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Die Urchristen. – Die urchristlich-kommunistischen Gemeinden. – Christliche Agitation im Römerreich. – Christenverfolgungen. – Der Sieg über das Römertum. – Kaiser Konstantin und die christliche Kirche. – Ausbreitung des Christentums unter den Barbarenvölkern. – Die Völkerwanderung. – Grausames Blutvergießen durch christliche Eroberer. – Die Entwicklung des Klerus und seine Vernichtung der kommunistischen und demokratischen Verfassung der Gemeinden. – Die Kirche. – Das Recht der Schenkungsannahme, die Ursache des Reichtums des Klerus. – Entwicklung des Papsttums. – Die Weltpolitik des Papsttums. – Die Kreuzzüge. – Der Kirchenstaat.
Die urchristlichen Ideen waren in ihrem Wesen revolutionär. Sie liefen auf eine gewaltsame Erhebung des geknechteten römischen Volkes hinaus, deren Ausgangspunkt die Beseitigung der herrschenden Klassen Roms und deren Endziel die Errichtung eines kommunistischen Staates war, des sogenannten »tausendjährigen Reiches«. Die Hoffnung war allgemein unter den Christen: Jesus werde bald an der Spitze einer großen Übermacht wiederkehren, die römische Staatsgewalt vernichten, Gericht halten über seine Feinde und ein neues Reich gründen, darinnen es keinen Armen und keinen Reichen, keinen Überfluß Einzelner, aber auch keine Not Vieler geben werde. Tausend Jahre – ein für den beschränkten Verstand römischer Proletarier undenkbar großer Zeitraum – sollte dieses Reich bestehen. Je schrecklicher die Massenarmut auf dem Volke lastete, je mehr konzentrierte sich alles Sehnen und Hoffen auf diese Staatsidee.
So lange das städtische Proletariat Roms der Träger der christlichen Bewegung war, behielt diese ihren revolutionären Charakter. Als jedoch Angehörige der herrschenden Klassen Roms zum Christentum übertraten und dieses selbst in wachsendem Maße herrschend wurde, wußte man ihm klug und vorsichtig seinen bisherigen Charakter abzustreifen, indem man die Lehre vom tausendjährigen Reiche hier auf Erden, als »ketzerisch« verdammte und das verheißene Reich der Gleichheit, der Brüderlichkeit, der Seligkeit in eine andere Welt versetzte. Die Männer, welche diese Wandlung im Charakter des Christentums bewirkten, waren weitausschauende Köpfe. Sie ebneten dem Christentum den Weg zur Weltherrschaft.
Die christlichen Lehren waren zunächst nicht weit über den Kreis des jüdischen Volkes hinausgedrungen. Erst als siebenzig Jahre nach der Zeit, in welche das Christentum die Geburt Jesu verlegt, Jerusalem durch den nachherigen römischen Kaiser Titus zerstört wurde und die römische Staatsgewalt die Juden, um vor ihren fortwährenden nationalen Erhebungen gegen die römische Fremdherrschaft Ruhe zu haben, über das ganze römische Reich zerstreute, erwachten überall die christlichen Agitationen. Mit den Juden waren auch die sogenannten »Christianer« verjagt worden, die nun für ihre Lehre Anhänger suchten und, bei der geschilderten sozialen und politischen Verfassung des römischen Weltreiches, auch rasch fanden. Gegen Ende des ersten Jahrhunderts zeigen sich Christengemeinden bis an den Euphrat hin, ferner in Ägypten, im prokonsularischen Afrika, in Italien, Spanien, Gallien und Britannien.
Die Wurzeln dieser werbenden Kraft lagen jedoch nicht zunächst in der Theorienwelt des Christentums, sondern in erster Linie in der praktischen sozialen Hilfe, welche die Christianer dem verelendeten Proletariat brachten. »Die Armut war die große soziale Frage der Kaiserzeit. Alle Versuche des Staates, ihr entgegenzuwirken, erwiesen sich als vergebens. Manche Kaiser und auch Private suchten ihr durch milde Stiftungen zu steuern. Aber das geschah in höchst unzureichendem Maße; es waren Tropfen auf einen heißen Stein, und die habgierige römische Bureaukratie bildete nicht den besten Verwalter derartiger Einrichtungen. Die Pessimisten und die Genußmenschen taten der Armut gegenüber nichts. Sie erklärten, es sei sehr traurig, daß derartige Zustände beständen, aber diese seien unabwendbar und Philosophen dürften gegen das Unabwendbare nicht ankämpfen.« (Kautsky.)
Anders die Christianer. Wo sie auftauchten, schürten sie die Unzufriedenheit der Enterbten, verwiesen sie auf die herrschende Klasse als die Ursache des Elends der Massen; wo sie Gemeinden bildeten, da waren diese vor allem dem Zwecke gewidmet, Hunger und Not der Volksmassen zu bekämpfen und zwar durch den Kommunismus des Genießens und Gebrauchens, namentlich der Lebensmittel. Die christlichen Lehren waren nicht die Hauptsache, sondern nur das Gewand, in welches sich der Kommunismus der Christianer kleidete. Weil der Christianismus den Armen praktisch etwas bot, weil der Arme nicht zu hungern brauchte, wenn die Gemeinde etwas besaß, deshalb schloß sich die verarmte Masse an diese christlichen Sekten an. Am Tische der Gemeinde, wo sie gespeist wurden, sogen die Proletarier des Römerreiches auch den unauslöschlichen Haß gegen die herrschende und besitzende Klasse Roms ein.
