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Die Tage waren fast zu schön, um sich in und an ihnen zu ärgern, und doch wie viele Leute, die sich jetzt auf Reisen befanden, hatten ihren Ärger, ihre Angst mit auf den Weg genommen! Von dem Exkandidaten der Theologie Herrn Christoph Pechlin aus Waldenbuch konnte man dieses jedoch nicht behaupten, und der, welcher dergleichen erwartete, täuschte sich sehr in seiner Erwartung. Pechle gehörte eben zu den durchaus nicht sparsam über die Welt verstreuten Biedermännern, welche, dem bösesten Gewissen zum Trotz, bei Tage der allergemütlichsten Lebensstimmung und bei Nacht des allerbesten Schlafes sich erfreuen und dadurch wieder einmal eines der land- und weltläufigen Dikta vollständig zuschanden machen. Christoph hatte ein böses Gewissen, allein lästig fiel es ihm nicht. Ja, wenn er einmal an das Weib seines Freundes dachte, wurde der Himmel über ihm womöglich noch klarer, der Wald grüner, die Sonne sonniger und jeglicher über jeglicher Kneipentür ausgehängte Busch ein doppelt verlockender Wink zur Einkehr.
Ein schöner Sommer! Ein recht schöner heißer Sommer! Wer in den ersten Tagen des Juni auf einer Fußwanderung im Schwabenlande sich befand, der hatte, auch ohne gerade genötigt zu sein, die Qualen eines schlechten Gewissens zu ersäufen, mannigfache Gründe und Anlässe, in jeder zweiten Schenke am Wege einzukehren. Auch das Recht, sich in jeglichem Waldrandesschatten, sei es im Tal, sei es auf der Höhe, in das Gras zu strecken und den Rauch der Zigarre in den Duft des Tannendickichts hineinzublasen, konnte ihm unmöglich abgesprochen werden.
»Nektar vom Faß! Ambrosia aus der freien Faust! Schlürfe und schlucke, mein Sohn, es ist Vorrat genug von beiden vorhanden!« rief Pechle jedesmal, wenn er den Baron zu sich nieder auf das weiche Moos zog. –
»O Gott, was wird meine Frau sagen?« ächzte der Freiherr jedesmal, wenn er sich neben dem Reisegenossen steif zusammenklappte, die Arme um die Schienbeine schlang und das Kinn auf die Kniee legte.
»Asche auf dein Haupt!« brummte dann wohl der Exstiftler. »Potz Tränenfläschle und Aschenkrügle, jedesmal, wenn ich dich so dasitzen sehe, tut es mir im tiefsten Herzen weh, daß ich kein Geislinger Holzschnitzer bin. Aber den ersten bildenden Naturkünstler, der uns begegnet, rufe ich an und lasse dich Modell hocken. Die Möglichkeit ist doch noch vorhanden, daß dich deine eben wieder einmal von dir erwähnte Gattin mit einem Sohn beschenkt, und dessen Enkel noch sollen dich als Andenken an die schwäbische Alb von ihren Ausflügen mit nach Sachsen heimbringen und auf ihren Schreibtischen aufstellen.«
»O Christoph!« seufzte der reichsunmittelbare Ferdinand durchaus nicht erheitert durch diese Aussicht, in seiner schönsten Situation auf die Nachwelt zu kommen, und Pechle schloß dann gewöhnlich die Unterhaltung mit einem:
