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Der sächsische Bergbau. – Lebensmittelteuerung. – Erbitterte Volksstimmung. – Die kommunistische Agitation. – Die Zwickauer »Schwärmer«. – Thomas Münzer. – Münzer als Führer der Arbeiterklasse in Zwickau. – Münzers Ausweisung. – Die Bewegung im deutschen Klerus. »Prädikanten«. Die Ausbreitung der »Schwärmerei«. – Karlstadt und die Wittenberger »Schwärmer«. – Stimmung der sächsischen Staatsgewalt. – Luther auf der Wartburg. – Luther kehrt zur Unterdrückung der »Irrlehren« zurück. – Wie Luther seine Feinde verfolgte. – Münzer in Allstätt. – Luther gegen Münzer. – Münzers Agitation und seine Vertreibung aus Sachsen. – Münzer in Mühlhausen. – Die Mühlhäuser Stadtrevolution und Münzers Ausweisung. – »Wider das sanftlebende Fleisch in Wittenberg«. – Die Münzersche Agitation im deutschen Süden. – Wirksamkeit der Bettler. – Die Adelsrevolution. Sickingens und Huttens Ende. – »Ein Hüben, ein Drüben nur gilt!«
Jene ökonomischen Kräfte, welche den sächsischen Herren ihren enormen Reichtum brachten: der Bergbau auf Silber, Kupfer und Gold, waren auch für die soziale Bewegung der unterdrückten Klassen das treibende Element. Der thüringische und sächsische Boden, vom Mansfeldischen und längs den Ufern der Elbe bis hoch hinauf in das sächsische Erzgebirge nach der böhmischen Grenze hin, sah nach 1520 eine in voller revolutionärer Bewegung befindliche Volksmasse.
In den letzten fünfzig Jahren war der sächsische Bergbau in hohen Aufschwung gekommen. Nächst dem alten Freiberger Bergbau hatte man am Schneeberg im Erzgebirge Erzadern gefunden. Dann wurde unweit dieser Stelle, am Schreckenstein, Erz aus dem Boden hervorgewühlt. An der böhmischen Grenze und hoch auf dem Kamme des Erzgebirges entdeckte das gierig suchende Auge des Kapitalismus das wertvolle Erz. Diese Funde bedeuteten für die hungernde Masse des Proletariats Arbeit und Brot. Aus den Elblanden und aus Böhmen kamen die Arbeitskräfte in Scharen herbeigeströmt. Die Fichtenwaldungen auf und um die Silberberge brachen unter Axtschlägen rasch zusammen, die Kuppen des Gebirges wurden kahl und auf ihnen entstanden Niederlassungen von Bergleuten, die, entsprechend der großen Ergiebigkeit der Bergwerke, rasch zu beträchtlichen Städten emporwuchsen. Auf den zu verkehrsreichen Straßen gewordenen Gebirgs- und Waldwegen strömten immer neue Arbeitermassen heran. Schneeberg, Annaberg, Marienberg entstanden als Städte im Erzgebirge. Noch heute, da längst der Bergbau dieser Gegend zugrunde gegangen ist und die Berghalden und verfallenen Stollen gleich riesigen Trümmerstätten daliegen, weisen die breiten, aber verödeten Straßen, die weiten, aber heute viel zu großen Marktplätze, zwischen deren Steinen das Gras emporwuchert, auf das lebhafte Handelsgetriebe, welches sich hier abgespielt haben muß. Dieses Handels Zentrale war die sächsische Stadt Zwickau, an der großen Hauptstraße gelegen, die sich von der Elbe über Leipzig und Chemnitz, von Dresden und Freiberg, sowie aus dem Altenburgischen herüberzog. Die Zwickauer Handelsherren nützten den ökonomischen Aufschwung, den der Bergbau brachte, wucherisch aus. Wie auch heute plötzliche Anhäufung großer Arbeitermassen in Industriezentren wucherische Steigerung der Preise der Lebensmittel bewirkt, so stiegen damals die Lebensmittelpreise in die Höhe. Namentlich das Getreide wurde unerschwinglich teuer, und ob auch der Arbeiter im Stollen, der Kleinbürger in seiner Werkstube noch so fleißig die Hände rührte, die Gier der kapitalistischen Händler vermochten sie mit ihrem Arbeitslohn nicht zu befriedigen. Und nicht besser erging's dem Bauern. Seine Versklavung nahm zu mit der Entwickelung der Industrie. Der Bergbau bedurfte großer Massen Holzes, Brennholz und Grubenhölzer. Die städtische Bevölkerung brauchte Lebensmittel. So bekamen Wald und Acker hohen Wert; sie wurden den Bauern in der schon früher geschilderten Weise durch die Herren entrissen. Dafür steigerten sich die Fron- und Hofedienste. Die Lebensmittel kamen auf die städtischen Märkte und brachten den Grundherren bares Geld; die bäuerlichen Hintersassen mochten hungern. So standen die Dinge nicht bloß in den Bezirken des sächsischen, sondern auch des mansfeldischen, des am Harze und anderwärts betriebenen Bergbaues. Die Wirkungen verspürte man in allen umliegenden Städten und Ortschaften.
Dadurch wuchs in Stadt und Land die revolutionäre Erbitterung. In den Städten wurden seitens des Industrieproletariats wilde Lohnkämpfe geführt, bei denen es zu tätlicher Empörung gegen die kapitalistische Ausbeutung kam; auf dem Lande nahm das Bauernproletariat eine immer drohendere Haltung gegen die Grundherrschaft an, wurde immer »aufsässiger« und »begehrlicher«.
In den Jahren von 1517 bis 1521 hatte sich die steigende revolutionäre Wut des Volkes auf politischem Gebiete an der Sache Luther ausgetobt. Nicht infolge des persönlichen Auftretens Luthers. Nein, durch das Ungeschick der Papstmacht, welche den Ablaßstreit Luthers mit Tetzel in hochmütiger Verblendung zu einer Sache von größter politischer Tragweite sich hatte auswachsen lassen, anstatt den rabiaten Luther beizeiten sowohl durch Entgegenkommen als durch Opferung Tetzels zum Schweigen zu bringen. Da aber Luther absichtlich den Augenblick versäumte, an dem er aus einem bloßen klerikalen Opponenten gegen das Papsttum zu einem politischen Volksführer hätte werden müssen, da er auf der Wartburg in einem freiwilligen Exil saß, was für seinen fürstlichen Gönner vorteilhafter war als für den Exilierten selbst, so verlor die große Volksmasse langsam das Interesse an seiner Person und seiner Sache. Die Volksbewegung flutete über ihn hinaus.
Diese Volksbewegung hatte seit langem wieder einen proletarisch-kommunistischen Grundton. Soviel Blut und Tränen die Mächte der Klerisei auch um seinetwillen vergossen hatten, sie waren des Kommunismus doch niemals völlig Herr geworden, weil er immer aufs neue aus den ökonomischen Verhältnissen belebende Kraft saugte. Als eben in Böhmen die Taboriten niedergeschlagen waren, zeigten sich in den ökonomisch entwickeltsten Gegenden Deutschlands, in Franken und Sachsen die Agitatoren des taboritischen Kommunismus. Der bekannteste wurde ein aus Böhmen nach Franken zugewanderter Musiker Hans Behem (Hans aus Böhmen) vom Volke kurzweg »Pfeiferhänslein« genannt. In Niklashausen an der Tauber trat er 1476 agitierend hervor, nachdem er zuvor seine Musikinstrumente verbrannt hatte. Er besaß eine glänzende volkstümliche Rednergabe, mit der er sich voll revolutionärer Erregung gegen Klerus und Kirche wandte. Deutlich zeigen seine Reden die taboritische Schulung. »Die Fische im Wasser und das Wild auf dem Felde,« so predigte er, »sollen gemein sein.« Würden die geistlichen und weltlichen Fürsten, Grafen und Ritter nicht mehr haben, wie die Gemeinen, so hätten wir alle genug, was denn auch geschehen soll. Es wird dahin kommen, daß die Fürsten und Herren noch um einen Tagelohn arbeiten müssen. Wenn dieser Agitator auf freier Halde sprach, strömten viele Tausende, Bauern vom Pflug, Handwerksgesellen aus der Stadt, Männer und Frauen zusammen, so daß Buden und Zelte zur Beherbergung und Gastnehrung sich auftun mußten. Bis dann, als der Aufruhr zu befürchten stand, die kirchliche Macht zugriff. Bischof Rudolf von Würzburg ließ den Agitator festnehmen und mit zweien seiner Anhänger verbrennen.
Dergestalt zeigte sich überall die kommunistische Agitation. Die industriell fortgeschritteneren Bezirke Deutschlands wurden ihre Zentralen. Von ihnen aus wanderten die Agitatoren hinaus ins Land, streuten den Samen aus, sammelten Anhänger, öffentlich und insgeheim, und schufen eine gewisse lose Organisation all' der revolutionären Elemente.
Als noch die Kirche die internationale, alles beherrschende Macht gewesen war, hatte sie jede Art der kommunistischen Agitation unter den Sammelbegriff der »Ketzerei« gebracht. Ihre Ketzerrichter gaben sich nicht lange mit Prüfung der lokalen Ursachen der Volksbewegungen ab; sie spürten in peinlichem Verhör die internationalen kommunistischen Grundfäden der Bewegung auf und machten sie tot, indem sie durch möglichst viele Blutopfer panischen Schrecken zu verbreiten suchten.
Mit dem Sinken der päpstlich-kirchlichen Macht aber erhob sich die kommunistische »Ketzerei« über den Rahmen der »Häresie« – und bekam den Charakter einer allgemeinen politischen und sozialen Bewegung, die sich gegen das weltliche und das kirchliche Ausbeutertum richtete.
Und fast gleichzeitig zeigte sich vor aller Welt die Ohnmacht der beherrschenden internationalen Mächte: Papst und Kaiser. Der Wormser Reichstag von 1521 zeigte sie; Bannbulle und Reichsacht hatten nicht einmal mehr Wirkung gegenüber einem armseligen Mönche.
