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»Knecht der Knechte«. – Aufstieg zur Macht. – Papstchronologie. – Der Pseudo-Isidor. – Ein paar Musterpäpste. – Fäulniszeichen. – Stephans VI. Totengericht. – Das römische »Damen«regiment. – Avignon. – Päpstlicher Finanzschwindel. – Johann XXII. Absolutionstarif. – Weitere Päpste. – Johann XXIII. – Paul II. – Der Nero unter den Päpsten und die Familie Borgia. – Leo X., der große Ablaßkrämer. – Der Nepotismus. – Julius III. und sein Affenwärter. – Die Nachfolger. – Anna Oston, die englische Papstmaitresse. – »Päpstin« Olympia. – Die Legende der Päpstin Johanna und des päpstlichen Untersuchungsstuhls. – Die Wirkung der Papstwirtschaft auf den hohen Klerus: Kardinäle, Bischöfe, Äbte. – Die Simonie. – Das Prunk- und Genußleben des hohen Klerus.
Servus servorum, Knecht der Knechte, nannten sich in asketischer Demut die ersten Päpste. Aber fast zu keiner Zeit war ihnen diese Bezeichnung etwas anderes als ein heuchlerischer Fetzen, mit dem sie ihre Pläne der Habsucht und Herrschsucht deckten. So lange die weltliche Macht stark genug war, ihnen den Fuß auf den Nacken zu setzen, krochen sie vor ihr als Knechte der Knechte. »Wer bin ich, der ich zu meinem Herrn rede, als Staub und Wurm«, schrieb Gregor I. (590-604) an Kaiser Mauritius und nannte sich dessen »unwürdigen Diener«. Aber als die Macht der sich immer größer entwickelnden kirchlichen Organisation groß genug geworden war, um in den Wirren der Zeit, der zersplitterten oder ohnmächtigen weltlichen Macht als eine zentrale Gewalt entgegengesetzt werden zu können, da wandelten sich die Knechte der Knechte in Herren der Herren und in hochmütige brutale Tyrannen. Mit förmlich wollüstiger Befriedigung schrieb Gregor VII. (1073-1085) über die Demütigung König Heinrichs IV. in Kanossa: »Drei Tage lang stand er vor dem Schloßtore, alles königlichen Schmucks entkleidet, elendiglich, ja barfuß und in wollenem Gewande, und flehte in einemfort, unter Vergießung vieler Tränen, daß das apostolische Erbarmen ihm Trost und Hilfe verleihen möge, bis daß er alle, so desselbigen Zeuge waren oder Kunde davon erhielten, zu solcher Weichmütigkeit und solchem Mitleid rührte, daß sie sich dringend und unter Tränen für ihn verwandten und alle über die Hartherzigkeit unseres Gemüts sich verwunderten, manche sogar laut äußerten: wir beurkunden nicht des apostolischen Stuhls Würde, sondern eher wahrhaft tyrannische Grausamkeit.«
Die Geschichte des Papsttums zeigt von den ersten Jahrhunderten seiner Existenz bis zur sogenannten Reformation ein fortwährendes Auf und Ab in der Gestaltung seiner Macht. Bald sieht man den Papst prunkend auf der Höhe eroberter Gewalt stehen, bald liegt er völlig am Boden, wehrlos vor brutaleren weltlichen Machthabern, oder aber es scheint, als solle die Papstwürde verfaulen in dem stinkenden Schmutz des Lotterlebens päpstlicher Höfe. Immer aber hebt es sich wieder empor und verfolgt und erreicht mit zäher Konsequenz das Ziel: allen kirchlichen Besitz, alle kirchliche Autorität aus den Händen der Fürsten zu lösen und der Alleingewalt des Papstes unterzuordnen. Damit macht es die Kirche, bis auf den letzten ihrer Diener, zu einer politischen und wirtschaftlichen Organisation, welche die lokale fürstliche Macht ausschaltet und sich die Völker unterwirft, indem sie sie zugleich ausbeutet. In diesem Kampfe hätte die Papstmacht zu Grunde gehen müssen, wenn nicht die weltliche Macht, die sich waffenklirrend den Päpsten entgegenstellte, genau so habgierig, so selbstsüchtig, so sittenlos gewesen wäre, wie die Papstmacht. Auch für sie gab es keine nationalen, sondern nur persönliche Interessen; sie wollte nur in der Ausbeutung der Völker ohne päpstliche Konkurrenz sein. Hier wie dort trug das Volk die Kosten.
Schon in seinen Repräsentanten selbst zeigt sich die wechselvolle Geschichte des Papsttums. Bald sehen wir an seiner Spitze einen genialen Kopf, der, seiner Zeit ins Herz schauend, mit eiserner Konsequenz seinem Ziele zuschreitet, oder wir sehen einen blutbespritzten Eroberer, der kalt-grausam über Leichen und Schlachtfelder der Macht zustrebt. Bald wieder sehen wir auf dem Papststuhl zuchtlose Menschen, beladen mit allen Lastern und Gebrechen ihrer Zeit. Wie die Zeit war, so war auch der Papst.
Bis zum Ende des dreißigjährigen Krieges hat es 245 Päpste gegeben, darunter 24 Gegenpäpste und – nach der lange für historische Wahrheit gehaltenen Fabel – eine »Päpstin«. 19 Päpste haben Rom verlassen, 35 regierten im Auslande. 8 Päpste regierten nicht länger als 1 Monat, 40 1 Jahr, 22 bis zu 2 Jahren, 54 bis zu 5, 57 bis zu 10, 51 bis zu 15, 18 bis zu 20 Jahren und nur 10 Päpste regierten länger als 20 Jahre. Von den 245 Päpsten wurden 31 für Usurpatoren und Ketzer erklärt, während unter den legitimen Päpsten 64 eines gewaltsamen Todes starben. 18 Päpste wurden vergiftet, 4 erdrosselt, 13 andere starben auf verschiedene Weise: Stephan VI. wurde erdrosselt, Johann XVI. verstümmelt, Johann X. erstickt, Benedikt VI. starb mit der Schlinge am Halse. Von Johann XIV. wird erzählt, er sei Hungers gestorben. Gregor VIII. wurde in einen eisernen Käfig gesperrt, Cölestin V. starb durch das Einschlagen von Nägeln in seine Schläfen usw.
Die Päpste von Avignon nicht gerechnet, wurden 26 Päpste abgesetzt, vertrieben, verbannt. 28 Päpste konnten sich nur erhalten, indem sie fremde Intervention herbeiriefen. Die Mehrzahl dieser Päpste hatten, trotz ihres Gelübdes Kinder, wie man dies namentlich von Pius II., Sixtus IV., Innocenz VIII., Alexander VI., Paul III. weiß.
Nahezu unmöglich ist es, die historisch feststehenden verliebten Abenteuer der Päpste aufzuzählen, die Rolle zu präzisieren, welche die Frau im Papsttum und am päpstlichen Hofe gespielt hat. Die Geschichte der päpstlichen Höfe weiß von grausamen Ermordungen, schrecklichen Familientragödien und grauenhaften Ausschweifungen aller Art zu erzählen. Mit vollem Rechte kann man von den Päpsten dieser Periode sagen: nichts Menschliches blieb ihnen fremd.
In dem Auf und Ab der päpstlichen Macht kommt der Kampf und das Vordringen der Staaten in der Weltherrschaft zum Ausdruck. Bei der Besetzung des Papststuhls machten diese Staaten ihren Einfluß geltend und schoben ihre Männer vor. So lange Italien durch die römische Überlieferung, durch die Bedeutung seines Handels und seiner Produktion das Herz der Welt war, waren auch die Päpste Italiener. Als dann die Entdeckung Amerikas Spanien an die erste Stelle schob, kam auch die päpstliche Gewalt in spanische Hände, und die Familie Borgia machte den Papstpalast zum Mittelpunkt ihres Wüstlings- und Schreckensregiments. Das Vordringen Frankreichs wiederum brachte das Papsttum unter französische Gewalt. Clemens V. (1305-1314) war ein Franzose, er wurde durch französische Unterstützung zum Papst erhoben und konnte die alte Papstsprache, jene Sprache eines Herrn der Welt, nur noch gegen andere Mächte, nicht gegen Frankreich anwenden. Um jedem päpstlichen Selbständigkeitsgelüst ein Ende zu machen, zwang König Philipp IV. Papst Clemens Rom zu verlassen und im südlichen Frankreich seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Nach längerem Umherziehen ließ sich der Papst in Avignon nieder (1308). Dort blieben die Päpste zwei Menschenalter hindurch in »französischer Gefangenschaft«. Das ökonomische Erstarken Deutschlands brach alsdann wieder die auf Frankreich gestützte Papstmacht und schuf den Boden für die Reformation und die im Zusammenhang mit ihr sich vollziehenden Kämpfe. Gerade daraus, daß hinter den jeweiligen Päpsten die wechselnde Weltmacht der Staaten stand, erklärt es sich, daß blutbespritzte Kriegsleute, nachdem sie für die Weltmachtinteressen ihrer Staaten mit dem Schwerte gekämpft hatten, plötzlich den Waffenrock mit dem Priesterrock vertauschen konnten und dann in scheinbar unbegreiflich rascher Karriere auf den »Stuhl Petri« gelangten. –
In dem Untergang der römischen Gesellschaft war auch die alte politische Zentralgewalt, welche die Cäsaren in ihren Händen vereinigt hatten, begraben worden. Als nun die mittelalterliche Kirche das Erbe des antiken Rom übernahm, eine in alle Länder eindringende ökonomische und politische Macht wurde, war es nur natürlich, daß die Päpste auch danach strebten, die Zentralgewalt der Cäsaren in die Hände zu bekommen und über den Territorialherren der christlichen Länder zu stehen. Der Papst machte sich zum Haupt der Kirche und, da die Kirche die größte ökonomisch-politische Organisation war, wurde er damit zugleich das Haupt der Welt. Das Mittel, dieses Ziel zu erreichen, war die Loslösung der kirchlichen Organisation von allem Einspruch des territorialen Herrentums, die Vereinigung aller kirchlichen Organisationsfäden in Rom.
