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Ich bin wie meine Frau, die wir hier beide auf dem indischen Ocean schwimmen, mit »Ost und West Te Hus is best« sehr einverstanden; wir finden aber grade dann einen besonderen Reiz im Zuhausesein, wenn man in seinem Heim Erinnerungen an die weite, seltsame Fremde nachgehen kann. Wir sind zusammen schon ein gut Stück auf der schönen Erde herumgewandert, und auf manchem weiten Meere schon gefahren. Nun hat es uns wieder hinausgezogen um Erinnerungen zu sammeln.
Wie schnell war Abschied genommen. An einem schönen, sonnigen Septembertage winkten uns die Tücher unserer Freunde den Scheidegruss auf dem Hannoverschen Bahnhof nach. Eine übergrosse Blumenfülle, die wir in unser Abtheil mitnahmen, mochte unsere Mitreisenden wohl auf den Gedanken bringen, man habe uns das hochzeitliche Geleite gegeben. Das ist aber schon vor einer kleinen Reihe von Jahren dagewesen.
Das liebliche Leinethal, in das bei Nordstemmen die Marienburg malerisch vom waldigen Berge hinabschaut, das bei Alfeld, Freden und Kreiensen so prächtig von hochstämmigem Laubwalde eingerahmt ist, in dem die rothen Dörfer so reinlich sauber wie blank gewaschen liegen, es erscheint uns beim Abschied ganz besonders schön. Alte Erinnerungen an die Studienzeit tauchen beim Herannahen von Göttingen auf. Da ist schon die Ruine Hardenberg lauschig im Thale gelegen, und dort ragen die Thürme der Plesse auf dem Rande der wälderreichen Hochebene. Darunter versteckt sich »Mariaspring«, wo jeder fröhliche Student Mittwoch nachmittags Professoren- und andere Töchter der Musenstadt im Tanze geschwenkt hat, ein idyllischer Ort im grünen Walde, wohl der schönste Tanzplatz im Deutschen Reiche. »Station Chöttingen«. Die Musensöhne, die zu meiner Zeit so zahlreich den Zug »abzunehmen« pflegten, fehlen dies Mal. Sie sitzen daheim bei Muttern in den Ferien. Nun rollt der Zug am naturhistorischen Museum der Universität vorbei, nur an der Rückseite. Ich kenne den steinernen Kasten aber auch so. Manche Stunde haben mich seine kühlen Mauern umschlossen, als es galt in das Reich der Naturwissenschaften einzudringen und den Doktorhut zu erwerben.
Eichenberg! Da geht's über den Hanstein zur Teufelskanzel, die so herrlich an tausend Fuss über einer Schlinge des Werrathales thront mit ihren blutrothen Sandsteinfelsen im grünen Laube.
Bei Cassel hebt sich der schroff ansteigende, vulkanische Habichtswald nur als dunkelblaue Wand vom Abendhimmel ab, kaum dass der Kundige noch den »Herkules« erkennt, und vollends die basaltischen Kegel des südlicheren, schönen Hessenlandes, von denen ich so oft in die Weite geschaut habe, tauchen fast unter in dem Dunkel der Nacht.
Frankfurt, Heidelberg und im Morgengrauen Basel. Das Rheinthal, erfüllt von kaltem grauen Nebel, der auch weiterhin die Häupter der Alpenriesen einhüllt. Doch schon hinter Brunnen theilen sich die weissen Ballen. Wie das wogt und flutet um die Gesteinswände. Viele Kilometer lange, flatternde Schleier schlingen sich um die Bergmassen, fliessen im Thale und steigen in weissen, weichen Strähnen zum Himmel. Zwischendurch blitzt der grünblaue Spiegel des Urnersees, an dem die Axenstrasse sich an schroffer Felsenwand entlang zieht. Da liegt Amsteg mit seiner kühn gebauten, malerischen Brücke am Ausgange des Maderanerthals. Vor Jahren haben wir hier in einem kleinen Hause an der Reuss einige fröhliche Tage verlebt. Der Fröhlichste der kleinen Gesellschaft liegt nun schon unter dem Rasen am Strande der Nordsee.
