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13. Im Walde

Frischfröhliches Wandern durch Busch und Feld, auf schmalen Wegen oder querwaldein durch die grüne Welt wie es der Naturfreund in Deutschland liebt, das ist bei den Europäern Indiens nicht üblich und auch im Allgemeinen der Hitze und urwüchsigen Zustände im Waldreviere wegen nicht angebracht. Mein Beruf eines Naturforschers im Reiche der Steine schliesst aber das Laufen unumgänglich ein, und in der That habe ich auf dem heissen Boden Indiens schon viele Paar Schuhe zerrissen.

Von Fahrten in die Urwaldwildniss gedenke ich dem Leser später noch zu erzählen, heute, an einem schönen Sonntagmorgen schlage ich vor, dass wir uns einige Stunden in dem zahmeren Walde ergehen, der unser Dorf in nächster Nähe umschliesst, in dem der Palmwein fliesst, noch hier und da ein Gärtchen mit hoch geschossenem Mais das Dickicht unterbricht und schmale Pfade das Wandern erleichtern.

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Im Walde von Celebes.

Wir hängen die Flinte um. Vielleicht giebt es etwas Gutes für die Pfanne oder den Kochtopf. Doch sind die Aussichten darauf nicht besonders gross. Die Jägerei in Celebes ist schwierig und hier in der Minahassa auch ziemlich armselig. Der dichte Wald mit vielem Unterholz macht die Thiere fast unsichtbar und ein Verfolgen äusserst schwierig. Zudem giebts nur wenig anziehendes Wild. Tiger und Panther, die in Java gedeihen, sind gänzlich unbekannt, der Elephant, der in Sumatra durch die Büsche bricht, ist hier nicht zu finden. Ziemlich reichlich muss nach den Fährten zu urtheilen der sapi utan im Walde hausen, eine gefürchtete Ochsenart von ungemüthlicher Gesinnung gegenüber dem Menschen.

Auf dem Wege, der von Belang durch die niedrige Sumpfregion und dann bald hügelauf- und -abwärts führt, können wir gleich beobachten, wie die Malayen den Thieren nachstellen. Zwar giebt es ein altes Mordgewehr unglaublichen Kalibers im Dorfe, für gewöhnlich ist jedoch der Fallenfang üblich. Da sind an abschüssigen Stellen der Pfade, welche die Thiere sich getreten haben, spitzige Bambusstäbe schräg nach oben gerichtet. Das schnell den Berg abgleitende Wild spiesst sich in der grausam angelegten Falle selbst auf. In der Art oder auch mit dem Speer geht man dem Wildschwein und dem Babirussa nach, einer merkwürdigen Schweinsart, welche nicht nur am Unter- sondern auch am Oberkiefer gewaltige Hauer besitzt, die förmlich über den Kopf hinwegwachsen. Vielleicht hat das Thier durch das zweite mächtige Zahnpaar im Gestrüpp einen Schutz für die Augen.

Am häufigsten sieht man von höheren Thieren noch schwarze Affen von beträchtlicher Grösse. Sie bewohnen das luftige obere Stockwerk im Walde und schwingen sich mit erstaunlich weiten Flügen durch die Luft von einer Krone zur anderen. Die Affenjagd ist bekanntlich nicht jedermanns Sache, auch nicht meine.

Am leichtesten gelangt man auf Vögel zum Schuss. Wir hören ganze Schwärme Papageien über den Wald weg ziehen. Meist sind es mittelgrosse grüne Arten, die beim Sitz im Baume fast unsichtbar sind, zuweilen eine kleine knallbunte Sorte. Durch die Büsche huschen langschwänzige Vögel mit braunrothem Rücken und gelbem und rothen Schnabel, hoch in der Luft braust und saust es beim Fluge der mächtigen Nashornvögel, deren vorsündfluthliche Gestalten man zuweilen am blauen Himmel durch die Lücken in den Wipfeln hinziehen zieht. Gelegentlich holen wir einige Tauben herunter, die es in verschiedenen z. Th. herrlich metallisch grün oder auch hübsch weiss schwarz und gelb gezeichneten Arten giebt. Meist jedoch hört man nur die beschwingten Waldbewohner und bekommt sie nicht zu Gesicht. Da erklingt regelmässig der Ruf des Huáo, wie die Eingeborenen einen mittelgrossen, schwarzen Vogel mit rothen Augen nach seinem Schrei benennen. Er ruft seinen Namen wohl sechs Mal kräftig hintereinander unter starker Betonung des a, das er mit jedem Ruf in einem höheren Ton anschlägt, sodass sein Gesang wie leidenschaftlich zorniges Schelten klingt. Häufig lässt er auch ein dumpfes hohles tu tu tu tu ertönen, das weithin durch den Wald erschallt.

