erdteilen herbeigeschleppt wurden.
Manche Kriege der Römer waren nur ins Große gehende Sklavenjagden. Je erfolgreicher der Krieg, je massenhafter der Sklavenauftrieb auf den römischen Märkten. Bald sank der Wert des Sklaven tief unter den des Tieres. Der Feldherr Lucullus bot Sklaven zum Preise von drei Mark, nach heutigem Gelde, feil. Tausende von Sklaven verwendete der reiche Römer auf seinen Gütern. Sie wurden in der grausamsten Weise gemißhandelt. Schlechter als das Tier gehalten, mußten sie dem »Herrn« Werte erzeugen, bis Totschlag oder Selbstmord ihrer Qual ein Ende machte. Erst die Erhebung der Völker, die verlustreichen Abwehrkriege, welche Rom unternehmen mußte, führten die Verringerung der Sklavenmasse herbei und man ging zu dem System der Verpachtung großer Güter in Form von tausenden kleiner Parzellen an die Kolonen – ehemalige Söldner oder Bauern – über. Die Massensklaverei wurde zur Luxussklaverei. (Kautsky.)
In der ökonomischen Grundlage der römischen Gesellschaft – der Sklavenwirtschaft – wurzelte der soziale Verfall. Rom zerfiel in zwei Klassen: eine versklavte, die alle gesellschaftlich notwendige Arbeit leistete, alle Werte hervorbrachte, und eine herrschende, welche die erzeugten Werte verbrauchte. Die herrschende Klasse verachtete die Arbeit; ihre Angehörigen konnten nur dem Genuß leben, da die Sklavenwirtschaft die Arbeit der Besitzenden überflüssig machte. Die heimgebrachte Beute der Söldnerheere vermehrte den Reichtum der römischen besitzenden Klasse ins Riesengroße. Hätte sie die unterjochte Klasse am Verbrauche dieses Reichtums beteiligt, so würde eine allgemeine Steigerung des Kulturzustandes der römischen Gesellschaft die Folge gewesen sein. Da sie den Überfluß allein aufbrauchen wollte, erstickte sie daran. Sie mußte ihn vergeuden, verprassen, verschlemmen, und wurde hierin um so tollköpfiger, je rascher der Reichtum sich häufte.
Hieraus ist es zu erklären, wenn die herrschende und besitzende Klasse Roms, während die Volksmasse im schlimmsten Elende dahin hungerte oder auf den Schlachtfeldern erschlagen wurde, in einem unbeschreiblichen sittlichen Verfalle verkam.
Die prunküberladenen Paläste der römischen Großen waren wie Bordelle, welche täglich die schamlosesten Ausschweifungen sahen. Dem ins Riesige gewachsenen Privateigentum mußte die Form der Ehe angepaßt werden. Die alte Familie war schließlich nur noch ein lockeres Band. Wie das Eigentum zusammenströmte und auseinander floß, so mußte sich auch die Ehe der großen Eigentümer leicht schließen und lösen lassen. »Diese Form der Ehe, sehr häufig nur ein bequemer Deckmantel flüchtig-konkubinarischer Launen, war zur Kaiserzeit gang und gäbe.« Sie trug mit dazu bei, den allgemeinen Verfall des sittlichen Lebens zu beschleunigen. Das römische Weib verlor die Würde seines Geschlechts bis auf den Rest. Die römischen Sittenschilderer werden nicht müde, mit tausend häßlichen Bildern zu illustrieren, wie der allgemeine gesellschaftliche Zusammenbruch auch die Frau in den Schlamm zog.