Tunnel auf Tunnel. Dreifach sehen wir unsere Schienenspur unter uns im Thale; in Spiralen kriecht der Zug in den Bergen empor, und schiesslich verschlingt ihn das Loch des Gotthardtunnels auf eine Viertelstunde.
Wie gewöhnlich erweist sich der Gotthard als Wetterscheide. Im Norden hat das Sonnenlicht die Wolkenbande besiegt und leuchtet auf den schroffen Gesteinswänden, im Süden tröpfelt's schon bei Airolo auf die grüne Landschaft. Bellinzona, Lugano und sein lieblicher See, der Monte Salvatore erwecken Erinnerungen an Streifzüge mit dem geologischen Hammer, an fröhliche Stunden in den Weinbergen. Schliesslich entsteigen wir unserem Zuge in Mailand, wo uns das ganz empfehlenswerthe Hotel Centrale aufnahm.
Wie gar nicht so selten regnet es im »sonnigen Lande Italien« in heimathlicher Art ununterbrochen den ganzen Tag. Das hält uns jedoch nicht ab noch am Nachmittage in das Dunkel des marmornen Domes zu tauchen, das bei diesem trüben Wetter besonders weihevoll in dem hohen, dämmerigen Gotteshause wirkt. In der nahen Galleria Vittorio Emanuele lässt es sich dann im Trocknen spazieren gehen, und wie vor Jahren sitzen wir wieder im Café Biffi.
Der Morgenzug bringt uns durch die weiten, gelben Maisfelder der Poebene, durch grüne Weingärten mit schwer an den baumartigen, durch Steinpfeiler gestützten Stöcken hängenden Trauben, durch das malerische, wälderreiche, schroffe und zugleich liebliche Appenningebirge nach Genua, der herrlich am Mittelmeer gelegenen Stadt. Im Hafen ankern zahlreiche Schiffe, und dort der Dampfer mit dem gelbschwarzen Schornstein soll uns in's Reich der »paradiesischen Inseln« am Äquator bringen.
Als Ziel unseres letzten Spazierganges in Europa nahmen wir den Genueser Campo santo. Ein friedereicher Friedhof, abgeschieden vom Städtetrubel für sich gelegen inmitten prächtig modellirter Berge. Warmer Sonnenschein strahlte auf die Säulengänge mit den Denkmälern der Reichen und nicht minder schön auf die Tausende von Marmorkreuzen, die in gedrängter Menge das Feld der armen Sterblichen bedecken. Der wohlhabende Italiener ist, so scheint's, sehr besorgt darum, dass der Nachwelt die Erinnerung auch an seine äussere Erscheinung nicht verloren geht, und so wird manch prächtiger Marmorblock, man kann es wohl nicht anders nennen, gemissbraucht, um den Signor X. oder einen Anderen naturgetreu im Strassenanzug mit dem runden Hut in der Hand oder sonst wie geschmacklos in Lebensgrösse darzustellen. Nur wenige Denkmäler wirken dem Charakter des Ortes angemessen. Wenn somit auch vor dem einzelnen Monument gar zu oft die Stimmung aus dem Weihevollen herausschlägt, so ist doch der Gesammteindruck dieses Gräberfeldes zwischen und an den herrlichen Bergen von grossartiger Wirkung. Alles friedlich, freundlich, sonnig, still, ein wohlthuender Gegensatz zum Hasten, Drängen, Schreien, Brüllen, Klingeln der jenseits des Berges tosenden Stadt, die erst wieder ihren wundersamen Eindruck südlicher Herrlichkeit macht, wenn man vom Schiff im Hafen das bunte Häusergewirr an dem Rund der Berge vor sich hat.