Wie diese Beobachtung die lokale Fürstenmacht erstarken ließ, ließ sie auch die kommunistische Bewegung erstarken. Die staats- und kirchenfeindlichen Tendenzen traten überall und immer unverhüllter hervor.
In Zwickau, der sächsischen Industrie- und Handelsstadt, wo Reichtum und Armut in mittelalterlicher Enge bei einander wohnten, traten um 1520 die Industriearbeiter zu kommunistischen Gemeinden zusammen, deren Häupter Max Stübner und Nikolaus Storch waren. Sie hatten sich nach dem Vorbild der Bibel mit zwölf »Aposteln« umgeben, lehrten die uralten chiliastischen Ideen vom tausendjährigen Reiche, wie sie aus dem nahen Böhmen von den Hussiten und Taboriten herübergedrungen waren. Damit verbanden sie religiöse »Schwärmerei«, eine Form, in der sich ebenfalls nur der alte Haß gegen den Klerus äußerte. Der Klerus gab sich als der Vermittler zwischen den Laien und Gott und leitete hieraus die Berechtigung her, ein bevorzugter, auserwählter Stand zu sein. Jetzt lehrten die »Schwärmer«, daß der Laie »Gesichte« habe, daß in solchem Zustande der »Geist« aus ihm spreche, daß jeder nur die Einsamkeit gläubigen Sichversenkens aufzusuchen brauche, um direkt mit Gott in Verbindung zu treten. Diese Lehre machte den ganzen Klerus überflüssig, und aus den sozial erregten Massen der Bergknappen und Tuchknappen, dem Proletariat der Zwickauer Bergbau- und Weberindustrie erhielten die »Schwärmer« großen Zulauf. Das Schwärmerwesen, welches sich bis auf den heutigen Tag unter den verschiedensten Namen in der Bevölkerung des Erzgebirges erhalten hat, war nur der religiöse Ausdruck der sozialen Gährung, die die Zwickauer Lohnarbeiterklasse ergriffen hatte.
Auf den heißen Boden dieser Stadt trat 1520 der Prediger Thomas Münzer, ein Feuerkopf, erfüllt von den sozialen Ideen seiner Zeit, vertraut mit den Überlieferungen der proletarisch-kommunistischen Bewegungen früherer Perioden, ein agitatorisches und organisatorisches Talent, getragen von brennender Liebe zu seinem Volke. Als er nach Zwickau kam war er 28 oder 30 Jahre alt. Tatkraft der Jugend, Begeisterung für die Volkssache hoben ihn empor. Er war 1490 oder 1493 in dem Städtchen Stolberg am Fuße des Harzes geboren, über dessen Armeleutsbevölkerung das mansfeldische Grafengeschlecht seine schwere Hand hielt. Nach einer freudlosen Proletarierjugend erlangte Münzer durch theologische Studien den Doktorgrad. Er wurde Geistlicher. Aber seine rebellische Natur verhinderte, daß er irgendwo hätte festen Fuß fassen können. Das Leben warf ihn hin und her, und nachdem er unter anderem in den Nonnenklöstern zu Frohsa bei Aschersleben und Beutitz bei Weißenfels angestellt gewesen war, kam er als Prediger an die Katharinenkirche zu Zwickau.
Münzer übernahm diese Stelle im Einverständnis mit Luther, den er damals noch begeistert verehrte. Aber vielleicht sind es schon die weitreichenden Einflüsse kommunistischer Verbindungen gewesen, die gerade ihn an jene Stelle brachten. Denn die Katharinenkirche war der Sammelpunkt der Arbeiterklasse Zwickaus, wie denn die Arbeiter damals in und bei den Kirchen am Sonntage ihre Zusammenkünfte und »Morgensprache« abhielten. Im Gegensatze zu dieser Kirche war eine andere, die Marienkirche, der Sammelpunkt des Zwickauer besitzenden Bürgertums, der städtischen herrschenden Klasse. Die proletarische und die bürgerliche Kirchengemeinde standen dauernd auf Kriegsfuß zu einander, was hitzige Wortgefechte der beiderseitigen Geistlichen zur Folge hatte.
Als Münzer an der Katharinenkirche zu predigen begonnen hatte, wurde er alsbald das Haupt der »Knapperei«, d. h. der Arbeiterschaft Zwickaus. Seine Reden zeichneten sich durch große revolutionäre Kühnheit der Sprache, durch unverhüllte Propagandierung der kommunistischen Ideen aus und zündeten deshalb in den Massen. Aus der ganzen erzgebirgischen Umgegend, von Annaberg, Schneeberg, Marienberg strömten die Bergknappen herbei, Münzer zu hören. Münzer lobte von der Kanzel herab öffentlich den Niklas Storch und die Schwärmerei und erhob die Bibelkenntnis des einfachen Laien hoch über die Gelehrsamkeit des reichen und eitlen Klerus Zwickaus. Die Folge war, daß die Schwärmer großen Zulauf bekamen und der antiklerikale und kommunistische Charakter der Schwärmerei zu einer sozialen Gefahr für die weltliche und geistliche herrschende Klasse Zwickaus wurde. Die sächsische Behörde suchte deshalb nach einem Anlaß, diese ganze kommunistische Arbeiterbewegung zu erdrücken. Die allgemeine Erregung stieg noch, als es dem gefährlichen Arbeiterprediger gelang, den Prediger der reichen Katharinenkirche, Johann Wildenau von Eger, aus Zwickau zu vertreiben. Wildenau war behaftet mit allen Lastern des mittelalterlichen Klerus: Fressen, Saufen, Wollust, und konnte Münzers Kritik nicht standhalten. Dieser Erfolg Münzers aber entschied; und als bald darauf die Arbeiter der Weberindustrie, die Tuchknappen, einen Krawall begannen, der viele von ihnen ins Gefängnis brachte, nahm die Behörde dieses zum Anlaß, auch die kommunistische Bewegung zu unterdrücken. Münzer wurde behördlich ausgewiesen; viele seiner Anhänger flohen. Auch Storch und andere verließen Zwickau. Während sie sich nach Wittenberg wandten, zum Herd der kirchenfeindlichen Agitation, ging Münzer nach Prag, der Hauptstadt Böhmens, in der Hoffnung, unter der dortigen Arbeiterschaft ein Asyl zu finden.
Die Hoffnung war trügerisch. Die böhmische Behörde war seit den Tagen Hußens und Tabors nicht minder eifrig hinter den »Aposteln des Umsturzes« her als die sächsische. Kaum in Prag angekommen, mußte Münzer schon weichen. Im bitterkalten Winter anfangs 1522, kam der Heimatlose wieder nach Thüringen und ließ sich in Allstätt nieder, unter der Arbeiterbevölkerung des mansfeldischen Kupfer- und Silberbergbaues.
Damals ging durch den deutschen Klerus ein Singen und Klingen und Jauchzen, empor zum Licht und zur Freiheit. Ein neuer Geist war über die Weltkleriker und über die Mönche wie die Nonnen gekommen. Er brach nicht nur in die Pfarreien ein, er drang auch hinter die dicksten Klostermauern. Die ökonomischen Wandlungen ringsumher, das Aufkommen der Industrien neben der Landwirtschaft, die Ueberwindung des Feudalismus durch den Kapitalismus, welches alles der Kirche ihre alte Hauptaufgabe der großen Armenpflegerin nahm und das Klosterleben noch öder und inhaltloser machte, hatten diesem neuen Geiste die Bahn bereitet. Der Kampf des Wittenbergischen Augustinermönches wider den Papst, mit dem vollständigen Fiasko der gefürchteten Papstmacht, war der letzte Hammerschlag gewesen, der die Türe des mittelalterlichen Kerkers zerbrach. Die Bande frommer Scheu lösten sich. Mönche und Nonnen entflohen aus den Klöstern, entsagten dem Zölibat und vereinigten sich zur Ehe. Viele vom Weltklerus taten dasselbe, teils aus eigenem Entschlusse, teils auf Verlangen der Gemeinden, welche keine im Cölibat lebenden Geistlichen mehr leiden wollten. Die Predigten bekamen einen demokratischen Charakter; gegen den Papst, gegen Rom, gegen das geistliche und das weltliche Herrentum wandten sich die Prediger. Religiöse Tendenzen vermischten sich mit politischen. Immer vernehmlicher klang aus den Predigten die soziale Not des Volkes hervor. Die schonungslose Kritik der Sitten der weltlichen und der geistlichen Großen wurde das Lieblingsthema. Nichts war der Masse lieber, als wenn man »ihre Ohren kitzelte mit Geschrei wider die Reichen und Gewaltigen.« Der allgemeinen Erregung gab auch der Klerus Ausdruck.
Wo die römische kirchliche Richtung hierzu stark genug war, verjagte sie die ihr unbequemen Prediger. Die zogen nun heimatlos umher, von Ort zu Ort und suchten sich ihren Unterhalt, indem sie als freie Prediger, »Prädikanten«, unter der Linde im Dorfe, auf einem Eckstein des Marktplatzes zu den Bauern und Hintersassen, den Handwerkern und Industriearbeitern sprachen und von den Gleichgesinnten Obdach und Zehrgeld bekamen. Sie redeten des Volkes Sprache, ihre Reden entfernten sich immer weiter von kirchlicher Art und wurden revolutionäre Agitationsreden. Der Bibel bedienten sie sich nur noch, um aus ihr die Berechtigung zu ihren Angriffen abzuleiten. »Sie predigen in allen Winkeln nur die Sprüche aus altem und neuem Testament, da von Schwert, Harnisch, Kriegen und Würgen gesagt wird,« schildert der Nürnberger Rat und wie dort, so redeten sie überall.
Erklärung zu den umstehenden Bildern »Das Mönchskalb« und »Der Papstesel«.
