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Yes! Dieses eine fremdländische Wort sprach Bände – Folianten – ganze Bibliotheken in allen Formaten!
»Ah!« atmete der Freund tief auf, fügte von einer schweren Last befreit hinzu: »Gottlob!« und trat mit zwei Schritten heran an den Freund, der sofort seine Nase wieder in das Sofakissen gedrückt hatte. Er, Rippgen, beugte sich nieder – zum ersten Mal in seinem Leben beugte er sich zu seinem Universitätsfreunde Pechlin nieder, ergriff die Hand, welche den mystischen Bauer Hahn aus Sindlingen nicht gepackt hielt und rief:
»Christoph?! alter Bursch! . . . Pechle?«
»Goddam!« stöhnte der Angeredete, der bis in die jüngste Zelt sein gesamtes Englisch nur aus veralteten Romanen bezogen hatte.
»So sage mir doch . . .«
»Yes!«
Dieses Wort hatte er unbedingt neu zugelernt und wendete es an, – wendete es mit Vorliebe an, wie man etwas neu Erworbenes ganz unbewußt gern in der Sonne spielen läßt.
»Sprich zu mir, Christoph! Du hast mir eben einen tödlichen Schrecken eingejagt. Was hast du? Was ist geschehen? Pechlin, ich beschwöre dich bei unserer Freundschaft, betrage dich nur noch ein einziges Mal in deiner gewohnten Weise. Schnauze mich an meinetwegen, aber rede zu mir, wie du es gewohnt bist, das heißt, betrage dich noch einmal wie das, was du ein verständiges Menschenkind nennst.«
»Yes!« sprach Pechle dumpf in sein Polster hinein und schüttelte zugleich den Kopf, als sei letzteres das Letzte, was vernünftigerweise von ihm verlangt werden könne.
»Christoph,« sagte der Baron immer teilnehmender, »soll ich nicht lieber zu deiner Braut senden, um sie von deinem Zustande in Kenntnis zu setzen?«
Dieser Vorschlag wirkte. Fast noch ehe der Freiherr seinen Satz vollendet hatte, stand der Patient bereits auf beiden Füßen. Krachend flog der Sindlinger geistliche Tröster und Liederdichter an die Wand, und in Angst und Aufregung schier bis an die Decke des Zimmers emporhüpfend, faßte Pechle den Freund an dem Halstuch und schrie:
»Mensch, Mensch, du könntest freilich einen Toten durch deine Zumutungen auferwecken! Yes, yes, yes! . . . Zu meiner Braut schicken? . . . Daß du dich das nicht unterstehst! . . . Mensch, Satan, ich erdrossele dich auf der Stelle, wenn du noch ein einziges Mal nach dieser Richtung hin den Mund auftust! . . . Yes!«
»Aber –«
»Yes!« seufzte Pechle, die Krawatte seines Freundes loslassend und das eigene schwere Haupt ihm kläglich, wehmütig, gebrochen auf die Schulter legend:
»Ferdinand, du, gerade du solltest doch besser um mich Bescheid wissen!«
»Ich? Besser um dich Bescheid wissen? Ach, Christoph, sprich nicht in Rätseln, dein Auge ängstigt mich; ich habe große Mimen, die nachher in Wahrheit verrückt wurden, so blicken gesehen. Pechlin, sieh mich nicht so an, sondern sage mir einmal ganz ruhig: ist dir, gerade dir, denn wirklich so entsetzlich schlecht zumute? Willst du mir, deinem alten Freunde, nicht deutlich sagen, wo es dich drückt, – kannst du es nicht?«
»O doch! Yes! Hier – hier,« ächzte Pechle, die Hand auf das Herz legend. »Und hier!« Die Hand glitt auf den Magen herab. »Und von da steigt es dann wieder hinauf, bis – dahin!« Er griff schluckend an die Kehle. »Und dann ist es, als ob der ganze Mensch da hindurch sollte; und dann – dann – o Ferdinand, kommt eine Erschlaffung, während welcher und infolge welcher es zu einer Erleichterung in keiner Weise kommt. Alles sinkt wieder hinab in das Innerste, und da kocht es leise und brodelt. Ferdinand, ich sage dir: wenn Dante Alighieri mir in den Hals und dann durch alle Windungen und Kreise meines Innern rutschen könnte, so würde er beim Wieder-zu-Tage-kommen eine ganz andere göttliche Komödie schreiben, als er jetzt geliefert hat.«