Nun setzt sich unsere Koningin Regentes in Bewegung, leise, still, von uns erst unbemerkt, die wir noch der »Aller« nachsehen, wie sie mit lustigem Trompeten- und Hörnerschall in die blaue Weite fährt. Ganz langsam gleitet unser Schiff aus dem Gewirr der Nachbardampfer und tritt sachte aus der von den Molen geschützten Hafenbucht heraus. Nun aber schwimmt es in schneller Fahrt auf's Meer hinaus, wie ein frischer Wanderer, der soeben noch langsam durch die Gassen einer Stadt schritt, in der er die Nacht seine Herberge fand, dann aber nach den letzten Häusern auf der freien Bahn kräftig ausschreitend seinen Weg verfolgt. Wir geniessen eins der herrlichsten Hafenbilder, den Gegensatz zwischen der immer noch nahen Riviera-Uferlandschaft mit ihren an den Abhängen in buntem Durcheinander hängenden Häusergruppen, den wundervollen Coulissen der blauen Berge, die mit zarter Umrandung durch lange, zackelige Wellenlinien sich hinter einander erheben, und anderseits der blauen, weiten, ruhigen Meeresfläche, die in der einfachen Linie des Horizonts ihren Abschluss findet. Dieser Gegensatz in der Scenerie links und rechts fesselt uns noch lange an die Reeling, und das formen- und farbenfreudige Auge wird nicht müde, das schöne Bild in sich aufzunehmen. Auch das naturwissenschaftliche Gemüth findet hier sein Genüge. Da haben wir den uralten Gegensatz zwischen Land und Wasser vor uns, die ragenden Bergformen, deren steil aufgerichteten Schichtenfolgen wir vom Eisenbahnwagen aus beobachteten, eine im Laufe der geologischen Zeiten sich allmählich verändernde Zerstörungslandschaft, deren zarte Formen sich im Laufe der Jahr-Millionen modellirten unter dem Einfluss der Verwitterung, und gleich dabei erblicken wir das weite Wasserfeld, in das der Zerstörungsschutt durch die rinnenden Gewässer hineingetragen wird und eine lange Ruhe findet.
Mit leisem Ahnen, dass der kommende Tag wohl eine kräftige Probe auf die Seetüchtigkeit der Reisenden bringen würde, ging man zur Ruhe. Die böse Seekrankheit, gegen die es nur ein Mittel giebt, nämlich das ganz sichere, nicht aufs Meer zu gehen.
Schon beim Erwachen merkte man, dass nicht alles inwendig, besonders in der Magengegend, geheuer war. Das Übrige ist bekannt und kommt besser nicht in die Öffentlichkeit. Sei nur vermerkt, dass allein die Mühe des Anziehens gut anderthalb Stunden verschlang, denn nach jedem kleinen dabei nöthigen Akt des Waschens, Kämmens u. s. w. folgte nothgedrungen eine ausgedehnte Erholungspause auf dem Bette. Nur in wagerechter Körperlage ist man gegen die Tücke gefeit.
Oben auf Deck treffen wir unseren englischen Bekannten. Beneidenswerther Mensch. Raucht ganz gleichmüthig seinen Taback. »How are you?« fragt er mich. Mir ist erst zweifelhaft, ob er's ironisch meint. Da er aber ganz ehrlich blickt, ist es mir eine Genugthuung zu erfahren, dass man mir meinen innerlich verzweiflungsvollen Zustand äusserlich nicht ansieht. Also sage ich »Thank you; very well«, worauf er dann mit Kennermiene das wogende Meer betrachtend meint: »All right; to morrow we will have a heavy sea«. Das konnte ja eine erquickliche Fahrt werden. Doch es kam nicht so grausam, wie wir es uns ausmalten.
Es ist ein Trost, dass die allermeisten sich über kurz oder lang an die Wiegenbewegungen und auch an das Auf- und Abtauchen des Schiffes gewöhnen. So schaukelt unser Dampfer hier im Indischen Ocean weit kräftiger als am gedachten Tage im Mittelmeer, und dennoch denkt kaum einer oder eine daran, sich überwunden zu erklären.