Die Geschichte dieser beiden Reformationskarikaturen ist besonders interessant. Diese beiden Karikaturenflugblätter sind zweifellos die populärsten und verbreitetsten der ganzen Reformationszeit gewesen. Von beiden sind verschiedene Neudrucke gemacht worden, weil sie immer von neuem begehrt wurden, ihr symbolischer Charakter entsprach durchaus der Volksseele der Zeit, die ernstlich an Wunder glaubte, immer Wunder erwartete, in allen möglichen Erscheinungen geheimnisvolle Offenbarungen und Andeutungen erblickte und die darum in Allem, was man ihr als geistige Nahrung bot, eine Gelegenheit zum »Deuten« haben wollte. Diesem Drang entsprechen diese beiden Blätter und daher ihre Popularität. Aber diese große Popularität hängt wohl noch damit zusammen, daß beide Flugblätter in Verbindung mit langen, ausführlichen Erklärungen Luthers und Melanchthons unter das Volk gegangen sind. Daß Luther und Melanchthon solche Deutungen geschrieben haben, das belegt interessant, wie sehr es die Beiden verstanden haben, alles in ihren Dienst zu stellen, was sich irgendwie für ihre antirömische Agitation ausnützen ließ. Diese beiden Blätter waren nämlich ursprünglich gar keine Karikaturen wider die Mönche und das Papsttum, sondern einfach phantastische Darstellungen von Mißgeburten, wie man solchen damals sehr häufig begegnet, und das Blatt der Papstesel war zum ersten Mal lange vor Luthers Agitation erschienen. Das Blatt »Das Mönchskalb« ist die Darstellung eines mißbildeten Kalbes, das zu Freiburg in Sachsen zur Welt gekommen war; der Papstesel stammte aus Rom. Das abergläubische Volk jener Zeit, das in seiner mystischen Lebensauffassung, wie gesagt, in Allem Zeichen von Oben sah, deutete alle Mißgeburten in seiner Weise. Es erblickte darin stets Fingerzeige Gottes, so auch in diesen beiden Fällen. Luther nützte das ganz geschickt, er akzeptierte die Fabeln, die das Volk besonders an den Papstesel geknüpft hatte, daß diese Mißgeburt eigentlich den Papst Alexander VI. darstellen sollte, daß der Tiber, in den diese Mißgeburt geworfen worden war, sie wieder ausgespieen habe, und daß der widerliche Körper wochenlang darin herumgeschwommen sei. Luther ging aber noch weiter, er deutete jede Einzelheit, mit der der phantasievolle erste Künstler die Darstellung ausgestattet hatte und proklamierte beide Blätter sozusagen als einen sichtbaren Fingerzeig Gottes, durch den derselbe die Menschen mahnen wollte, eine Regeneration an Haupt und Gliedern der Kirche vorzunehmen. Mit diesen Deutungen gingen die Blätter dann von neuem unter die Massen: ein Agitationsmittel gegen die römische Kirche und zugleich eine für ihre Zeit sehr geschickte Manier, Luthers Kampf als von Gott gewollt und befohlen dem geringen Volke einzureden.
Die Symbolik des Mönchskalbs ist verhältnismäßig einfach, die Blödheit des Kalbes sollte die blöde Unwissenheit der Mönche versinnbildlichen. Komplizierter ist schon die des Papstesels. »Aufs erst«, sagte Melanchthon, »bedeutet der Eselskopf den Papst, denn gleich wie sich ein Eselkopf auf einen Menschenleib reimet, so reimt sich auch der Papst zum Haupt über die Kirche«. Die rechte Hand ist gleich einem Elefantenfuß, sie »bedeutet das geistliche Regiment des Papstes, womit er niedertritt alle schwachen Gewissen«; die linke Hand bedeutet des Papstes weltlich Regiment; der Ochsenfuß sind die Diener des Papstes, »die dem Papsttum im Unterdrücken der Seelen« helfen und beistehen. »Der weibisch Bauch und Brust, das sind Kardinäle, Bischöfe, Pfaffen, Mönche, Studenten und dergleichen+… Der Kopf auf dem Hintersten aber zeige, daß das Papsttum an sein Ende kommen sei«. Luther fügte dieser Deutung »noch ein recht kräftiges Amen« hinzu. Und wie der Papstesel den Sturz des Papsttums bedeute, sagt Luther, so bedeute das Mönchskalb den des Mönchstums: »genugsam sei an diesem Kalb gesagt, daß Gott der Möncherei Feind ist«.
Luther hat, wie wir schon gesehen haben, seinem Freunde, dem Maler Lukas Cranach noch mancherlei Anregungen und Texte zu Papstkarikaturen geliefert. Sie spielten alle eine wichtige Rolle in dem Kampfe gegen die römische Kirche, wenige aber wohl eine so große wie diese beiden.
Mit diesen Prädikanten und neben ihnen dehnte sich die »Schwärmerei« durch ganz Deutschland aus. Sie wurde zur Seele der kommunistisch-proletarischen Volksbewegung. Hin und her sah man die »neuen Propheten« ziehen, die »Schwärmer«, die »Träumer«; wo sie nicht öffentlich predigen durften, holten sie das Proletariat nachts zusammen, in einsam gelegenen Häusern oder Tälern, wie sie überhaupt häufig nur nachts reisten und nachts in den Häusern der Ihrigen einkehrten, gleich den ehemaligen waldensischen Sendboten. Bald hatte die revolutionäre Propaganda ihren Weg vom Thüringer Walde bis in die Täler der Schweizer und Tiroler Alpen gemacht, in Sachsen und längs der Elbe, durch Thüringen nach Schwaben, am Mittel- und Oberrhein sah man ihre Wirkung auf das Volk.
Die von Zwickau nach Wittenberg herübergekommenen Schwärmer hatten hier viel Erfolg. Sie griffen den Klerus noch energischer als Luther an und gingen über diesen noch hinaus, indem sie die Basis zu einer neuen religiösen Organisation schufen. Aber religiöse Schwärmerei und revolutionärer Kommunismus waren so miteinander verwachsen, daß sich eins vom andern nicht mehr trennen ließ. Die lutherischen Gelehrtenkreise und die kursächsische Landesbehörde sah eine Weile dem Treiben der Storch und Stübner abwartend zu. Melanchthon, Luthers Freund, ein ängstlicher Stubengelehrter, gab Stübner sogar zunächst Quartier und lobte das Schwärmerwesen, um gleichzeitig doch furchtsam nach der »Staatsgefährlichkeit« der Zugewanderten zu spähen.
An dem neuen Orte rief die Schwärmerei bald ähnliche Konflikte hervor wie in Zwickau. An der Wittenbergischen Universität befand sich der Professor Andreas Bodenstein aus Karlstadt am Main, nach diesem Orte einfach Karlstadt genannt. Er war ein von idealem Wollen und revolutionärem Tatendrang beseelter Mann, dem die ganze Entwickelung viel zu langsam vorwärts ging. So trieb und drängte er denn, bewirkte das Fallenlassen der lateinischen Messe, der äußerlichen kirchlichen Gebräuche, veranlaßte die Augustiner zu Reformen, agitierte gegen die Heiligenbilder und die Fasten. Er trat offen gegen die Gelehrtenkaste auf. Die Gelehrten sollten unter die Handwerker gehen und von diesen lernen. »Er erklärte laut Händearbeit für besser und nützlicher als Stubengelehrsamkeit. Es ward in ihm immer fester, daß der gelehrte Wust den grünen Baum des Lebens überspinne wie ein ungeheures Raupennest.« (Zimmermann.) Unter seinem Antrieb und seiner Förderung wurden im Kirchendienst eine Menge Neuerungen eingeführt, und der Einfluß der Zwickauer Schwärmer wurde schließlich so stark, daß Magistrat und Universität einfach gezwungen waren, sich mit dem allen einverstanden zu erklären.
Karlstadt verließ schließlich die Universitär und ging hinaus nach Segren zu einem einfachen Bauersmann, dessen Tochter er geheiratet hatte. Den Bauernrock zog er an und tat auf dem Felde die grobe Arbeit der Landproletarier, wollte auch von den Bauern nicht als »Doktor«, sondern nur als »Bruder Andres« angeredet sein. So trat er praktisch ein für die Aufhebung der bevorrechteten Gelehrten- und Klerikerklasse, für die allgemeine Beseitigung der Klassenunterschiede und Herbeiführung der Gleichheit und Freiheit aller. In Wittenberg selbst aber wurden die Schwärmer immer kühner, und wie in Zwickau, so kam es auch hier schließlich zu Tumulten. Die Erregung lag einmal in der Luft; das Volk blieb nicht mehr allein bei den Worten; die revolutionäre Spannung war allgemein.
Diese ganze Entwickelung war nun freilich wenig nach dem Geschmacke der landesherrlichen Gewalt. Kurfürst Friedrich hatte, wie wir gesehen haben, den Mönch Luther überhaupt nur deshalb in Schutz genommen, weil dessen Auftreten und dessen Sache wider den Ablaß und später wider den Papst seinen besonderem fürstlichen Interessen nützte. Der Kurfürst hatte sich sorgsam gehütet, offen für Luther Partei zu ergreifen und immer nur die Rolle des wohlwollenden Zuschauers gespielt. Als die Sache Luthers in Worms jene gefährliche Wendung nahm, die den Kurfürsten zwang, offen Partei zu ergreifen, zog er sich aus der Schlinge heraus, indem er Luther auf die Wartburg verschwinden ließ und dadurch die Luthersache, wenigstens für den Augenblick, beendete. Nun aber schlug von unten auf, aus der Masse seiner Arbeiter und Bauern, die Flamme des Aufruhrs empor. Unfähig, die ökonomischen Ursachen der Vorgänge zu erkennen, sah er immer nur das religiöse Wesen der Schwärmer, gab ihnen die alleinige Schuld an der allgemeinen Aufruhrstimmung und hielt die Schwärmerei für die direkte Folge der lutherischen Agitation. Damit wurde denn auch Luther beim Kurfürsten mißliebig. Er befand sich in der Rolle eines in Ungnade gefallenen Hofgelehrten.