Erst unsicher tastend, dann mit immer größerer Konsequenz ward dieses Ziel erstrebt. Im 8. Jahrhundert war die Idee einer päpstlichen Monarchie erwacht und hatte sich im 9. Jahrhundert zum Bewußtsein erhoben. Alle, die von der päpstlichen Vorherrschaft Vorteile erwarteten, waren unablässig am Werke, inmitten der nationalen Zerrissenheit und der Schwäche der Fürstenmacht den Begriff der päpstlichen Monarchie weiter auszubilden und in der Praxis durchzuführen. Als das Papsttum erst genug erstarkt war, um seinen Anspruch mit Erfolg geltend zu machen, da stellte sich auch alsbald die notwendige rechtliche und historische Begründung ein. Der unglaubliche geistige Tiefstand des Abendlandes machte es möglich, daß die vielumstrittenen pseudo-isidorischen Dekretalen dem mittelalterlichen Papsttum bereits als Begründung genügten.
Der gelehrte Mönch Dionysius, 530 zum Abt eines römischen Klosters erwählt und 556 gestorben, derselbe, von dem die sogenannte Dionysische Zeitrechnung, d. h. die Zeitrechnung von Christi Geburt an, herrührt, nahm auf Veranlassung Bonifaz II. eine umfassende Sammlung all der Kanones, Dekrete und Verordnungen vor, welche von den ersten Christengemeinden, Synoden und Konzilien gegeben worden waren, um die kirchlichen Angelegenheiten zu regeln. Sie waren der Anfang einer Kirchengesetzgebung. In diese Sammlung fanden auch Aufnahme die sogenannten Canones apostolicae sowie die Constitutiones apostolicae. Es waren dieses Kirchenregeln und Vorschriften, von denen behauptet wurde, sie rührten von den Aposteln her. Was tats, daß die braven Apostel in diesen ihren Originalniederschriften bereits Dinge erwähnten, die erst 500 Jahre nach ihrem Tode geschahen! Die biederen Kirchenhistoriker wußten den Gläubigen die Sache schon plausibel zu machen. Eine weitere Sammlung von Kanones, die auf die spanische Kirche Bezug hatten, veranstaltete im 7. Jahrhundert der Bischof Isidorus von Sevilla. Sie wurde weit über Spaniens Grenzen bekannt. Isidorus war 636 gestorben. Fast 200 Jahre nach seinem Tode, um die Mitte des 9. Jahrhunderts, ließen die Päpste eine weitere Sammlung von Kanones und Dekreten verbreiten, die den Namen des Bischofs Isidorus trug. Aber diese Dekretale waren gefälscht. Sie wurden unter dem Namen des » Pseudo-Isidor«, des falschen Isidor, auch Isidor merkator oder peccator, d. h. der betrügerische Händler und Sünder Isidor, bald berüchtigt. Ein französischer Mönch soll die Fälschung zur höheren Ehre des Papsttums vorgenommen haben. Gleichviel, wer auch der Fälscher gewesen sein mag, die Päpste beeilten sich, den Kodex, welchen bereits Nikolaus I. (858-67) ausdrücklich für echt und gültig erklärt hatte, zu benutzen und sich auf ihn zu berufen. Denn diese falsche Dekretalen bezweckten nichts anderes, als den Papst zum unumschränkten Kirchenmonarchen zu machen, ihm, unter Vernichtung aller bisherigen lokalen Kirchengewalt der Metropoliten und Synodalen, die Bischöfe unmittelbar zu unterwerfen, die Kirche von allem weltlichen Herrentum gänzlich unabhängig zu machen und allen Einfluß der staatlichen Macht auf kirchliche Angelegenheiten und Verhältnisse zu zerstören. Es wurde in diesem Kodex der Satz aufgestellt: » Rex ego (Papa) sum Regum, lex est mea maxima legum«, d. h.: Ich, der Papst, bin der König der Könige, und mein Gesetz und Gebot steht höher, als alle andern Gesetze und Gebote. Der Papst wurde der Stellvertreter Christi; in seinem Namen regierte er als unumschränkter Herrscher die Kirche und die Welt.
Die pseudo-isidorischen Dekretalen in der Hand, begann das Papsttum seinen Kampf um die Macht und nahm was jeweilig die Zeit bot. Nikolaus I. (858-867) vertrat zuerst die Ansprüche des römischen Primats aus dem Pseudo-Isidor mit allem Nachdruck. Den König Lothar II. von Lothringen zwang er bereits, als ein über den Königen stehender Beherrscher der Welt, seine verstoßene Gemahlin wieder anzunehmen. Dem gesamten französischen Klerus bot er, unter Berufung auf den Pseudo-Isidor, die Spitze. Die nachfolgenden Päpste konnten, je schwächer die weltliche Macht war, desto anspruchsvoller in allen Fragen wichtiger Entscheidungen auftreten. Immer fester schweißten sie die Papstherrschaft zusammen. Nikolaus II.(1059-1601) entriß die Papstwahl dem Einfluß der römischen Adelsfamilien, übertrug sie einem Kardinal-Kollegium und schränkte damit auch die Rechte der Kaiser auf die Wahl des Papstes bis zur Bedeutungslosigkeit ein. Gregor VII.(1073-1085) verfolgte die Idee einer alles umfassenden Theokratie, an deren Spitze der Papst als der Stellvertreter Gottes stehen sollte, eines großen Lehnsverbandes, der allen kirchlichen und weltlichen Besitz umschlösse. Der erste Schritt war die Aufnahme des Investiturstreites, welcher das seitherige Recht der Kaiser, Bischöfe und Äbte der Reichsklöster einzusetzen und zu belehnen, beseitigen sollte. In Gregors Sinne handelten die Nachfolger, wenn sie Fürsten bannten und absetzten, über Kronen verfügten und Länder verschenkten. Den völligen Sieg des Papsttums erzielte Innocenz III. (1198-1216), seit dessen Zeit der Einfluß der Fürstenmacht auf die Besetzung geistlicher Ämter aufgehoben war. Der andere Zweck, die gänzliche Unterwerfung der Geistlichen unter den Papst, durch Glaubenseid und Zölibat, sodaß die Kirche ein Staat im Staate wurde, ward bereits unter Gregor VII. erreicht.
So wurde die Idee einer päpstlichen Universalmonarchie ausgebildet, die in Innocenz III. den ersten wirklichen Souverän des Kirchenstaats präsentierte. Bonifacius VIII. (1294-1303) konnte die Grundsätze der Hierarchie in ihrer äußersten Konsequenz aussprechen. Zugleich aber wankte das mittelalterliche Papsttum auch schon auf der Höhe dieser eroberten Macht. Die ökonomischen Gesetze besiegten alle päpstliche Herrschsucht, und Frankreichs Vordringen zur Weltmacht machte König Philipp IV. von Frankreich stark genug, Papst Bonifaz zu stürzen. Trotzdem war das Ansehen des päpstlichen Stuhles gewaltig gestiegen. An und für sich stellte der päpstliche Stuhl, weil er sich auf den internationalen Unterbau der Kirche stützte, eine größere Macht dar als die der Kaiser und Könige, die vor der Empörungslust ihrer Vasallen und vor dem Haß und der Verachtung zittern mußten, welche ein päpstliches Interdikt vor den Volksmassen auf ihr Haupt lud. Deshalb fesselten sie die Papstmacht und zwangen das Papsttum in ihren Dienst. Aber indem sie den päpstlichen Stuhl mit ihren Kreaturen besetzten, bewirkten sie an den Papsthöfen das Hervorbrechen einer innern Fäulnis, die sich zumal bei den französischen Päpsten in Avignon zeigte. Als Clemens V. (1305-1314) den päpstlichen Stuhl nach Avignon verlegen mußte und damit unter die ausschließliche Gewalt der französischen Politik kam, ging von dem Hofleben der Päpste ein förmlicher Verwesungsgeruch aus, der sich noch steigerte, als die Päpste wieder in Rom saßen, und Alexander VI. (Bild 32), ein gräßliches Ungeheuer, sich mit dem Papstmantel umkleidete. Heulend brach aus den Toren des Papstpalastes die Lasterhaftigkeit der verkommensten römischen Cäsaren hervor.