»Pechlin, das ist ja schauderhaft!«
»Yes, das ist es, und deshalb liege ich auch dir hier am Busen und halte dich, halte mich an dich, den ich so oft, seit ich ihn am Busen einer holden Gattin wiederfand, so oft, oft getröstet und aufgerichtet habe.«
»O Christoph!«
»Nein, Ferdinand, leugne es nicht ab. Bei Tage und bei Nacht bin ich zu dir hinunter gestiegen, und deine Frau hat mich kommen gehört. Nun steigst du zu mir herauf, um mir Hülfe und Trost zu bringen; und deine Frau läßt dich gehen, schickt dich sogar. Gelt, leugne es nicht – es ist so?! Guck, Ferdinand, ich hab' mich leider Gottes manchmal stärker gedünkt als du, und vielleicht auch dann und wann dich das merken lassen, aber ich sage dir, das wird nimmermehr passieren. Ferdinandle, der Tag des Triumphes ist für dich da; genieße ihn, wie ich ihn genossen haben würde; aber sei zu gleicher Zeit besser als ich und bemitleide mich mitten im Hohnlachen. Gelt, Alterle, du begreifst mich? Und nun gib du mir einen guten Rat und rate mir, wie ich von dieser – dieser verkleideten Lemure, dieser Eule, dieser Vampyrin, meiner Miß, deiner Frau ihrer Miß Christabel wieder loskomme! Rippgen, das Mädle ist mir alles, ist mir in Gottes weiter Welt augenblicklich alles, alles, alles; aber vor allen anderen Dingen eine Leimrute, auf der ich elender, piepender, flügelschlagender Tübinger Dompfaffe festsitze und zwar als ausgeprägter Gimpel erster Größe.«
Der Baron überhob sich nicht, er lachte durchaus nicht Hohn, er sagte nur ganz leise:
»Also wirklich?! . . . Ach Christoph, lieber Freund, ich habe es nicht für möglich gehalten, daß du so bald wieder zu Verstande kommen werdest; aber es freut mich doch, daß ich mich wenigstens einmal in meinem Leben nach der unrechten Seite hin geirrt habe.«
»Das freut dich? O Himmelsakrament! . . . na ja, freilich darf es dich freuen, ich verdenke es dir auch gar nicht und gönne dir den Genuß von ganzem Herzen. Aber deinen Rat! deinen Rat! Ferdinand, ich bin überzeugt, daß ich niemals so dunkel gebrannt habe wie jetzt. Du wirfst auch meistens nur einen trüben Schimmer von dir; aber jetzt bist du eine wahre Fackel, ein Feuerrad, ein elektrisches Licht gegen deinen unglücklichen Freund Pechle. Pechle?! . . . O popoi, ai, ai, ai, o popoi, den Namen hab' ich auch noch nie mit größerem Rechte geführt als heut. Ich sitze drin! Ich sitze in mir selber und zwar ganz ohne alle stammeseigentümliche Diminution. Ganz einfach im Pech sitze ich! Aber – bei Gott, ich werde mich ermannen, ich werde das Licht meines Geistes wieder anzünden, und zwar an dem deinigen, Ferdinand! Hörst du, schnäuze dich und gib mir von deinem Scheine: du bist seit längeren Jahren Ehemann und warst auch einstmals verlobt und ein Bräutigam; Ferdinand, du bist ein erfahrener Mann; muß i d'Liebliche, – die Person heirate?«
»Herrcheses! . . . Herrcheses, ei ja! Ei freilich! das versteht sich,« stammelte der Freiherr, und der Stiftler hätte sich beinahe von neuem platt auf den Boden gelegt, die Nase in das Sofakissen gesenkt und von neuem angefangen, aus Michel Hahns Liederbuche zu singen. Er hielt sich jedoch noch einen Augenblick auf den Füßen, und in diesen Augenblick hinein fiel ein neues Wort des Freundes und erhielt den Schwankenden aufrecht.