Die ehedem so stolze Römerin sah und hörte von frühester Jugend an nichts als Schamlosigkeiten. Die Ausbildung, die sie erhielt, betraf fast nur die Liebeshändel. Zum Weibe herangereift, wurde sie in dem sie umgebenden Schmutz zu einer Dirne, die überall gierig ihrer Sinnenlust Befriedigung suchte. »Liebet und laßt euch lieben, ihr Schönen!« ruft ein römischer Poet den Damen zu. »Keusch ist nur die, deren noch keiner begehrte; und wenn sie nicht zu linkisch wäre, würde sie sich wohl selbst antragen.« Der rohen Sinnlichkeit dieser Frauen wurde durch die Malerei, die Skulptur, die geilen Schaustellungen in den römischen Theatern Rechnung getragen und immer aufs neue Antrieb gegeben. Kein Laster war der römischen Dame fremd. Sonst war ihr Leben ein einziger gedankenloser Genuß. Wenn sie sich morgens vom schwülen Lager erhob, mußte ein Heer von Sklavinnen sie ankleiden, schminken und putzen. Schminken und Öle, Edelsteine, Gold und buntfarbene Gewänder mußten die körperlichen Spuren eines ausschweifenden Lebens verdecken. Weil die Römerin nur den gesellschaftlichen Freuden lebte, weil sie gefallen und umworben sein wollte, deshalb war ihre Toilette ein stundenlang währender komplizierter Vorgang. Deshalb blickte die römische Dame während der Toilette mit zitternder Erregung in den beständig vorgehaltenen Metallspiegel und wenn alle Künste der Sklavinnen nicht vermochten, die schlaffen verwüsteten Züge frisch und jung erscheinen zu lassen, trieb die Eifersucht über die schöneren Nebenbuhlerinnen, die Angst vor der Mißachtung des Liebhabers, die Römerin zu barbarischer Quälerei ihrer Sklavinnen. (Bild 3.)
Wehe der Sklavin, die bei der Toilette die Wut ihrer Herrin erregte. Ein zerpeitschter Rücken, ausgerauftes Haar und zerkratztes Gesicht, mit Nadeln blutig gestochene Arme, waren die Zeichen der Grausamkeit, mit der die Römerin gegenüber ihrer Sklavin verfuhr. Die Sklaven waren ja vor dem Gesetze völlig rechtlos! »Er (der Sklave) ist eine Sache, über welche dem Herrn allein die beliebige Verfügung zusteht; er kann ihm die gemeinsten und unsittlichsten Dienste zumuten, ihn martern und töten oder wenn er alt und krank wird, verkaufen und verstoßen d. h. dem Hungertode preisgeben.« Hier weckte das Bewußtsein schrankenloser Gewalt das Tier im Menschen. Und so wurden denn der Römer und die Römerin erfinderisch in raffiniert grausamer Bestrafung. Auf den Rücken der Sklaven sauste der Rohrstock, die Lederpeitsche oder die Knute aus Stacheldraht. (Bild 5.) Man fesselte den Sklaven auf grausame Weise und wenn der Schändliche, der sich »Herr« nannte, seinen Sklaven mit der Faust ins Gesicht schlug, zwang er ihn wohl, dabei die Backe aufzublasen, wie die Römerin bei der Toilette die Sklavinnen zwang, ihren Dienst mit entblößtem Oberkörper zu verrichten, um bei jedem Versehen Schläge und Nadelstiche empfangen zu können. Weinend vor Freude über die Beendigung ihrer Qual, lag die Sklavin auf den Knien, wenn endlich ihre Herrin, malerisch auf der Sänfte liegend, von den Trägern aus der Halle des prunkenden Palastes hinaus und durch die Straßen Roms getragen wurde.