Um diese Zeit saß nun Luther noch immer in freiwilliger Abgeschlossenheit auf der Wartburg. Obwohl er als »Junker Jörg« (Bild 218) durch Fürstengunst alles hatte, dessen er bedurfte und sich, jeder materiellen Sorge ledig, frei seinen schriftstellerischen Arbeiten hingeben konnte – hier übertrug er u. a. den lateinischen Text des Neuen Testament ins Deutsche (Bild 228) –, fühlte er sich doch bei den Junkern nicht behaglich. Dieses Herrentum lebte dem Spiel, dem Trunk, der Jagd und den Weibern, war von wüstem und rohem Gebahren und achtete das »Münchlein« nur, weil des Kurfürsten mächtige Hand über ihm war. Luther, der auch mit zur Jagd mußte, behagte die wüste Tierhetze mit Spieß und Büchse wenig. »Ihm selbst sei ein armes Häslein, das er gerettet und in die Ärmel seines Mantels gewickelt habe, durch den Mantel hindurch von den Hunden totgebissen worden.« Wenn er auf seinen Ausritten irgendwo in einem Haus ein Buch liegen sah, griff er unwillkürlich danach; sein Begleiter hat ihn wohl warnen müssen, das sei nicht adlig; Reiterei und Schreiberei reimten sich übel zusammen. So befand sich Luther auf der Wartburg in einer Abhängigkeit, die ihm je länger, je drückender wurde.
Da kamen die Nachrichten von den Wittenberger Unruhen und des Kurfürsten besorgte Anfragen. Luther empfand wohl, daß er allmählich hier wie dort an Bedeutung verliere, wenn er länger zögernd sich fernhielte. So verließ er denn die Wartburg, halb und halb gegen den Willen des schwankenden Kurfürsten, welcher Verwickelungen mit den Reichsgewalten befürchtete, wenn er Luther »sein Gift weiter verbreiten« ließe. Im März 1522 traf er wieder in Wittenberg ein und mußte alsbald zu seinem Aerger sehen, wie stark seine Popularität schon geschwunden. Er begann einen wütenden Krieg gegen die Neuerer und drang, kraft der hinter ihm stehenden landesherrlichen Autorität, auch durch. Karlstadt mußte den Wittenbergischen Schauplatz räumen und wandte sich zunächst nach Orlamünde, entschlossen, »es koste Leben oder Tod, um des gräulichen Mißbrauches und der armen betrogenen Christenheit willen auszubrechen.« Luther aber wurde immer heftiger und verfolgte mit wilden Anklagen seine Feinde. Der »Häretiker« mußte bereits selbst gegen »Häretiker« seiner Sache kämpfen. Das kränkende Bewußtsein, daß andere Männer ihn von seinem Platze drängten und ihn verdunkelten, vermischte sich bei ihm mit der Sorge, mitleiden zu müssen, wenn diese dem Landesherrn mißliebige Volksbewegung siegen sollte. Deshalb war ihm zu ihrer Bekämpfung jedes Mittel recht. Luther ging sogar soweit, daß er, was er an katholischen Fürsten und Regierungen als gottlose Gewalttat, als Geistestyrannei schalt, sich ohne Weiteres gegen seine evangelischen wie katholischen Feinde selbst erlaubte. »Gegen ihre Schalkheit und Täuschung,« sagte er offen, »halte ich, wegen des Heiles der Seelen, mir Alles für erlaubt.« (Zimmermann.) Die Freiheit der Presse, die er für sich unumschränkt in Anspruch nahm, verweigerte er seinen Gegnern. Er rief gegen sie den Arm der Behörden auf, erwirkte von der Regierung gegen sie Verbote des Schreibens und Druckens ihrer Ansichten, die Beschlagnahme und Vernichtung ihrer Schriften, ihre und ihrer Familien Vertreibung aus dem Lande. Martin Reinhard, Prediger zu Jena, der für Karlstadt eingetreten war, mußte auf Luthers Betreiben fort. Weinend nahm der Gemaßregelte Abschied von der Kanzel; seine Gemeinde schoß das Reisegeld zusammen, damit er mit Weib und Kind in die Reichsstadt Nürnberg ziehen konnte. Gleichzeitig vertrieb Luther den Doktor Westerburg, einen andern Parteigänger Karlstadts, aus Jena und aus den sächsischen Landen. Selbst in die Ferne verfolgte er seine Feinde mit seinem Hasse. Unter dem Scheine der Warnung schrieb er an die befreundeten Ratsmitglieder der Zufluchtsstätte seiner Feinde und stachelte sie zu ihrer Vertreibung auf. Auch Karlstadt wurde schließlich auf Luthers Betreiben aus den sächsischen Landen ausgewiesen und irrte durch Mitteldeutschland an den Oberrhein, nach Straßburg und Basel.
Das Volk selbst war nicht überall so beschränkt, Luther zu glauben, daß er dieses alles »wegen des Heiles der Seelen« tue. Es empfand sehr wohl, daß Luther der vollziehende Arm des Kurfürsten war und rasch gingen dem Reformator die Sympathien verloren. In Orlamünde, wo seine hochfahrende Feindseligkeit gegen Karlstadt allgemeine Empörung erregte, konnte er sich nur durch schnelle Abfahrt den Scheltworten und den Steinwürfen des Volkes entziehen. »Ich ward froh«, schrieb Luther später selbst, »daß ich nicht mit Steinen und Dreck ausgeworfen ward, da mir etliche solchen Segen gaben. Fahr' hin in tausend Teufel Namen! Daß du den Hals brächst, ehe du zur Stadt hinauskommst!« Dafür wütete er hinterher desto mehr gegen alle Andersdenkenden. Den er am meisten haßte, war Thomas Münzer, der mit der Bewegung ins Riesengroße wachsende Volksmann.
Thomas Münzer hatte unter der arbeitenden Bevölkerung Allstätts viel Anhang bekommen, der sich bald über die Stadt hinaus und durch die ganze Umgegend ausdehnte. Er mochte wohl glauben nach langen Irrfahrten hier endlich einen sicheren Hafen gefunden zu haben und hier bleiben zu können. Er heiratete eine aus dem Kloster ausgetretene Nonne, gleichwie andere Prediger das getan hatten und gründete einen Hausstand (Bild 231).
Während die alte römische Kirche auseinanderfiel, schuf Münzer mit energischer Hand die Grundlage zu einer neuen Organisation. Aber er gedachte nicht, an die Stelle der gestürzten Papstmacht eine neue Autorität zu setzen, sondern erstrebte eine demokratische Organisation. Die große Volksmasse sollte herrschen an Stelle der alten Priesterkaste. Als wuchtigstes Kampfmittel bediente sich Münzer dabei der deutschen Sprache. Er führte, als der erste unter den Reformatoren der Kirche, einen völlig deutschen Gottesdienst ein. Er ließ nicht nur über das neue Testament, sondern auch über das alte predigen, aus welchem gerade die damalige Volksbewegung ihr Beweis- und Anklagematerial wider Kirche und Herrentum holte. Schließlich wurden auch Beichtstuhl und Beichte, durch welche der Klerus den größten Einfluß auf das Volk übte, abgeschafft. Die ganze Gemeinde wirkte beim Gottesdienst mit; die Priesterherrschaft über das Volk war gebrochen.
Aber dieser kühne Denker und Organisator ging noch weiter. Er strebte dem Ziele zu, die höchste Autorität der Kirche zu beseitigen: den in der Bibel niedergelegten Gottesbegriff und an dessen Stelle das eigene Ich des Menschen zu setzen. Sein System führte schnurgerade zum Atheismus. Aus der Bibel allein, sagte Münzer, kann man nicht wissen was recht ist, Gott muß es in unserm Innern erwecken. »Ob du auch schon die Biblien gefressen hast, hilft's dich nicht. Du mußt den scharfen Pflugschaar leiden, mit dem Gott das Unkraut aus deinem Herzen ausrottet.«+… »Nämlich er (der Mensch) soll und muß wissen, daß Gott in ihm sei, daß er ihn nicht ausdichte, aussinne, wie er tausend Meilen von ihm sei, sondern wie Himmel und Erde voll, voll Gottes sind und wie der Vater den Sohn ohne Unterlaß in uns gebärt und der heilige Geist nicht anders denn den Gekreuzigten in uns durch herzliche Betrübnis erklärt.« Weiter rät Münzer seinen Anhängern: »Gehe auf einen Winkel und rede mit Gott.« Diese Münzerschen Aussprüche sind lange als mystische Schwärmerei gedeutet worden, indem man sie wörtlich nahm. Aber sie bedeuten nichts anderes, als daß Münzer seine Anhänger aufforderte, sich auf ihr Selbst zu besinnen. In ungestörter Einsamkeit sollten sie ernst mit sich selbst zu Rate gehen, auf die Stimme in ihrem Innern, auf die menschliche Vernunft hören und nach ihr handeln. Das war das Evangelium, welches Münzer den Massen brachte; eine wirkliche »Reformation«, die, wenn sie durchdrang, eine völlige Umwälzung schuf. Sie erhob auch die Niedrigsten aus dem Staube und machte alle Menschen zu gleichberechtigten Vernunftwesen. Sie schuf in Wahrheit die Brüdergemeinde, auf der Münzer einen kommunistischen Staat aufbauen wollte.
Im Volke fand diese aus dem Feuergeiste einer revolutionären Zeit geborene Münzersche Reformation jubelnde Aufnahme. Zu vielen Tausenden strömten die Proletarier des ganzen Landes zu dem Münzerschen Gottesdienste. »Das arme, dürftige Volk begehrte der Wahrheit also fleißig, daß auch alle Straßen voll Leuten waren, von allen Orten, anzuhören, wie das Amt, die Biblien zu singen und zu predigen, in Allstätt angerichtet ward.« (Münzer.)