»Na, dann laß uns weiter marschiere, 's wird mir allmählich o'a'g'nem, hier als ein behaglicher Mensch bei dir zu liege.«
Nimmer vernahmen die königlich württembergischen Dryaden und Hamadryaden so viele Zitate aus dem Aristophanes, als während dieser Reisetage der beiden Tübinger Freunde. Es war jedoch nur der eine derselben, welcher zitierte, nämlich der Plato-Übersetzer. Und wenn ein Exkandidat der Theologie und ein Übersetzer des Platon in das Zitieren des Aristophanes hineingerät, so zitiert er gewöhnlich mit vielem Geschmack. Es ging wie ein breites Lächeln – Grinsen durch den Wald und über die sonnigen Hügel. Die Dryaden und die Oreaden taten zwar, als ob sie die Ohren zuhielten, aber sämtliche Faune und Satyre rings in der Umgegend wurden mit einem Male wach und sehr lebendig und hüpften mit Bockssprüngen neben, vor und hinter den beiden Wanderern auf ihrem Pfade durch den reizenden Tag, während alle Bäche vor dem scheuen, errötenden Untertauchen ihrer Nymphen stärker rauschten und ihre Tropfen mutwilliger auf den Weg spritzten. Es ist unglaublich zu sagen, wie lustig sich sämtliche schwäbische Berg- und Waldgötter über den Baron Ferdinand von Rippgen aus Dresden machten, und um so verdrießlicher ist es, daß wir die zwei Herren samt ihrem Gefolge nicht von Stunde zu Stunde durch die holden Tage begleiten konnten. Erst zu Owen (sprich: Auen!) unter Teck legen wir wieder die Hand auf sie. –
Zu Owen unter Teck, in der niedrigen, schwarz gerauchten Gaststube des Wirtshauses zur Krone, saßen der Baron und Christoph Pechlin beim Frühstück und hatten mancherlei hinter sich. Sie hatten den Grünen Felsen, Sankt Johann, den Uracher Wasserfall, Hohen-Urach, die Stadt Urach und den Hohen-Neuffen hinter sich, und als sie an diesem jetzigen Morgen von Erkenbrechtsweiler nach Owen hinuntergestiegen waren, da mochte es wahrlich zweifelhaft erschienen sein, wer dem andern in Heiterkeit und Selbstzufriedenheit den Rang abgewonnen hatte, der Exstiftler Christoph Pechle aus dem Schönbuch auf dem steilen Bergpfade oder das Lenninger Tal zur Rechten des Wegs, flimmernd im Sonnenschein, und seine Kirschbaumpracht mit berechtigtem Stolz dem blauen Himmel und den Bergen hinbreitend.
»Wird des en Geischt in diesem Jahr geben!« hatte Christoph, den Begleiter auf die Üppigkeit der Natur aufmerksam machend, in Ekstase gerufen; aber der Baron war leider geistig so herunter, daß ihn selbst die Aussicht auf das Lenninger Tal mit allen den verlockenden Hoffnungen und Verheißungen auf ein außergewöhnlich zu lobendes Kirschwasser nicht aufrichten konnte.
»O ja – aber meine Frau! meine arme Lucie!« hatte Ferdinand gestöhnt, und so waren sie nach Owen in die Krone hinabgestiegen, und Pechle hatte das Frühstück bestellt.