Diesen Kommunismus hat das Christentum nicht selbst hervorgebracht. Er scheint hauptsächlich den Bräuchen der kommunistischen Sekte der Essener nachgebildet worden zu sein. Diese Sekte bestand bereits ein Jahrhundert vor Jesus in Galiläa, und die zum Christentum übergetretenen Juden haben ihre Bräuche weiter verpflanzt. Josephus, der Geschichtsschreiber der Juden (37 u. Z. geb.), berichtet von den Essenern u. a.: »Den Reichtum halten sie für nichts, hingegen rühmen sie sehr die Gemeinschaft der Güter, und man findet keinen unter ihnen, der reicher wäre als der andere. Sie haben das Gesetz, daß alle, die in ihren Orden eintreten wollen, ihre Güter zum gemeinsamen Gebrauch darreichen müssen, daher man bei ihnen weder Mangel noch Überfluß bemerkt, sondern sie haben alles gemein, wie Brüder.«
Diesen Grundsätzen folgte die Organisation der Christengemeinden. »Ein jeder Christ konnte sich der Güter seiner Brüder bedienen, und die Christen, die etwas hatten, konnten ihren bedürftigen Brüdern die Benutzung und den Gebrauch derselben nicht versagen.« Indem die Christengemeinden die sogenannten »Liebesmahle« schufen und die täglichen Mahlzeiten gemeinsam einnahmen, hoben sie sogar das Familienleben in gewissem Grade auf.
Mit ihrem Wachstum gerieten aber diese Organisationen naturgemäß in Widerspruch mit dem Römertum. Sowohl die herrschenden wie auch das heidnische Volk wandten sich gegen sie. Der heidnische Volkshaß gegen die Christen wurde ständig erregt durch deren Absonderung von allem übrigen Volk. Die christlichen Sektierer zerrissen die Familien- und Freundschaftsbande, denn in Sitten und Gebräuchen unterschieden sie sich grundsätzlich vom heidnischen Volke. »Ihren Abscheu gegen alles an den Götterdienst erinnernde Bildwerk, an Geräten, Kleidern und Wohnungen legten sie unverhohlen an den Tag. Gesellige Freuden flohen sie, den Glanz des Luxus verachteten sie. Theater, Tänze, Tierhetzen, selbst fröhliche Weisen der Musik galten ihnen für Versuchungen des Teufels. Ein ödes, völlig freudloses Dasein schien der Sterblichen zu warten, wenn diese düstere Sekte Meister werden sollte.« Der christliche Gottesdienst, die bildlose Gottesverehrung, war dem römischen Volke etwas Rätselhaftes. »Da er seinem Hauptbestandteil nach ein Opfer war, zu welchem nur die vollberechtigten Glieder der Gemeinde zugelassen wurden, und häufig nächtlicher Weile stattfand, so suchte Neugier oder Argwohn den Schleier des Geheimnisses zu lüften, und es gingen im Volke entsetzliche Gerüchte um über blutige Kinderopfer, anthropophagische (menschenfresserische) Mahle und abscheuliche Wollustübungen bei den gottesdienstlichen Versammlungen der Christen.« (Scherr.)
Das siegeszuversichtliche Auftreten der Christen tat das Übrige, den Haß der Herrschenden zu entfachen. Diese Herrschenden empfanden wohl, daß die Christianer die Erben in dem offensichtlich kommenden Zusammenbruche sein würden. Jede Kraftäußerung der Christen zeigte den Römern ihre eigene Schwäche und reizte ihre verhaltene Wut. Die christlichen Agitatoren aber waren nicht von der Art, sich zu beugen und zu schweigen. Getragen von der Begeisterung für ihre Sache durcheilten sie die römischen Lande. Jene älteste deutsche Johannes-Darstellung (Bild 12, Seite 21), die uns erhalten geblieben ist, scheint dem Wesen dieser urchristlichen Agitatoren nachgebildet zu sein. So, halb Bettler, halb Weise, mögen sie ruhelos, im Kampfe für ihre Sache, umhergeeilt sein. Und wie ihre Zahl sich mehrte, wuchs ihr Kraftbewußtsein. Alle Heiligtümer der Römer erklärten die Christen für Ausgeburten der Hölle, die Götter für Teufel, das römische Priestertum aber für eine ewige Beute der Verdammnis. Christus, so verkündeten sie, werde bald wiederkommen in Herrlichkeit, dem neuen Babel zum Untergang, den Ungläubigen zum Gericht, den Seinigen aber zur unsterblichen Verherrlichung.
So entwickelte sich die heiße Gewitterstimmung, in der die Verfolgungen gedeihen. Die Christen waren den Römern nicht bloß Feinde des heidnischen Götterglaubens, sondern auch Feinde der gesellschaftlichen und der staatlichen Ordnung. Durch ein Blutbad versuchte man sich ihrer zu erwehren. Als Nero, erwachend von dem gräßlichen Anblick des brennenden Rom, durch den er seiner Phantasie den Brand Trojas vorgaukeln wollte, die Christen der Brandlegung Roms beschuldigte, tobte sich die von der herrschenden Klasse aufgestachelte Volkswut in Strömen von Christenblut aus. Die brennenden Leiber der Christen leuchteten als Fackeln auf den Wegen, die Neros »Goldenes Haus« umgaben, und im Zirkus ergötzte sich eine vieltausendköpfige Menge, der Hof an der Spitze, an den nervenkitzelnden Zerfleischungsszenen, welche losgelassene Bestien unter den in der Arena zusammengetriebenen Christen anrichteten. Mit tobendem Gebrüll verlangte das Volk jeden Tag von neuem die schauspielmäßige Hinrichtung der Christen. Ein Gemisch von abergläubischer Angst und wildem Haß war dabei in den blinden Massen rege und wurde von tausenden interessierten Personen unausgesetzt genährt. Die Priester, denen die Tempel immer spärlicher Weihgeschenke und Opfergaben eintrugen, die Magier und Gaukler, die immer schlechtere Geschäfte machten, die Künstler und Handwerker, welche Götterbilder oder Gegenstände des Luxus verfertigten und von dem Siege des Christentums schwere Schädigung befürchteten, die Großen, die sich habsüchtig gerne des Vermögens reicher Christen bemächtigen wollten – sie alle hetzten das Volk zu immer neuen schrecklichen Bluttaten an den Christen.
