Wilhelm Raabe
Christoph Pechlin
Wilhelm Raabe

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Das dritte Kapitel.

Pünktlich am Morgen schon war Miß Christabel Eddish mit einem Straßburger Zuge in Heidelberg eingetroffen; ohne alle Fährlichkeiten hatte dann auch Lucie von Rippgen die heitere Stadt am blauen Neckar erreicht und das zärtlichste Wiedersehen hatte stattgefunden. Dasselbe Hotel nahm natürlich die beiden Freundinnen auf; nach überwundenen Tränen und Küssen speisten sie zusammen auf dem Zimmer, und am Spätnachmittag unternahmen sie, begleitet von ihren Kammerjungfern, Charlotte und Virginy, einen Spazierritt zu Esel auf das Schloß, um daselbst den Kaffee einzunehmen.

Außer dem Kaffee genossen sie auf dem Schlosse auch noch den Sonnenuntergang und blickten still und verklärt in die Holdseligkeit der Natur hinein, bis die letztere ihnen zu kühl wurde. Trunken von Freundschaft und Naturgenuß ritten sie auf ihren Eseln wieder bergab, allen ihnen begegnenden lustigen Studenten gleichfalls ein Naturgenuß. Daß Miß Virginys Reittier gerade an der Ecke des Karlsplatzes bockte und die lautaufkreischende Reiterin sanft über Bug, Hals und Kopf zur Erde gleiten ließ, wurde von den beiden Herrinnen ohne alle Aufregung erlebt und von Christabel nur als ein bemerkenswertes Intermezzo für das Tagebuch notiert:

Virginy cast off by the donkey – shocking accident; – dreadful conduct of the Heidelberghian mob – shrieking and screaming – Lucy's sublime and unaffected behaviour – went on to the hotel and supped. Sublimity of mind – true greatness of soul etc. Das heißt, die beiden Damen ließen ihre beiden Jungfern selber dafür sorgen, wie sie sich am besten der fröhlichen Schaulust und zudringlichen Hülfsleistung der Jugend und der Bummlerschaft des Karlsplatzes entzogen. Lucie und Christabel entzogen sich vermittelst einer Droschke denselben.

Sie speisten zu Abend, und sie saßen bis spät in die Nacht hinein im lieblichen Wechselgespräch; ach, und die Baronin hatte nicht die geringste Ahnung davon, welch einem Dämon sie währenddem freie Hand gegeben hatte, welch eine behaarte Tatze sich krallend auf ihr häusliches Glück legte – kurz, wie der Baron diese holden Stunden ausnutzte. Wem er sein häusliches Glück mit den buntesten Farben ausmalte und in wessen Gesellschaft er dolose die Nacht verbrachte.

Mit welchem Schrei würde Lucia aufgefahren sein, wenn ihr ein anderer Dämon ein Wort davon ins Ohr geflüstert hätte! Was würde Miß Christabel Eddish gesagt haben, wenn jemand sie jetzt schon auf die Konsequenzen dieser Nacht aufmerksam gemacht hätte. O, bekümmern wir uns nicht darum, genießen wir fröhlich die heitere Gegenwart: die Zukunft wird schon ganz von selber an uns herankommen! –

Freundschaft, Naturgenuß und europäische Modenkritik waren abgetan, mit leise anplätschernder Flut spielte und spülte das Gespräch an den Charakter Ferdinands von Rippgen heran und – zu Ende war das reizende Spiel und Getändel durchsichtiger Wellen. Lautbrandend schlugen die Wogen empor, Schaumkronen auf den gewölbten Rücken tragend, Schlamm und Sand führend, keinen Widerstand – sowie auch keine Widerlegung duldend in ihrer Energie. Wenn der Baron von Rippgen wirklich aus Granit bestanden hätte, würde das Tosen der Brandung der natürlichste Naturlaut des Universums gewesen sein. Beide Damen waren vollständig einig über den Charakter und die Lebensführung des Barons; und die Art und Weise, wie ein solches Wesen von der bessern Hälfte des menschlichen Geschlechtes zu behandeln sei, unterlag ihnen auch nicht dem mindesten Zweifel. Strenge, unbeugsame aber lächelnde Strenge war nötig, um diesen Freiherrn auf dem richtigen Wege zu erhalten, und die Baronin war sich bewußt, daß sie es immer an solcher hatte fehlen lassen; – Miß Christabel Eddish schien sogar ein kleines Übergewicht des Lebensballastes nach der Seite der Grausamkeit hin nicht zu mißbilligen.