Sie befanden sich jetzt auf der Rückreise. Schon wurden die Pferde des Postwagens, der sie nach Kirchheim zur Eisenbahnstation bringen sollte, vor der Tür angeschirrt, und an dem braungemalten Tische in der Gaststube stieß der Freund dem Freunde den Ellenbogen in die Seite und sagte:
»Du! Rippgen! jetzt nimm noch einmal das Gesicht aus den Händen und schau dem Weltenschicksal in die Augen. Heute abend sehen wir vom Hohenstaufen aus die Sonne untergehen und morgen überliefere ich dich den Armen der zärtlichsten Gattin von neuem und vertrete alles, was wir beide in Kompanie während der letzten Tage gesündigt haben.«
»Du? uh! o!« stöhnte der Baron, das Gesicht zwar erhebend, jedoch nicht dem Weltenschicksal, sondern dem Reisegenossen aschgrau vor Gewissensangst in die Augen starrend. »Ei ja; du wirst die Glocke an meiner Tür ziehen, wirst mich auf meinen Vorsaal schieben, wirst einen Augenblick horchen, wirst zu deiner eigenen Wohnung hinaufsteigen, wirst über meinem Kopfe niederknien, das Ohr auf den Fußboden legen und von neuem horchen! Ja Christoph, du wirst von neuem horchen; – Widerrede mir nicht, ich kenne dich; und trotz allem wirst du mein einzigster Trost und Lichtpunkt in den kommenden bänglichen Momenten sein, es ist entsetzlich!«
»Bruderherz,« rief Pechle fast gerührt, »du hast vollkommen recht, aber du bist der einzige nicht, dem ich als Tröster im Erdenjammer aufgegangen bin. Erlaube mir; meine lyrischen Gedichte trage ich immer hinten in der Rocktasche, wie ein Johanniswürmle seine Laterne. Hier – da auf Seite Zweihundertsechsundsiebenzig, unter der Überschrift –«
In diesem Augenblick klopfte der Kutscher ärgerlich an das Fenster, und Pechle klopfte zärtlich auf das Bändchen in dunkelgrüner Leinwand mit abgegriffenem Goldschnitt, schob es in den Sack zurück und sagte:
»Du würdest mich in deiner jetzigen Stimmung doch nicht nach Verdienst fassen und würdigen. Steigen wir ein und fahren wir ab; aber da hast du meine Hand drauf, ich werde im richtigen Moment mit dem Stiefelknecht aufpochen. Ja, du bist mein Freund und sollst auch morgen von neuem erkennen, was du an mir wiedergefunden hast.«
»O Gott, o Gott!« stöhnte der Baron und nahm den Arm, den ihm sein heiterer Berater und Vermittler bot und, schwer gestützt auf ihn, wankte er dem Wagen zu und ließ sich hineinheben.
Sie fuhren ab und sämtliches Personal des Wirtshauses zur Krone in Owen drängte sich in der Tür und sah ihnen kopfschüttelnd nach.
»Das eine Mensche'kind sollt i wohl kenne, aber das andere ischt sicher kei' Landesgewächs, und es ischt mer scho' recht, wenn d'r Jäckle vorsichtig fährt, – so was muß ma' ja konserviere, daß noch lange auch andere Leut ihre Freud dra' habe,« sagte der Kronenwirt.
Über die Fahrt von Owen nach Kirchheim ist nichts zu berichten. Der Baron lag mit geschlossenen Augen in der einen Wagenecke, und Christoph lag in der anderen, blinzelnd durch die Staubwirbel der Landstraße und den hellen Morgensonnenschein, mit seinen lyrischen Gedichten hinten in der Rocktasche und einer Weinflasche vorn zwischen den Knieen. Auch von der Eisenbahnfahrt über Plochingen nach Göppingen ist wenig zu erzählen. Mit zwei Leuten, die länger als eine Woche in der schwäbischen Alb herumliefen, ist im Eisenbahnwagen überhaupt wenig anzufangen; aber wenn Ferdinand im unruhigen Schlummer den Weg verschlief und sich selbst beim Wagenwechsel in Plochingen kaum ermunterte, so war Christoph wenigstens doch imstande, auch das Getränk dieser Station zu probieren und ihm die gebührende Ehre zu geben.
In Göppingen speiste man zu Mittag, und hier schlief Pechle einen gesunden Nachmittagsschlaf und wachte der Baron; das Gefühl, die Gewißheit, sich auf dem Heimwege zu befinden, die Aussicht, morgen zu Hause zu sein, ermordeten dem letzteren jeglichen Gedanken an Schlummer und Schlaf. Mit kurzen, aufgeregten, unsichern Schritten lief er auf und ab im Saal, hörte den Reisegefährten schnaufen, friedlich blasen und atmen und blieb nur von Zeit zu Zeit vor ihm stehen, um ihn mit einem Gemisch von Haß und Schutzbedürftigkeit anzuschauen und sofort seinen Marsch in verdoppelter Ruhelosigkeit von neuem aufzunehmen.