Der verhaßte Christianer war schließlich an allem schuld. Als mit dem fortschreitenden sozialen Verfalle schreckliche Seuchen das Volk ergriffen oder als Mißernten Hungersnot erzeugten, ging der Wahn um, die Weigerung der Christen, öffentliche Gebete und Opfer an die Götter mitzumachen, habe deren Zorn entflammt. Um der Christen willen sendeten sie Hungersnot, Seuchen, Dürre, Überschwemmungen, ja, selbst Kriegsunglück. Der Sündenbock, den man brauchte! Die von der antiken Staatsidee erfüllten Kaiser glaubten mit dem Siege des Christentums Zerstörung und Anarchie ausbrechen zu sehen und immer wieder hetzten sie, in förmlichen Anfällen der Angst, die Werkzeuge der römischen Reaktion gegen die Christianer. Der Staat wollte die christliche Revolution niederwerfen indem er sie zwang, die Staatsautorität anzuerkennen. Deshalb erließ Decius, 250 n. Chr., sein Edikt, wonach alle Christen auf einen bestimmten Termin vorgeladen und aufgefordert werden sollten, die gottesdienstlichen Bräuche der Staatsreligion zu verrichten. Die sich Weigernden sollte man mit der Folter zwingen, die Hartnäckigen hinrichten. Und das römische Volk stürzte sich auf die Christen, erbrach ihre Häuser, plünderte, verwüstete und schleppte die Mißhandelten vor die Richter.
Im ganzen Reiche arbeiteten die Blutrichter. Plinius schreibt dem Kaiser: »Bis jetzt habe ich es bei denen, welche mir als Christen angegeben wurden, auf folgende Weise gehalten. Ich fragte sie, ob sie Christen wären? Wenn sie gestanden, fragte ich sie zum zweiten und dritten Male, und drohte ihnen mit der Todesstrafe; wenn sie beharrten, ließ ich sie hinrichten. Denn ich war überzeugt, daß, was es auch sei, was sie eingestanden, wenigstens ihr Ungehorsam und ihre unbeugsame Hartnäckigkeit gestraft werden müsse. Andere, welche von demselben Wahnsinn angesteckt waren, habe ich, weil sie römische Bürger waren, aufzeichnen lassen, um sie nach Rom zu senden+… Ich erhielt eine Schrift ohne Namen, welche das Verzeichnis vieler Namen enthielt, welche leugneten, Christen zu sein, oder je gewesen zu sein, und welche, indem ich ihnen das Gebet vorsprach, die Götter anriefen und deinem Bilde, das ich zu diesem Endzwecke mit den Bildnissen der Götter hatte bringen lassen, mit Wein und Weihrauch opferten, auch außerdem dem Christentum lästerten: Dinge, zu welchen, wie man sagt, die echten Christen nicht gezwungen werden können. Diese nun glaubte ich loslassen zu können. Andere bekannten sich als Christen, leugneten es aber bald wieder, sie seien es gewesen, haben es aber wieder aufgegeben. Alle beteten dein Bild, auch die Bildnisse der Götter an, auch fluchten sie Christus. Sie behaupteten aber, ihre Schuld und ihr Irrtum habe hauptsächlich darin bestanden, daß sie an einem gewissen Tage vor Tagesanbruch zusammengekommen seien und Christus, als einem Gotte zu Ehren untereinander ein Lied gesungen und sich durch einen Eid, nicht zu einem Verbrechen, sondern dazu verbunden haben, keinen Diebstahl, keinen Raub, keinen Ehebruch zu begehen, ihr Wort nicht zu brechen, kein hinterlegtes Gut auf Verlangen abzuleugnen; hierauf seien sie gewöhnlich auseinander gegangen und nur zu einem allen ohne Unterschied gemeinsamen, jedoch unschuldigen Mahle wieder zusammen gekommen.«
Die Menge der Verfolgungen führte dem Christentum Scharen neuer Anhänger zu. Vor allem die brutale Henkerpolitik zeitigte diese Resultate. Die christlichen Gemeinden wußten zugleich die Überzeugungstreue ihrer Angehörigen auf jegliche Weise zu stärken. Wer für das Christentum den Tod erlitt, galt als ein Märtyrer, wer unter Drohungen und Qualen standhaft blieb, wurde rühmend als ein Bekenner ( Konfessor) vor den andern hervorgehoben. Wer aber aus Furcht vor Verfolgungen ableugnete ein Christ zu sein oder förmlich der Gemeinde abtrünnig wurde, ward ausgestoßen ( exkommuniziert) und mußte vor seiner Wiederaufnahme schwere, langwierige Buße durchmachen. Für die Hinterbliebenen der Getöteten oder Eingekerkerten sorgte die Gemeinde in aufopferungsvoller Weise.
Schaffte sich so das Christentum standhafte Bekenner seiner Ideen inmitten all' der Verfolgungen, so bewirkten zugleich diese Blutopfer, daß die Masse der Christen von einer Art Blutrausch ergriffen wurde. Selbst Jungfrauen und Unmündige drängten sich förmlich zum Märtyrium und ertrugen alle Qualen desselben mit jener Standhaftigkeit, deren nur die Träger neuer weltbewegender Ideen fähig sind. Sie ließen sich von wilden Tieren zerreißen, sie ließen sich verbrennen, verstümmeln, martern, abschlachten; all' das ertrugen sie mit Lobpreisungen Christi auf den Lippen, getragen von der Vorstellung, daß gerade der Martertod sie unsterblich mache. Bald würden sie wiederkehren und über ihre Feinde kommen.
Und all' das vergossene Blut ließ hundertfältige Frucht erwachsen! Die edleren Gemüter unter dem Römertum blieben solcher Standhaftigkeit gegenüber nicht ohne Bewunderung. Sie wandelte sich bald in Zuneigung zur Sache des Christentums.