Ein kleines Vögelein flötet uns zuweilen ein sentimentales Liedchen vor, das sich zugleich ganz traurig und zärtlich anhört. Es klagt sein Leid chromatisch folgendermassen:

Der Pfad verläuft längs eines rauschenden Baches, der schäumend über Blöcke und Gerölle in seinem Bette tost. Das Grün der Büsche hängt in seinen Wasserschwall hinein als wäre gar nicht Raum genug auf dem festen Erdreich für all die miteinander um Platz und Luft ringende Pflanzenwelt. In der That kämpfen hier die Kräuter, Büsche, Palmen und hochstämmigen Bäume einen stummen Vernichtungskampf gegeneinander. Es ist zu enge in ihrem Reiche, der Stärkere muss den Schwächeren verdrängen in dem wirren Haufen concurrirender Sprösslinge des überreichen Bodens. Mächtige, breitgipfelige Stämme recken sich thurmartig himmelwärts als wollten sie dem Gewirr von Büschen, niedrigen und hohen Farnen, der Palmen und kleineren Laubbäume entgehen. Indess die Lianen wachsen ihnen nach, wuchern an den Stämmen empor, umschlingen und umwachsen hoch oben die Zweige, winden sich von Ast zu Ast, sodass die Baumformen unter ihrer Wirrniss vollständig verschwinden. Thurmhoch hängen sie dann wieder senkrecht als Stricke und dicke Seile herunter bis sie den tiefen Boden erreichen. Überall am Wege dieselbe ungekämmte Wildniss, für den Europäer keine Möglichkeit ohne Buschmesser einzudringen.

Der Waldpfad wird nun steiler, der Bach zur Seite dünner, und nach mühseligem Klettern kommen wir auf einer Bergeskuppe über Belang an, wo ein gestürzter Waldesriese durch seinen Fall einen schmalen Ausblick geschaffen hat, so dass wir das tief unten als blaue Fläche sich ausbreitende Meer im Rahmen der Urwaldbäume erblicken. Wären wir im deutschen Buchenwalde, so würden wir uns jetzt behaglich auf die Erde strecken, natürlich falls nicht ein Wirthshaus in der Nähe wäre, das zum Sitz auch einen kühlen Trunk gewährte. Hier ist ein Niederlassen im Moose ausgeschlossen. Es kann einem ja zwar bei solchen Gelegenheiten im Vaterlande auch passiren, dass man unglücklicherweise grade in einem Ameisenstaate seine Ruhe gesucht hat und nach einer kleinen Weile flüchten muss. Im Tropenwalde ist aber der ganze Boden von den Ameisen in Besitz genommen, und selbst auf einem umgestürzten Baumstamme ist man nicht vor den kleinen oder hier zuweilen auch ziemlich grossen Plagegeistern sicher. Der Malaye lässt sich wohl aus dem Grunde beim Ausruhen stets in die grosse Kniebeuge nieder, und nur in sicheren Hüttchen streckt er sich lang aus. Vielleicht mag ihn auch die Furcht vor Schlangen davon abhalten, es sich im Walde auf dem Erdboden vollends bequem zu machen. Hin und wieder sehen wir eine über den Weg huschen und eilend im Busch verschwinden. Da man nie weiss ob die Thiere giftig sind oder nicht, ist es nicht angebracht sich mit ihnen einzulassen. Im Übrigen ist auch die ungiftige Pythonriesenschlange, die an 6 m Länge erreicht, durch ihre gewaltige Muskelkraft nicht ungefährlich, und wie in Afrika von Löwenjagden, erzählt man sich hier in Malayenkreisen die schönsten Jägergeschichten von baumdicken und riesenstarken Boas.