Nach drei Uhr erwachte Pechle, gähnte, reckte und dehnte sich, rieb die Augen und schnarrte verdrießlich:
»Was? Bist du schon wach?«
»O ja! – Ja gewiß!«
»Dann laß den Kaffee bringen und zahle die Rechnung. Verzeih mir, ich glaube, ich habe von dir geträumt und werde wahrscheinlich erst unterwegs meine Fassung und meinen Gleichmut wieder gewinnen. O Sechserle, wie kannst du's nur übers Herz bringen, deinem besten, deinem einzigen Freunde diese kurze Ruhestunde so gespenstisch zu stören?«
»Ich gebe dir mein Ehrenwort –« rief der Baron im höchsten Grade verblüfft; aber Pechle ließ ihn den Satz nicht vollenden.
»Sei still! Sei nur ganz still!« sagte er vorwurfsvoll abweisend. »Du bist mir erschienen und zwar mit deiner Frau am einen Arm und der großen Unbekannten, der englischen Miß am anderen! Zahle und laß uns wieder ins Freie. Ich hoffe, die frische Luft wird mir gut tun!«
Die frische Luft tat ihm gut. Sie übte selbst auf den Baron noch einmal einen belebenden Einfluß, und als der Schurwald die beiden Touristen in seinen Schatten aufnahm, da drehte sich unter den ersten Bäumen des Gehölzes Herr Christoph Pechlin auf einem Bein dreimal im Kreise, schwang den Hut und stieß ein weithin schallendes Lustgeschrei aus. Dann sagte er:
»Das ist mir doch zum ersten Mal in meinem Leben passiert, daß mich der Alp am hellen Tage im Mittagsschlaf gedrückt hat. Nimm es mir nicht übel, Sechserle, aber du hast dich mir schwer auf die Brust gelegt. Eine süße Last warest weder du noch deine Gattin, und dann – dann, wie konntest du es wagen, mir Miß Christabel Eddish im Traume vorzustellen?«
»Ich versichere dich, Christoph –«
»Sei ganz ruhig! Ich verzichte auf alle deine Versicherungen, Beteuerungen und Entschuldigungen; allein, wie es mir demnächst möglich sein wird, mich der Dame persönlich zu präsentiere, das weiß ich in diesem Augenblick wirklich nicht, und dich, – ehrlich gestanden, – sehe ich, bis die Vorstellung stattgefunden hat, mit nicht zu bändigendem Widerwillen, um nicht zu sagen Ekel und Abscheu an.«
Sie wanderten fürbaß durch den Schurwald, hügelauf und hügelab bis unter den steilen Kegel des Hohenstaufen. Auf diesem Wege hatten sie die Landstraße stets zu ihrer rechten Hand, bald nah, bald weiter ab, jetzt vollständig zu übersehen, jetzt teilweise oder gänzlich durch das Gebüsch oder die Baumstämme ihren Augen verdeckt. Es konnte ihnen also nicht entgehen, daß die zwei Gäule eines Kutschwagens ziemlich gleichen Schritt mit ihnen hielten, ihnen zur Zeit einen Vorsprung abgewannen, um dann wieder hinter ihnen zurückzubleiben.