Da aber die reizenden Gestade der schönen Elbe kaum von dem Charakter Ferdinands zu trennen waren, so gerieten die zwei Freundinnen an dieselben und kamen sachgemäß in heftigster, schärfster und bitterster Weise auf die Villa Hellsitzer zu reden. Wie es möglich gewesen sei, daß ein wirklicher Ritter, Baron und Mann das Aufwachsen dieser lächerlichen Raubburg vor ihren – der beiden Damm Augen habe dulden können, war ihnen noch immer unbegreiflich, und jedes Wort, das sie zur Lösung des Rätsels gaben, machte ihnen das Faktum noch unbegreiflicher. Das Gute allein hatte das neue Gesprächsthema, daß es beide in einbohrendster Weise auf den Freiherrn zurückbrachte; Miß Christabel Eddish versprach, von der Aufregung der Busenfreundin hingerissen, im Anfang des Monats Oktober ihren Aufenthalt am Nesenbache zu nehmen, und, wie an der Elbe, mit allen ihren Kräften dem unglücklichen Weibe des Freiherrn von Rippgen gegen eben diesen Freiherrn beizustehen. Leider schwor in dem nämlichen Moment am Nesenbach Herr Christoph Pechlin dasselbe oder doch etwas ganz Ähnliches seinem Freunde Ferdinand von Rippgen, und zwar nicht im vertrauten, herzlösend-innigen Verkehr von Herz zu Herz, von Auge zu Auge, sondern in einer überfüllten, grenzenlos gemeinen Bierwirtschaft, und an einem Tische, an welchem nur zu viele gänzlich herzlose Gesellen saßen, die den Schwur sämtlich vernahmen und späterhin bezeugen konnten.

Um diese Zeit der Nacht war Pechle fast ebenso gerührt und bewegt, wie Miß Christabel Eddish!

Er hatte sein Wort gehalten, und dem Universitätsfreunde seinerseits seine Lebensgeschichte vorgetragen. Von außergewöhnlicher Bedeutung kam nichts darin vor, und wir können leicht darüber hinweggleiten. Wie es mit der Übersetzung der Werke Platos stand, blieb dunkel. Vollständig klar ist nur, daß der ehemalige Stiftler als Journalist und Berichterstatter für zwanzig bis dreißig schwäbische Lokalblätter von Heilbronn über Ulm bis Friedrichshafen sich ziemlich ehrlich und gottesfürchtig-demokratisch ernährte, und daß er mit seinem Lose nicht unzufrieden war. Ferdinand von Rippgen hatte während der Erzählung wohl mehrere Male das Haupt geschüttelt; jedoch stets nur seiner selbst und nicht ein einziges Mal des Jugendgenossen wegen.

Aber jetzt fing Pechle aus Waldenbuch an zu predigen, und das ist immer ein bedenkliches Zeichen bei einem verdorbenen Pfarrer, dessen Vater sich schon einen Bruch redete. Doch ehe das Phänomen sich zu seiner ganzen Wirkung entwickelt hatte, erhob sich am oberen Rande des Tisches ein nicht nur sehr anständig, sondern auch sehr gescheit aussehender Mensch, beugte sich, auf beide Hände sich stützend, vor und sprach im reinsten Frankfurter Deutsch:

»Nu heret, jetzt hab ich's aber satt, euch Ochse inkognito gegeiwwer zu sitze; – 's kommt euch was, ihr Herre!«

Und beide Freunde starrten den unhöflich-freundlichen Fremdling an, starrten und fanden bald in ihrer Erinnerung, was sie mit Aufbietung aller Kräfte so schnell als möglich zu finden suchten.

»Schmolke!« riefen sie wie aus einem Munde, und der Fremdling lächelte und nickte holdselig und bestätigend über den Rand seines Kruges: er war es, ohne sich seines Daseins zu schämen, Dr. Leopold Schmolke – nicht etwa der fromme Verfasser von Schmolkes Morgen- und Abendandachten, sondern Dr. Leopold Schmolke aus Frankfurt am Main, ein Advokat und gleichfalls früherer Tübinger Studiosus, und gerade nicht frommer, als die damalige Verfassung seiner Vaterstadt unbedingt verlangte. –