Je mehr der Reichtum der besitzenden Klasse Roms wuchs, je mehr suchte sie ihn protzig zur Schau zu stellen in blitzendem Schmuck, in rauschenden Seidengewändern, in kostbaren Sänften, Wagen, Reittieren. Die Paläste der Reichen in den Straßen Roms, die Landhäuser draußen, inmitten einer lachenden Natur, dehnten sich in ihrer marmornen Pracht, mit Gold, Farben und Gemälden überladen, immer riesenhafter aus. Mit ihren ragenden Säulengängen, ihren Festhallen, ihren Bädern, ihren Prunkgemächern, ihren Lustgärten, ihren Zwingern für wilde Tiere, ihren Teichen, ihren Wäldern, hatten sie oft die Ausdehnung von Städten und der Jubel und Trubel, in dem die vornehmen Müßiggänger Roms ihr Dasein verbrachten, verlieh ihnen städtisches Leben. Der reiche Römer wollte lustige Gesellschaft um sich sehen, die ihm über die Langeweile des Nichtstuns hinweghalf. So nahmen denn seine Gastereien einen immer tolleren Charakter an. (Bild 8.) Selbst an gewöhnlicher Tafel floß der Wein in Strömen und der Wirt überbot sich gegenüber den Gästen in der Größe und der Anzahl der Gerichte. Pasteten mit Füllsel aus dem Gehirn von etlichen hundert Straußen, Muränen, die mit Menschenfleisch großgefüttert worden waren, Frikassee aus Nachtigallenzungen oder von lauter seltenen, kostbaren zum Singen abgerichteten Vögeln, Obst von Bäumen, die mit Wein begossen worden waren – eine Verschwendung, die durch ihren Wahnsinn in Erstaunen setzen wollte. Ein Gericht mußte Tausende kosten, sollte es der Gäste Beifall wecken und Lukullus löste eine Perle, die ein Vermögen kostete, in Essig auf, um sie vor den staunenden Gästen zu trinken. Hatten die Schlemmer sich den Magen gefüllt, noch ehe die Tafel beendet war, so mußte oft ein Sklave ihnen eine Feder in den Hals stecken, daß sie das Genossene erbrachen und neuer Tafelfreuden fähig wurden. (Bild 7.) Waren endlich die Gäste gesättigt, so ließ wohl der trunkene Wirt zu, daß die Sklaven sich an den Tisch setzten. Er ergötzte sich mit seinen Gästen, wenn sie sich mit wüstem Toben um die Reste balgten und schlugen.
Oft endigte das Gelage in wilder Ausschweifung. Dem übersättigten Genußmenschen der römischen Kaiserzeit hatte das Weib keine Reize mehr zu bieten und so war es kein Wunder, daß die Knabenliebe ein unter den Römern weit verbreitetes Laster wurde.
Zumal Rom, die Hauptstadt des Reiches, war der Tummelplatz einer ungeheuren Ausschweifung. Die Zahl der Prostituierten vom vornehmsten bis zum niedersten Schlage war riesengroß und ebenso die Lokalitäten, die der Prostitution als Heim dienten. In den Lupanaren, den bald feinen, bald unsäglich schmutzigen öffentlichen Dirnenhäusern, in den Bädern, in den Gewölben beim großen Zirkus, überall stand das bezahlte Laster breit und schamlos da. Ein Heer von Polizisten, die Aedilen, mühte sich mit der Überwachung der vieltausendköpfigen Dirnenmenge, wachte über Eröffnung und Schluß der Lupanare, über die wüsten Orgien in ihnen und konnte doch nicht hindern, daß wie ein fressender Krebsschaden das Laster die römische Gesellschaft verwüstete.
Neben den Dirnen in den öffentlichen Häusern wimmelte Rom von zahllosen eleganten und vornehmen Prostituierten. »Man mußte abends auf die via sacra, den heiligen Weg gehen, wo Luxus, Sittenlosigkeit und Protzerei sich täglich das Stelldichein gaben, um zu sehen, wie zahlreich und glänzend die Heerschaar dieser Prostitution höheren Ranges war, die in Rom wie in einer eroberten Stadt schaltete und waltete. Dorthin kamen sie jeden Tag, um zu kokettieren und durch ihre ungezwungene Haltung Aufsehen zu machen, mitten unter den Damen, die sie durch ihre Reize und durch ihren Putz ausstachen. Bald ließen sie sich von starken abessynischen Sklaven in offenen Sänften tragen, in denen sie halbnackt, faul hingestreckt lagen, einen polierten Silberspiegel in der Hand, die Arme von Spangen überladen, die Finger voller Ringe, das Haupt geneigt unter der Last der Ohrgehänge, der Bänder und der goldenen Haarpfeile; ihnen zur Seite hübsche Sklaven, die ihnen mit Fächern aus Pfauenfedern frische Luft zuwedelten, und vor und hinter der Sänfte Eunuchen und Knaben, Flötenspieler und wunderliche Zwerge als Leibgarde+… Die weniger Reichen, Ehrgeizigen und Auffälligen gingen zu Fuß, aber alle elegant in bunte Wollen- oder Seidenstoffe gekleidet, das Haar kunstvoll geflochten+… Diese gefälligen Damen trieben sich scharenweise auf der via sacra umher und entfernten sich nicht einmal weit, wenn sie einem Spaziergänger, der ihnen ein Zeichen gemacht hatte, folgen wollten.