Glücklicherweise dauerte überdies die Probe nicht lange. Schon als die Ponzainseln nachmittags in Sicht waren, blaue Schattenrisse in der Ferne, glättete sich die Meeresfläche, und am Abend war die Tafel fast lückenlos wieder besetzt.
Nachts gegen 3 Uhr trug uns unser Dampfer in den Schwarm der Liparischen Inseln. Da ich, wie manche andere, die verwunderliche Eigenthümlichkeit besitze, auf einen Entschluss beim Einschlafen hin mit merkwürdiger Pünktlichkeit zu einer festgesetzten Zeit aufzuwachen, entgingen uns die interessanten Eilande nicht. Nach dem Aufwachen zeigte mir meine Uhr die dritte Stunde, und im Rahmen unseres Kajütenfensters schwamm in dem Stückchen Meer des kreisrunden Bildes das Dreieck der Insel Stromboli. Als ein schöner Kegel ragte der Vulkan aus dem Wasser, jetzt nur im Umriss erkennbar, ein geheimnissvoller Feuerberg im nassen Element. Dicht unter seinem Gipfel sprühte von Zeit zu Zeit eine rothe Feuergarbe zum nächtlich grauen Himmel. Auf Deck liessen sich auch die übrigen Liparen erkennen. Es sind mit dem Stromboli Trabanten des vulkanischen Königs dieses südlichen Italiens, des himmelanstrebenden, mächtigen Etna. Wir sahen den Gewaltigen am frühen Morgen nur als blaugraue Silhouette, seine Spitze war zudem in Rauch und Wolken gehüllt. Er war mir ein alter Bekannter. Vor nun schon gut einem Dutzend Jahren habe ich einen Theil seiner Wunder in der Nähe geschaut, mächtige Lavaströme, die er bis ins Meer ergossen hat, die damals noch frischen Nebenkrater bei Nicolosi, das wundervolle Taormina mit seinem griechischen Theater und dem schönsten Blick auf der so schönen Erde. Wie alle diese Herrlichkeiten jetzt so verborgen liegen in der gleichmässigen, graublauen Dreiecksfläche des Berges. Nun treten die Ufer wieder zurück. Messina rechts, Reggio links sind verschwunden, vorn und hinten, rechts und links offenes Meer, ein grosser Wasserkreis.
Am vierten Tage nach der Abfahrt von Genua kam die »interessante Insel« Kreta in Sicht, und von der Insel Gavdo leuchtete uns als letztes Zeichen von Europa das Warnungslicht herüber; am sechsten Tage unserer Fahrt tauchte als schmaler niedriger Streifen Afrika aus dem Meere heraus, höchst unmalerisch und öde anzusehen.
Da die Speise für unsere Dampfkessel auf die Neige ging, mussten im Hafen von Port Said Kohlen genommen werden, stets ein schmutziges Geschäft, das den schmucksten Dampfer ums schöne Aussehen bringt, bis unendliche Waschwassermengen ihn dann wieder reinlich gemacht haben. Die flachen Kohlenboote warteten schon auf uns; auf dem Brennstoff lagerten ganze Scharen nicht nur von Schmutz, sondern bereits von Natur schwarzer und brauner Träger in dem Kohlengeschäft entsprechenden Lumpen, Neger und Araber, die nun wie ein kribbelnder Ameisenschwarm sich ins Schiff ergossen. Auf ein paar schmalen Balken einherlaufend, die sie von ihrem Boote aus in Luken unseres Schiffes gelegt hatten, trugen die Kerle in ununterbrochener Reihe und unter wüstem Brüllen mit Kohlen gefüllte Strohkörbe ins Schiff, um in Laufschritt auf einem anderen Balken zurückzukehren und einen frisch gefüllten Korb in den Kohlenraum zu schaffen. In kurzer Zeit war die Ladung herein.