»Ja, Schmolke!« krächzte Schmolke. »Schmolke, der euch seit einer Stunde mit Erstaunen zuhört, eure Naivetät bewundert, und sich merkwürdig freut, euch so gesund, vergnügt, heiter und abgeschmackt-sentimental wiederzusehen. Sie, Herr Kanzleirat, tu' Se merr den Gefalle und rücke Se um a Stuhl weiter; wisse Se, Herr Rat, daß Se merr lieb sind, wisse Se; aber was hier augenblicklich vorgeht, das nennt ma bei uns in Frankfort a rihrendes Wiederfinde, und davon verstehe Se gar nichts, Herr Rat. Also bitte, Kanzleirätle, rücke Se zu, und lasse Se mich an die beide Herre da driwwe ran, – wolle Se?!«

»Mit Vergnige, Herr Doktor!« brummte der Kanzleirat, fügte jedoch hinzu: »Des muß i sage; wenn wir ei'mal grob sind, so mache wir des doch mit mehr Manier ab, als diese Ausländer! Rebublikanische Einfachheit nennt man das – wahrscheinlich.«

»Steigt Ihnen was, Herr Kanzleirat,« sprach der Doktor Schmolke im untadelhaften Hochdeutsch, »bitte, kommen Sie nur endlich einmal, wie Sie mir so häufig versprochen haben, nach Frankfurt. Sie sollen überzeugt werden, daß wir es auch nicht übelnehmen, wenn Sie uns an unseren berechtigten Eigentümlichkeiten kitzeln.«

Halb lachend, halb ärgerlich machte der alte würdige Herr dem Advokaten Platz, und es fand nunmehr in der Tat das statt, was das Frankforter Bergerskind vorhin »a rihrend Wiederfinde« nannte. Tränen flossen zwar nicht dabei, aber sie traten dem Mann aus dem Stifte doch in die Augen, und der Freiherr gebärdete sich sehr aufgeregt. Als jedoch die nötigen Äußerlichkeiten abgetan waren, und ein jeglicher dem andern die Hand geschüttelt und ihn auf den Rücken geklopft hatte, sagte Schmolke aus Frankfurt:

»Leute, ich wiederhole es, ich habe euch eben mit Vergnügen zugehört. Daß der Pechle ein armer Sünder vor dem Herrn ist, und dann und wann le vin tendre hat, das hab' ich längst gewußt; aber daß der Rippgen da es durchaus nicht lassen konnte, ein Mädchen glücklich machen mußte, und jetzt von seiner Göttin nach Gebühr in guter Zucht und Ordnung gehalten wird, das war mir neu, und erlaube ich mir, bestens zu aller Süßigkeit des Zustandes zu gratulieren. Nun aber sagt, ihr Herren, wer von euch beiden erwähnte vorhin die Existenz und den Namen von Miß Christabel Eddish?«

Der Baron und sein Hausgenoß sahen sich einen Augenblick in die Augen, um sich darauf beide die Stirnen zu reiben. Dann sagte der Baron:

»Ich glaube, Schmolke, wir haben den Namen wohl alle beide an diesem Abend einige Male ausgesprochen –«

»Und mit eigentümlicher Betonung,« warf der Frankfurter Advokat ein.

»Ei Je ja, jawohl!« seufzte der Freiherr, und Pechle klopfte von neuem dem Doktor Schmolke zwischen die Schulterblätter und sprach treuherzig aufklärend:

»Sieschst du, Schmolke, die beiden Weiber sitzen in diesem feierlichen Moment zu Heidelberg in Schrieders Hotel – wahrscheinlich. Also und deshalb hab i das Lamm hier, das Sechserle, heut abend aus der Dornhecke herausgewickelt und hab's in die frische Luft und in diese anständige Gesellschaft geführt, Schmolke. Daß wir dich auch in diesem Lokale treffen würden, das konnten wir freilich nicht wissen.«

»Ich muß auch sogleich fort. Ich hab' noch einen Termin morgen um eilf Uhr auf dem Römer; aber es war sehr nett, – wahrhaftig recht nett von euch, mir hier in die Arme zu fallen. Daß aber die Tugend immer ihren Lohn findet, das will ich dir jetzt beweisen, Rippgen. Höre, Ferdinand, wenn es einmal gar nicht anders gehen will, so besuche mich vertrauensvoll auf meinem Bureau in Frankfurt. Deine Hausfreundin, die Miß – Miß Christabel – Miß Christabel Eddish hab' ich nämlich auch in meinen Akten, und wenn du abends kommst, findest du mich auch stets. Jedoch leichter nach vorausgegangener Konferenz mit meiner Haushälterin. Und wenn der Pechle da mit dir kommt, so wird's mir stets sehr angenehm sein, und nun – Herr Kanzleirat, reiche Se merr doch gefälligst noch emal Ihre Dose riwwer.«



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