Denn die Häupter der christlichen Bewegung im Römerreiche versäumten nicht, gerade aus dieser jauchzenden Opferfreudigkeit die Unüberwindlichkeit ihrer Bewegung zu beweisen. Die Darstellung der Martern, welche die christlichen Bekenner standhaft ertrugen, war eines der wirksamsten Agitationsmittel der Christen beim Volke; so wirksam, daß bis zum Ende des Mittelalters die ganze christliche Kunst hauptsächlich Marterszenen als künstlerischen Vorwurf wählte. Schon die plumpen Darstellungen auf den ersten christlichen Münzen (Bild 10, Seite 18) zeigen Märtyrerszenen. Sie pflanzen sich fort durch die deutsche Kunst, von den Werken unbekannter Meister (Bild 11, Seite 19) bis zu den Prachtstücken von Dürer und Cranach (Seite 28/29; Seite 36/37). Freilich sind es die Marterszenen in der Vorstellung des Mittelalters! Es war der Geist der eignen Zeit, den diese Künstler der römischen Epoche unterschoben. Ohne historische Perspektive, aber im Geiste seiner Zeit schaffend, erscheint der christenmarternde Kaiser Nero Dürer als ein – türkischer Sultan, entsprechend der Türkenfurcht, in welche der Klerus das Abendland versetzt hatte. Aber man setze an die Stelle Neros eine jener fanatischen mittelalterlichen Mönchsgestalten, so sieht man die echt naturalistische Darstellung einer – Ketzergerichtsszene aus dem 16. Jahrhundert! Vollends die Johannes-Enthauptung Cranachs ruft den Eindruck hervor, als habe der Künstler sich nur hinter das biblische Motiv verschanzt, um desto schärfer mittelalterliche Barbarei zu geißeln. Glaubt man sich nicht in einen mittelalterlichen Burghof versetzt, in welchen die ritterliche Gesellschaft, trunken und toll nach üppigem Schlemmermahle, hinabsteigt, um sich an der Hinrichtung eines Gefangenen zu ergötzen? Man sieht den Henker das Schwert einstecken, hinter ihm seinen Gehilfen. Ein Landsknecht hebt den blutigen Kopf des Gerichteten vom Boden empor; auf hohem Balkon und durch die Turmpforte aber drängt der Gafferschwarm; Salome mit der Schüssel – ein mittelalterlich edles Ritterfräulein! Es steckt viel überlegene Ironie in dieser kirchlichen Kunst.
Schon im Anfang des 3. Jahrhunderts erstreckte sich das Christentum von einer Grenze des Römerreiches bis zur andern, ja weit über dieselben hinaus bis unter die Germanen einerseits, die Perser und Armenier anderseits. Inmitten des allgemeinen Zusammenbruchs wurde es ein machtvoller, wohlgefügter Organismus. Nicht bloß das Volk strömte ihm in Massen zu, sondern auch aus der herrschenden und besitzenden Klasse traten ihm in Scharen Anhänger bei.
Wäre die römische Kaisermacht in den Verfolgungen der Christen fortgefahren, so würde die sieghafte christliche Revolution sie hinweggeschwemmt haben. Die unterdrückte Bewegung war eine Macht geworden; der Staat mußte ihr Rechnung tragen oder untergehen. Allmählich hörten daher die Verfolgungen auf, und auf einem Kompromiß zwischen der christlichen Bewegung und der römischen Kaiserherrschaft erhob sich der Bau der christlichen Kirche. 324 verkündigte Kaiser Konstantin Glaubens- und Gewissensfreiheit im ganzen Reiche. Ein Wunder: ein am Himmel strahlendes Kreuz soll ihn bekehrt haben. In Wahrheit hatte er erkannt, daß das Christentum, weil es die Massen für sich hatte, seinem Thron eine wesentlich bessere Stütze sei, als die inhaltlos gewordene Götterlehre. Konstantin war ein kluger Realpolitiker. In seinen christlichen Kriegern, die naturgemäß immer ein Wunder erwarteten, aber erweckte die Mär vom Zeichen des Kreuzes sieghafte Begeisterung. Konstantin erklärte sich zum Schirmherrn der gesamten Christenheit, berief die Synode von Nicäa, erteilte ihren Entschlüssen die Genehmigung, befahl den Gehorsam gegen dieselben bei Strafe der Verbannung. Dabei wußte er auch die materiellen Vorteile der Heidenbekehrung vortrefflich auszunützen. Das Christentum erhielt die Seelen der »Heiden«, der konstantinische Staatsschatz aber ihre Besitztümer. Konstantin beraubte und plünderte die asiatischen Tempel. Sein Übertritt zum Christentum erhöhte nur seine Herrschermacht.
Aber das Heidentum war darum noch nicht besiegt. Nach Konstantin erhob es wiederum sein Haupt und versuchte noch einmal im Kampfe gegen die neue Weltanschauung sich zu behaupten. Vergebens. Das Kreuzeszeichen blieb sieghaft, weil in ihm die Kräfte lebendig waren, welche die Kulturvölker aus dem erstickenden Sumpfe der verwesenden antiken Kultur herausführten; die Bekenner der antiken Götterlehre aber wurden begraben unter den Trümmern des zusammenbrechenden Römerreiches.