« (Dufour.) Properz sagt in seinen Elegien: »Ach, wie liebe ich diese Emanzipierte, die mit halb offenem Gewande einherschreitet, ohne Scheu vor neugierigen Blicken, die unschlüssig mit ihren staubigen Schuhen auf dem Pflaster der via sacra umherspaziert und nicht zimperlich allerhand Umstände macht, wenn jemand ihr winkt!«
Wenn die vornehmen Bürgerfrauen auf der via sacra erschienen, so unterschieden sie sich fast nicht von diesem eleganten Dirnentum. »Die vornehmen und die plebejischen Frauen«, ruft Juvenal in seiner furchtbaren Satire gegen die römischen Weiber, »sind alle gleich verdorben. Die sich im Schmutz der Straße wälzt, ist nicht schlechter als die vornehme Dame, die sich auf den Schultern ihrer hochgewachsenen syrischen Sklaven tragen läßt+… Es gibt Frauen darunter, die nur an Eunuchen und deren weichen Liebkosungen Wohlbehagen empfinden und an deren bartlosem Kinn; denn so entgehen sie den Gefahren der Mutterschaft.« Und Petronius, ein anderer Sittenschilderer des neronischen Roms, sagt von diesen vornehmen Frauen: »Es gibt Frauen, die sich ihre Liebhaber aus dem Schmutz heraussuchen, und deren Sinne sich nur beim Anblick eines Sklaven regen, eines Läufers mit kurzem Rocke. Andere entbrennen wieder für einen Gladiatoren, für einen bestaubten schmutzigen Maultiertreiber oder für einen Schauspieler, der seine Reize auf offener Bühne zeigt.« So stieg das stolz in Seide einherrauschende Laster, wenn es seiner sinnlichen Gier Befriedigung suchte, in den Schmutz der Gosse hinab.
Alles, was im Rom der Kaiserzeit das Auge sah, von den Schauspielern auf der Bühne des Theaters, den Tänzerinnen (Bild 2), den Gladiatoren und den Tierhetzen im Zirkus, war nur »ein endloses Wechselspiel zwischen Wollust und Grausamkeit«. Die Wollust gebar die Grausamkeit. Der entnervte Genußmensch bedurfte immer schärferer Reizmittel und grausige Kämpfe mußten dazu dienen, das erloschene Auge gierig auffunkeln zu lassen. Denn immer in der Geschichte ist in Zeiten großer gesellschaftlicher Ausschweifungen auch die Grausamkeit aufgetreten; zwischen Grausamkeit und Wollust taumelten die greisenhaften Gesellschaftsformen dem Abgrunde zu.
Schon bei den Gastmählern spielten die Possenreißer und Tänzerinnen ihre Rollen. Wenn der trunkene Römer der Schwelgerei und des Anblicks sinnenreizender Wandgemälde müde war, dann kamen die Possenreißer herein, um ihre Zoten zu machen, oder die ägyptischen und orientalischen Tänzerinnen, die nackt oder in goldgewirkten Schleiern wollüstige Tänze aufführten. Wenn die römische Gesellschaft das Theater füllte, sah sie die Schauspieler wüste und geile Pantomimen aufführen, in denen schamlose Szenen sich ablösten. Wenn sie den Riesenring des Zirkus füllte, sah sie unten im blutigen Sande, auf den die heiße südliche Sonne herniederbrannte, die nackten Gladiatoren sich kunstvoll die Schwerter in den Leib jagen. Ihr tausendstimmiges Geschrei: »Töte! Töte!«, das Zeichen des abwärts gekehrten Daumens, verwirkte das Leben des Fechters, der gegen die Regel des Kampfes verstoßen hatte. Sie sah die nervenerregenden Tierhetzen und die Wagenrennen, wobei durch die Staubwolken der Arena, die zu Tode geschleiften Rosselenker hinter sich zurücklassend, ein Sieger unter tosendem Jubel auf seinem Karren durch das Ziel jagte. Sinnlos vom grausamen Spiel ergoß sich in den Pausen die Männerwelt in die Lupanare, die im Zirkus selbst errichtet waren, um sich den Umarmungen der zahllosen Dirnen zu ergeben. Salvianus beschreibt diese großen Orgien: »Der Minerva baut man einen Altar in den Gymnasien, der Venus in den Theatern+… Jede Art von Schamlosigkeit wird in den Theatern getrieben; jede Art von Lastern im Zirkus.«