Bei alledem aber war das Papsttum schließlich nicht schlechter als seine Zeit. Es war vielmehr deren Produkt. Manche der damaligen Päpste erscheinen wie die römischen Cäsaren auf die neue Gesellschaftsordnung übertragen. Wenn das Antlitz des Papsttums bald die verzerrten Züge von Haß und Grausamkeit, bald den eisernen Trotz des blutdürstigen Eroberers, bald die Schlaffheit des selbstzufriedenen Genießens, bald das faunische Grinsen zügelloser Wollust zeigte, so ist es eben in dem allem das treffende Spiegelbild seiner Zeit. Nicht an der Sittenlosigkeit und Ausschweifung des Lebens einzelner Päpste zerbrach des Papsttums erworbene Macht, sondern an der Tatsache, daß die veränderten ökonomischen Verhältnisse der Völker den Nationalstaat zusammenschweißten, dem der internationale Charakter der päpstlichen Weltherrschaft hindernd und hemmend im Wege stand. Von da an konzentrierte sich auf das Papsttum aller Haß, und die seit Jahrhunderten bekannten Schändlichkeiten der mittelalterlichen Päpste häuften sich zu der furchtbaren Anklage, die in der Reformation ausklang.
In den Gestalten mancher Päpste verkörperte sich die ganze Verworfenheit der herrschenden Klasse ihrer Zeit. Welchen Abgrund des wildesten Hasses zeigte das »Totengericht«, das Papst Stephan VI. (896-897) über seinen Vorgänger Formosus abhielt! Weil Formosus auf seiten des deutschen Kaisers Arnulf gestanden hatte, während Stephan auf seiten des Gegenkaisers Lambert von Spoledo stand, ließ Stephan des Formosus Leiche, ob sie auch schon neun Monate im Grabe gefault hatte, wieder ausscharren. Der päpstliche Prunk wurde ihr angelegt, sie wurde auf den Papststuhl gesetzt, und das versammelte Kardinalskollegium mußte die stinkende Leiche richten. Da sie auf die Anklagen keine Antwort gab, so wurde ihr der päpstliche Schmuck vom Leibe gerissen, die Finger der rechten Hand, die den Segen erteilt hatten, wurden abgehackt, der Kopf wurde ihr abgehauen. Dann ließ Stephan die also zugerichtete Leiche des vormaligen »heiligen Vaters« in den Tiberfluß werfen, darinnen sie, ein ekelhaftes Spielzeug der Wellen, monatelang umhertrieb, bis das Volk rasend wurde über des Scheusals Stephan Schandtaten, in der Kirche über ihn herfiel und ihn im Kerker erwürgte. Die »Hyäne unter den Päpsten« nannte ihn das Volk. Noch gar mancher seiner Nachfolger zeigte die Zähne und die Krallen der Hyäne. Der satirische Stift der zeitgenössischen Karikaturenzeichner notierte diese Tatsache gar häufig. Man vergleiche daraufhin die interessante Karikatur Alexander VI.: » Ego sum Papa!« Freilich nicht nur die Hyäne verkörpert sich nach der Anschauung der Zeit in Alexander VI., er ist für sie das Ungeheuer, das alles Schlechte und Gemeine der Zeit in sich vereinigt: Gier, Blutdurst, Herrschsucht, Wollust, Grausamkeit, der Herr der Hölle, der leibhaftig auf die Erde gekommen ist (Bild 33).
Bereits im 10. Jahrhundert, als Rom der waffenklirrende Kampfboden einer adligen Anarchie war, wurde der Papstmantel durch das berüchtigt gewordene »römische Damen- oder Hurenregiment« in den Schmutz der Gosse geschleift. In dem Machtstreite zwischen den römischen Adelsgeschlechtern, welche um die Papstwürde kämpften und sie völlig zu einer weltlichen Macht auszubauen suchten, gelang es drei Messalinen, Theodora, der Gattin eines römischen Senators, und ihren Töchtern Theodora und Marozia, sich zu »Beherrschern der Christenheit« aufzuschwingen. Ein Lobredner des Papsttums, der Kardinal Baronius, malt diese Zeit also: »Im Tempel und Heiligtum war ein Gräuel der Verwüstung, auf Petri Stuhl saßen nicht Menschen, sondern Ungeheuer in Menschengestalt. Anmaßende wollüstige, in allen Lastern erfahrene Weiber regierten in Rom und besetzten den päpstlichen Stuhl mit ihren Beischläfern und Hurenkindern.« 50 Jahre dauerte diese Orgie, während deren ein Papst den andern an Lasterhaftigkeit übertrumpfte. Als der Liebhaber der kaum 14jährigen Marozia 904 als Papst Sergius III. (Bild 23) auf dem Stuhl Petri saß, widerhallten täglich die Mauern der Engelsburg, des Papstsitzes, von dem Lärm der obszönen Gelage dieses Papstes und seiner Genossen. Seine Nachfolger setzten sein Lotterleben fort, und als ein Sohn der Theodora und des Markgrafen von Toskana, achtzehnjährig, als Papst Johann XII. (955-963) die Papstwürde erlangte, saß, nach Kardinal Baronius, »der liederlichste aller Päpste« auf dem Thron. Seines blutschänderischen Zusammenlebens mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern überdrüssig, machte er den Papstpalast zu einer Art Bordell, die Kirchen zu Theatern und Tanzlokalen. Mit seinen halbnackten Beischläferinnen sah man ihn in Prozession durch die Straßen Roms ziehen. Kein hübsches Weib wagte sich mehr auf die Straße, aus Furcht, den Lüsten des Papstes zum Opfer zu fallen; denn es war bekannt, daß er selbst über den von frommer Scheu als Gräber der Apostel angebeteten Orten Notzucht verübt hatte. Wie auf den Thronen der Cäsaren unreife Knaben gesessen hatten, so kam auch mit Benedikt IX. (1033-1045) die Papstwürde in die Hände eines 10jährigen Kindes, welches freilich mit 14 Jahren bereits alle seine Vorgänger an Rücksichtslosigkeit, Liederlichkeit und Tücke übertraf.
Im Volke hatten der Päpste Ausschweifungen den Glauben erweckt, das Ende der Welt sei nahe. Bei solcher Lasterhaftigkeit und Schlechtigkeit der »Oberhirten des Christentums«, so glaubte man, könne die Welt nicht länger bestehen, » approximante fine mundi«, d. i. in Anbetracht des nahenden Endes der Welt, so begannen die Urkunden um das Jahr 1000.
Bei solchen Erscheinungen war die Achtung vor den Päpsten so gesunken, daß die Pairs von England, als der vor Kaiser Friedrich II. flüchtige Papst Innocenz IV. (1241-1254) in England Schutz suchen wollte, öffentlich und urkundlich erklärten: »Der päpstliche Hof verbreitet einen solchen abscheulichen Dunst und Gestank, daß er nicht würdig ist, in England Aufnahme zu finden.« Die Stadt Lyon, die nicht so vorsichtig war und in Frömmigkeit dem Papst Obdach gewährte, hatte es bitter zu büßen. Die Frömmigkeit erntete obendrein noch faunischen Spott, indem ihr 1250 beim Abschied Kardinal Hugo in einem berüchtigten Schandbrief schrieb: »Bei unserer Ankunft trafen wir kaum drei oder vier feile Liebesschwestern an, bei unserm Abzug dagegen überlassen wir euch sozusagen ein einziges Bordell, welches sich vom östlichen bis zum westlichen Tore der ganzen Stadt verbreitet.«
Das ungeheuerliche Schandleben der Päpste in Avignon hat unter anderm auch der berühmte Nikolaus Clemengis geschildert, der geradezu sagt: »Von der Papstzeit an hat sich das Verderben, die Sittenlosigkeit und die Unzucht in Frankreich eingeschlichen, denn erst durch die Päpste lernte das französische Volk Prachtliebe, Luxus und Ausschweifungen aller Art kennen, wobei wir das italienische Nationallaster, die Giftmischerei, nicht vergessen dürfen.« Und der Dichter Petrarca, ein Augen- und Ohrenzeuge, sagt: »Alles, was man von Babylon erzählt, ist nichts gegen Avignon, denn hier sieht man die Verkörperung dessen, was in den alten Sagen und Poesien von der Wollust und Unzucht der Götter geschrieben steht.«