Über die Grenzen des Römerreiches schob sich das Christentum von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weiter vor. In Persien hatte es bereits vor Ende des 2. Jahrhunderts Eingang gefunden. Im 4. Jahrhundert wurde es in Britannien herrschend, der Brite Patrick verbreitete es in Irland, Columba unter den Pikten in Hochschottland. Unter den germanischen Stämmen waren die Goten die ersten, die das Christentum verbreiteten. Bischof Ulfila, der auch die Bibel ins Gotische übersetzte, tat das meiste zu seiner Ausbreitung unter ihnen. Zwischen Rhein, Donau, Saale und Unstrut war Bonifacius (Erzbischof von Mainz; 755 von heidnischen Friesen erschlagen) als von Rom aus bevollmächtigter Apostel tätig. Dieser finstere und schlaue Mönch war unermüdlich in der Vernichtung der äußerlichen Zeichen des alten germanischen Götterglaubens und der Unterwerfung der Bevölkerung unter die Macht der römischen Häupter der christlichen Kirche. Überall fielen die heiligen Bäume unter den Axtschlägen christlicher Missionare, und aus ihrem Holze entstand die Kapelle. Oft setzten sich die Barbaren zur Wehre – das Schicksal des Bonifacius! – aber zumeist beugten sie sich, wenn auch nach langem Widerstreben. Denn die Missionare traten ihnen als eine ökonomische Macht gegenüber. Sie waren die unermüdlichen Ausbreiter der höheren römischen Produktionsform, der Bodenbewirtschaftung. Sie versprachen, wo sie sich niederließen, den Barbaren goldene Berge. Sie zeigten ihnen mit lauten Lobpreisungen das Korn, die Weintraube und den Flachs. Sie machten die wandernden Stämme seßhaft, hießen sie die Urwälder roden und Ackerboden anlegen, Klosterbauten aufführen und Samen pflanzen. Hans Burgkmairs Holzschnitt (Seite 25, Bild 14) zeigt uns die kirchliche Kolonisationstätigkeit. Die Mönche verstanden es vortrefflich, Arbeit zu organisieren – zum Vorteil der Kirche. Die Barbaren aber gerieten mit der Seßhaftigkeit zugleich auch in Abhängigkeit von den kirchlichen Kolonisatoren, die von dem Lande Besitz ergriffen hatten. Es war seine ökonomische Tätigkeit, welche das Christentum auch geistig zum Siege führte.
Inmitten des blutigen Getümmels der Völkerwanderung, in dem sich die Massen der neuen Boden suchenden Völkerschaften hin- und herschoben, errang das Christentum den Sieg über die Barbarenvölker. Das Kreuz, das Zeichen der höchsten menschlichen Duldung, nahmen die zum Christentum übergetretenen Eroberer umgekehrt in die Faust und machten daraus den Schwertknauf, mit dem sie Ströme von Blut vergossen. Die Barbarenstämme und Völker, die sich dem Zeichen des Kreuzes unterwarfen, begaben sich damit unter die Beherrschung und die Ausbeutung der kriegerischen Eroberer, für die das Christentum die Aufrichtung ihrer weltlichen Macht bedeutete.
Der Frankenkaiser Karl (747-814), mit dem Beinamen der Große, hat die Unterwerfung der Völker mittels der blutigen Ausbreitung des Christentums am gründlichsten betrieben. Er war der Typus der christlichen Herrscher der ersten Zeit, für welche das Christentum das Mittel war, Land zu erobern, Völker zu unterwerfen, ökonomische und politische Macht zu sammeln. Unser Bild 13, Seite 23, stellt ihn in seiner mittelalterlichen Herrscherpracht, umgeben von seinen vier Frauen, dar. In seinem Wesen paart sich mönchische Frömmigkeit mit der eisenklirrenden Grausamkeit des Eroberers. Sein Bekehrungsmittel war einfach, aber nicht im Sinne des Gründers des Christentums: wer sich nicht zum Christentum bekehrte, wurde niedergemetzelt. An einer Stelle ließ er an 5000 Sachsen massakrieren, die das Christentum verschmähten, weil ihnen die mit ihm gedeckten Ausbeutungspläne Karls viel zu handgreiflich vor Augen standen.
In dem Getümmel der Völkerwanderung drang das Christentum siegreich nach allen Seiten über das bisherige römische Reich vor. Auf seinen Trümmern erhob es sich zu der einzigen glänzenden Macht im Abendlande.
Aber es war nicht mehr die revolutionäre Idee, welche die urchristlichen Proletarier durch die Hütten und die Schlupfwinkel der römischen Armut getragen hatten. Dieser äußerlichen Machtentwicklung war vielmehr eine große innere Wandlung vorangegangen, die das Christentum vom urchristlichen Kommunismus zur Organisation der Kirche gebracht hatte.
So lange die urchristlichen Sekten den Charakter vollster Brüderlichkeit aufrecht erhielten, hatten sie zu ihrer Leitung einiger weniger würdiger Personen, der Ältesten oder Presbyteren, auch Bischöfe, episcopi, bedurft. Diesen standen Aufseher, Diakonen, zur Seite, die hauptsächlich die Aufgabe hatten, die Gaben an die bedürftigen Mitglieder zu verteilen.
Einzelne der Bischöfe maßten sich bald einen höheren Rang an. Waren sie Besitzende, so war ihnen solches gegenüber den von ihrer Mildtätigkeit abhängigen Proletariern der Gemeinde um so eher möglich. Aus dem Bruder Bischof wurde ein Herrschender, der Gehorsam heischte. In den Versammlungen sah man bald die Bischöfe auf einem erhabenen Sessel, die andern Presbyteren auf niedrigeren Stühlen um sie her sitzen, die Diakonen dagegen hinter ihnen stehend. Dies bürgerte sich schließlich als Brauch ein. Die kommunistisch-christliche Gleichheit war damit zerrissen; die sich entwickelnde Priesterherrschaft aber hatte einen festen Boden und wuchs sich aus.
Von den Städten, in denen die proletarische Bevölkerung Anhängerin des Christentums war, dehnte dieses sich zunächst auf das Land aus. Neue Gemeinden wurden, wo es ging, gebildet. Aber da es in den meisten Fällen an Männern fehlte, die die Fähigkeit der Rede und das organisatorische Talent der Leitung besaßen, so wandte man sich an den Bischof der nächsten Stadt. Dieser sandte einen seiner Presbyteren als Leiter, der dergestalt Landbischof wurde. Es war nur natürlich, daß ein solcher Landbischof beständig Fühlung mit dem Stadtbischof unterhielt, und so bekam wiederum letzterer die Oberherrschaft über die umwohnenden Bischöfe der Landgemeinden; er bekam eine Diözese, einen Bezirk. Es entstand der Klerus. Bald hatten die Bischöfe alle Gewalt in Händen. Damit aber stellte sich bei ihnen auch eine Sucht nach einem gewissen äußeren Glanz und Gepränge ein. Hatten sie doch den Prunk, den die Würdenträger des römischen Staates trieben, beständig vor Augen. Gleichzeitig lenkte die Überlieferung und das Studium der alten Schriften ihren Sinn auf das jüdische Priestertum. Dem begannen sie nachzueifern mit Versuchen der Machterweiterung und glanzvoller Ausgestaltung ihres Amtes. Bereits im 3. Jahrhundert erklärten sie, nicht von der Gemeinde, sondern von Gott selbst eingesetzt zu sein. Wenn die Apostel einen Lehrer oder Presbyter ernannten, hatten sie ihm die Hand aufs Haupt gelegt und Gott angerufen, er möge ihm zum neuen Amte Kraft verleihen. Nun behaupteten die Bischöfe, durch dieses Handauflegen sei der heilige Geist auch auf die Geweihten übergegangen, und diese hätten ihn auf sie selbst übertragen. Auf solche Weise bildeten sie schließlich einen Stand für sich.