»Wir werden Gesellschaft beim Nachtessen im Lamm haben,« sagte Pechle. »Ich pfeife zwar darauf, denn der erlauchte Berg zieht sonderbar langweiliges Volk an; allein es kitzelt mich doch immer. Hä, ihr Sachsen, ihr Obersachsen, ihr Meißner, ihr Einwanderer auf slavisches Gebiet, da sitzt ihr mit eurem angemaßten Stammesnamen und eurem Hause Wettin und ärgert euch grenzenlos, wenn wir euch von hier aus eine Nase zudrehen.«
»Was mich anbetrifft, gar nicht!« sagte der Baron Ferdinand von Rippgen, königlich sächsischer Assessor außer Dienst. »Übrigens habe ich über die Sache auch noch gar nicht nachgedacht.«
Darauf sah ihn der schwäbische Ex-Theologe eine Weile an und sprach dann treuherzig:
»Siehscht du, Alterle, das ischt auch einer der Gründe, weswegen wir zwei deutsche Brüder immer so gut zusammen ausgekommen sind! Da ist der Wagen wieder – natürlich voll Frauenzimmer! Und hier sind wir am Ende des Waldes, der Weg nach dem Dorfe hinauf ist noch ein schweres Stück Arbeit. Ein halb Stündle im Schatten wirft meine Uhr noch ab. Nimm Platz und erlaube mir als Autochthonen, dich am Fuße dieses allerhöchsten germanischen Bergkegels nochmals herzlich willkommen zu heißen.«
»Ei ja freilich, hier sitze ich!« seufzte der Freiherr, den Schweiß von der erhitzten Stirn trocknend, und der im Sonnenbrande den Weg zum Dorf Hohenstaufen hinaufkriechenden Kutsche nachblickend.
Süß waren diese letzten Momente der Ruhe im Schatten, selbst für den Baron. Die Aufregungen, Verwirrungen und Kämpfe, welche aber schon die nächste Stunde im Schoße trug, wirkten beim Ausschütteln eben dieses Schoßes dann um so mächtiger durch den Kontrast.
Der Göppinger Mietswagen war längst hinter einer Biegung des Weges verschwunden, als Pechle seinen Zigarrenstumpf auf den Fahrweg warf und sagte:
»Jetzt wird es aber Zeit. Gehen wir also.«
Mühsam suchte der sächsische Freiherr seine Gebeine abermals zusammen und stand auf, so gut es sich tun ließ.
Schweißtriefend erreichten die zwei Freunde die ersten Hütten des Dorfes Hohenstaufen, und Pechle bemerkte:
»Das Betreten dieser seltenen Stätte scheint nicht den gewünschten belebenden Eindruck auf dich zu machen, Ferdinand. Da setze ich denn meine letzte Hoffnung auf das Lamm. Außergewöhnlich unangenehm wär's, wenn wir das Quartier bereits belegt fänden.«
Das hatte ganz den Anschein, denn als die beiden Wanderer, immer noch bergan steigend, das Lamm in Sicht bekamen, hielt der Göppinger natürlich schon unter der Haustürtreppe, seiner schönen Last entledigt, und Pechle kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr und sprach wehmütig-verdrießlich:
»Meine Ahnungen trügen mich doch nie. Da unten im Ochsen ist Musik und setzt es heute abend sicherlich Hiebe, und hier ins Lamm hat sich dicht vor unserer Nase das andere Geschlecht eingelegt, und nennt das wahrscheinlich auch, Rosen ins irdische Leben winden. Das muß i sage! Na, wie ischt's, Lammwirt?«
Von der Treppe seines Hauses herab zuckte der Wirt zum Lamm in Hohenstaufen selbstverständlich die Achseln, während flachshaarige Dorfjugend, zu Haufen um die beiden Ankömmlinge versammelt, sich kein Wort und keinen Gestus der Verhandlungen entgehen ließ, sondern mit aufgesperrtem Maul und Ohr alles in sich hineinschlang.
»Auf dem Tanzsaal kann ich Ihne noch a Bett hinstelle. Das Lumpenvolk, für welches da der rechte Platz wär, hält seine Bettelhochzeit ja doch im Ochse. Trete die Herre ein, die fremden Stadtdame sind schon auf den Berg 'nauf – wie gewöhnlich!«
Also sprach der Wirt zum Lamm in Hohenstaufen von seiner Haustürtreppe herab, und Pechle rief: »Was Besseres hab' ich mir nimmer gewünscht. Es gilt für den Tanzsaal, Lammwirt. Mutig, Sechserle – noch einen Schoppen Roten, und dann gleichfalls den Berg hinauf – wie ge–wöhnlich!«
Gefolgt vom Baron erstieg er die Treppe und trat in die niedere Honoratiorenstube zur Linken der Tür, und sämtliche flachshaarige hohenstaufensche Dorfjugend machte den Versuch, ebenfalls mit einzutreten, und konnte nur mit Mühe vom Wirt bewogen werden, den Versuch aufzugeben.