Clemens V., den sein Verhältnis mit der schönen Gräfin Perigord nicht zum wenigsten in Frankreich festhielt, legte den Grund zu dem Papstpalast von Avignon mit seiner düstern Großartigkeit. Hinter den ragenden Steinmauern führten die Päpste das römische Lotterleben noch vergröbert weiter. Nur daß ihre Habgier hier in Avignon noch schärfer hervortrat. Denn seit der Entfernung von Rom hörte der Zuschuß aus dem dortigen »Patrimonium Petri« auf. Aber des armen Fischers Petrus Nachfolger waren nicht gewillt, dessen Entbehrungsleben zu führen. Für die Masse die Demut, Armut und Entsagung, aber für sich selbst den Prunkpalast, das Lotterbett und die gefüllte Tafel, so dachten die Päpste von Avignon. Damit die glänzende Hofhaltung bestritten werden konnte, nahmen sie ihre Zuflucht zu schwindelhaften Finanzspekulationen. Die Tugend zu besteuern wäre ein schlechtes Geschäft gewesen. So setzten sie sich an die Kloaken ihrer Zeit, zerwühlten mit gierigen Händen den Schmutz und sogen aus dem Unrat des Menschengeistes Millionen Einkünfte. Das Abendland stand kulturell auf einer niedrigen Stufe. Die urwüchsige Kraft des rohen Adels, der Bauernmasse, sowie der Handwerker und Kaufleute in den Städten äußerte sich in derbgeschlechtlichem Genusse. Auch die Klerisei machte hiervon keine Ausnahme. Aber was beim Volke ein Ausfluß ungebändigter Kraft war, wurde bei den Mönchen und Nonnen, den vom Ehelosigkeitsgelübde gebundenen Pfaffen zur Unnatur. Unbeschreiblich war die sittliche Verkommenheit der Klerisei. Die Päpste mühten sich nicht erst mit vergeblichen Besserungsversuchen. Skrupellose Realpolitiker, die sie waren, machten sie sich selbst ihrer Pfaffen Schandleben und im weiteren des ganzen Volkes Geschlechtsgier, seine Verbrechen und Vergehen tributpflichtig. Johann XXII. (1314-1334) brachte die Besteuerung des Lasters in ein förmliches System; er soll, wie verschiedene Historiker auf das Bestimmteste behaupten, einen förmlichen Absolutionstarif für alle Verbrechen aufgestellt haben. Für jedes Verbrechen konnte man hiernach gegen Bezahlung Absolution erlangen. In diesem Tarif war z. B. festgesetzt: Wenn ein Geistlicher fleischliche Sünden begeht, sei es mit Nonnen, sei es mit Beichtkindern, sei es endlich mit irgend einer andern Frau, so hat der Schuldige zur Erlangung der Freisprechung zu bezahlen 67 Pfd. 12 Sous; wenn er außer Hurerei Absolution verlangt für Verbrechen wider die Natur oder Bestialität 219 Pfd. 15 Sous; wenn er diese Sünden nur mit kleinen Knaben begangen hat, 131 Pfd. 15 Sous; ein Priester, der eine Jungfrau entjungfert, hat zu zahlen 2 Pfd. 8 Sous; eine Nonne, die sich gleichzeitig oder hintereinander mehreren Männern hingegeben hat, sei es im Kloster oder außerhalb desselben, und welche die Äbtissinnenwürde erlangen will, hat zu zahlen 131 Pfd. 15 Sous; Priester, welche die Erlaubnis haben wollen, mit Verwandten im Konkubinat zu leben, 76 Pfd. 1 Sous; die ehebrecherische Frau, welche Absolution verlangt, um vor jeder Verfolgung geschützt zu sein und für vollen Dispens, die verbrecherischen Beziehungen fortzusetzen, hat an den Papst zu bezahlen 87 Pfd. 38 Sous; für den Mann gilt dieselbe Taxe; wenn sie Incest mit ihren Kindern getrieben haben, sind für jeden Fall mehr zu bezahlen 6 Livrés usw. Die Art, wie in diesem Tarife die Sittlichkeitsverbrechen in allen möglichen Abstufungen angeführt und mit hohen Geldstrafen belegt sind, zeigt nicht bloß die Skrupellosigkeit dieses Papstes, sondern auch die ganze sittliche Verkommenheit des Mittelalters, welches uns immer als die Blütezeit lauterster Tugend und frommer Scheu gepriesen wird. Der Tarif muß seine Wirkung getan haben; Johann konnte sich rühmen, mehr als 50 Millionen Goldgulden von den europäischen Völkern erpreßt zu haben. »Nach seinem Tode«, sagt Villiani, »fand man in seinem Besitze 16 Millionen Gulden in Bargeld, 17 Millionen in Barren, ohne sein Gold- und Silbergeschirr, seine Krüge, seine Mitren und seine kostbaren Edelsteine, welche auf 7 Millionen Gulden geschätzt waren«. So nachsichtig dieser Papst gegen die zahlungsfähigen Ehebrecher, Blutschänder und Notzüchter war, so unbarmherzig war er natürlich gegen die »Ketzer«, von denen er mehr als Zehntausend durch seine Inquisitoren richten und verbrennen ließ.
»Schrecklicher als Korsaren«, so sagt Weber von den Päpsten von Avignon, »plünderten die heiligen Väter die gesamte Christenheit, sie waren Muster im Scheren ihrer Schäflein. Zuerst Zehnten, dann Reservationen und Provisionen, Aunaten und Expektanzen, Dispensationen und Ablässe, einer Menge geringfügiger Plusmachereien nicht zu gedenken – Geld – Geld – Geld – und nichts als Geld! Sie nahmen alles mit, was sie der Andacht und Schwäche, der Verwirrung der Begriffe und der Gewissensangst in der Stunde des Absterbens oder der Verzweiflung abzulocken wußten. Sollte man glauben, daß sie selbst den armen Grönländern den Petersgroschen abnahmen in Naturalien – in Seehundstran und Speck? Nein! Aber in Walroßzähnen, dentes de roardo, wie es in einer alten Rechnung im Vatikan heißt. Sie schröpften die Christenheit nicht mit den gewöhnlichen Schröpfköpfen der Chirurgen, sondern mit den Schröpfköpfen des Riesenpolypen der Meere; ja sie zogen der Christenheit wirklich das Fell über die Ohren, besaßen folglich das goldene Vlies in Wirklichkeit.« Dante versetzte nicht umsonst mehrere Päpste in die Hölle; Petrarca vergleicht den Hof zu Avignon mit einem Labyrinthe, wo Minos herrschet, Minotaurus brüllet, und eine unzüchtige Venus angebetet wird – keine Ariadne weit und breit, die aus dem Labyrinthe rette – nur Gold kann retten, Gold öffnet Fegefeuer und Himmel, wenn gleich Babylon selbst Himmel, Hölle und Fegefeuer betrachtet, wie die Fabeln vom Styx, Acheron und Elysium. Boccacio weiß ein Gedichtlein von einem Reichen, der gar zu gerne einen Juden bekehrt hätte; dieser ist bereit, will aber doch zuvor Avignon sehen; der Reiche zweifelte nun an seinem Gelingen, der Jude aber bekehrte sich, denn, sagte er, da in diesem Schandpfuhl alle Laster herrschen und das Christentum dennoch besteht, so muß es göttlich sein!
Pierre Roger, der unter dem Namen Gregor XI. 1370 Papst wurde, endete die sogenannte »babylonische Gefangenschaft« der Päpste zu Avignon und verlegte den Sitz 1377 wieder nach Rom. Mit Jubel empfingen ihn die Römer. Denn die ganze Existenz der herrschenden Klasse des mittelalterlichen Roms war auf die Anwesenheit der Päpste zugeschnitten. Ohne die Päpste keine Pilgerfahrten, keine hohen Besuche, kein Gasthausleben, kein Handel, keine Einnahmen. Deshalb: Eviva il Papa! Nach Gregors Tode vermehrte sich noch die Auswucherung der Christenheit, die mit Beginn des großen Schismas (1378-1429) zwei päpstliche Hofhaltungen ernähren mußte. Die Wahl des Nachfolgers Gregors, Urbans VI. (1378-1389), wurde beinahe von denselben Kardinälen, die ihn ernannt hatten, wieder vernichtet und ihm in Clemens VII. ein Gegenpapst gegenübergestellt. Die französische Politik im Verein mit der Furcht der Kardinäle vor Urbans Strenge gab dabei den wesentlichsten Grund ab. Die Haupttreiberin zur Wahl des Gegenpapstes war eine berüchtigte Messalina, die Königin Johanna von Neapel. Urban hintertrieb ihre Heiratspläne und hatte ihr gedroht, er wolle sie ins Kloster der Clarissinnen schicken und spinnen lassen. So gab es denn zwei Päpste, die sich wechselseitig verfluchten und bannten.
Stolz und Grausamkeit waren Urbans hervorstechende Eigenschaften. Die vom Christentum geforderte Demut hat eben keinen jener Päpste beschwert. Urbans unbeugsamen Stolz zeigt jene Szene, da er den demütig zu ihm gekommenen Gemahl der Königin Johanna II. von Neapel, Otto, der reiche Geschenke brachte und knieend ihm bei der Tafel den Becher reichte, so lange mit Verachtung behandelte, bis ein Kardinal fragte, ob Seine Heiligkeit nicht trinken wolle und so den Büßenden erlöste. Seine Grausamkeit bekamen alle seine Feinde zu spüren. Fünf Kardinäle, gegen die er wilden Haß nährte, ließ er torquieren, töten und in Säcken ins Meer werfen. Das gleiche Schicksal bereitete er mehreren Prälaten, während er einen sechsten Kardinal, der wegen der Schmerzen von der Tortur her nicht schnell nachreisen konnte, unterwegs erwürgen ließ. Zum Henker sprach er das neronische Wort: »Martere so, daß ich das Geschrei höre«, und ging während einer Marterung im Brevier lesend im Garten umher. Daher seine Gegner Urbanus den Spitznamen Turbanus (Der Bedränger) gaben.