Der Schmutz, in dem sich die römische Gesellschaft wälzte, war für die öffentliche Gesundheit von geradezu verheerenden Folgen. Dieses Geschlecht ging an dem Gräßlichen seiner Lasterhaftigkeit nicht nur geistig, sondern auch körperlich zu Grunde. Die enorme Ausbreitung der widernatürlichen Laster in Rom entsprang nur dem Umstande, daß die Frauenwelt, behaftet mit geheimen Krankheiten, auf die Männer, die mit ihr in Berührung kamen, wie die Pest wirkte. Um das Jahr 105 unserer Zeitrechnung war ganz Italien verseucht von der sogenannten Elephantiasis; die Lepra, der Aussatz war in Rom zum erblichen Leiden geworden, nahm die verschiedensten Formen an und verwüstete die Kräfte des Volkes. Die römischen Dichter und Schriftsteller ließen nicht nach, die fremden Gäste Roms anzugreifen und sie zu beschuldigen, daß sie es gewesen seien, die mit ihren Lastern und ihren nationalen Ausschweifungen Rom überflutet hätten. Die Zahl der Ärzte, welche die geheimen Krankheiten vergeblich zu heilen suchten, war so groß wie die der Priesterinnen der Venus. Neben ihnen mühte sich ein Heer alter Vetteln, als Parfumeusen und Magierinnen, gegen dieselben Krankheiten zu helfen. Wenn der Tag graute, fand man auf den Straßen, auf den Schwellen der Häuser, unter den Säulengängen und in den Backöfen die Leichen Neugeborener, deren man sich so, ein einfaches und ruchloses Verfahren, entledigte. Es war das krasseste Zeichen des unaufhaltsamen Zusammenbruchs der römischen Gesellschaft, daß das heiligste aller Gefühle, die Mutterliebe, dergestalt verschwunden war.
Aus diesem stinkenden Fäulnisboden schoß die schreckliche Korruption der römischen Höfe empor und die Cäsaren selbst gaben dem Volke immer wieder das verderbliche Beispiel der Ausschweifungen. Schon Julius Cäsar (31 v. u. Z. bis 14 u. Z.), der als »Vorbild aller Tugenden« gilt, schleifte über seine Bahn das Laster. Groß war die Zahl der vornehmen Frauen, die er verführte, unter ihnen auch Servilia, die Mutter des Brutus, seines späteren Mörders, die so schamlos war, ihm ihre eigene Tochter zu verkaufen. In den Provinzen, die Cäsar mit seinen Heeren durchzog, raubte er den Gatten die Gattinnen, wenn sie seine Augen auf sich zogen und nach der Eroberung Galliens sangen seine eigenen Soldaten: »Bürger, wahret Eure Gattinnen, denn wir kommen herbei mit dem hohlköpfigen Lebemann!« Mit besonderer Leidenschaft liebte er die wollüstige ägyptische Königin Cleopatra und seine Liebesaffären waren so zahlreich, daß ihn schließlich der Spott Curios, des Vaters, als »den Gatten aller Frauen und die Frau aller Gatten« bezeichnete. Doch auch sein Nachfolger, Octavianus, stand ihm nicht nach. Zwar erließ er strenge Gesetze gegen den Ehebruch, aber er selbst fand es angemessener, sich nicht nach ihnen zu richten. Bei seinen festlichen Gelagen zog er, in tyrannischer Leidenschaft, die Frauen seiner Gäste in die Nebenräume und mißbrauchte sie, ohne daß deren Gatten ein Wort des Widerspruchs wagten. Mit seiner eigenen Tochter Julia unterhielt er blutschänderischen Umgang. Tiberius (14-37 u. Z.) übertrumpfte ihn noch. Sueton entwirft ein schreckliches Bild seiner Lüstlingsgewohnheiten. Unter anderm schildert er: »Er erfand ein großes Zimmer, das er zum Schauplatz seiner geheimsten Ausschweifungen machte. Eine Schar von jungen Mädchen und jungen Burschen bildeten eine dreifache Kette und mußten abwechselnd an ihm vorbeimarschieren, um seine erloschenen Sinne zu beleben.« Fast schien es unmöglich, dieser Cäsaren Schandleben zu überbieten, aber Caligula (37-41 u. Z.) brachte es dennoch fertig. Er machte den Schauspieler Mnester und den Marcus Lepidus zu seinen Geliebten. Er trieb Blutschande mit seiner Schwester, und wenn schon Julius Cäsar die Sitte eingeführt hatte, schöne Römerinnen mit ihren Gatten zu Tisch zu laden und die Frauen dann zu mißbrauchen, so erklomm Caligula den Gipfel der Schamlosigkeit, indem er, wie Sueton berichtet, hierauf in Gegenwart ihrer Gatten laut die jeweiligen Vorzüge oder Mängel der Frauen pries. Um seine Geldgier zu befriedigen, besteuerte er die römische Prostitution, und in seinem Palaste schuf er ein eigenes Lupanar, welches jeder besuchen durfte, der die hohen Eintrittspreise erlegen konnte.