Diese Münzerschen Erfolge versetzten Luther in Wittenberg in große Erregung. Luther hatte zwar mit aller Lungenkraft gegen den Papst und den römischen Klerus gedonnert, aber er dachte nicht daran, den bevorrechteten geistlichen Stand in der Kirche überhaupt zu beseitigen und die Laienherrschaft aufzurichten. Sein Ziel war nicht die Demokratie, und vollends die staatsfeindliche kommunistische Tendenz, welche immer schärfer aus Münzers reformatorischen Bestrebungen hervortrat, flößte ihm Furcht und Schrecken ein. Dazu gesellte sich der Neid auf den gewaltigen Erfolg der Münzerschen Reformation, der ihn völlig verdunkelte. So suchte er denn seinen Einfluß bei den sächsischen Fürsten geltend zu machen, daß zunächst Münzers »Deutsch Kirchenamt« nicht in Druck gehen sollte und damit glaubte er die Einführung des Münzerschen Kirchenamts über des Reformators lokalen Wirkungskreis hinaus verhindern zu können. Gern hätte er Münzer sofort aus Allstätt vertrieben. Aber es ging dies nicht so leicht. Noch stand Münzer auf dem Boden kirchlicher Reformen. Solange er sich keines politischen Vergehens schuldig machte, sah die sächsische Staatsgewalt der Sache ruhig zu, denn im Grunde war Kurfürst Friedrich – persönlich ein gutmütiger und in seinen Entschlüssen schwerfälliger Mann – lange nicht so brutal-reaktionär wie Luther.
Aber diese politischen Vergehen entwickelten sich alsbald. Münzer predigte mit flammenden Worten gegen die »Abgötterei des Bilderdienstes«. Auch damit gab er nur der vorherrschenden erbitterten Volksstimmung Ausdruck. Wenn heute die Geschichtsschreibung die proletarischen Bilderstürmer als Kunstbarbaren und religiöse Fanatiker abzutun sucht, so muß festgehalten werden daß die Bilderstürmer nicht aus einem religiösen, sondern aus einem sozialen Beweggrund handelten. Die kirchlichen Heiligenbilder waren Werkzeuge der Ausbeutung. Jedes Heiligenbild war auch »wundertätig« und hinter jedem »Wunder« reckte der Klerus seine begehrliche Hand hervor. Welche Unsummen hatte der Klerus mit Heiligenbildern, Statuen, Reliquien aus den armen Volksmassen herausgeholt! Als jetzt das Ansehen der Papstmacht schwand, kehrte sich die fromme Reliquienverehrung in eine grenzenlose Wut über die lange geübte Ausbeutung. An den Bildern, den sichtbaren Ausbeutungsmitteln tobte sie sich aus. Als Münzer dieser Volksstimmung Worte lieh, ging die erbitterte Masse zu Taten über. Die Allstätter stürmten die Kapelle im nahe gelegenen Mellerbach, einem besuchten Wallfahrtsort, und brannten sie nieder. Da war das politische Vergehen! Man brauchte nun nur noch den »Anstifter«, den »Aufwiegler« und fand ihn in Münzer, ob er auch vorher den Klausner von Mellerbach gewarnt hatte, er solle hinwegziehen. Die sächsische Staatsgewalt wollte sich des »Aufwieglers« bemächtigen. Da jedoch die Allstätter Arbeiterschaft ihren Führer schützte und auch bekannt wurde, daß viele auswärtige »Berggesellen« und andere dem Bedrohten beistehen wollten, besorgte man wohl, durch ein Einschreiten mit Waffengewalt den Brand zu schüren, statt ihn zu löschen. Auch die Behörden fühlten die gefährliche Volksstimmung. So kamen denn eines Tages die sächsischen Fürsten nach Allstätt, um die Ursache all des Kampfes in der Nähe zu ergründen. Sie forderten Münzer aufs Schloß und ließen ihn predigen. Und Münzer kam, ein Mann von anderer Art als Luther! Mitten im Volke stehend, wohl unterrichtet über seine Kampfesstimmung, die, wenn sie siegte, das bestehende Regiment wie in einer Sturzwelle hinwegschwemmen mußte, fühlte er sich den sächsischen Herren gegenüber als eine überlegene Macht. So redete er zu den Fürsten. Seine Rede war eine mit erhobenem Finger vorgetragene Mahnung, wie die Fürsten die Revolution verhindern könnten. »Man sieht itzt hübsch, wie sich die Aale und Schlangen verunkeuschen auf einem Haufen. Die Pfaffen und alle bösen Geistlichen sind die Schlangen+… und die weltlichen Herren und Regenten sind Aale+… Ach, liebe Herrn, wie hübsch wird der Herr da unter die alten Töpfe schmeißen mit einer eisernen Stangen+… Sollt ihr nun rechte Regenten sein, so müßt ihr das Regiment bei der Wurzel anheben+… Daß aber dasselbe (die Vertilgung der Gottlosen) nun redlicher Weise und füglich geschehe, so sollen das unsere teueren Väter, die Fürsten tun, die Christum mit uns bekennen. Wo sie aber das nicht tun, so wird ihnen das Schwert genommen werden, denn sie bekennen ihn also mit Worten und leugnen sein mit der Tat+… Seid nur keck! Der will das Regiment selber haben, dem alle Gewalt ist gegeben im Himmel wie auf Erden. Matthäi am letzten. Der euch am liebsten bewahr ewiglich. Amen.«
Wenn die fürstlichen Zuhörer Münzer nach dieser Rede, welche die Revolution geradezu für notwendig erklärte, nicht sofort packen und prozessieren ließen, zeigt dies, wie mächtig die Volksbewegung bereits geworden war. Sie verboten Münzer aber, ohne ihre Erlaubnis irgend etwas drucken zu lassen und wiesen seinen Drucker Nikolaus Widemar in Eilenburg aus, als dieser Münzers Rede vor den Fürsten im Druck erscheinen ließ. Durch solche behördliche Maßregelung ward Münzer vom kirchlich-reformerischen Boden weg und auf die Bahn politischer Opposition gegen das herrschende System gedrängt. Nicht mehr der Klerus, nein, die Fürsten waren nun die Feinde, gegen die er sich wendete. In der Nachbarstadt Mühlhausen i. Thür. ließ er gegen sie eine Flugschrift drucken, die wuchtig wie ein Keulenschlag auf das herrschende System in den sächsischen Landen niederfiel. »Außgetruckte emplößung des falschen Glaubens der ungetreuen welt!« ist ihr Titel. »Thomas Münzer mit dem Hammer«, nennt er sich auf dem Titelblatte mit Bezug auf das Bibelwort: »Ist mein Wort nicht wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?« »Liebe Gesellen«, ruft er seinen Anhängern zu, »laßt uns auch das Loch weiter machen, auf daß alle Welt sehen und begreifen möge, wer unsere großen Hansen sind, die Gott so lästerlich zum gemalten Männlein gemacht haben!« Die Schrift spricht die glutheiße Sprache der unmittelbar bevorstehenden revolutionären Ereignisse. Münzer wendet sich zunächst gegen Luther, den »Bruder Sanftleben und Bruder Leisetreter«, um dann die Fürsten anzugreifen, von denen jetzt etliche anfingen »ihr Volk zu stöckern, plöcken, schinden und schaben und bedreuen dazu die ganze Christenheit und peinigen und töten schmählich die Ihrigen und Fremde, daß Gott nach dem Ringen der Auserwählten den Jammer nicht länger wird können und mögen ansehen.« Nicht die Fürsten seien zu fürchten, sondern Gott. An ihm und am Sieg der Volkssache dürfe man nicht verzweifeln. »Ja, es dünkt unzählige Leute, eine mächtig große Schwärmerei zu sein. Sie können nicht anders urteilen, denn daß es unmöglich sei, daß ein solches Spiel sollte angerichtet und vollführt werden, die Gottlosen vom Stuhl der Urteile zu stoßen und die Niedrigen, Groben erheben+… Ja, es ist dennoch ein feiner Glaube, er wird noch viel Gutes anrichten. Er wird wohl ein subtiles (scharfsinniges, grüblerisches) Volk anrichten, wie Plato der Philosophus spekuliert hat ( de republica). Und Apulejus vom güldenen Esel.«
So propagierte Thomas Münzer offen und in der schärfsten Sprache die Revolution und als ihr Ziel die kommunistische Gesellschaft – »wie Plato, der Philosophus, spekuliert hat«. Und Münzer blieb nicht bei den Worten. Einmal auf das politische Gebiet gedrängt, ging er alsbald zu Taten über. Er gründete eine Geheimorganisation aller seiner kommunistischen Anhänger. Die Zentrale war Allstätt, aber die Organisation erstreckte sich weit hinein ins Land, durch das Mansfeldische Tal bis ins Erzgebirge hinauf und in die Stadt Zwickau. Es war eine geschlossene, feste Organisation, jedes einzelne Mitglied der Allstätter Zentrale wohl bekannt. »Er (Münzer) machte ein Register, schrieb darin alle, so sich zu ihm verbunden und verpflichtet, die unchristlichen Fürsten zu strafen und christlich Regiment einzusetzen.« (Melanchthon.) Der Organisator Münzer selbst sagte später im Verhör über die Ziele der Verbindung: »Ist ihr Artikel gewest und habens in die Wege richten wollen: omnia sunt communia ( Alles ist gemeinsam), und sollte einem jeden nach seiner Notdurft ausgeteilt werden, nach Gelegenheit.«
Als die sächsische Staatsregierung zu Weimar plötzlich durch Verrat von der Existenz dieser Geheimorganisation Kenntnis erhielt, wurde sie von nicht geringer Furcht erfaßt. Auch Luther faßte jäher Schrecken, als er die Erfolge der Münzerschen Agitation und das Ziel sah, auf welches sie zutrieb. Er setzte deshalb alle Hebel in Bewegung, die Regierung zu weiterem Einschreiten gegen Münzer zu veranlassen, und schrieb einen offenen Brief an die sächsischen Regenten, in welchem er Münzer denunzierte, um desto nachdrücklicher seine eigene staatserhaltende und fürstentreue Gesinnung herauszustreichen. Ihm erschien solches wohl nötig, weil er immer befürchten mußte, wenn wirklich der große Aufruhr ausbreche, dessen das Land voll war, mit den »Aufrührern« in einen Topf geworfen zu werden. So schrieb er denn an die Regenten, es wolle »derselbe Geist die Sache nicht im Wort lassen bleiben, sondern gedenke sich mit der Faust darein zu begeben und wolle sich mit Gewalt setzen wider die Obrigkeit und stracks daher eine leibliche Aufruhr anrichten+… Darum, eure fürstliche Gnaden, hie nicht zu schlaffen noch zu säumen ist, denn Gott wird's fordern und Antwort haben wollen um solchen hinlässigen Brauch und Ernst des befohlenen Schwerts. So würde es auch vor den Leuten und der Welt nicht zu entschuldigen sein, daß eure fürstliche Gnaden aufrührerische und frevle Hand dulden und leiden sollen«. Fürwahr, recht erbaulich hört sich in Luthers Munde solcher fortwährende Appell an den Säbel an!