Von einem andern Papste aus jener Zeit, Benedikt XIII. stammt das Wort: »Die Deutschen sind dumme Bestien!«, worauf ihm ein vormaliger deutscher Legat unter seinen Kardinälen erwiderte: »Sie halten den Papst schon lange nicht mehr für untrüglich!« Alexander V., ein weiterer Papst jener Reihe, war ein großer Mönchsfreund; er erregte die Wut des habgierigen Klerus durch seine Bullen für die Bettelorden, weshalb er von sich sagte: »Als Bischof war ich reich, als Kardinal arm, und als Papst bin ich zum Bettler geworden.« Doch war dies nur ein Witzwort. Ein Bettler als Papst! Eher wäre wohl die Welt untergegangen. Im übrigen war Alexander V. ganz in den Händen des Kardinals Cossa, dem die Römer nachsagten, er habe diesen Papst 1410 zu Bologna durch ein vergiftetes Klystier umbringen lassen. Wahrscheinlich aber vergiftete er sich selbst, denn Niem sagt von ihm: »Er lebte gern gut und flott und trank oft und viel starken Wein«, was seine »Bettler«eigenschaft aufs Trefflichste charakterisiert.
Sein Nachfolger wurde Kardinal Cossa, als Johann XXIII. (Bild 28), eine Inkarnation von Wollust und Grausamkeit. Er war der Urheber der Inquisition in Spanien, und unter ihm wurde Huß in Konstanz verbrannt. Nach einem wüsten Leben, welches ihn fast an den Galgen gebracht hätte, gelang es ihm, in der Kirche Karriere zu machen, sich die Kardinalswürde zu kaufen und auf der Stufenleiter der Erfolge sich der Papstwürde zu bemächtigen. Selbst der verrotteten herrschenden Klasse der Kirche war dieses Scheusal zu groß. Zu Konstanz versammelten sich endlich die Kirchenväter und hielten über ihn Gericht. 80 Anklagepunkte wurden wider ihn festgesetzt, und es gab kein Verbrechen, dessen man ihn nicht mit Recht beschuldigt hätte. Der öffentliche Ankläger auf dem Konzil schloß seine Rede wider dieses Scheusal mit den Worten: »Man kann ihn nicht anders betrachten, denn als den Feind aller Tugend, den Pfuhl aller Schande, das Laster der Laster, sodaß jedermann, der ihn kennt, von ihm spricht wie von einem eingefleischten Teufel!« Man setzte ihn ab und verurteilte ihn zu lebenslänglichem Gefängnis. Aber nach kaum 2 Jahren der Haft erkaufte sich Johann um 30 000 Dukaten seine Freiheit. Papst Martin V. ernannte ihn zum Kardinal-Bischof von Tusculum, und ließ ihn im Kardinalkollegium zur Rechten des Papstes auf einem erhöhten Stuhl sitzen, »weil er doch einmal Papst gewesen sei«.
Machten sich in den päpstlichen Palästen einmal nicht Habgier und Wollust breit, dann desto mehr die Fresserei und Völlerei. Die Fürsten der Armut schwelgten im Überflusse! So Papst Paul II. (1464-1471), der Lukullus unter den Päpsten. Er war nicht bloß gefräßig, sondern auch weibisch eitel. Ging er aus, so pflegte er sich vorher zu schminken, und seine Kleider überlud er so sehr mit Edelsteinen und Goldstickereien, wie kein Papst vor ihm und nach ihm. Die Trunksucht machte ihn leicht gerührt; über jede Kleinigkeit konnte er Tränen vergießen. Seine Umgebung nannte ihn deshalb spöttisch: »unsere liebe Frau vom Mitleiden«. Diese Tränenseligkeit hinderte ihn freilich nicht, den Gelehrten Platinus wegen seiner wissenschaftlichen Lehren grausam foltern zu lassen. Die Gelehrten und die Armen verfluchten sein Andenken, als er, angeblich an den Folgen einer Indigestion, starb. Er soll nach der Tafel zwei Melonen, die er sehr liebte, gegessen und danach unmäßig getrunken haben. An Entbehrungen ist in der langen Reihe der mittelalterlichen Päpste keiner zu Grunde gegangen.
Wie die Lupanare des alten Rom mit den Namen der Cäsaren, so waren mit den Namen einzelner Päpste die römischen Bordelle verknüpft. Sixtus IV. (1471-1484) sagt die Geschichte nach, er habe in Rom öffentliche Bordelle in großer Zahl angelegt und unter dem Namen des »Mietzins« von ihnen jährlich 20 000 Dukaten als Abgabe bezogen. Als unter Julius III. eine Generalschau über die römischen Dirnen abgehalten wurde, zählte man vierzigtausend steuerpflichtige öffentliche Dirnen im frommen Rom der Päpste. Die alte Hauptstadt der Welt bot ein Bild unbeschreiblicher Verkommenheit. Krankheiten wüteten unter der Bevölkerung, deren Roheit und Unwissenheit überhand nahm. Während des Tages lagen die Bettler zu Tausenden auf den Straßen, nachts wirkte in den finstern Gassen das Messer und der Dolch. Die herrschenden Aristokratenfamilien Roms, die sich um den päpstlichen Hof gruppierten und ihn mit ihren Intriguen regierten, bekämpften sich untereinander mit den Mitteln der Briganten. Wo sie nicht anders zu ihren Zielen gelangen konnten, half der bezahlte Mord. Auch des Papstes Sixtus Name ist verknüpft mit dem Mordversuch auf die Brüder Medici. Um die Medici umzubringen, verband sich der Papst mit den Familien der Pazzi und Salviati. Es ward verabredet, die Brüder am Altar zu schlachten. Das Aufheben der heiligen Hostie durch den Papst sollte das Zeichen zum Mord sein. Und wirklich, es geschah also! Als der Papst sich umwandte und die Hostie hob, fielen die Banditen über die Medicis her. Aber nur Julian di Medici traf der Dolch, sein Bruder Lorenzo konnte sich schwerverwundet retten. Dafür fiel Pazzi; der Erzbischof Salviati und einige Priester wurden vom Volke an den Kirchenfenstern aufgeknüpft.
Mit dem Namen Innocenz VIII. (Bild 30) sind auf immer die grausamen Hexenverfolgungen verknüpft. Von ihm rührt die berüchtigte Bulle von 1484 her, welche der Ausgangspunkt der Hexenprozesse wurde. Diese Hexenwut war nur der Vorwand, um mit blutigen Prozessen die dem Papsttum gefährlichen Bewegungen der Ketzerei unterdrücken zu können und das Papsttum fester zu begründen. In Spanien allein fielen 341 000 Opfer durch diesen Inquisitionspapst. Dabei war Innocenz so liederlich, daß er öffentlich mit seinen 16 Bastarden prunkte. Boshaft rief ihm ein Epigramm nach:
»Was braucht ihr Zeugen noch, ob Cibo Weib, ob Mann?
Seht euch zum Zeugnis nur sein Kinderhäuflein an.
In Sünden zeugte er acht Mädchen, gleichviel Knaben,
An ihm wird also
Rom den
wahren Vater haben!«
Seiner Lasterhaftigkeit hielt seine Geldgier die Wage; Innocenz nahm die Dukaten, woher er sie kriegen konnte. Selbst den Banditen bewilligte er Gnade, und lächelnd sagte des Papstes Zahlmeister, indem er die reichen Spenden einstrich: »Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er lebe.« Vom Sultan nahm Innocenz 40 000 Dukaten, kostbare Perlen und Juwelen, während er gleichzeitig die Mächte gegen die Türken zu bewaffnen suchte. Er selbst hielt die Dukaten lieber in der Tasche. Den Maler Montagna, der ihm Gemälde geliefert hatte, bezahlte er nicht, und als der Maler darauf anzüglich ein Gemälde: »Die Kargheit« malte, riet er dem Künstler höhnisch, noch »die Geduld« daneben zu malen. Ein trefflicher Gedanke, denn Geduld mußten die Frommen haben – mit ihren Päpsten.
Mit dem Ende des 15. Jahrhunderts kam Alexander VI. von Borgia (Bild 32), der »Nero unter den Päpsten«, auf den päpstlichen Stuhl. Vordem hatte er als Soldat sich in ganz Venedig durch wüste Liebesabenteuer berüchtigt gemacht. Dann, als er sah, welche glänzende Karriere die kirchliche Organisation einem kühnen und skrupellosen Kopfe ermöglichte, vertauschte er den Waffenrock mit dem Priesterrock. Durch Vermittlung seines Oheims Alphonso Borgia, Bischof von Valencia, der 1455 als Calixt III. auf den Papststuhl kam, gelang es ihm rasch, auf der kirchlichen Rangstufenleiter bis zum Kardinal emporzuklettern. War er vordem ein Wüstling gewesen, so wurde er jetzt ein widerlicher Frömmler, und ob er gleich eine Maitresse hatte, die schöne Rosa Vanozza, mit der er fünf Kinder zeugte, so wußte er sich doch in solches Ansehen zu setzen, daß das Volk laut jubelte über den frommen Vater der Christenheit, den es bekommen zu haben wähnte, als ihn das Kardinalskollegium 1492 zum Papst wählte. Aber bald zeigte sich, daß an dem morschen Holz des damaligen Papsttums kein frisches Reis mehr sprossen konnte. Kaum hatte der Frömmler die Macht, so entpuppte er sich als der grausamste, lasterhafteste, eigensüchtigste und verkommenste aller mittelalterlichen Päpste.