Wir lassen uns also trotz einiger Ermüdung auch nicht nieder und ruhen im Stehen aus. Jetzt erst, wie wir in den wilden, grünen Wald hineinsehen und horchen, fällt uns so recht das Concert der kleinen Insektensänger auf, die mit Zirpen, Schirpen und Trompeten die Luft erfüllen. Es ist kaum glaublich, welch ein erstaunliches Getöse diese ungezählten Schaaren eifriger Musiker hervorbringen können. Wie in Java quietscht ein Heuschreck ganz rhythmisch gleich einer altersmüden, rostigen Kaffeemühle, während andere mit Trompetenklang und erschreckender Ausdauer ein weithin klingendes unmelodisches tä ä ä ä ä ä ä in inf. in die Wildniss schmettern.

Nun gehts wieder abwärts, und bei dem herrlichen Durste kommt mir ein kleiner, weissbärtiger Malaye, der anscheinend auf dem Wege zu seiner Palmweinquelle ist, grade recht in den Weg. Auf der nackten Schulter trägt er nämlich zwei gut 1½ m lange Röhrengefässe aus Bambus, in die man Wein abzapft. Ich frage ihn: pigi dimana? (wo willst Du denn hin?) Pigi di kabon, tuan besaar (in den Garten, hoher Herr). Bekin apa? (was willst Du da?) Ambil saguer. Es stimmt also, er will seinen Labetrunk saguer holen. Wir gehen vor dem Alten her, der in seiner luftigen Kleidung (er hat nur ein Tüchlein um die Körpermitte geschlungen) rüstig ausschreitet. Nach einer kleinen Weile sind wir in einem Waldtheil, den er seinen Garten nennt, wo eine Anzahl grosser Arengpalmen zwischen anderen Bäumen vertheilt steht. Mit der Geschicklichkeit der Affen klettert unser brauner Dorfgenosse an einem Bambusstamme, der noch einige kleine Zweigzacken trägt, empor bis zur Quelle in der Palme, d. h. bis zu einem armdicken Blütenzweige, dessen lange Traube abgehackt ist. Hier hängt ein 2 m langes Bambusgefäss, in das oben durch ein seitliches Loch der blutende Zweig hineinragt. Der Behälter hat sich im Laufe der Nacht mit Wein gefüllt, der nunmehr in die mitgebrachten Gefässe gegossen, dabei auch noch durch einen dicken Pfropfen von Palmhaar säuberlich filtrirt wird. Das Sammelgefäss wird mit einem langen Blatte inwendig gereinigt und wieder an seine Stelle im Baume gebracht. Mit grossem Genuss genehmige ich mir zur Stillung meines unbändigen Durstes ein gutes halbes Liter des leicht säuerlichen Getränkes. Als Trinkgefäss dient dabei ein frisch gehacktes Stück Bambusstamm. Das erwähnte Quantum kann man wohl vertragen, falls die Gährung des zuerst zuckersüssen Saftes nicht schon zu weit vorgeschritten ist. Die Belanger scheinen es im Palmenweintrinken aber noch erklecklich weiter als wir gebracht zu haben, denn tagtäglich werden grosse Mengen aus dem Walde ins Dorf geholt und ohne Zweifel auch getrunken. Damit die Palme recht ergiebig Saft abgiebt, wird der männliche Zweig, ehe seine Blüte abgeschnitten wird, etwa 14 Tage lang einige Stunden täglich geklopft und dadurch mürbe gemacht.

Die Arengpalme ist im Übrigen noch zu manchen anderen Dingen gut, ja kaum ein Theil bleibt ohne Nutzen für den Menschen. Die Wurzeln liefern dem Malayen geschätzte Heilmittel, der Stamm wird nach der Entfernung des Markes als Röhrenleitung benutzt, die Blätter geben Dachbedeckung, ein schwarzer haariger Filz zwischen Stamm und Blatt wird tausendfältig zu Tauen verbraucht, die sich besonders im Meerwasser bewähren, einzelne Fäden dienen zum Nähen, dicke in dem Palmhaar steckende Stacheln zugespitzt und gespalten als Schreibfedern, leider auch als Fussstacheln auf Wegen, deren Begehung man Feinden erschweren will. Also Summa ein nützliches Naturgeschenk, das ohne Rest mit Stumpf und Stiel für den Menschen brauchbar ist.