Die weimarische Regierung säumte auch nicht, den gefährlichen Aufrührer alsbald vorzuladen. Am 1. August 1524 erschien er auf dem Weimarer Schlosse. Es ward ein harter Kampf für ihn. Bleich wie der Tod war er, als er vom Schlosse herabging. Unter dem Schloßtore umringten ihn die Stallbuben mit dem Geschrei: »Wo ist nun dein Geist und dein Gott?« Die Domherren auf dem Schlosse kamen auch dazu herab, um ihn zu belachen. Diesen wie jenen setzte Münzer das Stillschweigen der Verachtung entgegen und eilte dann nach Allstätt. Aber hier hatte sich das Blättlein gewendet. Wohl stand das Proletariat nach wie vor zu seinem Streiter, aber die Besitzenden und der Rat der Stadt nahmen eine feindselige Stellung ein. Denn es war bekannt geworden, daß die sächsischen Fürsten mit großer militärischer Gewalt in das Städtchen fallen und blutiges Gericht halten wollten, um die Zentrale der sächsisch-thüringischen Revolutionsbewegung zu zerstören. Vor Schaden und Strafe wollten sie sich bewahren, indem sie Münzer das Bürgerrecht nahmen und ihn der fürstlichen Macht zur Unschädlichmachung auslieferten. Aber Münzer kam ihnen zuvor und entwich in der Nacht vom 7. auf den 8. August 1524 aus Allstätt. Er war wohl zu siegessicher gewesen. Die großen historischen Entscheidungen werden nicht von einzelnen »gemacht«; sie entwickeln sich mit Naturnotwendigkeit aus gegebenen Verhältnissen.
Das plötzliche Verschwinden Münzers von seinem Allstätter Wirkungsfelde konnte sowohl der Weimarer Regierung, als dem wittenbergischen Lutherkreise recht sein. Aber die Freude, daß »Thomas seines großen Geistes vergessen und sich davongemacht« habe (Melanchthon), verwandelte sich in neuen Schrecken, als es gewiß ward, daß der gefürchtete Volksführer gar nicht weit gegangen, sondern sich im nahen Mühlhausen in Thüringen niedergelassen habe. Die Reaktionäre waren sozusagen vom Regen in die Traufe geraten. Martin Luther sandte in der ersten Bestürzung einen Brief an den Mühlhäuser Rat, damit er Münzer ausweise. Er stellte dabei das komische Ansinnen an den Rat, er solle, falls Münzer behauptete, von Gott zum Predigen berufen zu sein, von ihm verlangen, daß er solches »mit Zeichen und Wundern beweise«+… »Denn wo Gott die ordentliche Weise will ändern, so tut er allwege Wunderzeichen dabei.« Ei, ei! Der eifrige Luther vergaß hierbei bloß, daß ein paar Jahre vorher, als Luther die »ordentliche Weise« des päpstlichen Ablaßkrams geändert wissen wollte, Gott doch auch kein Wunder getan hatte.
Die Bestürzung der Reaktion war durchaus gerechtfertigt. Mühlhausen war eine freie Reichsstadt, in welcher die sächsische Regierung nichts zu befehlen hatte, und die Münzer folglich ein sicheres Asyl gewährte. Weiter aber bot die politisch und sozial erregte Stadtbevölkerung einen gefährlichen Boden für den kommunistischen Samen Münzers. Sie war von mehr als 10 000 Bürgern bewohnt, zwanzig Flecken und Dörfer gehörten zu ihrem Gebiete. Eine hervorragende Weberindustrie, die ihre Tuche bis nach Rußland exportierte, unterhielt beständig eine starke Arbeiterschaft. Gegen das aristokratische Stadtregiment, welches in den Händen weniger Patrizierfamilien lag, tobte ein fortwährender heftiger Kampf. Das zünftlerische Kleinbürgertum begehrte hier wie anderwärts Mitwirkung bei der reichsstädtischen Verwaltung, um drückende Abgaben und Beschwernisse zu beseitigen. Ein Mönch Heinrich Pfeiffer, genannt Schwerdtfeger, der bei Beginn der Reformation aus dem Kloster Reiffenstein entwichen war, stand als Haupt an der Spitze dieses Kleinbürgertums. Gleich all' den anderen Volksmännern hatte er zunächst als kirchlicher Reformer gegen die Klerisei gepredigt. Da ihn die herrschende Klasse bekämpfte, wurde er allmählich dazu gedrängt, für die Beseitigung dieser Klasse zu wirken und ward so ein politischer Agitator. In seinem Kampfe gegen das Patrizierregiment vereinigte er alles um sich was unzufrieden war, von den Zünftlern bis zu den Webereiarbeitern und den Bauern.
Als Münzer, der Flüchtling aus den sächsischen Landen, durch Mühlhausens Tore kam, raste der Aufruhr durch die Gassen. Pfeiffer, der Mönch an der Spitze der Volksmassen, errang für einen Augenblick den Sieg über das Patriziat. An seine Seite trat Münzer, neben den bürgerlichen der proletarische Vorkämpfer. Der Kommunist erkannte bald, daß die Proletarier dem Kleinbürgertum nur gut genug gewesen waren, ihm die Kastanien aus dem Feuer zu holen und als es sich jetzt darum handelte, die Früchte des Sieges zu verteilen, da erhob Münzer kommunistische Forderungen. Sein scharfer Verstand erkannte, daß das abgegrenzte und unabhängige Gebiet der Reichsstadt mit seiner Industrie, seinem Handel, seinem Ackerbau ringsumher, seiner der Kopfzahl nach dominierenden Arbeiter- und Bauernschaft, der beste Boden zur Schaffung eines kommunistischen Gemeinwesens war. Gelang es ihm hier, dann konnte man, so glaubte er, den Kampf für den Kommunismus weiter hinaustragen durch das ganze hochentwickelte mitteldeutsche Produktionsgebiet. So begann er seine Agitation. Aber sie brachte ihm keinen Erfolg. Denn kaum kam das Privateigentum in Frage, da trennte sich Bürgertum und Proletariat. Aus Angst vor den kommunistischen Proletariern, die den Reden des fremden Agitators lauschten, warfen sich die niemals revolutionären Kleinbürger dem Patrizierabsolutismus wieder in die Arme. Der Stadtadel machte sich die Situation zu Nutzen; mit Hilfe eines kaiserlichen Mandates ergriff er wieder die Zügel des Stadtregiments, unterwarf Bürger, Bauern, Arbeiter und trieb die beiden Führer des Aufruhrs, Münzer und Pfeiffer aus der Stadt hinaus.
Der gehetzte kommunistische Agitator wandte sich nach dem Süden, der von zahlreichen geheimen Gesellschaften wie mit einem Netz überzogen war. Von der Schweizer Grenze her drang ihm bereits das Donnergrollen der beginnenden Revolution entgegen. Verfolgt, verfehmt, vertrieben von Weib und Hausstand, hungernd und obdachlos, eilte Münzer dahin. Manch' Anderer hätte den Mut sinken lassen und wäre, seitab von dem großen Kampfplatz, in einem Winkel für immer verschwunden. Aber in diesem Manne loderte ein heiliges Feuer. Es jagte ihn immer wieder auf, zu neuen Taten. In der gleichen Zeit, da seine Wittenberger Todfeinde jubelten, weil er nun auch aus Mühlhausen hatte fortmüssen, und er ihnen nun unschädlich schien, betrat sein nie rastender Fuß das alte Nürnberg. Nicht um zu weilen. Ihn zog's weiter, dorthin wo der Kampf tobte. Durch seine Genossen suchte er sich in aller Stille einen Buchdrucker und alsbald flog aus Nürnberg nach Wittenberg hinüber ein Pfeil, der so sicher und verwundend traf, daß Luther, der Getroffene, laut aufschrie in ohnmächtigem Zorne. Er und seine Freunde haben es nie gewagt, auf die Flugschrift zu antworten, welche Münzer in Nürnberg erscheinen ließ. Der Nürnberger Rat konfiszierte dem Drucker alle Exemplare, warf seinen Gesellen, der Münzers Schrift ohne des Meisters Wissen gedruckt hatte, in das Lochgefängnis. Trotzdem ging die Schrift durchs Land und Exemplare erhielten sich bis auf den heutigen Tag. Ihr Titel lautete: »Hoch verursachte Schutzrede und antwort wider das Gaistlose Sanfft lebende Fleysch zu Wittenberg, welches mit verkärter weyße, durch den Diepstal der heiligen Schrift die erbermdliche Christenheit also gantz jämmerlich besudelt hat. Thomas Müntzer Alstedter.« Mit beißendem Hohne auf Luthers fürstendienerische Art, schickte er seiner Schrift auch eine Widmung voraus – nicht dem Kurfürsten zu Sachsen sondern dem »Durchlauchtigsten Hochgebornen Fürsten und allmächtigen Herrn Jesu Christo, dem gütigen König aller Könige, dem tapferen Herzog aller Gläubigen, meinem gnädigsten Herrn und getreuen Beschirmer und seiner betrübten einzigen Braut, der armen Christenheit.« Dann aber greift er Luther mit Schärfe an. Er verteidigt sich wuchtig gegen Luthers Denunziationen, verhöhnt Luther wegen dessen Posieren mit seinem angeblichen Märtyrertum, wirft ihm sein Wohlleben vor wie auch seine Achselträgerei. »Die armen Mönch und Pfaffen und Kaufleut können sich nicht wehren, darum hast du sie wohl schelten. Aber die gottlosen Regenten soll Niemand richten, ob sie schon Christum mit Füßen treten.« Zum Schluß bespritzt er seinen Feind mit ätzender Lauge: »Schlaf sanft, liebes Fleisch! Ich rieche dich lieber gebraten in deinem Trotz durch Gottes Grimmen im Hafen oder Topf beim Feuer, denn in deinem eigenen Söslein gekocht, sollte dich der Teufel fressen. Du bist ein eselich Fleisch, du würdest langsam gar werden und ein zähes Gericht werden deinen Milchmäulern.«
Diese Münzersche Schrift, eine seiner besten Flugschriften, ist bis heute ein klassisches Meisterwerk der pamphletistischen Literatur geblieben, wie es eben nur der Geist einer bis zur Siedehitze erregten Zeit gebären kann. Und nachdem Münzer dieses Geschoß nach Wittenberg gesandt hatte, wanderte er schon wieder ruhelos von Ort zu Ort, neuen Kämpfen entgegen.