Das Luderleben dieses Papstes ruft nach dem ätzenden Griffel eines Juvenal. In Alexander VI. reifte die Herrschsucht zum schrecklichen Verbrechen heran. Mit bluttriefendem Schwert, mit Söldnerhaufen, mit gedungenen Meuchelmördern, mit Gift und Dolch strebte er dem Ziele seines Ehrgeizes zu: die Papstwürde in der Familie der Borgia erblich zu machen und sein Haus zu einer mächtigen weltlichen Dynastie zu erheben. Diesem Streben dienend, sank die ganze Papstfamilie immer tiefer auf den Stufen des Verbrechens, und namentlich Cäsar Borgia, einer von Alexanders Bastarden und Kardinal von Valencia, ward ein Ungeheuer von Arglist, Ruchlosigkeit und Sittenlosigkeit. Er ließ den eignen Bruder nach einem Nachtmahl bei der Mutter ermorden, weil er ihm im Wege stand, er zwang den rasenden Vater, ihm Absolution zu erteilen, er wütete wie ein Räuber mit seiner Soldateska gegen den rivalisierenden Adel, und selbst der Vater zitterte beständig in Todesangst vor dem Gift und Dolch des von ihm selbst gezeugten Ungeheuers. Mit gebrochenem Wort und gebrochenen Eiden, mit Mord und Totschlag wurden die Feinde der Borgias vom Papste beseitigt. Aber je näher Alexander seinem Ziele kam, die Romagna nebst den übrigen Provinzen des Kirchenstaats zu einem Königreich der Borgias zu vereinigen, desto tiefer sank er zugleich in den Schmutz der Gemeinheit. Die Fama meldet als Ungeheuerlichstes, daß, als seine Tochter Lukretia Borgia zu einer Schönheit herangereift war, Alexanders Sinnenlust auch an ihr Befriedigung suchte. Er ließ ihren Mann ermorden und lebte nun mit seiner Tochter »als wäre sie seine Frau«. Das Leben und Lieben der berühmtesten Papsttochter ist in jeder Phase ein klassisches Zeugnis für die damalige Skrupellosigkeit des Papsttums in der Wahl seiner Mittel zur Erreichung seiner Zwecke. Als eine Tochter der Vanozza, figurierte sie offen als Tochter Alexanders VI. Im Interesse der Papstmacht ward sie schon in der Jugend an verschiedene versprochen, von denen Alexander sich Förderung seiner Machtpläne versprach. Mit 14 Jahren wurde sie an den Grafen Sforza, mit 18 Jahren an den Fürsten von Bisceglia verheiratet. Sie hörte jedoch damit nicht auf, Spekulationsobjekt zur Vergrößerung der Papstmacht zu sein. Kaum in den Armen des Fürsten von Bisceglia, ergab sich eine neue verlockende Perspektive zur Stärkung der Papstmacht durch eine Verbindung mit dem Prinzen von Ferrara. Es dauerte daher nicht lange und Lukretias Gatte war ermordet und sie dem reichen Prinzen von Ferrara angelobt und angetraut. Der Palast der Papstfamilie widerhallte von dem Halloh der nächtlichen Gelage, der Orgien, an deren Schlusse sich die männlichen und weiblichen Teilnehmer wollusttrunken die Kleider vom Leibe rissen und nackt tanzten. Der apostolische Palast wurde ein Harem, in welchem sich beständig 50-60 Dirnen aufhielten, und in trunkener Laune ließ Alexander, seine neue Maitresse Julia Farnese auf der einen Seite, seine Tochter auf der andern, nackte Dirnen auf allen Vieren im Zimmer umherlaufen und zwischen Lichtern Kastanien, die man auf den Boden gestreut hat, auflesen. Er ließ im innern Hofe des Vatikans rossige Stuten und Hengste zusammen und ergötzte sich mit seiner Tochter an den wilden Ausbrüchen der tierischen Brunst. Er befleckte die Kirche mit seinen unzüchtigen Gedanken, indem er die schöne Julie Farnese als halbnackte Madonna, sich selbst aber als Hohenpriester zu ihren Füßen, malen ließ.
Aber in seinem Schandleben vergaß er »die Feinde der Kirche«, d. h. seine Gegner nicht. Die Gläubigkeit der Massen, zumal des deutschen Volkes, welches unermüdlich seine Ablaßgroschen nach Rom sandte, war ihm eine feste Säule. Den Mönch Savonarola, den Ankläger gegen das schreckliche Verderben zu Rom, ließ er verbrennen. Als ihm gemeldet wird, sein Sohn Cäsar Borgia habe im Brettspiel 100 000 Goldgulden verloren, konnte er lächelnd erwidern: »Es sind nur die Sünden der Deutschen.«
Selbst im Tode war er das Opfer seiner eignen Ruchlosigkeit. Den vergifteten Wein, der für 10 reiche Kardinäle bestimmt war, tranken, aus einem Versehen, Alexander VI. und sein Sohn Cäsar selbst. Der Sohn holte sich dauerndes Siechtum, aber um den päpstlichen Nero wars geschehen. Und seine Leiche war der stumme, schreckliche Zeuge seines wüsten Lebens. »Die Zunge wurde kohlschwarz und schwoll so furchtbar an, daß sie weit zum Munde heraushing. Auch verbreitete sie einen wirklich pestilenzialischen Geruch, ebenso der übrige Körper, der noch überdem so gräßlich entstellt aussah – es brachen überall Löcher hinein – daß ihn niemand mehr erkannte.« Nun versteht man Sinn und Inhalt der zahlreichen Karikaturen, die das Volk auf Alexander VI. machte, und deren beste wir in dem Bilde » Ego sum Papa« hier vorführen (Bild 33). Seiner Tochter Lukretia, wie sie als regierende Herzogin von Ferrara starb, schlug der Dichter Pontanus die Grabinschrift vor: »Hier unter diesem Grabhügel liegt Eine, die Lukretia hieß, aber eine Thais (berüchtigte Hetäre) und dem Papst Alexander zugleich Tochter, Weib und Schwiegertochter war!«
Der Verwesungsgestank, der von der Leiche Alexanders ausging, durchzog das ganze mittelalterliche Papsttum, zumal sich immer wirksamer die neuen ökonomischen Gewalten zeigten, welche die errungene internationale Herrschaft der Päpste zerbrachen. Unter Papst Julius II. (1503-1513), der, als ein rechter »Friedensfürst«, während seiner ganzen Regierungszeit im Felde lag und mit Strömen Blutes die der Kirche entzogenen Güter und Territorien wieder zusammenkittete, sagte selbst der deutsche Kaiser Maximilian: es sei nur der Güte des Herrgotts zu danken, daß die Welt unter einem Jäger, wie ihm selbst, und »unter einem so versoffenen Papste« nicht zu Grunde gehe.
Nachmals kam dann in dem lasterhaften Rom wieder die Wollust zur Herrschaft oder die bis zum Wahnsinn getriebene Prunkliebe, wie unter Leo X. (Bild 36). Dieser Papst, aus dem Hause Medici, zeigte schon beim Beginn seiner Regierung der Kirche, wie er die Würde der Nachfolger des armen Fischers Petrus aufgefaßt wissen wollte. An seinem Krönungstage verschenkte er 100 000 Dukaten und antwortete dem Kämmerer, der ihn fragte: »Wie wollen Ew. Heiligkeit bedient sein?« »Wie ein großer Fürst!« So war denn in der Tat auch sein Leben. Der junge Papst – er war 37 Jahre alt, als er gekrönt wurde – war ein echter Sohn seiner Zeit, die sich wieder der Klassizität zugewandt hatte. Er besaß eine feine Bildung, schrieb ein reines Latein und stand über dem geistigen Durchschnitt des Klerus. Er war aber durch das Studium der Antike zugleich auch ein Freigeist, ja, in der Sprache des Klerus zu reden: ein Heide und spöttelte über das Christentum, dessen höchste Erdenwürde er bekleidete. Er war umgeben von Freigeistern, die sich an seiner Tafel satt aßen, sich mit den in der ganzen Welt erpreßten Ablaßgroschen beschenken ließen und dafür Leos Witze belächelten, seinen Freigeistereien Beifall klatschten, seinen Geist bewunderten. Leo schrieb die freiesten Gedichte, sprach von den »unsterblichen Göttern«, titulierte Maria nicht anders denn als heidnische »Göttin«, sprach von den Briefen Pauli als von »Brieflein« und weigerte sich Bibel und Brevier zu lesen um – sein reines Latein nicht zu verderben. Die Freuden der Tafel, Schauspiele, Karten, Jagd und witzige Gesellschaft füllten seine Zeit. Nirgends lebte sich so lustig als am damaligen päpstlichen Hofe (Bild 37). Es ist deshalb auch kein Wunder, daß Leo binnen kurzem 14 Millionen Dukaten verschwendete und trotz aller Ausbeutung der Volksmassen mittels des Ablasses eine kolossale Schuldenlast hinterließ. Diese auf die Spitze getriebene schändliche Auswucherung der Völker, vor allen des deutschen Volkes, muß auch die guten Seiten Leos verdunkeln, die zu beobachten sind in seiner Unterstützung der Künste und der Wissenschaften. Leonardo da Vinci, Raphael, Tintoretto, Michel Angelo, Titian, Correggio, Macchiavelli und andere Große lebten zu seiner Zeit. Welchen gesellschaftlichen Wert hat die Kunstliebe eines Despoten, wenn er damit nur eine Laune befriedigt, die Völker aber diese Laune mit Kummer und Tränen bezahlen müssen! Die Kehrseite des vielgerühmten »Zeitalters Leos« war die unerträgliche Ablaßplünderung. Von Leos Finanzminister, Kardinal Armellino, sagte Colonna: »Man ziehe diesem Schinder das Fell über die Ohren und lasse ihn um Geld sehen, was mehr einbringen wird als wir brauchen!« Und von Leo selbst sagte ein Pasquill: »Wißt ihr, was Leo außer seinem Namen vom Löwen hat? Den Magen und die Gefräßigkeit!« Leo war der Papst der Reformationszeit, ohne in seiner Sorglosigkeit diese Zeit zu begreifen. Luthers Streit war ihm ein Gegenstand des Spottes; er wunderte sich, daß man so viel Umstände mache »wegen eines Mönchleins« und hat vielleicht auch gespöttelt, als er die Bannbulle gegen Luther unterschrieb. Er starb bereits im 47. Jahre, 1521, wie behauptet wurde durch Gift. Andere lassen ihn an gebrochenem Herzen sterben, und die bigotte Königin Margarete von Navarra ließ ihn auf einer Tapete darstellen, rechts und links Luther und Calvin, die ihn dermaßen – klystieren, daß der arme Papst ganze Reiche, Sachsen, Dänemark, Schweden usw. nach unten und oben von sich gibt. O heilige Einfalt!