Wenn die Geschichte von den geschlechtlichen Ausschweifungen des Kaisers Claudius (41-54 u. Z.) weniger spricht, so nur deshalb, weil er in diesen von seiner dritten Gemahlin Messalina noch übertroffen wurde. Dieses Scheusal stieg in die niedrigsten Bordelle hinab, um ihren Lüsten zu fröhnen und Juvenal hat diese Dirne auf dem Thron also gezeichnet:
Wenn schlafend den Eh'mann merkte die Gattin,
Wagte sie statt palatinischen Lagers die Matte zu wählen,
Und als Kaiserin Metz' in die Nachtkapuze gehüllet,
Eilte sie weg, zum Geleit ein einziges Mädchen sich nehmend,
Und mit der blonden Perrücke die schwärzlichen Locken bedeckend,
Trat sie hinein ins verrufene Haus voll dunstiger Fetzen,
Hin in die ledige Zell', in die eigene; stellte sich nackend
Auf mit vergoldeten Brüsten, Hyciscas Namen erborgend+…
Kosend empfing sie die Kommenden hier und forderte Zahlung+…
Drauf, wenn endlich der Wirt nach Hause gesendet die Mädchen,
Schlich sie sich trauernd davon, doch, wenn nur möglich, die letzte
Schloß sie die Zelle, noch heiß von der Brunst der genossenen Liebe,
Und zog müde von Männern, doch nimmer gesättigt nach Hause,
Häßlich die Wangen geschwärzt und entstellt vom Schwalle der Lampe,
Trug sie zum eigenen Pfühl die Gerüche des sauberen Gemaches!
Der Messalina Ausschweifungen scheinen Nero (54-68 u. Z.) als Vorbild gedient zu haben. Auch diesem Halbtier genügten die wollüstigen Zerstreuungen des Kaiserpalastes nicht. Wenn die Dämmerung hereinbrach, zog er die Lumpen eines Maultiertreibers an und raste durch die Gassen, durch die Spelunken, durch die Lupanare. Auf dem Marsfelde und im großen Zirkus tafelte er und sah dabei alle Prostituierten Roms um sich. Auf seiner Lustyacht veranstaltete er Orgien, die selbst dem schamlosen Rom Empörungsschreie entrissen. Er feierte öffentlich Hochzeit mit seinem Lustknaben Sporus, den er zuvor zum Eunuchen hatte verstümmeln lassen. Er steckte ihn in die Kleider der Kaiserin und zeigte ihn öffentlich an seinem Arme als seine Frau. Er versuchte es, seine Mutter Agrippina zu blutschänderischem Umgang zu gebrauchen und ließ sie ermorden, als sie seiner Tierheit Schranken setzen wollte. Er tauchte in die Bestialität, indem er mit Tierfellen bekleidet, als Wolf, als Löwe, als Stier, zuvor angekettete Frauen anfiel, um sie zu zerkratzen, zu zerbeißen, zu verstümmeln. Und so die ganze Reihe der römischen Cäsaren, bis auf Commodus (180-192 u. Z.) und Heliogabal (218-222 u. Z.), welch' letzteren die empörten Soldaten, nachdem er von Schauspielern in den Latrinen Roms ermordet worden war, als Leiche durch die Gassen Roms schleiften.