Der Kapitän gönnte uns vier Stunden zur Besichtigung von Port Said. Eine tuchüberdeckte Barke führte uns an den Strand. Wir durchschlenderten die modern rechtwinklig aufeinander stossenden Strassen, auf die in orientalischer Art die Häuser offen münden, und kauften uns die berühmten Simon Arzt'schen Zigaretten bei ihm selber. Nicht gerade von der Stadt begeistert kehren wir ein bei Eiswasser und Kaffee, um das Strassenbild zu beobachten. Zuerst macht uns die unverschämte Zudringlichkeit der Händler Spass; sie wollen uns ihre antiken Medaillen (made in Germany), Glas- und Muschelarbeiten (aus Berlin), natürlich auch noch zu unglaublichen Preisen, anhängen. Unsere Gutmüthigkeit erstreckt sich anfangs sogar über ein halbes Dutzend Stiefelputzer, von denen schon zwei meine Beinenden in der Hand haben und natürlich eigentlich gegen meinen Willen meine braunen Schuhe poliren, bis die Sache doch für uns zu ungemüthlich wird und wir die Bande durch einen kräftig in die Hand genommenen Schirm von dannen scheuchen. Auf der Strasse fallen uns besonders die von oben bis unten schwarzverhängten Frauen auf, von deren Gesicht nur die Augengegend frei ist, die überdies auch noch theilweise durch einen metallenen oder hölzernen stabförmigen, selbstverständlich höchst unbequemen Schleierhalter in der Mitte verdeckt ist. Wie machen sich manche das Leben schwer! Die scheusslichste aller Erscheinungen nach allgemeinem Urtheil war ein gräulicher tiefschwarzer Negerzwerg, der am Eingang zum Laden von Simon Arzt sich aufhielt und durch unheimliche Verzerrung seines ohnehin schon bösartigen Antlitzes, in dem der Mund blutroth und schneeweiss bis fast an die Ohren klaffte, die Käufer auf sich aufmerksam machte. Er schlug Kapital aus seiner Hässlichkeit, denn natürlich sein Sinn und Denken stehn nach Bakschisch.
Port Said ist der nördliche Eingangsort zum Suezkanal. Ein sehr stattliches Amtsgebäude der Kanalgesellschaft erhebt sich an seiner Mündung ins Meer, das ihn im Übrigen an seiner Westseite als weitgreifender Meerbusen noch weithin begleitet. Hier verläuft auch die Eisenbahn nach Ismailia. Im merkwürdigen Gegensatz sieht man die Eisenbahnzüge dahinrollen, moderne Dampfer ihre Kanalstrasse ziehen und anderseits Kameel-Karavanen malerisch die Strasse an dem Wasserwege entlang verfolgen. An der Ostseite erstreckt sich gelb und dürr die arabische Wüste bis zum Horizont, über dem hier und dort die Fata Morgana nebelhafte Bilder von Wasser und Inseln in den gelbrothen Dunstkreis der Atmosphäre zaubert. Nun sinkt die Sonne im Westen herab, und die weite braungelbe Wüste, der schmale Wasserzug des Kanals, die kleinen Oasen der Stationsgebäude, Karavanen, das wie ein Spiegel glatte Meer mit merkwürdigem, funkelnden, hellen, metallischen Bleiglanz, in dem sich die gelbrothe Sonne deutlich spiegelt, das giebt zusammen ein wundersames Gemälde. Und als vollends der schon fast liegende Halbmond an der Wüstenseite erschien, ein mächtiger elektrischer Scheinwerfer vorn auf unserem Schiff die stille Fahrstrasse grell erhellte, da war die Scenerie von wirklich grossartiger Wirkung und trotz öder Wüste von erhabener Schönheit.