Leo wurde mitten in seinen Genüssen vom Tode überrascht, sodaß er angeblich nicht einmal mehr die Sakramente nehmen konnte. Daher ein Pasquill ihm mit furchtbarer Schärfe übers Grab hinaus nachrief: »Ihr fragt, warum Leo in der Sterbestunde die Sakramente nicht nehmen konnte? Er hatte sie verkauft!«
Andere Päpste jener Periode taten sich durch Nepotismus hervor, der sich gierig bestrebte, für die Kinder der Maitressen als »Vettern« oder »Nepoten« einträgliche Stellen und Würden im Kirchenstaat zu schaffen. So namentlich Paul III. (1534-1549) von Farnese, von dem die Geschichte sagt, daß er bereits als Kardinal seine schöne Schwester Julia um den Kardinalshut an Alexander VI. verkauft habe und nun bemüht war, seine mit seiner Geliebten Lola erzeugten Kinder wie auch seine Kindeskinder unterzubringen. Seinen Sohn Peter Ludwig Farnese, der an Verworfenheit Cäsar Borgia erfolgreich nacheiferte, und den der Papst zum Herzog von Parma ernannt hatte, hingen Edelleute Parmas, nachdem sie ihn ermordet hatten, aus einem Fenster der Zitadelle heraus, bis ihn die Vögel fraßen. »Ritterliche Rache« des 16. Jahrhunderts! Pauls Nachfolger, Julius III. (Bild 38), schenkte mit Vorliebe Possenreißern seine Zuneigung. Er vertrieb sich die Langeweile des Papstpalastes mit dem Beobachten der zahlreich gehaltenen Affen, an deren Sprüngen er eine kindische Freude hatte, und sein Liebling war der 16jährige Affenwärter Innocenz Bertuccino, der fast ebenso tolle Sprünge wie die Affen machen konnte. Er bedachte den Halbaffen mit dem Kardinalshut und mit reichen Pfründen, während er anderseits, nach dem Muster berühmter Vorgänger, die römische Prostitution zu einer rentablen Einnahmequelle machte.
Nach welcher Seite hin man auch die Chronik des damaligen Papsttums anblättern mag, es zeigt in allen seinen Vertretern die gleichen Züge. Auch die Päpste, über welche unsre summarische Darstellung schweigend hinweggeglitten ist, sind oft nicht besser als die auf diesen Blättern Genannten. Man könnte die Beispiele verzehnfachen, wenn nicht eben die Charakterzüge der Päpste in ihren Nachfolgern eine ermüdende Wiederholung zeigten. Grausamkeit und Tyrannei wiederholten sich in Paul IV. (1555-1559), dessen Bildsäule das erbitterte römische Volk aus dem Kapitol holte, ihr Kopf und Arme abschlug und sie unter Verwünschungen in den Tiber warf. Sie wiederholten sich in Pius V. (1565-1572), der selbst dem Inquisitionstribunal präsidierte und mit wollüstigem Erschauern die zuckenden Leiber gräßlich gemarteter Ketzer und Ketzerinnen sah. Wüste Grausamkeit gepart mit raffgierigem Nepotismus begegnet uns wieder in dem Charakterbild Sixtus V. (1585-1590). Nie wurden in Rom mehr Menschen hingerichtet als unter ihm. Nie wurde die päpstliche Macht mehr ausgenutzt, um für Vettern und Verwandte, Kinder und Kindeskinder Sinekuren zu schaffen. Wie andere Päpste ihre Dirnen gehabt hatten, so suchte auch dieser Papst Zerstreuung in den Armen einer Maitresse, der schönen Engländerin Anna Oston. PaulV. (1605-1621) aus dem Hause Borghese bemühte sich skrupellos und selbstsüchtig, seiner Familie Reichtümer aufzuhäufen, und er fühlte sich in der Ruhe seines Gewissens nicht dadurch bedrängt, daß ein großer Teil dieser Reichtümer durch Verbrechen erworben war, so durch die Ermordung der überaus reichen Familie Cenci, deren Güter konfisziert und dem Kardinal Caffarelli, einem nahen Verwandten des Papstes, geschenkt wurden. Auch vom reinen Maitressenregiment blieb die Reihe der Päpste nicht frei. Während der Periode Innocenz X. (1644-1655) redete der Volkswitz Roms nicht von einem Papste Innocenz, sondern vielmehr von einer Päpstin Olympia. Diese Donna Olympia war die Witwe des Bruders Papstes Innocenz', und schon zu seiner Kardinalszeit stand er in vertrautestem Umgange mit ihr. Habsüchtig und herrschbegierig wußte sie sich den Papst derart unterzuordnen, daß sie während seines Pontifikats absolute Herrin der Kirche und des Kirchenstaates war, Dekrete in Innocenz' Namen unterschrieb, geistliche und weltliche Ämter an die Meistbietenden verkaufte. Während die Schönheit der Olympia den Papst gefangen nahm, wenn sie mit andern Weibern nackt vor ihm badete, wuchs der Volkshaß gegen sie. In Florenz wurden Spott-Medaillen geprägt, welche die Olympia mit den Schlüsseln Petri, den Papst aber mit einer Haube auf dem Kopfe am Spinnrocken darstellten. Im Alter von 80 Jahren starb der Papst in den Armen seiner Maitresse, von Niemanden geliebt, von Hunderttausenden gehaßt.
Hie hast du Leser lobesam
Den heiligen Papst und frommen Mann,
Wie er und sein ganz Hofgesind
So gar verfressene Brüder sind.
Drum billig man vergleichet sie
Dem reichen Mann, dem Schlemmer hie,
So in allem Wollust gelebt
Nach Lust und Freud allzeit gestrebt.
So waren die mittelalterlichen Päpste, indem sie, auf die ökonomische Macht der mittelalterlichen Kirche gestützt, zu weltlichen Herrschern geworden waren, die Heere unterhielten und Kriege führten, um Länder kämpften und intriguierten, glanzvoll Hof hielten und einen fast beispiellosen Prunk entfalteten, zugleich auch mit allen Sünden und Schwächen des weltlichen Herrschertums jener Zeit behaftet. Die Karikatur und der Volkswitz griffen mit treffsicheren Pfeilen das ganze Leben der damaligen höheren Klassen an (Bild 24), insbesondere jedoch das Papsttum. Denn die Sünden der Fürsten zu geißeln, hatte nur das eigne Land ein Interesse. Die Päpste, als internationale Machthaber, wurden in allen Ländern gesehen, und um so massiger und furchtbarer fiel aller Hohn und Spott auf sie. Die Pilger, die aus dem Süden heimwärts zogen, verbreiteten die Erzählungen von dem großen Sumpfe Rom durch alle Lande. Staunend lauschte ihnen das Volk. Die Erzählungen gingen weiter von Mund zu Mund und als erst einmal die fromme Scheu gewichen war, wurde die Wahrheit noch vergröbert durch die Dichtung.
Die mittelalterliche Legendenbildung tat dem Papsttum aber den größten Hohn an. Das Volk sah die Dirnenwirtschaft am päpstlichen Hofe; die Erzählungen über sie gingen durch die Lande, und schließlich machte die Legende einen Papst selbst zur Dirne. Ein Weib sollte unerkannt Papst geworden sein, und erst als sie niedergekommen sei, habe man den Betrug gemerkt. Die Legenden verdichteten sich schließlich zu der Historie von der Päpstin Johanna, die zwischen Leo III. und Benedikt IV. (855-58) als Papst Johann VII. regiert haben sollte.