Die Bischöfe strebten alsbald nach der vollständigen Vernichtung der demokratischen Verfassung der Gemeinden und erreichten sie auch. Das Mittel hierzu waren die eingeführten Provinzialsynoden. Auf diesen Synoden wurden die Streitigkeiten der Gemeinden untereinander geschlichtet, sowie die im Anfang sich vielfach widersprechende Auffassung über Jesu Leben und Lehre einheitlich gestaltet. Aus diesen Versammlungen wußten die Bischöfe allmählich alle Delegierten der Gemeinden zu verdrängen, sodaß die Synoden reine Bischofszusammenkünfte wurden. Indem die Bischöfe nun noch erklärten, der heilige Geist sei bei ihren Zusammenkünften persönlich gegenwärtig, gaben sie ihren Beschlüssen den Charakter direkter himmlischer Gebote. Damit vollendete sich die Bischofsautokratie.
Wie alle politische Macht ökonomische Wurzeln hat, war auch die Entwicklung einer herrschenden Klasse innerhalb der christlichen Gemeinden nur die Folge beginnender Anhäufung von Reichtum und Besitz. Unter der alten demokratischen Verfassung der Gemeinden wäre dieser Reichtum der Gesamtheit zu gute gekommen. Doch da die alte Verfassung vernichtet war, nützte der Reichtum vornehmlich dem Klerus, steigerte seinen Einfluß und vergrößerte seine Zahl. Die zerfallende römische Gesellschaft war ein reicher Sterbender, bei dem es viel zu erben gab. Einmal den Boden einer künftigen, ins Große gehenden Entwicklung unter den Füßen, war der Klerus unermüdlich tätig, von diesem Erbe so viel als nur möglich zu erlangen. Große Hindernisse standen ihm dabei im Wege, aber sie wurden beiseite geräumt. Schon die Zuneigung Kaiser Konstantins zum Christentum hatten die Bischöfe klug auszunutzen verstanden. Sie erlangten allerlei einträgliche Gnaden, darunter die, daß der Kaiser einen Teil der Staatseinkünfte zum Unterhalt der Geistlichen bestimmte und das noch viel wichtigere Gesetz, durch welches der Kaiser sie für berechtigt erklärte, Schenkungen anzunehmen, die ihnen durch testamentarische Verfügungen gemacht wurden, was nach einem Gesetze des Kaisers Diokletian bis dahin keinem Verein gestattet war. Ja, später behauptete die Kirche sogar, Kaiser Konstantin habe ganz Italien und andere Provinzen des Abendlandes dem römischen Bischof Sylvester I. schenkungsweise übermacht. »Die Kirche hat einen guten Magen+…«
Diese der Kirche verliehene Gerechtsame wurde die Grundlage einer mit großem Geschick betriebenen Bereicherung der Bischöfe. Diese wußten jede ihnen zugewendete Gabe als ein Gott dargebrachtes Opfer darzustellen, und während der urchristliche Kommunismus zu Grabe getragen wurde, und die Mehrzahl der Kirchenangehörigen arme Proletarier blieben, sammelte die höhere Geistlichkeit bald enorme Vermögen an. Der große, noch nie gesättigte Magen der Kirche begann sein Verdauungsgeschäft, und er arbeitete gründlich. Der Klerus war unermüdlich, zumal von Frauen und Sterbenden Schenkungen und Vermächtnisse einzuheimsen. Bischof Damasus (366-384) erwarb sich durch sein besonderes Geschick der Schenkungserlangung von Frauen, den Beinamen: »Ohrenkrabbler der Damen«. Und sein Geheimschreiber Hieronymus sagt mit tiefer Empörung von den Geistlichen seiner Zeit: »Sie halten kinderlosen Greisen und alten Matronen den Nachttopf hin, stets geschäftig um ihr Lager, mit eigenen Händen fangen sie ihren Auswurf auf, und Witwen heiraten nicht mehr; sie sind weit freier, und Priester dienen ihnen um Geld.« (Weber.) Je weiter das Heidentum zurückgedrängt wurde, desto mehr bereicherte sich die Kirche mit den Ländereien, Einkünften und Schätzen der verödeten oder zerstörten heidnischen Tempel. Aus dem Reichtum entwickelte sich das Wohlleben und bereits begann die Üppigkeit der römischen Bischöfe den Widerspruch der Christen selbst zu erwecken. So schrieb Ammianus Marcellinus: »Wenn ich den Glanz der Hauptstadt erwäge, wundere ich mich nicht über die Ehrsucht der Bischöfe; ein Bischof Roms kann darauf zählen, daß ihm die reichsten Geschenke aus den Händen der ersten Damen zuströmen, daß er in den schönsten Kleidern und Wagen durch die Straßen fahren kann, und die Kostbarkeit der kaiserlichen Tafel reicht nicht an die verschwenderischen und leckerhaften Mahle römischer Oberpriester. Wie weit vernünftiger, wenn diese Priester die musterhafte Lebensart einiger Landbischöfe nachahmen wollten, ihre Sparsamkeit in Speise und Trank und Kleidung und ihre Demut, wodurch sie den wahren Gottesverehrern ehrwürdig sind.«
Diese Entwicklung zu Besitz und Reichtum begleitete als natürliche Folge eine zunehmende Unabhängigkeit des Klerus vom Volke unter gleichzeitigem festen Zusammenschluß der einzelnen Diözesen in den Händen der Bischöfe. Die Bischöfe der Hauptstädte, die Metropoliten, bekamen ein überwiegendes Ansehen. Unter ihnen maßten sich einige wieder einen höheren Rang an und brachten die Bischöfe anderer Länder unter ihre Oberhoheit. Sie nannten sich zuerst Exarchen, dann Patriarchen. Unter Kaiser Theodorius II. gab es fünf Patriarchen, zu Konstantinopel, Antiochien, Jerusalem, Alexandrien und Rom. Anfänglich in ihren Rechten völlig gleich, wußten die Häupter der römischen Christen durch eine kluge Politik allmählich die übrigen Bischöfe sich zu unterjochen. Von Rom aus wurde das Reich regiert; das war der große Kreuzweg der Welt, an dem sich alle Interessen trafen, wohin alles ausmündete; von Rom aus erhielt die Welt seit Jahrhunderten ihre Gesetze, ihren Willen, ihren Geist. Das Streben des römischen Klerus ging deshalb darauf, von hier aus auch die ganze Kirche zu regieren. Denn das alte Zentrum der Welt einfach zu erobern, war leichter, als ein neues zu schaffen. Zu diesem Zwecke griffen sie klug und geschickt die christliche Sage auf, nach welcher der Apostel Petrus in Rom den Kreuzestod erlitten haben sollte und folgerten weiter: Jesus habe Petrus zum obersten der Apostel gemacht, Petrus sei in Rom Bischof gewesen, folglich seien sie seine Nachfolger und hätten die Oberhoheit in der Christenheit.