Im Süden hatten die Zwickauer »Schwärmer«, die sich nach ihrer Vertreibung aus Sachsen hierhin gewandt hatten, eine weite Verbreitung und großen Anhang gewonnen. Diese Kommunisten im religiösen Gewande wurden hier als »Schwärmer«, dort als »Wiedertäufer« bezeichnet, letzteres, weil sie die Kindertaufe verwarfen und erst die im Glauben Unterrichteten tauften. Viele hatten »Gesichte«. Es überkam sie, wie einer vor Gericht sagte, »mit großer Macht wider ihren Willen«, und die Verzuckungen waren von Verrenkungen ihrer Glieder begleitet, von einem Zustand, »als ob sie die fallende Krankheit plötzlich ergriffe«. Und diese Zustände ergriffen oft viele zugleich an einem Orte, und sie redeten und weissagten wunderliche Dinge. In Zeiten des sozialen Niederganges flüchtet sich ein Teil des verelendeten Proletariats immer in die Welt des Mystizismus, um sein Leid zu vergessen. Dieser Mystizismus der »Wiedertäufer« aber hatte einen revolutionären Charakter. Zwar hörten die Mystiker auf die »innerliche Stimme«, aber sie nährten sich doch zumeist durch »Umgang mit Münzers und Karlstadts Büchlein«, wie denn auch der Geist, der aus ihnen sprach, »das Gericht des Herrn«, den »Untergang der Gottlosen«, »die neue Welt, darinnen die Gerechtigkeit wohnen werde«, kurzum die kommende Erhebung ankündigte.
In Verbindung mit den »Wiedertäufern« und ihren Gemeinden, immer seine Boten vorauf sendend, die das Volk insgeheim auf sein Kommen aufmerksam machten, wanderte Münzer umher und rief in Massenversammlungen das Volk zum Kampfe auf. Er zog sich durch Schwaben hinauf, in den Klettgau und in den Hegau. In Basel, im Zürichschen, im Elsaß zeigen sich seine Spuren. Mehrere Wochen nahm Münzer seinen Wohnsitz in dem Dorfe Grießen im Klettgau, von wo aus er die ganze Umgegend agitatorisch bearbeitete und die Bauern organisierte. Er predigte viel von der Erlösung Israels: die Stunde sei nahe, da der Herr sein Volk heimsuchen, sein Reich der Heiligen, sein tausendjähriges Reich aufrichten und die Christenheit ein Volk von Brüdern sein werde. Er schrieb und verbreitete Flugschriften wider die Tyrannei der Herren. Die radikale Agitation umhüllte sich, da sie nicht offen gegen die Ausbeuterklasse hervortreten durfte, mit Bibelsprüchen. Die in Münzers Organisation groß gewordenen Agitatoren durchzogen das Land noch zahlreicher als zuvor. Die Zahl der Münzerschen Agitatoren war nach dem Bericht eines Augenzeugen in St. Gallen so groß, daß man an Sonn- und Feiertagen nirgends hingehen konnte, ohne allenthalben auf einen Haufen von Bürgern und Landleuten zu stoßen, die einem Prediger zuhörten.
Zu all' der durch die Agitation geschaffenen Erregung der Volksmassen gesellte sich schließlich noch die Wirksamkeit des Aberglaubens. Er riß auch die Masse der Indifferenten mit fort, die nicht von den geheimen Organisationen beeinflußt wurden. Bald waren um Sonne und Mond Fackeln oder Kreise gesehen worden, bald waren fern in Ungarn am Firmament gekrönte Häupter im Kampf gesehen worden; bald wieder hatte man am Rhein Getümmel und Krachen in der Luft vernommen, wie bei einer Feldschlacht. Im Volke lief eine »Weissagung« um:
»Wer im 1523sten Jahr nicht stirbt,
Im 1524sten nicht im Wasser verdirbt,
1525 nicht wird erschlagen,
Der mag wohl von Wundern sagen.«
Eine weitere Förderung fand die Bewegung durch die beständig umherschweifenden Bettler. Gerade dieses Lumpenproletariat, welches sich ehedem von den Klostersuppen genährt hatte, war in dieser Übergangszeit zur kapitalistischen Warenproduktion übel daran. Denn in dem Maße, wie der Grund und Boden sowie seine Erzeugnisse höheren Wert bekamen, wurde es ihm schwerer durch den Bettel seine Existenz zu finden. Längst verschwunden war mit dem Mittelalter auch dessen vielgerühmte Gastfreundlichkeit und Wohltätigkeit. Dafür aber wurden gegen die »Landstreicher« und »Bedeler« strenge Gesetze und Verordnungen erlassen. Das Lumpenproletariat ward mit grausamer Härte verfolgt. Ohne sich mit der Abstellung der ökonomischen Mißstände abzugeben, welche bewirkten daß fortwährend, zumal aus dem Bauernproletariat, neue Scharen ins Lumpenproletariat der Wälder und der Landstraßen herabsanken, suchten die behördlichen Gewalten das Bettlertum durch drakonische Maßnahmen zu vermindern. Wir vermögen es heute kaum zu begreifen, daß es eine Zeit gegeben hat, die mit Nasen- und Ohrenabschneiden und ähnlichen »sozialen Maßnahmen« das Elend zu heilen für möglich hielt. Aber mit derartigen Mitteln ging man zu jenen Zeiten gegen die durch Betteln sich elend und kümmerlich durchs Leben fristende Armut vor. Der Arme wurde wie der gefährliche Verbrecher behandelt. Zum Trost haben die Satten dann die grimmigsten Moritaten über die Bettler verbreitet – um ihre Grausamkeit vor sich selbst zu rechtfertigen. So wurde ganz natürlich auch das wandernde Proletariat in die allgemeine Volksbewegung hineingezogen. Die Bettler leisteten der Revolution wesentliche Dienste. Sie waren überall, sie kamen überall hin; sie trugen die Nachrichten von Ort zu Ort und halfen so das allgemeine Feuer schüren.
Auch der niedere Adel stand der Volksbewegung nicht unfreundlich gegenüber. Aus den Reihen dieses Adels heraus konnte man gar oft Urteile hören, daß bei der vorhandenen Entwickelung der Dinge der »gemeine Mann« recht habe, wenn er nicht mehr länger aller Herren und aller Pfaffen Packesel sein wolle. Denn auch den Kleinadel drückte, wie wir bereits gesehen haben, die Gestaltung der Verhältnisse im Reich. Als der Sturm losbrach, da hielt, solange die Volksmasse sieghaft war, ein Teil des Adels insgeheim oder offen zur Revolution. Aus dem niederen Adel kamen zum Volke militärische Führer, die freilich die Volkssache schnell im Stiche ließen, als sich das Blättlein wenden wollte. Dieser Adel hatte eben seine fehlgeschlagene Revolution hinter sich. Im Frühling des Vorjahres, 1523, war das Haupt des rebellischen Kleinadels, Franz von Sickingen, kämpfend für seine Sache auf dem Landstuhl gefallen. Der kleine Adel hatte sich zusammengetan, um mit letzter Kraft seine alten selbstherrlichen Rechte der »Fehde« und des »Schirmes« – seine Einnahmequellen aus Faustrecht und Beutemachen – zu schützen und zu handhaben, trotz und neben der Zentralgewalt des Kaisers und der immer mehr erstarkenden Fürstengewalt. 1522 hatte zu Landau ein großer Teil des niederen Adels aus Franken, Schwaben und vom Rhein einen revolutionären Bund gegründet, an dessen Spitze Franz von Sickingen (Bild 219) und Ulrich von Hutten standen. Auf Sickingens Besitzung, der Ebernburg, befand sich eine vollständige Druckerei, mit deren Hilfe Hutten agitatorisch für die Kleinadelsbewegung wirkte und einen Bund mit Volk und Städten wider die Fürstenmacht in die Wege leiten wollte.
Genau so leidenschaftlich wie Ulrich von Hutten ehedem gegen Rom mit seiner beredten Sprache gefochten und gestritten hatte, so zog er jetzt gegen die Fürsten, die Tyrannen ins Feld:
Ist auch ein Fürst der hab' zu viel?
Ich frag': ist einer, der hab' genug,
Und nit auf weiter Nutzung lug?