Die Legende redete bald von einem englischen, bald von einem deutschen Mädchen namens Johanna, Agnes, Gilberte, Gutta. Verkleidet war die Schöne mit ihrem Liebhaber nach Paris gegangen und hatte daselbst studiert. Dann war sie in Rom aufgetaucht und hatte dort durch ihre Gelehrsamkeit solches Aufsehen erregt, daß sie auf der kirchlichen Stufenleiter unerkannt emporklomm und schließlich zum Papst gewählt wurde. Als solcher begann sie ein zügelloses Genußleben, dessen Folge eine Schwangerschaft war. Das aber war dem Himmel zu viel der Versündigung am Papsthofe; ein Engel erschien und ließ der schwangeren Päpstin die Wahl, ob sie ewig verdammt oder vor aller Welt beschimpft sein wolle. Johanna wählte das letztere, ging in großer Prozession durch Rom und kam dabei auf offener Straße mit einem Knäblein nieder. Aus Scham starb sie auf der Stelle. Martinus Polonus weiß sogar Umstände und Ort anzugeben: »Sie ward von ihrem Dienstmann (Kammerdiener) geschwängert und kam nieder zwischen dem Kolosseum und der Kirche St. Clemens.« Der gelehrte Witz ließ sie von einem Teufel besessen sein, der in ihrem Leibe ausrief: »Ich fahre nicht eher aus, als bis der Papst ein Päpstlein geboren hat!« » papa pater patrum peperit papessa papellum!«
Die Erzählung ging von Mund zu Mund und wurde immer mehr ausgeschmückt. Die Karikatur des Mittelalters griff sie auf und stellte die Päpstin Johanna dar, wie sie auf der Straße ihr Päpstlein zur Welt bringt (Bild 39 u. 40). Selbst in den kirchlichen Schauspielen des Mittelalters wurde die Fabel unter dem Gelächter des Volkes behandelt. Eine Erweiterung der Geschichte der Päpstin Johanna war die Legende von dem päpstlichen Untersuchungsstuhl, sella stercoracïa, auf dem seit Johannas Zeiten jeder neugewählte Papst sitzen und sich von einem Diakonus auf seine Mannbarkeit prüfen lassen müsse, damit vermieden werde, daß wieder ein Weib den Papststuhl besteige. War der untersuchte Papst » papabilis«, so teilte der Diakonus seinen Befund der Menge mit dem frohlockenden Ausruf: » habet! habet!« »Er hat! Er hat!« mit, worauf das Volk mit einem schallenden: » Deo gratias!« antwortete. Diese letzte Mär hat ihren Ursprung in einem seit Paschalis II. (1099) erwähnten Brauche, nach welchem der Papst bei der feierlichen lateranischen Prozession sich auf zwei alten steinernen, durchbrochenen Sesseln niederließ, wahrscheinlich alten römischen Badesesseln. Es war die Zeremonie des Besitzergreifens, welche die Satiriker des Mittelalters in die Mannbarkeitsprüfung umspotteten. Leo X. soll die Sitte abgeschafft haben, wobei Mantuanus höhnte:
»Warum man diesen Brauch jetzund hat abgethan?
Zeigt Jeder doch zuvor, daß er ein
ganzer Mann!«
Die Fabel der Päpstin Johanna entstammt offenbar der Zeit des »römischen Hurenregiments«. Das Interessanteste dabei ist nicht einmal die Fabel an sich, sondern die Tatsache, daß die Fabel von den päpstlichen Geschichtsschreibern geglaubt wurde. So sehr hatte man sich bei der Verwilderung des päpstlichen Hofes im Mittelalter geradezu an alles gewöhnt, daß man selbst den Skandal einer auf offener Gasse das Kind ihrer Sünden gebärenden »Päpstin« als Möglichkeit hinnahm. Die Papstverteidiger behandelten selbst irrtümlich die Fabel als historische Tatsache und rechtfertigten das Papsttum: Gott habe zeigen wollen, daß die Einheit der Kirche selbst unter einem Weibe zu erhalten möglich sei!
Die Wirtschaft am Papsthofe hatte auf die ganze mittelalterliche Klerisei einen geradezu verwüstenden Einfluß geübt. Wenn nur Der Papst geworden war, der sich die Mehrheit des Kardinalkollegiums gekauft hatte, so war es nur natürlich, daß die dergestalt teuer erkaufte Papstwürde als ein Freibrief zur Ausbeutung der Kirche in allen ihren Gliedern betrachtet wurde. Diese Ausbeutung mußte rasch und gründlich vor sich gehen, denn die Päpste wechselten schnell. Das machte sie erfinderisch in der Erschließung neuer Geldquellen. Der Investiturstreit Gregors VII. hatte eine sehr auf das Materielle gerichtete Spitze. Seitdem den Kaisern in erbittertem Streite das Recht genommen war, ihre Günstlinge auf die Bischofs- und Altsitze zu bringen, vielmehr die Päpste diese Stellen vergaben, beuteten sie dieses Recht auch finanziell aus. Die Päpste von Avignon waren darin am erfinderischsten. Der Kaiser vergab den Bischofssitz für gewisse Dienste, die ihm der Belehnte erwiesen hatte; beim Papste aber lachte Bargeld. In den päpstlichen Kanzleien kannte man sehr wohl die Ertragfähigkeit der Ämter. Man wußte gut, ob der Machtbereich des Bischofs oder Abtes eine besitzende oder eine proletarische Bevölkerung umschloß, und entsprechend mußte gezahlt werden. Die Konfirmationsgelder der Bischöfe und Äbte betrugen im 15. Jahrhundert stellenweise 10 000 Goldgulden. Die Erzbischöfe mußten sich außerdem noch das »Pallium« kaufen, eine wollene Binde, woran nach der Behauptung der Päpste die Fülle des priesterlichen Amtes hing, welcher Ehrenschmuck aber viel Geld kostete. Noch teurer war die Nichtannahme desselben, was im 13. Jahrhundert ein Trierer Bischof erfuhr, der deshalb abgesetzt wurde und sich schließlich doch zum Nachgeben und zur Erlegung von 165 000 (!) Goldgulden genötigt sah. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts war das Mainzer Erzstift binnen zehn Jahren dreimal erledigt und besetzt worden, und die dafür gezahlten Summen wurden von dem unglücklichen Volke erpreßt. Haftend an dem Namen des Simon Magus, der die Mitteilung des heiligen Geistes durch Auflegen der Hände von den Aposteln für Geld zu erlangen gesucht hatte, entwickelten die geistlichen Fürsten des Mittelalters frühzeitig die Simonie zu einem System wucherischer Ausbeutung, unter welchem die Kirchenämter vom höchsten bis zum niedrigsten für Geld verkauft, ja sogar versteigert wurden. Der Bischof und Abt erstand mit seiner Würde das weltliche Recht der kapitalistischen Ausbeutung der ihm Unterworfenen. Je teurer dieses Recht erkauft war, desto gründlicheren Gebrauch machte er davon. Er suchte aus allem Geld zu schlagen, vom Verkauf der lokalen Kirchenämter bis herab zu den lokalen Ablässen für jene »Sünden«, die die Habgier des päpstlichen Hofes vielleicht noch übersehen hatte.
Das eilig zusammengeraffte Kapital aber wurde zu persönlichen Zwecken aufgehäuft oder verpraßt. Wie die großen Fürsten der Armut in Rom, so waren auch die kleinen im Lande bald Kriegsleute, die gegen Städte und Adel blutige Fehden führten, bald waren sie Jäger, deren Jagdpassionen den Bauern schrecklichen Schaden taten, bald Fresser und Säufer, die sich den Freuden des Kellers und der Tafel ergaben, oder aber sie huldigten der Venus, und des Volkes Hungergroschen zerrannen in den Händen von nimmersatten Kourtisanen. Der Bischof Heinrich von Lüttich, der mit verschiedenen Konkubinen, darunter vielen Nonnen, 63 Kinder gezeugt hatte, ist dafür ein hübsches Beispiel.
Die hohe Geistlichkeit rekrutierte sich aus der ritterlich-romantischen Gesellschaft. Die Angehörigen der Fürsten- und Adelsfamilien wandten sich mit Vorliebe der Kirche zu. Sie legten ihr Kapital in einer hohen Kirchenwürde an und hatten es damit sicher angelegt. Während das kleine weltliche Herrentum sich oft mühsam genug bald der Fürstenmacht, bald der aufsässigen Bauern oder Städter erwehren mußte, saßen Bischöfe und Äbte ruhig auf ihren Sitzen, und wer es wagte, sich gegen ihre Ausbeutung zu erheben, dem drohten päpstliche Bannflüche und Kirchenstrafen.
Aber je lauter bei den Kirchenfürsten, deren Reichtum sich auf der Armut der Massen aufbaute, die Becher klangen, und je mehr das Horn des Überflusses überlief, mit desto größerer Erbitterung sah das Volk diese ungeheure Ausbeutungsmaschine arbeiten, ohne doch zunächst das Mittel zu haben, sich ihrer zu erwehren und das weitverzweigte Räderwerk zum Stehen zu bringen. Aber Ulrich von Hutten sprach nur aus, was Millionen dachten, als er von dem päpstlichen Rom zornentflammt sagte: »Seht die große Scheuer dieses Erdkreises, darinnen zusammengeschleppt wird, was in allen Landen geraubt und geplündert worden ist, und in der Mitte jenen unersättlichen Kornwurm, der ungeheure Haufen Frucht verschlingt, umgeben von seinen zahlreichen Mitfressern, die uns zuerst das Blut ausgesogen, dann das Fleisch abgenagt haben, jetzt aber an das Mark gekommen sind, uns das innerste Gebein zermalmen und zerbrechen was noch übrig bleibt!«