Anfänglich stieß diese römische Kirchenpolitik freilich sehr auf Widerspruch. Als Stephanus, der 253 römischer Bischof wurde, sich zuerst rühmte, über den andern Bischöfen zu stehen, weil er der Nachfolger des Apostels Petrus sei, schrieb der Bischof Firmilianvon Kappadokien in einem den Bischöfen zugesandten Zirkular: »Mit Recht muß ich mich in diesem Punkte über eine so offenbare als unverkennbare Torheit des Stephanus ärgern, welcher sich seines Bischofssitzes rühmt und sich für einen Nachfolger des Apostels Petrus ausgibt.« Aber je mehr es die römischen Bischöfe verstanden, ihre Stellung glänzender und machtvoller zu gestalten als diejenige der übrigen Bischöfe, um so wirkungsloser verhallte der Widerspruch. Als schließlich alle christlichen Gemeinden des römischen Reiches zu einer einzigen Vereinigung zusammengefaßt wurden, kam der Bischof von Rom tatsächlich an die Spitze der abendländischen Christenheit und die Synode von Nicäa gestand ihm 325 das oberste Ansehen als dem Nachfolger Petri zu. Die Logik der materiellen Übermacht hatte gesiegt.
Anfänglich hatten sich alle Bischöfe Papst, Vater der Christen, abgeleitet von papa, Vater, oder auch Oberpriester, sogar Stellvertreter Christi genannt. Doch wurde dies mit der Zeit der alleinige Titel des römischen Bischofs. Seit dem 6. Jahrhundert führte ausschließlich der Bischof von Rom den Namen »Papst«.
Die römischen Bischöfe waren häufig sehr geschickte und auch fast immer skrupellose Staatsmänner. Sie begriffen ihre Zeit und noch mehr ihre Aufgabe: die Weltherrschaft des Papsttums, als des Hauptes der gesamten Christenheit, zu erstreben. Zwar dauerte dieser Kampf fünf Jahrhunderte, zwar kostete er mehr Blut und Menschenjammer als die grausamen Christenverfolgungen der alten Kaiserzeit, zwar führte er zur Trennung der Kirche in eine morgen- und abendländische, eine römisch- und eine griechisch-katholische Kirche, aber er brachte das Papsttum zu seinem Triumphe. Dieses Ziel galt durch nichts zu teuer erkauft.
Die nationale Zerrissenheit der Völker des Abendlandes half den Triumphzug des Papsttums vollenden. Es wurde die Erbin des römischen Weltreiches, es umfaßte als ein großes Band alle Nationen. Auf dem Boden dieser Internationalität entwickelte sich die Kirche. Die Internationalität wurde die mächtigste Wurzel kirchlicher Kraft. »Nur die internationale Organisation der Kirche, die im Papsttum ihre Spitze fand, war imstande zu verhindern, daß die abendländische Welt in innere Anarchie verfiel und von ausländischen Eroberern unterjocht wurde.« (Kautsky.) Mit dem Verfall des politischen Lebens, dem Verfall der staatlichen Macht, bot die politische Karriere den strebsamen Köpfen der herrschenden Klasse keine Aussichten mehr. Nur in der machtvollen Organisation der Kirche herrschte Leben und Bewegung. »Fast alles, was die heidnische Welt noch an Tatkraft und Intelligenz aufzuweisen hatte, wandte sich nun dem Christentum und in diesem der kirchlichen Laufbahn zu; die Kirche, die sich als unbesiegbar erwiesen im Kampfe mit der Staatsgewalt, begann diese selbst sich dienstbar zu machen.«
Bei Beginn des 9. Jahrhunderts stand die päpstliche Gewalt bereits über derjenigen des Kaisers. Mit Geschick und Hartnäckigkeit verteidigte das Papsttum diese Position und baute sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit weiter aus. Der Papst war der Richter und Herrscher über Könige und Kaiser. Welchen Triumph des Papsttum's drückt Wohlgemut's Holzschnitt (Bild 22) aus, der den Papst, hervorgegangen aus den Oberhäuptern der kleinen und ehedem verachteten Christengemeinden, stolz neben dem mächtigen Kaiser thronen läßt als Herrscher über die Welt!