In dem Gastzimmer stützte Ferdinand von Rippgen sofort wieder beide Ellenbogen auf den Tisch und den Kopf auf beide Hände; Pechle jedoch, alles Lebensdurstes voll, bestellte den Roten, rieb sich munter auf- und ablaufend die Hände und murmelte:
»Immer vergnügter wird man! Jetzt fehlt mir nur noch der Alte vom Kyffhäuser, um auf der Stelle Brüderschaft mit ihm zu machen. Das wäre etwas! Nachher käme man auch zu einem vernünftigen Gespräch, erführe die Meinung des Alten über die Zukunft Deutschlands, und – dann gingen wir alle drei zusammen auf den Berg, und den Assessor da nähmen wir in die Mitte und höben ihn, wo es nötig wäre, und bezeugten ihm die Hausehre, wie es sich gebührt! Du, Baron, zum Sonnenuntergang kommen wir immer noch früh genug; greif mit beiden Händen ans Glas – auch die beiden romantischen Frauenzimmerle werden uns nicht entgehen: ich bin fest überzeugt, sie sind in ihrem historischen Gefühlsaustausch eben erst bei – Philipp und Irene traut – angekommen, und das hält sie fest, bis wir kommen.«
»Lieber Freund,« seufzte der Baron, »am liebsten wäre es mir, wenn du allein gingest: was mich anbetrifft, so möchte ich schlafen gehen. Ich komme mir selber vor wie eine Art Barbarossa im Kyffhäuser. Ich fühle mich wie festgewachsen, wenn auch nicht mit dem Barte am Tisch, so doch mit den Füßen und Beinen am Boden. Außerdem ist mein Kopf sehr eingenommen –«
»Du solltest wirklich noch einen Schoppen zu dir nehmen.«
Ferdinand von Rippgen schauderte.
»Ich weiß fest, daß das mir den Rest geben würde. O Christoph, Christoph, du bist mein Freund, aber offen gestanden, daß ich dir zu meinem Behagen wieder in die Hände geraten sei, glaube ich nicht mehr. Lieber Pechlin, ich bitte dich herzlich, überlaß mich mir, meiner Ermüdung und meinem Schicksal, wenigstens für heute abend. Erklimme allein jenen unheimlichen kahlen Gipfel, du kannst mir ja nachher erzählen, was du da oben gesehen, erfahren und erlebt hast.«
»Das würde deine Frau mir in ihrem ganzen Leben nicht verzeihen. Ich habe mir versprochen, dich ihr besser, sittlicher und verständiger zurückzuliefern, und ich werde mir Wort halten. Rippgen, ich verlasse dich nicht, aber auch du wirst bei mir bleiben, wirst mit mir gehen, und wirst vor allen Dingen nach fünf Minuten, die ich dir noch zur Sammlung deiner Lebensgeister gestatte, mit mir den Fleck besehen, wo die Burg deiner größten Kaiser stand.«
»Pechle, morgen sind wir wieder in Stuttgart!« Ohne zu ahnen, wie sehr er sich täuschte, erwiderte der Exstiftler:
»Um so mehr soll das Heute uns gehören. Da steht der Rote, verscheuche die bleichgelbe Möre durch ihn und tu mir den Gefallen, und sperr dich nicht länger. Weischt du, ich habe mich um den Morgen nie gekümmert und bin stets gut dabei gefahren.«
»Ja, du auch!« seufzte der Freund aus Sachsen, und er hob sich mühselig von seiner Bank hinter dem Tisch im Lamm zu Hohenstaufen.