Möcht' ich (sie sprechen) finden Rath,
Daß mir würd' dienstbar diese Stadt!
Hat etwas dann ein Edelmann,
Das: stößt ein' Fürstenherrschaft an
Und ist gelegen seinem Land:
Bald wird ihm Forderung zugesandt;
Auch halten's Brief und Siegel keinem.
Wetterte er dermaßen gegen die unbegrenzte Habsucht der Fürsten, so verglich er in anderen Versen die Fürsten mit einem nicht zu sättigenden Wanst:
Den Adel hat er g'fressen schon:
Jetzt will er zu den Städten goh'n,
Den setzt er auf einen neuen Zoll.
Sag' an, du Wolf, wann bist du voll?
Denkst nit, daß etwan käm' ein Tag,
Der dir bisher verborgen lag,
Daß du mußt speien aus den Fraß.
Daß Hutten damit in Wirklichkeit der feudalsten Reaktion diente, tut der Richtigkeit dessen, was er schrieb, natürlich keinen Eintrag. Bote auf Bote ging mit Huttens Schriften von der Burg ins Tal und in die Städte, aber im Volke brachte man der Adelssache nicht das erhoffte Interesse entgegen. Die Klassenscheidung war schon zu weit fortgeschritten. Als im September 1522 Franz von Sickingen mit einem kleinen Heere den Kampf eröffnete, indem er gegen den Kurfürsten von Trier zog, schlug schon dieser erste Angriff fehl. Sickingen hatte dem Volke Triers angekündigt, »er komme, sie zu evangelischer Freiheit zu bringen«. Aber das Volk wußte wohl, daß die »evangelische Freiheit« Sickingens nichts als eine leere Phrase war, mit der er seine Sache: die Volksausbeutungssache des niederen Adels, deckte. Sickingens Unternehmen war durchaus reaktionär; die Wiederaufrichtung der Kleinadelsherrschaft des Mittelalters bedeutete die Zersplitterung der politischen Macht. Das vertrug sich nicht mehr mit dem Stande des kapitalistischen Handels und der Produktion in Deutschland. Plackerei, Räuberei, Brandschatzung, Unsicherheit auf allen Straßen und Flüssen wäre die Folge gewesen und die Lasten, die der »gemeine Mann« tragen mußte, hätten sich unter der »evangelischen Freiheit« Sickingens sicherlich noch gemehrt. So hielt sich das Volk fern und das Haupt der Junkerrevolution stützte sich nur auf die begehrlich nach Sold und Beute ausgestreckten Fäuste der Landsknechte und Reisigen. Doch auch deren Zuzug blieb aus als der fehlgeschlagene Angriff auf Trier die Möglichkeit nahm, große Massen Kriegsvolkes unter Sickingens Fahne zu ernähren. Diese Revolution war im voraus fehlgeschlagen, weil sie nicht mit, sondern gegen die ökonomische Entwicklung Deutschlands ging.
Die bedrohte fürstliche Zentralgewalt im Reiche aber raffte sich alsbald zur Niederwerfung der adligen Rebellen auf. Als ein überlegenes fürstliches Heer gegen Trier heranzog, mußte Sickingen seine Söldner großenteils entlassen und sich eilig auf seine Veste Landstuhl zurückziehen. Dort traf ihn die Reichsacht. Im Frühjahr 1523 ward er vom Fürstenheer eingeschlossen, seine Burg im Sturm zertrümmert (Bild 237), er selbst auf den Tod verwundet. Als die Fürsten in die zerstörte Burg kamen, fanden sie einen Sterbenden, der nach ein paar trotzigen Worten verschied. Sie begruben ihn wie einen Räuber. Der Leichnam ward in armselige Laken genäht, in eine alte Kiste gelegt und in der Kapelle des Fleckens Landstuhl ohne Sang und Klang beigesetzt.
Nachdem die Fürsten Sickingens Burg zerstört hatten, zerbrachen sie die Macht des mit ihm verbündeten Kleinadels. In Franken verwüstete der schwäbische Bund allein 23 Schlösser. Was vom Kleinadel ungeschoren blieb, befand sich in fürstlichen Diensten oder hatte sich stillschweigend den Fürsten unterworfen.
Die Agitatoren der Adelsrevolution aber mußten vor der Rache der Fürsten flüchten und gingen in der Ferne zugrunde. Unter ihnen als der bedeutendste und bekannteste Ulrich v. Hutten, Sickingens Kampfgenosse und geistiges Haupt der Adelsbewegung. Ihn verfolgte der Haß einer ganzen Welt. Rom hat ihm keinen Tag seine kühnen Verse vergessen, mit denen er den trägen deutschen Geist gegen das volksausbeuterische Papsttum aufgerüttelt hatte. Im deutschen Volke lebte und wirkte noch immer sein agitatorisch wirksames Gesprächsbüchlein von der römischen Dreiheit, d. h. von der römischen Korruption, und bei den Gebildeten lasen immer neue Freunde seine stahlharten Epigramme, von denen manches so derb dem Papsttum an den Geldbeutel griff. Jetzt nach der Niederlage der Adelsbewegung war Huttens Lage doppelt trostlos, denn er war längst ein schwerkranker Mann, die heißeste Feuerseele Deutschlands loderte seit Jahren in einem zerrütteten Körper. Von Ort zu Ort gehetzt, ausgewiesen von den Behörden, die Unruhen oder den Grimm der Fürsten befürchteten, mußte er den deutschen Boden verlassen und die Gastfreundschaft der freieren Schweiz in Anspruch nehmen. Todwund kam er hier an. Seinen Körper zerstörte das Gift der Syphilis, die damals wie ein furchtbarer Würger durch ganz Europa zog und Hunderttausende hinmordete und bereitete diesem glänzend begabten, kampffrohen und ideal gesinnten Manne ein Ende in Elend und Jammer. Im Hause des wackeren Pfarrers Hans Schnegg auf der Insel Ufnau im Züricher See fand er die letzte Unterkunft. Hier starb er am 1. September 1523 im 36. Lebensjahre. »Er hinterließ kein Buch, kein Gerät, als eine Feder,« schreibt Zwingli.
Aber so dürftig auch diese Hinterlassenschaft war, um so leuchtender wirkte durch alle Zeiten das Bild seines Charakters als eines der stolzesten und kühnsten Kämpfer im Dienste der Wahrheit. So mancher Streiter für die Wahrheit hat sich an Huttens Bilde schon aufgerichtet, denn Hutten hatte wie selten einer bis zum letzten Atemzuge wahr gemacht, was er als seines Lebens Inhalt kühn bezeichnete. Und dieses Lebens großer Inhalt ist am wuchtigsten von dem in Worte gefaßt worden, der ihm im 19. Jahrhundert ein Ebenbürtiger war: von Ferdinand Lassalle. In seinem Drama »Franz von Sickingen« legte Lassalle Hutten die folgenden Worte in den Mund, deren keines dichterische Übertreibung ist:
Ich kann nicht schweigen, kann durch Schweigen nicht
Mir Obdach und des Leibes Sicherheit erkaufen!
Mich treibt der Geist! Ich muß ihm Zeugnis legen,
Kann nicht verschließen, was so mächtig quillt.
Je härter anwächst die gemeine Not,
Daß in Verzweiflung, wie wenn Pest uns schreckt,
Ein jeder still ins eigene Haus sich birgt,
Lautlos am anderen vorüberschleichend –
Nur um so mehr treibt mich des Geists Gewalt,
Entgegen der Verheerung mich zu werfen,
Je mehr sie droht, je mehr sie zu befehden!
O hätt ich tausend Zungen – gerade jetzt
Mit allen Tausenden wollt ich zum Lande reden,
Viel lieber will ich, elend wie ein Wild gehetzt,
Von einem Dorfe mich zum andern tragen,
Als an der Wahrheit schweigend zu verzagen!
Wohl mag es der Gewalt, mich zu verderben, glücken,
Des Geistes Stimme soll sie nie mir unterdrücken.
Eine armselige eiserne Tafel kündet heute, wo Hutten auf der Insel Ufnau mutmaßlich einst sein Grab gefunden hatte (Bild 238), nicht wo seine Gebeine heute noch ruhen. Dem streitbaren Mann ließen seine Feinde selbst im Grabe keine Ruhe. Ein fränkischer Ritter ließ nach einigen Jahren einen Stein mit einer lateinischen Inschrift auf Huttens Grab anbringen. Die Pfaffen von Einsiedel jedoch, denen Kloster und Insel gehörte, duldeten nicht, daß Roms kühnster Widersacher so offen direkt vor ihren Augen geehrt wurde. Darum verschwand der Stein bald wieder und damit auch die Gewißheit, wo Hutten begraben liegt.
Der Ausgang des Kampfes zwischen Rittertum und Fürsten ließ das Volk ziemlich gleichgültig. Saßen ihm doch beide im Nacken. Gerade um jene Zeit schlugen die Wellen der kommunistischen Agitation im Volke hoch empor. Das Volk, seiner Dränger Schar übersatt, besorgte, durch den »Befreier« Sickingen in noch schlimmere Zustände zu gelangen. Eine Flugschrift jener Zeit (»Dialogus so Franziscus von Sickingen vor des Himmels Pforten+… gehalten«) sagt von Sickingen, daß er »nur aus Eigennutz, aus Ruhmsucht gehandelt, viel arme Leut beschädigt, Witwen und Waisen gemacht, Straßenräuber erhalten und andere böse Stücke unter gutem Schein geübt, die der brüderlichen Liebe zuwider seien.«
Dennoch hatte auch die Adelsrevolution eine Aufgabe erfüllt, sie hatte die scharfe Klassenscheidung vollenden helfen. Gegen Ende 1524 standen sich auf dem deutschen Boden im wesentlichen nur noch zwei Parteien gegenüber. Auf der einen Seite die Herrschenden: Fürsten, Adel, Städte, auf der anderen das Proletariat: Bauern und Arbeiter+…
»Ein Hüben, ein Drüben nur gilt!«