»O Christoph,« sagte Rippgen, »was soll ich dir da sagen? Würde es nicht besser sein, wenn du dich mit deiner Frage an meine Frau wendetest?«
»Ja aber?« schrie Christoph Pechlin, den Baron stier anstarrend, und fuhr dann dumpf und in unheimlicher gezwungener Bewunderung fort: »Er wird immer größer! Er wächst immer höher über sich hinaus! Es ist nur das eine zu befürchten, daß er einmal den Glauben an sich selber verliert und sich vollständig für seinen Gegensatz hält.« Und damit – wie ein Besessener auf den Gatten der schönen und klugen Frau Lucy zufliegend, krallte er sich von neuem an ihm fest und schrie ihm ins Ohr:
»Ungeheuer! Henkersknecht! Ich, ich, ich soll mich an – deine – Frau – wenden? Bist du denn wirklich überzeugt, vollkommen gefaßt zu haben, was das in diesem Falle bedeutet?«
»O nein; aber wenn dir dieses unangenehm ist, so bleibt dir noch der Doktor Schmolke, unser Freund Schmolke in Frankfurt am Main. Wenn du meine Lucie nicht fragen willst, so frage unseren Freund Leopold. Weißt du noch, an jenem Abend, an welchem ich das Vergnügen hatte – an welchem du dich meiner zum ersten Mal wieder annahmst –«
»Ihr großen Götter, ja, da ließ er ein Wort fallen –«
»Freilich ließ er ein Wort fallen! Weißt du, was er mir damals zum Troste sagte?«
Der Exstiftler schlug sich vor die Stirn, nachdem er sich dieselbe eine ziemliche Weile gerieben hatte.
»Ich weiß es nicht mehr; aber doch – ja – o richtig! o Ferdinandle, Fernando, Fernando, wenn er etwas wüßte?! Für jetzt laß dich küssen, alter Bursch! Da ist doch wenigstens die erste Ahnung eines beginnenden Kristallisationsprozesses in dem chaotischen Brei. Rippgen, morgen früh fahren wir beide nach Frankfurt zum Schmolke.«
»Wir! . . . wir beide? . . . Glaubst du, daß Lucy mich so ohne weiteres reisen lassen werde?«
»Sie muß! Ferdinand, sie muß. Yes! Und – Ferdinand, es ist unter diesen Umständen deine Freundespflicht, ihr das Unwahrscheinlichste vorzulügen. Aber das wird gar nicht nötig sein; ich werde meiner Christabel etwas Unglaubliches wahrscheinlich machen und durch diesen Kanal selber auf deine Gattin überredend einwirken. O, wenn wir hier zu Lande eine Dummheit gemacht haben, so wissen wir uns doch auch wieder stellenweise herauszuwinden. Sieh, Ferdinand, sieh, meine Christabel hat bereits eine Ahnung davon, daß ich als deutscher Poet und Literat nur deshalb am Sonntage Fleisch essen kann, weil ich in der Woche eine Kaninchen-Zucht und -Hecke unter meinem Schreibtische betreibe, und ich habe in den letzten vierzehn Tagen wahrlich nichts getan, um ihr meine Umstände in einer gesättigteren Beleuchtung erscheinen zu lassen. Im Gegenteil, ich habe kläglich genug getan; aber heute nachmittag noch stürze ich zu ihr, um ihr mitzuteilen, daß meine älteste alte Tante in Frankfurt am Main in ungemein befriedigenden Vermögensumständen Todes verblichen sei und mich zum Universalerben eingesetzt habe.«
»Da wird sie sich freilich ungemein freuen.«