Am Nachmittage gegen vier Uhr waren wir in den Kanal eingefahren, und schon nach vierzehn Stunden hatten wir in nächtlicher Fahrt Suez erreicht. An Abgaben hatten der Kanalgesellschaft an 25 000 Mark bezahlt werden müssen, sodass also die Aktionäre an uns in jeder Stunde fast 2000 Mark verdienten. Nach Suez öffnete sich wieder das weite Meer, das gefürchtete Rothe Meer, das nebenbei gesagt trotz seines Namens so herrlich blau ist, wie man nur irgend wünschen kann. Bei unserer Fahrt ging es bezüglich der Hitze noch glimpflich ab, denn wenn natürlich auch im Sonnenschein eine übergrosse und unbequeme Wärmefluth auf uns niederging, so zeigte ein im Schatten auf dem Deck hängendes Thermometer doch nur 33° C. im Maximum, was ja auch in Hannover vorkommen kann. Die Nacht bringt nur sehr wenig Abkühlung: die beiden tagsüber erhitzten Öfen neben unserer Meeresstrasse, im Osten die durchglühten Wüsten Arabiens und im Westen die felsigen Gebirge Egyptens und des Sudans schicken ununterbrochen heisse Luft auf das Wasser, das gleichfalls die Wärme eines heissen Bades von sogar 34° C. angenommen hat. So lange einiger Wind herrscht ist die Temperatur ganz erträglich, ruht jedoch die Luftbewegung, so wird die ununterbrochene Schwüle doch recht ungemüthlich, und vollends in der engen Kabine ist es nicht auszuhalten. Also hinauf auf Deck und auch nachts auf den langen bequemen Singapurstuhl. Nach vier Tagen ist diese heisseste Strecke der ganzen Fahrt überstanden.
Trotz aller überreichlich genossenen Wärme ist die Reise durch das Rothe Meer uns eine angenehme Erinnerung, denn manch herrliche Scenerie von Wasser und Land hat uns auf dem Wege von Suez nach Perim erfreut. Ganz besonders malerisch erheben sich in der Nähe des 15. Breitengrades die Apostelinseln aus dem Wasser. Sie heissen in der Seemannssprache so wegen ihrer Zwölfzahl. Auf den Karten sind sie die Zebayereilande genannt. Sie ragen zum grossen Theil mit schroffen Wänden aus dem Meeresspiegel, und sind in prächtigem Farbengegensatz aus gelbrothem Tuff und überragenden schwarzen und rothen Lavamassen aufgebaut. Zu dauerndem Aufenthalt sind diese sonnigen, kahlen, ganz steinernen Eilande nicht geeignet, ja die meisten Reisenden würden sich mit Recht für nur 24 Stunden Aufenthalt bedanken. Aber was dem einen »sin Uhl«, ist dem andern »sin Nachtigal«. Für den Geologen ist eine solche dürre, steinerne, nicht von dem grünen Pelze des Gras- und Baumwuchses umkleidete Gegend gradezu ein ideales Arbeitsfeld. Während er in vegetationsgeschmückten Gegenden meist auf verstreute spärliche Aufschlüsse in Bächen, an Steilgehängen, in Steinbrüchen angewiesen ist, und der Forscher gewissermassen aus einzelnen Worten den Sinn des Ganzen erräthseln muss, liegt hier in der Wüste das steinerne Buch offen vor ihm aufgeschlagen, jede Seite und jeder Buchstabe lesbar vor ihm.
Ähnlich verlockend zur näheren Untersuchung wie diese Inseln, erschien ein mächtiger, viele Meilen langer Gebirgszug, der sich am Ausgang des Suezgolfes im Westen zeigte, wo sich in grossartigen Aufschlüssen aus hellerem Gesteinsuntergrunde weit sich hinziehende dunkle Eruptivgänge heraushoben. Doch das Ziel für unsere Studien lag weit entfernt, und wir durften uns der für uns verlockend erscheinenden Bilder unterwegs nur kurz erfreuen.