Ähnlich nützlich ist nur noch der Bambus, dessen hochstrebende Riesenhalme in lieblichem Bogen unseren Weg überwölben. Zu tausend und noch einigen Dingen ist das schöne, grosse Gras gut. Seine beste Verwendung findet es beim Hüttenbau. Die zuweilen 20 cm dicken und auch noch stärkeren Halme sind die geborenen Säulen und Balken, die sich, da sie hohl sind mit Leichtigkeit mit einander verbinden lassen. Die dünnen Bambus geben die Latten ab, längseingespalten und ausgebreitet lassen sie sich in breiten Streifen verflechten und zu Wänden und Matten vereinigen. Die Gliederung des cylindrischen Innenraums durch periodisch durchsetzende Querwände macht den Bambus für den Gebrauch als Gefäss geschickt, von denen man lange und kurze je nach dem man mehr oder weniger Glieder benutzt leicht herstellen kann. In Bambustöpfen gekochter Reis schmeckt vortrefflich. Selbst für die edle Musika ist der »bambu« nicht verloren. Trockne Rohre geben oft einen schönen Glockenklang und dickere, seitlich aufgeschlitzte Glieder beim Schlagen einen weit hallenden Ton. Man hat solche »tong-tong« vielfach in den malayischen Dörfern zum Zwecke des Nachrichtenschlagens, und auch zur Flöte ist der Bambus gut. Wers versteht kann mit ihm ohne Schweden leicht Feuer anfachen. Ich habe es selbst versucht, mit der Schneide eines Bambusschwertes einen Bambusstab kräftig zu reiben und recht schnell, nämlich nach etwa einer halben Minute, Dampf und glimmende Funken bekommen, an denen ich mir meine Cigarre anstecken konnte. Ein Segen ist es aber doch, dass wir nicht jede Cigarre der Art in Brand zu setzen brauchen, denn eine leichte Arbeit ist das Feuerreiben nicht.

Wir sind auf einem kleinen Umwege wieder in die Niederung gelangt. Der Pfad erweitert sich ein wenig zu einem grasigen breiten Streifen, auf den die Sonne glühend heruntersengt. Bunte Blumen tauchen in dem grünen Bilde auf, und im, Sonnenscheine wiegen sich schwerfällig, langsam die breiten Schwingen regend, bunte grosse und kleine Schmetterlinge, zuweilen von entzückenden Farben. Besonders wo feuchte Stellen im Wege sind spielen öfter ganze Schaaren dicht über dem Erdboden.

Und nun nach Hause, wo Badjo mit dem Essen wohl schon wartet. Nur noch ein Viertelstündchen sind wir von der Dorfstrasse entfernt als wir in der Ferne waldeinwärts ein Getrommel hören, wie wenn unzählige Finger auf Glasfenstern Generalmarsch schlügen. Trotz der mittäglichen Hitze verlängern wir die Schritte. Wir kennen das Zeichen nahenden Regens. Es rührt von den fallenden Tropfen her, die auf den Resonanzboden des Laubdaches im Walde schlagen. Sehr bald darauf giesst es in bekannter »tropischer« Fülle vom Himmel. Der Weg wird wie ein Bach und der Untergrund glitschig wie Seife. In Ermangelung eines Regenschirmes, wie ihn der vorsichtige Europäer in den Tropen eigentlich immer mit sich führen sollte, schützen wir das Haupt malerisch und zugleich sehr praktisch durch grosse Palmenblätter, wie wir es von den Malayen erlernt haben. Schliesslich taucht unser weissblaues Häuschen auf, das jetzt nach dem Gewitter aber wie eine Pfahlbauhütte in einem kleinen See auf seinen hohen Balken steht. In Ermangelung eines Bootes waten wir durch das fusstiefe Wasser zu der geschützten Höhe unserer Veranda.

Wir haben zuweilen nach Gewittergüssen an zwei Fuss, ja einmal 1 Meter hoch Wasser um das Häuschen gehabt. In solchen Fällen quoll das Nass in zahllosen Quellen mit lautem Glucksen aus dem Boden heraus. Es war von den Bergen und dann in der Sanddecke bei Belang weiter geflossen und kam nun bei uns wie in vielen kleinen artesischen Brunnen zu Tage.


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