Die Weltherrschaft der päpstlichen Macht vollendete sich in den Kreuzzügen. Ihr Ansehen wurde ungeheuer gehoben durch die Tatsache, daß sich die »abendländische Christenheit«, Fürsten, Grafen, Ritter, Herren und Volksmassen erhoben »als eine Herde, die dem Winke des römischen Hirten folgte«. Schon der staatsmännische Sinn Gregors VII. hatte erkannt, welche Bedeutung es haben würde, wenn es den Päpsten und der Kirche gelänge, einen großen christlichen Eroberungskrieg gegen die Ungläubigen ins »heilige Land« zu organisieren. Durch das ganze Mittelalter hindurch arbeitete der Klerus auch mit dem »Türkenschreck«. Der Türke galt als der Todfeind der Christenheit und aus zahlreichen uns erhaltenen bildlichen Darstellungen (Bilder 15 und 19) ist noch zu erkennen, wie sich die Phantasie von Volk und Künstlern mit den gefürchteten Türken beschäftigte. Als die Seldschuken dem oströmischen Reiche 1071 den größten Teil Kleinasiens mit Iconium und Nicäa entrissen hatten, begeisterte Papst Urban II. auf der großen Kirchenversammlung zu Clermont am 26. November 1095 Tausende von Geistlichen und Laien für die »Befreiung des heiligen Grabes« und zur Herstellung einer christlichen Herrschaft in dem Lande, »wo Christi Füße gestanden.« Die Kirche bot alle ihre Machtmittel auf. Die Bischöfe predigten den heiligen Krieg, zahlreiche Volksprediger zogen umher, deren bedeutendster Peter von Amiens, der »Eselpeter« war, der auf einem Esel umherziehend zum Kreuzzug aufrief. Ja, das Papsttum verstand es vortrefflich, für seine Herrschaftsziele die Massen zu gewinnen, indem es geschickt die sinnlichen Freuden und die materiellen Vorteile als werbendes Element in seine Dienste stellte. Wohl erklang des Eselpeters Ruf: »Gott will es!«, aber sein Schild zeigte auch die schwellenden Formen wollüstiger Orientalinnen und die hühnereigroßen Diamanten des Großmoguls. Welche Verlockung: in die Harems einzubrechen, die edelsten Frauen des Orients zu umarmen, mit Reichtümern beladen heimzukehren und dabei doch ein »gottwohlgefälliges Werk« im Dienste des Papstes zu tun. Das mächtig wirkende Wort des Eselpeters wurde noch unterstützt durch die Erzählungen der Pilger, die aus dem »heiligen Lande« heimkehrten. Die frommen Pilger (Bilder 17 u. 20) waren die wandernde Zeitung des Mittelalters. In Burg und Hütte nahm man den Pilger gastfreundlich auf und lauschte seinen wunderlichen Schilderungen ferner Sehenswürdigkeiten. Die Pilger wußten nicht genug zu sagen von den Reichtümern des Orients, Gold, Juwelen, kostbaren Kleiderstoffen, von den dunkeläugigen, heißblütigen orientalischen Frauen. Ein Gemisch von Raublust und wilder Sinnlichkeit trieb die Heere der Kreuzfahrer zusammen. Die Fürsten hofften auf Herrschaften und Kronen im Morgenlande, der Kleinadel auf Reichtümer, Lebensgenüsse und Erlösung von der heimischen Schuldknechtschaft. Die große Masse aber hoffte mindestens auf schwelgerischen Überfluß, Beute in Hülle und Fülle. Die Kreuzzüge begannen mit Judenverfolgungen im Abendlande, durch Raub und Plünderung verwüsteten sie das griechische Reich; 7 Millionen Christen gingen in ihnen zu Grunde, und schließlich ward ein vieltausendköpfiges Kinderopfer gebracht, indem 1212 ein Kinderkreuzzug unternommen ward, bei welchem bereits in Italien die Tausende unglücklicher Wesen den Anstrengungen erlagen, habsüchtigen Kaufleuten, Kupplern und Seeräubern in die Hände fielen. Die Eroberung des »heiligen Landes« aber wurde trotz aller Mühsal und aller Menschenopfer nicht erreicht. Zwar brachte die Berührung mit der morgenländischen Kultur das in Barbarei steckende Abendland mächtig vorwärts, aber die heimkehrenden Kreuzfahrer brachten neben dem roten Kreuzesabzeichen auf der rechten Schulter auch die Abzeichen ihrer orientalischen Ausschweifungen mit und von da, wo die frommen Kreuzfahrer auftauchten, verbreitete sich mit schrecklichem Wüten die Pest unter dem Volke.
Aber die Kreuzzüge verdünnten gewaltig die Zahl des Adels. Während die kleinen Herren sich mit den Heeren gegen das »heilige Land« wälzten, bereicherte sich die Kirche an ihrem Grundeigentum. Sie hatte einen nie versiegenden Fonds zum Ankauf der Güter derer bereit, die nach Palästina zogen, wenn sie solche nicht geschenkt erhielt. Das Grundeigentum der Kirche vermehrte sich ins Unendliche, die Klöster nahmen zu, die geistlichen Ritterorden: Templer, Johanniter und deutsche Ordensritter, wurden eine Art stehender Armee der Kirche. Nach den Kreuzzügen war nicht blos der Papst der mächtigste Herrscher, sondern die Kirche auch die größte Grundeigentümerin.
Von der Revolution zur Weltherrschaft – das war der Weg des Christentums gewesen. Es war eine weltliche Macht geworden. Das Papsttum stand an der Spitze eines bedeutenden Staatswesens, des Kirchenstaats. 754 hervorgegangen aus einer Schenkung des Kaisers Pipin, der Landstriche zwischen Gaeta, Tibur und Todi an den Bischof von Rom, hatte die päpstliche Politik dem Kirchenstaat eine große Ausdehnung und Macht gegeben. Und über den Kirchenstaat hinaus streckte der Papst als Haupt der Kirche seinen allmächtigen Arm und zwang alle Macht der Erde vor sich in den Staub.