Dergestalt muß man sich das Gesamtbild dieser die römische Gesellschaft aus ihren Niederungen bis in ihre Gipfel zerfressenden Fäulnis vor Augen halten, um zu verstehen, daß Tausende sich aus ihr hinauswünschten. In erster Reihe ersehnte Solches der denkende Teil des römischen Proletariats, welches unter dem Drucke dieser Gesellschaftsordnung litt. Weiter aber auch die Besseren und Reinen aus dem römischen Bürgertum. Ekel und Abscheu über all' die Fäulnis bewirkte, daß sie jeden Lebensgenuß flohen und sich freiwillige Entbehrungen und Qualen auferlegten. Die Verkommenheit des weiblichen Geschlechts hieß diese Männer das Weib verachten, die Gemeinschaft mit ihr zu meiden. Während die römischen Paläste widerhallten vom Jubel des Lebensgenusses, der nicht nach dem Morgen fragt, zog durch die Tiefen der Gesellschaft der Wehruf einer dumpfen Verzweiflung, die keinen Glauben und keine Hoffnung mehr hatte. Denn in diesem unbeschreiblichen sozialen Niedergang hatte die antike Weltanschauung ihre Kraft verloren. Ihr schönes Antlitz versank in einem Meere von Unflat. »Die alte Religion, deren ethische Kraft ohnehin immer beschränkter Natur gewesen war, konnte als mäßigendes Element kaum noch in Betracht kommen, zumal der Rest wirklichen Glaubens an die Götterwelt des römischen und des griechischen Olymps und an die Institutionen derselben, wie die Orakel, gerade damals mehr als früher und später erschüttert war+… Was konnte es nützen, wenn in einer Zeit, wo die gebildete Welt in dem bestehenden Kultus nur noch ein politisches Institut sah, Augustus mit allem Eifer sich bemühte, die äußere Seite der römischen Religion zu pflegen, neue Tempel baute, alte und verfallene restaurierte, verfallene Gebräuche wieder herstellte, den Glanz und die Vollständigkeit geistlicher Kollegien überall wieder erneuerte?« (Scherr.) Während die Massen der Barbarenvölker sich waffenklirrend gegen Rom vorschoben, und der römische Staat unter schrecklichen Zuckungen erzitterte, schwand mit seiner ökonomischen Grundlage: der Sklavenarbeit, auch seine geistige Grundlage: die antike Weltanschauung dahin. Es hatte die Stunde einer neuen Weltanschauung geschlagen, die mit ihrem geistigen Siege auch zu einer großen sozialen und politischen Macht inmitten dieses allgemeinen Verfalles werden mußte.
Welches diese neue Weltanschauung war, vermochte die herrschende Klasse Roms nicht zu erkennen. Aber die sozialen Zustände des Reiches wiesen derselben bereits die Bahn. Die grenzenlose Verachtung der Arbeit durch die herrschende Klasse, ihr Nichtstun, ihr Wohlleben, ihre Schlemmerei, ihre gräuliche sittliche Verkommenheit, das bis zum Größenwahnsinn gewachsene Persönlichkeitsbewußtsein mit seiner Verachtung des Gemeinwohls, seiner Zertretung der Interessen der Gesamtheit, dazu die schreckliche Massenarmut der breiten Volksschichten, Hunger, Elend, Wut und Verzweiflung des Proletariats, das alles wies der neuen Weltanschauung ihren Weg. Nur eine solche konnte sieghaft sein, die die wahnsinnigen Auswüchse des Persönlichkeitsbewußtseins bekämpfte durch die Betonung des Rechtes der Gesamtheit, die den auf der Massenarmut aufgebauten Reichtum ersetzen wollte durch das Gemeineigentum, die die Verschwendung als Sünde und die freiwillige Armut als Tugend pries, die an Stelle der schamlosen Ausschweifung die Askese setzte.
Und dies alles prägte sich aus in den urchristlich-kommunistischen Ideen, die gerade zu dieser Zeit von zahllosen begeisterten Agitatoren durch die zusammenbrechende Welt des Römertums getragen wurden.