In Perim, der englischen Inselstation am Ausgange des Rothen Meeres, versah sich unser Dampfer noch ein Mal mit Kohlen. Da wir Ceylon auf unserer Fahrt durch den Indischen Ocean nicht berührten, galt es Vorrath für eine vierzehntägige Seereise einzuspeichern. Auf zwei Wochen nahmen wir hier vom festen Lande Abschied. Im Allgemeinen wird man Perim wohl gern verlassen, rundum ist eine trostlose Felsenwüste. Nicht ein Hälmchen wächst da ohne menschliches Zuthun. Denn Regen fällt so selten, dass selbst das Trinkwasser herangefahren oder durch Destillation aus dem Meerwasser gewonnen werden muss. Ringsum kahles, schwarzes und helles Gestein ohne jegliche Vegetation. Um so freundlicher leuchtet ein Gärtchen zu unserem im Hafen haltenden Schiffe hinüber. Es gehört zur Villa des Gouverneurs und ist gewiss der Stolz der ganzen Insel.
Während einzelne unserer Reisegefährten sich in den glühenden Sonnenschein ans Land wagten, um ein weiss schimmerndes Araberdorf zu besuchen, vertrieben wir uns die Zeit damit, einem indischen Zauberer, der aus Mangakernen Bäumchen wachsen liess, sowie den kunstfertigen braunen Tauchern zuzusehen, die mit ungeschwächter Kraft sich stundenlang im Meere aufhielten und mit grosser Geschicklichkeit ins Meer geworfene Geldstücke unfehlbar wieder emporholten. Das Kunststück ist im Übrigen nicht so sehr schwierig wie man anfänglich meint, denn die platten Münzen schweben nur sehr langsam im Wasser abwärts. In Ermangelung anderer Taschen bargen die nackten Kerle ihren leicht erworbenen Verdienst in den Backentaschen, die den Geschicktesten unter ihnen sich rundeten als hätten sie geschwollene Gesichter. Trotzdem brachten sie es noch fertig, mit ihrem Gebrülle à la mer, à la mer die Reisegesellschaft immer wieder auf sie aufmerksam zu machen. Als Glanzleistung zeigten einige schliesslich eine Schwimmfahrt unter dem Schiffe hindurch, die ich aber nicht verbürgen will, da der Weg hinten ums Schiff herum ja auch auf die andere Seite führt, ebenso wenig wie die unheimlichen Dauertauchversuche, bei denen einer eine Viertelstunde ausblieb. Natürlich hat er diese glorreiche Leistung mit Hülfe eines versteckten Winkels gemacht, in dem er sicher von den 15 Minuten 14 mit dem Kopf über Wasser gesessen hat.
Nun weiter in das grosse Meer. Zunächst durch Bab el Mandeb, das Thor der Thränen, das seinen Namen, wie es auch uns schien, mit Recht trägt. Das bezeugte das Wrack eines mächtigen Dampfers der P. und O. Linie (Peninsular and Oriental Line), der einige Monate vorher hier gesunken, jedoch bereits wieder gehoben war und nach England geschleppt werden sollte. Auch das nächste Ziel unserer Fahrt, das Kap Guardafui ist für den Schiffersmann nicht ganz geheuer. In unserem Oktobermond konnten wir allerdings auf günstige Verhältnisse rechnen. In der That lenkten wir in ununterbrochen guter Fahrt bei strahlend blauem Himmel in den weiten Indischen Ocean ein, den unsere Koningin Regentes während ich dies schreibe, wie der Leser weiss, durchfurcht. Die Temperatur ist etwas gesunken und hält sich in der Luft am Tage im Allgemeinen zwischen 26 und 28° C, steigt gelegentlich auch wohl auf 30° und kühlt sich nachts nur ganz unbedeutend oder gar nicht ab. Das Bad erfrischt wieder. Das Meerwasser hat mit geringen Schwankungen eine Wärme von 27-28 °C, was natürlich gegen die 37,5 des Körpers als angenehmer Gegensatz noch immer empfunden wird.