»Nicht wahr? Und gelt, Alterle, du hast gar nichts dagegen, auch deine Frau von dem glücklichen Ereignis in Kenntnis zu setzen, und kannst dich ruhig späterhin bei allen etwaigen Folgen auf meine Lügenhaftigkeit berufen. Du teilst deiner Lucie außerdem mit, daß du mir unbedingt morgen in Frankfurt nötig seiest, und daß ich, ich, Christoph Pechlin, die feste Absicht habe, sofort nach der Testamentseröffnung den Hochzeitstag mit Christabel zu verabreden. Gib nur acht auf die Resultate; bei den Furien, ich bin unerschütterlich fest überzeugt, daß die rachgierige Person, das fürchterlichste der Weiber, bitt' um Entschuldigung, ich meine deine Frau, nicht das geringste dagegen einzuwenden haben wird, daß du mich morgen als Zeuge und juristischer Beirat begleitest. Verlaß dich darauf, sie bringt dich mir morgen sogar persönlich auf den Bahnhof. O Ferdinand, sie würde mir nötigenfalls das Eisenbahnbillet zahlen, nur um mich und – ihre – Freundin schneller auf den Weg zum Traualtar zu bringen. Rippgen, ich sage dir, kein männlicher Mensch kennt die Bosheit der Weiber, so wie sie gekannt zu werden verdient; aber ich, Christoph Pechle, bin auf dem Wege, ein Unikum zu werden, was das Eindringen in diese Wissenschaft anbetrifft!«
Der Baron hob und senkte mit ganz eigentümlicher Mimik die Achseln. Nachdem er den Freund vollständig in seiner infernalischen Logik begriffen hatte, konnte er nur von neuem bewundern und mit erhöhtem Staunen an dem antiken Charakter Pechles in die Höhe blicken. Was auch sich in seiner Seele gegen die Insinuationen des Tübinger Exstiftlers aufbäumen mochte, er fühlte sich zu schwach, den Widerstand lange fortzusetzen. Er hatte einen Menschen vor sich, dem der Entschluß, seine Schiffe zu verbrennen, nicht die mindesten Skrupel erregte. Schon brannte der größte Teil der hochzeitlich bewimpelten Flotte lichterloh; verzweifelnd stand Amor am Strande und rang die Hände; – Pechle wußte jetzt wieder klar, was er wollte, und sah seinen Pfad vor sich: er war bereits imstande, sich augenblicklich hinzusetzen, um einen Leitartikel zu schreiben, in welchem er kaltblütig Punkt für Punkt sein Vorgehen gegen die Geliebte, gegen die Verlobte, gegen die blauäugige, blondlockige, britische Jungfrau – gegen Miß Christabel Eddish rechtfertigte. Und dessenungeachtet und alledem zum Trotz hielt er sich für einen der gemütlichsten und harmlosesten unter allen harmlosen und gemütlichen Bürgern und Bewohnern der Erde; ein Bürger und Bewohner der Stadt Berlin würde ihm freilich wahrscheinlicherweise das Epitheton »unverfroren« beigelegt haben.
Schon hatte er angefangen, ruhig Schiebladen aufzuziehen und Schränke aufzuschließen, um seinen Reisesack zu packen. Versteinert sah ihm der Jugendfreund dabei zu, bis er zur Tür hinausgeschoben wurde, um in der von Pechle vorgeschlagenen Weise von der Gattin die Erlaubnis zur Fahrt nach Frankfurt am Main und zum Doktor juris Leopold Schmolke auszuwirken. Einen Fuß dem anderen nachziehend schleppte der Baron sich nach Hause: Pechle packte ruhig, bedachtsam und doch mit Eifer weiter. Es war ihm bitterer Ernst mit dieser Reise nach Frankfurt. Sein Gewissen schien ihn dabei vollständig in Ruhe zu lassen.