Summa, wir erleben auf unserem Schiff, wie auch Leserin und Leser finden werden, sehr angenehme und behagliche Tage. Wir könnten es noch besser haben, wenn wir nicht auf die unglückliche Idee verfallen wären, auf dem Dampfer zu photographiren und vor allem darauf, die Platten schon hier zu entwickeln. Das erstere geht noch an, das letztere ist aber gradezu eine selbstauferlegte Strafe. Erstens versäumt man unverantwortlicherweise die herrlichen Abendstunden, in denen es sich so schön aufs Meer hinaus und zum Sternenhimmel hinaufsehen lässt, und zweitens sitzt oder steht man in dem aus einer Badekammer hergerichteten Dunkelzimmer in Handumdrehen in einer solch schwülen, dicken, heissen Luft, dass das Rothe Meer einem als Labsal erscheint, und der Schweiss am ganzen Körper trotz luftigster Hülle nur so niederläuft. Lieber lasse man alle hübschen Damen und Malayen unabgebildet, als sich solcher Anstrengung auszusetzen. Dazu kommt, dass das Ergebniss der Entwickelung häufig nicht dem heissen Bemühen entspricht. Die Lösungen werden meist bald zu warm, die Gelatine schwimmt fort. Leicht wird einmal Meerwasser benutzt, das nachher die schon fertigen Negative beim Trocknen verdirbt u. s. w. Ich weiss wohl, dass man allen diesen Dingen begegnen kann, in Anbetracht der unumgänglichen Plackerei kann ich aber unser Vorgehen nicht empfehlen, vielmehr rathen, wenn einmal photographirt sein muss, die Platten in Ruhe und Frieden beim Aufenthalt in einer Stadt in der kühlen Kammer eines Photographen oder der darauf zuweilen auch eingerichteten Hotels zu entwickeln.
An die wundervollen, sonnigen Tage, die der Indische Ocean uns zunächst brachte und unter deren Eindruck die ersten Seiten dieses Berichtes geschrieben wurden, schloss sich bald eine Reihe von Tagen wechselvoller Witterung an. Bald glänzten Himmel und Meer in blauen Farbentönen, bald hingen weisse und auch grauschwarze Wolken über dem Wasser. Urplötzlich stürzten zuweilen mächtige Regengüsse in die salzigen Fluten, das Schiff wahrhaft überschwemmend. Schwüle Luft umgab uns Tag und Nacht, die besonders dann recht drückend wurde, wenn der Wind in Richtung unserer Fahrt ging, sich uns also nicht merkbar machte. Als Entgelt dafür konnte man die hohe Geschwindigkeit unserer Koningin Regentes hinnehmen, die an solchen Tagen, wohl auch unterstützt durch günstige Strömungen, über 600 km zurücklegte.
Mit Regen und Wind passierten wir den Äquator, ohne dass ängstliche Gemüther den im Scherze angedrohten Ruck sonderlich empfanden und trieben nun ins Gebiet der südlichen Erdhälfte. Äquatorscherze mit See- bezw. Kölnisch Wassertaufen, wie das auf deutschen Schiffen üblich ist, wurden nicht veranstaltet. Wir begnügten uns damit, den Gleicher zu photographieren, wie er als schwarze Linie vor unserm Schiff als Grenze der nördlichen und südlichen Erdhälfte sich hinzog. Dieses denkwürdige Bild, von dem allerdings böswillig behauptet wird, dass die Äquatorlinie nachträglich eingekratzt ist, haben wir von Padang auf Sumatra, unserem ersten Anlegeplatz in Holländisch-Indien, alsbald in die Heimat gesandt.
Dicht bewachsene Inseln tauchten auf, deren lebhaftes Grün das Auge nach der langen Oceanfahrt mit Behagen genoss. Ein kleiner Dampfer, der seinen Kurs nordwestlich an der Küste von Sumatra entlang nahm, wurde lebhaft begrüsst, denn auf der gewaltigen Wasserfläche des durchmessenen Meeres hatten wir in den ganzen 14 Tagen kein fremdes Schiff gesehen. Grosse braune Fische sprangen aus dem Wasser, Vögel zeigten sich auf dem Meere. Die Welt ausser uns sandte uns ihre ersten Boten.